BGH,
Urt. v. 19.12.2002 - 3 StR 401/02
3 StR 401/02
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
19. Dezember 2002
in der Strafsache gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 19.
Dezember 2002, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Prof. Dr. Tolksdorf, die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Miebach, Winkler, von Lienen, Becker als beisitzende Richter,
Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als
Verteidiger, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Osnabrück vom 1. Juli 2002 wird die Verfolgung im Fall IV. 1
der Urteilsgründe auf das Verbrechen der Vergewaltigung
beschränkt.
Der Schuldspruch wird dahin neu gefaßt, daß der
Angeklagte der Vergewaltigung in vier Fällen und der
Körperverletzung in vier Fällen schuldig ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels
und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit
mit Körperverletzung, wegen Vergewaltigung in drei
Fällen und wegen Körperverletzung in vier
Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren
verurteilt.
Im Fall IV. 1 der Urteilsgründe hat der Senat die Verfolgung
mit Zustimmung des Generalbundesanwalts gemäß
§ 154 a Abs. 2 StPO auf das Verbrechen der Vergewaltigung
beschränkt, da der Körperverletzungsvorsatz bislang
nicht ausreichend begründet worden ist. Daß der
Angeklagte damit "rechnete", daß durch sein Handeln eine
Allergie ausgelöst werden könnte (rechtliche
Würdigung - UA S. 43, 44), ist durch Feststellungen nicht
belegt. Die sonst
romanhaften, unnötig weitschweifigen
Urteilsausführungen sind gerade bei den nach § 267
Abs. 1 StPO vorgeschriebenen, tatbestandsausfüllenden Angaben
sehr knapp und zum Körperverletzungsvorsatz im Fall IV. 1
lückenhaft. Im übrigen würde ein "Rechnen"
nur die Wissensseite des Vorsatzes, nicht aber das hier durchaus nicht
selbstverständliche Willenselement belegen.
In dem nach der Beschränkung verbleibenden Umfang hat die
Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 31.
Oktober 2002 unter Abschnitt I, II 1 - 2 genannten Gründen zum
Schuldspruch und zu den Strafaussprüchen in den
Fällen IV. 3 bis 6 keinen Rechtsfehler zum Nachteil des
Angeklagten ergeben.
I. Darüber hinaus hält jedoch auch der Strafausspruch
in den Fällen IV. 1, 2, 7 und 8 rechtlicher
Nachprüfung stand. Insbesondere stellt es keinen Rechtsfehler
dar, daß die Strafkammer bei der Strafzumessung für
die Vergewaltigungsfälle ohne nähere
Ausführungen zur Strafrahmenwahl vom Regelstrafrahmen des
§ 177 Abs. 2 StGB, den sie im Fall IV. 2 nach § 21,
§ 49 Abs. 1 StGB gemildert hat, ausgegangen ist. Die vom
Generalbundesanwalt vermißte ausdrückliche
Begründung, warum der Regelstrafrahmen und nicht der des
Grundtatbestandes nach § 177 Abs. 1 StGB oder gar der des
minder schweren Falles nach § 177 Abs. 5 StGB angewendet
worden ist, bedarf es nur, wenn der Sachverhalt eine solche
Prüfung nahelegt und eine Erörterung in den
Urteilsgründen als Grundlage einer revisionsrechtlichen
Nachprüfung geboten ist. Liegt aber die Heranziehung eines
niedrigeren Strafrahmens in Anbetracht der gesamten Umstände
fern, ist eine solche Erörterung aus sachlich-rechtlichen
Gründen nicht geboten (BGH StV 1981, 541; GA 1987, 226). So
liegt es hier:
1. Sämtliche Vergewaltigungsfälle sind dadurch
gekennzeichnet, daß das Opfer in einer weit über den
Durchschnitt sonstiger Fälle hinausgehenden Weise erniedrigt
worden ist. Dies gilt insbesondere für die
Begleitumstände im Fall IV. 1, im Fall IV. 2 mußte
sich das Opfers infolge heftiger Schmerzen übergeben und in
den Fällen IV. 7 und 8 begleitete er seine Handlungen mit
abstoßenden und seine Frau in besonderer Weise
demütigenden Bemerkungen.
2. Ein Abgehen vom Regelstrafrahmen liegt auch deshalb fern, weil es
sich nicht um einen einzelnen isolierten Übergriff eines sonst
unbescholtenen Mannes handelt, sondern um eine schwerwiegende Serie von
acht abgeurteilten Gewalttaten zum Nachteil seiner Ehefrau, der bereits
eine weitere festgestellte, aber nach § 154 Abs. 2 StPO
eingestellte Vergewaltigung im Jahre 1998 (UA S. 9) vorausgegangen war,
bei der er seine Ehefrau ebenfalls besonders entwürdigend
behandelt hatte. Durch die Einbettung der Einzeltaten in diese Serie
wird gleichzeitig auch das Gewicht jeder Einzeltat deutlich
erhöht, bei der nicht nur Vortaten, sondern
grundsätzlich auch nachfolgende Taten strafschärfend
berücksichtigt werden können, sofern wie hier ein
innerer kriminologischer Zusammenhang besteht (BGHR StGB § 46
Abs. 2 Nachtatverhalten 25).
