BGH,
Urt. v. 16.6.2005 - 5 StR 140/05
5 StR 140/05
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
16.06.2005
in der Strafsache
gegen
wegen Wohnungseinbruchdiebstahls
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. Juni
2005, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Basdorf,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt H ,
Staatsanwalt S
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten
A wird das Urteil des Landgerichts Berlin
vom 9. September 2004 im Maßregelausspruch mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision dieses Angeklagten wird verworfen.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird dieses Urteil
ferner zum Nachteil des Angeklagten A im Strafausspruch
in den Fällen II.6 bis 9 der Urteilsgründe und im
Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe, jeweils mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten der
Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Wohnungseinbruchdiebstahls
in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren
und
sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer
Entziehungsanstalt
angeordnet. In sieben Fällen wirkte der Mitangeklagte K als
Tatge-
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nosse mit. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der
Staatsanwaltschaft,
mit der geltend gemacht wird, das Landgericht habe in vier
Fällen
die Spielsucht des Angeklagten zu Unrecht als Grundlage für
eine nicht
ausgeschlossene erheblich verminderte Schuldfähigkeit und eine
Unterbringung in einer Entziehungsanstalt genommen, greift durch. Die
unbeschränkt geführte Revision des Angeklagten ist
lediglich hinsichtlich des
Maßregelausspruchs erfolgreich.
1. Das Landgericht hat im wesentlichen folgende Feststellungen
getroffen:
Der Angeklagte übersiedelte 1981 im Alter von 16 Jahren aus der
Türkei nach Berlin. Er ist mit dem aus der gleichen Gemeinde
in der Türkei
stammenden Mitangeklagten K seit langem gut befreundet. Mit ihm beging
er auch Diebstähle, wegen derer beide 1986 und 1987 zu
Freiheitsstrafen
verurteilt worden sind. Der Angeklagte war unter anderem ab 1994 als
Unternehmer im Garten- und Landschaftsbau teilweise sehr erfolgreich
tätig.
Nach einer Verurteilung wegen zehn Wohnungseinbruchdiebstählen
im
März 2001 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren,
deren Vollstreckung
zur Bewährung ausgesetzt worden ist, unterzog sich der
Angeklagte
mit Erfolg einer Therapie zur Bekämpfung seiner Spielsucht.
Am 28. Oktober 2002 und am 26. Januar 2003 drang der Angeklagte
jeweils nach Aufhebeln der Terrassentür in
Einfamilienhäuser ein und entwendete
Schmuck, Geld und andere Wertgegenstände im Gesamtwert
von 4.400 Euro. Der Angeklagte brach ferner - gemeinsam mit K - vom
11. September 2003 bis zu seiner Festnahme am 19.Februar 2004 in sieben
weitere Einfamilienhäuser ein und erbeutete
Wertgegenstände im Gesamtwert
von 41.000 Euro. Zum Jahresende 2003 begann der Angeklagte erneut,
in einer sehr exzessiven Weise an Automaten mit
Gewinnmöglichkeiten zu
spielen. Das Landgericht hat diese Phase der Spielsucht des Angeklagten,
dem psychiatrischen Sachverständigen folgend, als schwere
andere seeli-
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sche Abartigkeit gewürdigt und für die 2004
begangenen vier Taten nicht
ausschließen können, daß die
Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert gewesen
sei. Die Strafkammer hat in diesen Fällen jeweils den
Strafrahmen
des § 244 Abs. 1 StGB nach §§ 21, 49 Abs. 1
StGB gemildert und hat die
Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet.
