BGH,
Urt. v. 14.6.2006 - 2 StR 34/06
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 34/06
vom
14.6.2006
Nachschlagewerk: ja BGHSt: nein Veröffentlichung: ja
StGB § 46 Abs. 2
Zur Berücksichtigung von Untersuchungshaft als
Strafzumessungstatsache.
BGH, Urt. v. 14.06.2006 - 2 StR 34/06 - LG Darmstadt
in der Strafsache
gegen
- 2 -
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge u. a.
- 3 -
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
14.06.2006, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan
und die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Prof. Dr. Fischer,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 4 -
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Darmstadt vom 12.07.2005 im Strafausspruch mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen.
3. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird
verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit
unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt, die sichergestellten
Betäubungsmittel, Verpackungsmaterialien, vier Mobiltelefone
1
- 5 -
der Marken Nokia und Samsung, ein Ladegerät und den VW Golf IV
TDI, amtliches Kennzeichen , eingezogen sowie den Verfall in
Höhe von 670,81 Euro angeordnet. Im Übrigen hat es
den Angeklagten freigesprochen. Gegen die Verurteilung wendet sich der
Angeklagte mit seiner auf die Sach- und auf eine
Verfahrensrüge gestützten Revision. Die zu Ungunsten
des Angeklagten eingelegte - vom Generalbundesanwalt vertretene -
Revision der Staatsanwaltschaft ist auf den Rechtsfolgenausspruch
beschränkt; sie rügt die Verletzung sachlichen
Rechts. Das Rechtsmittel des Angeklagten bleibt erfolglos, dasjenige
der Staatsanwaltschaft hat teilweise Erfolg.
Der Angeklagte ließ in der Zeit vom 20. November 2003 bis zum
28. April 2004 in sechs Fällen von dem Lkw-Fahrer E. in einer
an dessen Tankauflieger befestigten Kiste jeweils zwischen 60 und 120
kg Haschisch - insgesamt 537,81 kg mit einem Wirkstoffgehalt von
mindestens 11,2 % Tetrahydrocannabinol (THC) - zum Weiterverkauf aus
Spanien in das Industriegebiet von Dietzenbach transportieren. Das
Landgericht hat als Einzelstrafen für das Handeltreiben mit
120 kg Haschisch in zwei Fällen Freiheitsstrafen von jeweils
vier Jahren (Einsatzstrafe), für die weiteren vier
Fälle des Handeltreibens jeweils eine Freiheitsstrafe von drei
Jahren und sechs Monaten festgesetzt.
2
I.
1. Die Revision des Angeklagten zeigt mit der Sachrüge keinen
Rechtsfehler des Urteils auf. Die getroffenen Feststellungen tragen den
Schuldspruch und der Strafausspruch enthält keinen
durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des
Beschwerdeführers.
3
2. Auch die Verfahrensrüge der vorschriftswidrigen Besetzung
des Gerichts, § 338 Nr. 1 StPO, § 21 g GVG, ist
unbegründet. Die Verteidigung hat in
4
- 6 -
der Hauptverhandlung vor der Vernehmung des ersten Angeklagten zur
Sache den Einwand erhoben, dass der interne
Geschäftsverteilungsplan der 12. Strafkammer des Landgerichts
Darmstadt für das Jahr 2004 keine Regelung enthalte, welcher
Beisitzer in Fällen der Besetzung mit zwei Berufsrichtern
(§ 76 Abs. 2 1. Alt. GVG) in der Hauptverhandlung mitzuwirken
habe. Darüber hinaus wird mit der Revision vorgetragen, dass
die Vertretungsregelung im Fall der Überlastung eines
Beisitzers zu unbestimmt sei.
Der interne Geschäftsverteilungsplan der 12. Strafkammer des
Landgerichts Darmstadt lautet wie folgt:
5
“…
2. Die Mitwirkung der beiden Beisitzer innerhalb und
außerhalb der Hauptverhandlung als Berichterstatter in den
bei der 12. Strafkammer anhängigen Strafsachen wird wie folgt
festgelegt:
a) Richter Happel ist Berichterstatter in den Verfahren, in denen die
letzte Zahl des Aktenzeichens ungerade ist.
b) Richterin Sachs ist Berichterstatterin in den Verfahren, in denen
die letzte Zahl des Aktenzeichens gerade ist.