3. Auch die von der Strafkammer als strafmildernd herangezogenen
Umstände erfordern nicht die Erörterung einer
Strafrahmenverschiebung. Denn sie haben zum Teil nur geringes Gewicht,
zum Teil sind sie strafzumessungsrechtlich irrelevant:
a) Der Freiheitsentzug durch Untersuchungshaft als solcher stellt bei
Verhängung einer zu verbüßenden
Freiheitsstrafe wegen der vollen Anrechenbarkeit nach § 51
StGB grundsätzlich keinen strafmildernd zu
berücksichtigenden Nachteil für den Angeklagten dar
(BGHR StGB § 46 Abs. 2 Lebensumstände 18; BGH wistra
2001, 105; Schäfer, Praxis der Strafzumessung 3. Aufl. Rdn.
434). Anders mag dies sein, wenn im Einzelfall besondere
Umstände hinzutreten wie eine besondere Beeindruckung eines
Täters durch den Freiheitsentzug, die dazu führte,
daß gegen ihn eine Bewährungsstrafe
verhängt werden konnte (BGH NStZ 1994, 242). In der
Entscheidung BGHR StGB § 46 Abs. 1 Begründung 18
wurde die Untersuchungshaft nicht als solche, sondern nur im
Zusammenhang mit einer überlangen Verfahrensdauer gewertet.
Ebenso hat der 1. Strafsenat im Urteil vom 11. Januar 2000 - 1 StR
579/99 - die mildernde Berücksichtigung von Untersuchungshaft
nur unter dem Gesichtspunkt der dort damit verbundenen
Ungewißheit gebilligt. Ob eine solche den Angeklagten
besonders belastende Ungewißheit mit einem Strafverfahren
verbunden ist, die dann durch eine Untersuchungshaft verstärkt
werden kann, hängt jedoch zunächst von anderen
Faktoren ab, insbesondere wie offen der Ausgang des Verfahrens und
welcher Art die zu erwartenden Sanktionen sind.
b) Die spontane Tatbegehung ist bei Vergewaltigungen, die nur
ausnahmsweise von langer Hand geplant werden, die Regel und
rechtfertigt daher keine Milderung von Gewicht.
c) Das "problematische Beziehungsgeflecht" ist nach den getroffenen
Feststellungen durch übermäßigen
Alkoholkonsum des Angeklagten, häufige
Gewalttätigkeiten gegenüber Kindern und Ehefrau und
letztlich durch das von seiner Ehefrau nicht geteilte Verlangen nach
ausgefallenen sexuellen Praktiken, bei denen er seine Macht zeigen und
sie erniedrigen konnte, gekennzeichnet (UA S. 6 ff.). Daß
diese vom Angeklagten zu vertretenden Faktoren strafmildernd zu werten
seien, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen.
d) Die Alkoholisierung des Angeklagten, die im Fall IV. 2 zu einer
Strafrahmenmilderung nach § 21, § 49 Abs. 1 StGB und
in den Fällen IV. 7 und 8 zur Strafmilderung wegen der
enthemmenden Wirkung des Alkohols geführt hatte, gab hier zur
Erörterung einer Strafrahmenverschiebung keinen
Anlaß, weil der Angeklagte nach den Feststellungen um die
Gefahr von Übergriffen nach Alkoholgenuß
wußte. Bereits 1995 schrieb er seiner Frau nach einem
entsprechenden Vorfall: " Ich werde nie wieder Alkohol trinken und Dir
nie wieder weh tun ..." (UA S. 7).
e) Daß die "gute Sorge" des Angeklagten für seine
Familie nur die äußeren Verhältnisse
betraf, hat das Landgericht zutreffend erörtert und damit
gelegentliche Tätlichkeiten und "despotisches" Verhalten
gegenüber Familienmitgliedern (UA S. 7, 8) relativierend
berücksichtigt.
II. Die Beschränkung der Strafverfolgung im Fall IV. 1
läßt die verhängte Einzelfreiheitsstrafe
von drei Jahren und drei Monaten unberührt. Zwar
entfällt der von der Strafkammer berücksichtigte
Umstand, daß zwei Tatbestände (Vergewaltigung und
Körperverletzung) erfüllt worden sind, doch steht dem
gegenüber, daß die erhebliche gesundheitliche
Beeinträchtigung des Opfers vom Angeklagten zu vertreten war
und deshalb nach § 46 Abs. 2 StGB als verschuldete Auswirkung
straferschwerend hätte berücksichtigt werden
dürfen. Daneben liegt in dem Tatgeschehen neben dem Beischlaf
ein anderweitiges, zudem besonders ekelerregendes und erniedrigendes
Eindringen in den Körper der Frau. Diese zweifache
Erfüllung eines Regelbeispiels nach § 177 Abs. 2 Nr.
1 StGB hätte ebenfalls strafschärfend
berücksichtigt werden dürfen (BGHR StGB §
177 Abs. 2 Strafzumessung 1).
Tolksdorf Miebach Winkler von Lienen Becker |