2. Die Revision des Angeklagten bleibt erfolglos, soweit sie sich gegen
den Schuld- und Strafausspruch richtet.
a) Der Revisionsangriff, das Hauptverfahren habe mangels wirksamer
Zulassung der Anklage nicht durchgeführt werden
dürfen, greift nicht
durch. Die im Anklagesatz dargestellten Taten beschreiben nach Zeit und
Ort
bestimmte Einbrüche mit wenigstens der Gattung nach
bezeichneten gestohlenen
Gegenständen und sind dadurch genügend
individualisiert (vgl. BGHR
StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 3 und 7).
b) Soweit der Angeklagte rügt, das Landgericht habe Art. 6
Abs. 3
lit. a MRK „bewußt verletzt“, fehlt jeder
schlüssige Vortrag, inwieweit der
seit 1981 in Deutschland lebende, als Unternehmer zeitweise erfolgreiche
Angeklagte dadurch in seiner Verteidigung eingeschränkt
gewesen sei, daß
die Anklageschrift nur in einer Sprache zur Verfügung stand,
die für ihn nicht
verständlich gewesen wäre.
c) Die weiteren Verfahrensrügen sind ebenfalls
unzulässig, zudem
wären sie in der Sache offensichtlich unbegründet.
d) Der Angriff der Revision gegen die Beweiswürdigung des
Landgerichts
in den Fällen, die der Angeklagte nicht eingestanden hat,
bleibt erfolglos.
Das Landgericht stützt in den Fällen II.1 und 2 der
Urteilsgründe seine
Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten auf
Indizgegenstände,
die sich im Besitz des Angeklagten befanden und die er entgegen seiner
Einlassung
nicht auf dem Flohmarkt gekauft hatte. In den Fällen II.3 bis
7 der
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Urteilsgründe ist Diebesgut zwar jeweils nur im Besitz des
Mitangeklagten
K festgestellt worden. Das Landgericht überzeugt sich aber
insoweit nach
einer Gesamtwürdigung erheblicher belastender
Umstände von einer Mittäterschaft
des Angeklagten. Es stellt nachvollziehbar auf die festgestellte
Tatserie
von zwei Einbrechern, die zu den Schuhen der Angeklagten passenden
Spuren an den Tatorten, die Indizwirkung der übrigen gemeinsam
begangenen
Wohnungseinbruchdiebstähle und fehlende Hinweise auf Dritte
ab. Diese
Umstände rechtfertigen den vom Landgericht gezogenen
Schluß auf eine
jeweilige Mittäterschaft des Angeklagten (vgl. BGHSt 36, 1,
14; BGH
StV 2002, 235). Auch die weitergehende sachlich-rechtliche
Prüfung des
Schuld- und Strafausspruchs läßt keinen Rechtsfehler
zum Nachteil des Angeklagten
erkennen.
3. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist entgegen dem umfassenden
Wortlaut ihres Antrages auf die Zubilligung nicht
ausschließbarer erheblicher
Verminderung der Steuerungsfähigkeit in den Fällen
II.6 bis 9 der Urteilsgründe
und auf die Anordnung der Maßregel beschränkt. Aus
der nur
insoweit ausgeführten Sachrüge ergibt sich in
Übereinstimmung mit dem
Generalbundesanwalt, daß der Verfolgungswille der
Staatsanwaltschaft nur
diese Beschwerdepunkte erfaßt (vgl. BGHR StPO § 344
Abs. 1 Antrag 3).
Das Rechtsmittel hat Erfolg, soweit das Landgericht die Spielsucht
des Angeklagten als Grund für eine nicht
auszuschließende verminderte
Schuldfähigkeit angesehen hat. Pathologisches Spielen oder
Spielsucht stellt
für sich genommen keine die Schuldfähigkeit erheblich
einschränkende oder
ausschließende krankhafte seelische Störung oder
schwere andere seelische
Abartigkeit dar (BGH NJW 2005, 230, 231 zur Veröffentlichung in
BGHSt bestimmt). Nur wenn die Spielsucht zu schwersten
Persönlichkeitsveränderungen
führt oder der Täter bei Beschaffungstaten unter
starken Entzugserscheinungen
gelitten hat, kann ausnahmsweise eine erhebliche Verminderung
der Steuerungsfähigkeit anzunehmen sein (BGH aaO S. 231 f.;
BGH NStZ 2005, 281, 282).
