BGH,
Urt. v. 19.3.2002 - 1 StR 566/01
1 StR 566/01
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
19. März 2002
in der Strafsache gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 19.
März 2002, an der teilgenommen haben: Richter am
Bundesgerichtshof Nack als Vorsitzender und die Richter am
Bundesgerichtshof Dr. Wahl, Dr. Boetticher, Schluckebier, Hebenstreit,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
München I vom 24. Juli 2001 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem
Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu der
Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Zugleich wurde seine
Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt,
daß zwei Jahre der Freiheitsstrafe vor der Maßregel
zu vollziehen sind. Die auf die Sachrüge gestützte
Revision des Angeklagten ist unbegründet.
1. Der Angeklagte stach am 21. Oktober 2000 um 22:30 Uhr mit bedingtem
Tötungsvorsatz zweimal auf den Oberkörper des Sohnes
seiner Lebensgefährtin mit einem Messer ein. Dem Sohn gelang
es danach, den Angeklagten am Boden zu fixieren, ihm das Messer zu
entwinden und den Notarzt zu rufen. Aus einer zweieinhalb Stunden
später entnommenen Blutprobe hat das Landgericht eine
Tatzeitblutalkoholkonzentration des Angeklagten von 3,11 % errechnet.
Beraten von zwei Sachverständigen, hat das Landgericht eine
alkoholbedingt erheblich verminderte Schuldfähigkeit
angenommen, Schuldunfähigkeit aber ausgeschlossen.
2. Den bedingten Tötungsvorsatz hat das Landgericht
tragfähig mit dem Geschehensablauf, der Beschaffenheit des
Messers und der Art des Einsatzes begründet. Auch der aus der
konfliktbeladenen Gesamtsituation und dem dem Tatgeschehen unmittelbar
vorausgehenden aggressiven Verhalten des Angeklagten gezogene
Schluß auf das voluntative Element ist rechtsfehlerfrei. In
der hohen und offensichtlichen Lebensgefährlichkeit der
Gewalthandlungen durfte das Landgericht ein gewichtiges, auf
Tötungsvorsatz hinweisendes Beweisanzeichen sehen (vgl. BGHR
StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 51).
3. Das Landgericht hat bei der Prüfung der Voraussetzungen des
§ 20 StGB die richtigen Maßstäbe (vgl. BGHR
StGB § 20 Blutalkoholkonzentration 14; BGH NStZ 1995, 96; BGH
Blutalkohol 38, 188; BGH, Urteil vom 8. Oktober 1991 - 1 StR 482/91)
angelegt und danach einen Ausschluß der
Steuerungsfähigkeit rechtsfehlerfrei verneint.
a) Es ist zur Beurteilung der biologischen Merkmale des § 20
StGB beiden Sachverständigen gefolgt, die für den
Fall, daß beim Angeklagten Erinnerungsreste vorhanden waren,
von einem Erhalt der Steuerungsfähigkeit ausgegangen sind. Das
Landgericht hat aber nicht nur solche Erinnerungsreste festgestellt,
sondern sogar als erwiesen erachtet, daß sich der Angeklagte
durchaus an das "Vor- und das Tatgeschehen im wesentlichen erinnern"
konnte. Nur "beispielsweise" hat es hierbei die vom Angeklagten
geschilderte Erinnerung an das Aufhelfen der gestürzten
Lebensgefährtin und an das Holen des Tatmessers aus der
Küche erwähnt. Soweit es das Messer angeht, hat das
Landgericht dem Angeklagten lediglich die Notwehrsituation nicht
geglaubt, in der er das Messer zum Einsatz gebracht haben wollte.
b) Damit hat das Landgericht zum einen das Leistungsverhalten des
Angeklagten bewertet. Die Erinnerung des trinkgewohnten Angeklagten war
im wesentlichen intakt und sein Verhalten bei dem Tatgeschehen war
durchaus differenziert (zuerst beschimpfte er das Opfer, dann holte er
ein Messer aus der Küche und setzte damit dem Opfer nach, das
sich dem Angriff entziehen wollte). Zum andern hat das Landgericht auf
die zuverlässig ermittelte Tatzeitblutalkoholkonzentration von
3,11 % abgestellt und vor diesem Hintergrund das Leistungsverhalten
erörtert. Die somit vorgenommene Gesamtschau beider
Gesichtspunkte weist aus, daß das Landgericht von einem
zutreffenden Maßstab ausgegangen ist und eine
Schuldunfähigkeit rechtsfehlerfrei ausgeschlossen hat.
4. Zu den übrigen Beanstandungen ist lediglich folgendes zu
bemerken:
a) Die Prüfungsreihenfolge bei der Strafrahmenwahl weist
keinen Rechtsfehler auf. Das Landgericht hat die Voraussetzungen des
§ 213 StGB auch unter Berücksichtigung beider
vertypter Milderungsgründe (§§ 21 und 23
StGB) ausgeschlossen und den Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB
zweimal nach § 49 Abs. 1 StGB gemildert. Im Rahmen der
konkreten Strafzumessung hat das Landgericht eine "Gesamtbetrachtung
aller Tatumstände" vorgenommen; der Senat schließt
aus, daß dabei das Alter des Angeklagten und das Handeln
(nur) mit bedingtem Tötungsvorsatz außer Betracht
geblieben ist.
b) Bei der Anordnung des teilweisen Vorwegvollzugs der Freiheitsstrafe
vor der Maßregel hat das Landgericht in
Übereinstimmung mit dem Sachverständigen gerade noch
hinreichend individualisiert begründet, weshalb der Zweck der
Maßregel dadurch leichter erreicht wird.
Nack Wahl Boetticher Schluckebier Hebenstreit |