…“
Eine ausdrückliche Regelung, dass in den Fällen, in
denen die Strafkammer - wie hier - gemäß §
76 Abs. 2 GVG die Verhandlung mit zwei Berufsrichtern
beschließt, außer dem Vorsitzenden der
Berichterstatter an der Hauptverhandlung teilnimmt, enthält
der Geschäftsverteilungsplan nicht; einer sol-
6
- 7 -
chen bedurfte es auch nicht. Es versteht sich von selbst, dass bei
einer Verhandlung mit zwei Berufsrichtern neben dem Vorsitzenden der
Berichterstatter an der Hauptverhandlung teilnimmt. Der
Berichterstatter bereitet die Verhandlung anhand der Akten vor und
schreibt nach der Verhandlung das Urteil. Eine Regelung, wonach von
mehreren Berufsrichtern einer Strafkammer einer zum Berichterstatter
bestellt würde, bei einer Zweierbesetzung nach § 76
Abs. 2 GVG aber ein anderer (außer dem Vorsitzenden) an der
Hauptverhandlung teilnähme, wäre widersinnig. Die
Mitwirkung des Berichterstatters bei Besetzungsreduzierung in der
Hauptverhandlung lässt sich zwanglos auch der Formulierung
unter Ziffer 2 des kammerinternen Geschäftsverteilungsplans
entnehmen. Darin wird die Mitwirkung der beiden Beisitzer innerhalb und
außerhalb der Hauptverhandlung als Berichterstatter
festgelegt. Aus dieser Formulierung folgt ohne weiteres, dass der
Berichterstatter immer an der Hauptverhandlung teilnimmt.
Soweit der Angeklagte mit der Revision weitere Mängel des
kammerinternen Geschäftsverteilungsplans geltend macht, ist
diese Beanstandung präkludiert. Nach § 222 b Abs. 1
Satz 3 StPO sind alle Beanstandungen in der Hauptverhandlung
gleichzeitig vorzubringen (BGHSt 44, 328, 336).
7
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat teilweise Erfolg. Der
Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht
stand. Die Kammer hat dem Angeklagten zugute gehalten, dass er 14
Monate in Untersuchungshaft verbracht hat und durch die Einziehung
seiner Mobiltelefone und des Pkw Golf einen wirtschaftlichen Verlust
erlitten hat.
8
- 8 -
1. Die Revision macht zu Recht geltend, dass die
Verbüßung von Untersuchungshaft
grundsätzlich nicht zu einer Strafmilderung führt
(vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Lebensumstände 18, 20;
BGH NStZ 2005, 212; NStZ-RR 2005, 168, 169; wistra 2001, 105; BGH bei
Detter NStZ 2005, 500; Urteile vom 17.08.2004 - 5 StR 197/04 - und vom
13. Februar 2001 - 1 StR 565/00; Tröndle/Fischer, StGB 53.
Aufl. § 46 Rdn. 72; Schäfer, Praxis der
Strafzumessung, 3. Aufl. Rdn. 434; Tolksdorf in Festschrift
für Stree und Wessels, 1993, S. 753, 756; a. A. zur
Berücksichtigung der Untersuchungshaft bei der Strafrahmenwahl
BGH StV 1993, 245). Zwar sind überdurchschnittliche
Belastungen, die dem Täter durch das Verfahren als solches
entstehen, bei der Strafzumessung zu seinen Gunsten durchaus zu
berücksichtigen (vgl. Schäfer a.a.O.) Dass der
Täter in der zur Verhandlung anstehenden Sache
Untersuchungshaft erlitten hat, ist bei der Verhängung einer
Freiheitsstrafe aber regelmäßig ohne Bedeutung, denn
die Untersuchungshaft wird nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB
grundsätzlich auf die zu vollstreckende Strafe angerechnet.
Untersuchungshaft kann deshalb allenfalls dann mildernde Wirkung
zukommen, wenn keine ohnehin zu verbüßende
Freiheitsstrafe verhängt wird oder wenn besondere
Umstände hinzutreten. Der Vollzug von (anrechenbarer)
Untersuchungshaft stellt an sich keinen Nachteil für den
Angeklagten dar. Aber auch wenn eine Freiheitsstrafe (nur) deshalb zur
Bewährung ausgesetzt werden kann, weil der Angeklagte durch
den Vollzug der Untersuchungshaft hinreichend beeindruckt ist,
verbietet sich eine zusätzliche mildernde
Berücksichtigung bei der Bemessung der Strafhöhe
(vgl. Schäfer a.a.O.).