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Die - nicht gänzlich unplausible - Annahme schwerster
Persönlichkeitsveränderungen
des Angeklagten findet angesichts der hohen Voraussetzungen
für das Vorliegen einer die Steuerungsfähigkeit
erheblich beeinträchtigenden
Spielsucht im Urteil keine ausreichende Grundlage (vgl. BGH
NStZ 2004, 31; BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 35). Der
Angeklagte
verübte vor seinem Rückfall zum Jahresende 2003
bereits seit 28. Oktober
2002 wieder Wohnungseinbruchdiebstähle. Das kann
dafür sprechen,
daß der Angeklagte bereits zur Begehung erheblicher
Straftaten neigte, bevor
er erneut an Automaten zu spielen begann, und daß bei ihm
unabhängig
von seiner Spielleidenschaft eine Verfestigung strafrechtlich
relevanten Verhaltens
eingetreten ist (vgl. BGH NStZ 2004, 31, 32).
Zudem beruht die Annahme des Landgerichts im wesentlichen auf
den Angaben des Angeklagten gegenüber dem
Sachverständigen und in der
Hauptverhandlung. Diese durften aber nicht ohne weiteres
ungeprüft hingenommen
werden (vgl. BGH NJW 2005, 230, 232). Soweit das Landgericht
maßgeblich auf einen Rückfall hinsichtlich einer bis
März 2001 akuten und
anschließend zunächst erfolgreich therapierten
Spielsucht abstellt, waren
auch diese Umstände insgesamt nicht ohne weiteres
aussagekräftig; sie
standen ersichtlich im Zusammenhang mit einer am Tag der
Urteilsverkündung
rechtskräftigen Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von zwei
Jahren auf Bewährung wegen zehn Wohnungseinbrüchen.
Damit können die Strafen in den Fällen II.6 bis 9 der
Urteilsgründe
nicht bestehen bleiben. Deren Aufhebung entzieht auch der festgesetzten
Gesamtfreiheitsstrafe die Grundlage. Ernstliche Anhaltspunkte
dafür, daß in
einer neuen Verhandlung über die bisherigen landgerichtlichen
Feststellungen
hinaus eine erhebliche Einschränkung der
Steuerungsfähigkeit bereits
für die Fälle II.3 bis 5 der Urteilsgründe
festgestellt werden könnte, bestehen
nicht.
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4. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten
kann auch der Maßregelausspruch nicht bestehen bleiben. Einer
Unterbringung
in der Entziehungsanstalt steht entgegen, daß diese
Maßregel nach
dem Wortlaut des § 64 StGB nur dann Anwendung findet, wenn der
Täter
den Hang hat, alkoholische Getränke oder andere berauschende
Mittel im
Übermaß zu sich zu nehmen. Die vom Landgericht
vorgenommene analoge
Anwendung des § 64 StGB auf den Fall der Spielsucht kommt
nicht in Betracht
(vgl. BGH NJW 2005, 230, 231 m.w.N., mit Anmerkung Schramm
JZ 2005, 418, 419 f., und Bottke NStZ 2005, 327). Dies gilt nicht nur,
wenn
die Analogie (wie im Fall BGH NJW 2005, 230) zur Vermeidung schwerer
wiegender Maßregeln im Ergebnis dem Angeklagten zugute kommen
soll,
sondern erst recht, wenn sie sich - wie im vorliegenden Fall - zu
Lasten des
Angeklagten auswirken würde (vgl. Schramm aaO S. 420 und
Bottke aaO).
5. Der neue Tatrichter wird die Einlassung des Angeklagten zur
Spielsucht auch unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus
dem zwischenzeitlichen
Aufenthalt des Angeklagten im Maßregelvollzug kritisch zu
prüfen und im Blick auf die dargelegten engen Voraussetzungen
für die Annahme
einer verminderten Schuldfähigkeit mit
sachverständiger Hilfe zu be-
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werten haben. Die auch bei Vorliegen einer Spielsucht mögliche
Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus verlangt die positive Feststellung
einer erheblichen Minderung der Schuldfähigkeit (vgl. BGH NStZ
2004,
31 m.w.N.).
Harms Basdorf Gerhardt
Brause Schaal |