9
Soweit der Bundesgerichtshof den Vollzug von Untersuchungshaft als
strafmildernden Gesichtspunkt gebilligt hat, ist dies im Zusammenhang
mit anderen Umständen geschehen, etwa einer
überlangen Verfahrensdauer (BGHR StGB § 46 Abs. 1
Begründung 18; Urteile vom 29.06.2005 - 1 StR 149/05 -
10
- 9 -
und vom 1. März 2005 - 5 StR 499/04), besonderen
persönlichen Verhältnissen (Urteil vom 13. Februar
2001 - 1 StR 565/00), einer den Angeklagten besonders belastenden
Ungewissheit (Urteil vom 11. Januar 2000 - 1 StR 579/99) oder der
Tatsache, dass der noch nie inhaftierte Angeklagte durch die
Untersuchungshaft besonders zu beeindrucken war (Urteil vom 21.
Dezember 1993 - 5 StR 683/93). Weitere mit dem Vollzug der
Untersuchungshaft verbundene besondere Nachteile für einen
Angeklagten können beispielsweise das Auftreten einer
Haftpsychose sein (vgl. BGH StV 1984, 151), bei einem
Ausländer ohne familiäre Bindung in Deutschland oder
bei fehlenden Kenntnissen der deutschen oder einer sonst verbreiteten
Sprache ein daraus folgender Mangel sozialer Kontakte, oder
Haftbedingungen, die über die üblicherweise mit
Untersuchungshaft verbundenen Beeinträchtigungen hinaus
besondere Erschwernisse enthalten (vgl. Senatsurteil vom 16. November
2005 - 2 StR 296/05). Will der Tatrichter wegen besonderer Nachteile
für den Angeklagten den Vollzug der Untersuchungshaft mildernd
bei der Strafzumessung berücksichtigen, müssen diese
Nachteile in den Urteilsgründen dargelegt werden. Daran fehlt
es hier. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die
insgesamt milden Strafen auf der fehlerhaften Wertung der
Untersuchungshaft beruhen.
2. Soweit die Beschwerdeführerin vorträgt, der Pkw VW
Golf sei fehlerhaft nicht gemäß § 73 a StGB
für verfallen erklärt worden, was bei der
Strafzumessung nicht mildernd zu berücksichtigen gewesen
wäre, kann der Senat die Rechtsfrage, ob der Verfall der
Einziehung vorgeht, wenn die Voraussetzungen beider Rechtsinstitute
vorliegen, offenlassen. Der Generalbundesanwalt hat für den
konkreten Fall zutreffend dargelegt, dass sich ausreichende
Anhaltspunkte für die Behauptung, der Pkw sei mit Gewinnen aus
Betäubungsmitteldelikten erworben worden, aus den
Urteilsgründen nicht ergeben. Gegen einen Erwerb mit Gewinnen
aus den abgeurteilten Taten könnte sprechen, dass der Antrag
11
- 10 -
auf Kraftfahrtversicherung für das Fahrzeug vom 3. November
2003 datiert, der erste dem Angeklagten zur Last gelegte
Haschischtransport aber am 20. November 2003 stattfand. Auch die
Voraussetzungen des erweiterten Verfalls, § 73 d StGB, sind im
Urteil nicht belegt. Zwar war der Angeklagte seit dem Jahr 2000 fast
durchgehend arbeitslos; es ist aber nicht festgestellt, wann er das
Fahrzeug zu welchem Kaufpreis angeschafft hat.
3. Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft ist zu verwerfen,
weil die Urteilsgründe hinsichtlich der Anordnung der
Einziehung und des Verfalls keinen Rechtsfehler erkennen lassen.
12
4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich
darauf hin, dass es rechtlich nicht unbedenklich ist, zu Lasten des
Angeklagten zu werten, dass er die Geschäfte allein aus
finanziellen Erwägungen heraus betrieben habe (vgl. BGHR StGB
§ 46 Abs. 3 Handeltreiben 1 und 2; BGH NStZ 2000, 137).
13
Rissing-van Saan Rothfuß Fischer
Roggenbuck Appl |