BGH,
Urt. v. 19.5.2010 - 3 StR 56/10
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 56/10
vom
19. Mai 2010
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Menschenhandels u. a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung
vom 29. April 2010 in der Sitzung am 19. Mai 2010, an denen
teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
von Lienen,
Hubert,
Dr. Schäfer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten wird das
Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 10. September 2009 mit
den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Rechtsmittel und die der
Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "Zuhälterei in zwei
tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit schwerem
Menschenhandel, vorsätzlicher Körperverletzung und
Freiheitsberaubung" zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren mit
Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt und ein Mobiltelefon
eingezogen. Hiergegen richten sich die zum Nachteil des Angeklagten
eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft und die Revision des
Angeklagten. Beide Rechtsmittel haben Erfolg.
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1. Die Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des
angefochtenen Urteils.
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a) Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft zu Gunsten des Angeklagten
Tateinheit zwischen der Körperverletzung sowie der
Freiheitsberaubung und den Delikten der Zuhälterei und des
schweren Menschenhandels angenommen. Dies käme nur in
Betracht, wenn der Angeklagte die Nebenklägerin
körperlich misshandelt und in der Wohnung eingesperrt
hätte, um sie dadurch zugleich zur (Wieder-)Aufnahme oder
Fortsetzung der Prostitution zu bringen (§ 232 Abs. 4 Nr. 1
StGB) oder sie davon abzuhalten, die Prostitution aufzugeben
(§ 181 a Abs. 1 Nr. 2 3. Alt. StGB). Ein solcher Zusammenhang
ist indes nicht festgestellt. Vielmehr hatte der Angeklagte die
Nebenklägerin aus dem Bordell in L. abgeholt, um die
erforderlichen Arbeitspapiere für sie zu besorgen. Beim
Frühstück kam es in der Wohnung des Angeklagten zu
einem Streit, in dessen Verlauf der Angeklagte auf die
Nebenklägerin einschlug. Zwar hat das Landgericht nicht
klären können, was Gegenstand des Streits war. Ein
Zusammenhang mit der Prostitutionsausübung der
Nebenklägerin liegt indes fern, nachdem diese bekundet hat,
die körperlichen Misshandlungen durch den Angeklagten
hätten ihre Ursache in dessen spontaner Eifersucht gehabt.
Gleiches gilt für die Freiheitsberaubung, die der Angeklagte
selbst damit erklärt hat, er habe in seiner Wut über
diese Auseinandersetzung beim Verlassen der Wohnung die Türe
versperrt.
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b) Das Rechtsmittel führt auch (§ 301 StPO) zur
Aufhebung des Urteils, soweit das Landgericht rechtsfehlerhaft zum
Nachteil des Angeklagten einen besonders schweren Menschenhandel nach
§ 232 Abs. 4 Nr. 1 StGB bejaht hat.
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aa) Nach den Feststellungen war die Nebenklägerin nicht
ausschließbar nach Deutschland gereist, um hier der
Prostitution nachzugehen, und hatte diese Tätigkeit auch schon
vor dem Zusammentreffen mit dem Angeklagten andernorts
ausgeübt. Der Angeklagte beherbergte und verpflegte sie. Auch
war er
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in den Besitz ihres Passes gelangt. Ohne sein Zutun ging sie zuerst auf
dem Straßenstrich der Prostitution nach, ehe sie sich auf
Vermittlung des Angeklagten einen Abend lang in einem Bordell und
später für etwa zwei Wochen in der "Villa "
prostituierte. Sodann teilte sie dem Angeklagten mit, sie wolle der
Prostitution nicht weiter nachgehen, sondern vielmehr eine dauerhafte
Beziehung zu ihm eingehen oder nach Bulgarien zurückkehren.
Der Angeklagte lehnte eine feste Beziehung zu der
Nebenklägerin unter Hinweis auf seine Familie ab. Er
erklärte ihr, wenn sie nach Bulgarien zurück wolle,
müsse sie sich das Geld dafür selbst weiterhin durch
Prostitution verdienen. Wenn sie diese aber nicht fortsetze,
müsse sie seine Wohnung sofort verlassen. Ihm war dabei klar,
dass die Nebenklägerin erhebliche Angst davor hatte, allein
und mittellos auf der Straße zu stehen. Er wollte sie damit
anhalten, der Prostitution - auch zu seinen Gunsten - weiter
nachzugehen. Die Nebenklägerin übte daraufhin weiter
die Prostitution aus.
bb) Diese Feststellungen belegen nicht, dass der Angeklagte die
Nebenklägerin im Sinne des § 232 Abs. 4 Nr. 1 StGB
durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Fortsetzung
oder (Wieder-)Aufnahme der Prostitution gebracht hat. Ein derartiges
empfindliches Übel droht der Täter nur dann an, wenn
der in Aussicht gestellte Nachteil von einer Erheblichkeit ist, dass
seine Ankündigung geeignet erscheint, den Bedrohten im Sinne
des Täterverlangens zu motivieren und von ihm in seiner
konkreten Lage nicht erwartet werden kann, dass er der Drohung in
besonnener Selbstbehauptung standhält (BGHSt 31, 195, 201).
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Es kann dahinstehen, ob der Angeklagte nach diesem Maßstab
mit seiner Ankündigung, die Nebenklägerin
könne nicht länger bei ihm wohnen, wenn sie sich
nicht weiter prostituiere, in Verbindung mit dem "Einbehalten des
Passes" ein empfindliches Übel in Aussicht gestellt hat. Denn
selbst wenn dies der
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Fall sein sollte, beruhte dies allenfalls auf der Hilflosigkeit, die
für die des Deutschen nicht mächtige sowie des Lesens
und Schreibens "im wesentlichen" unkundige Nebenklägerin mit
ihrem Aufenthalt in Deutschland verbunden war. Eine hierdurch bewirkte
Willensbeugung wird indes in § 232 Abs. 1 Satz 1 StGB
gesondert unter Strafe gestellt, der sich mithin in derartigen
Fällen als Privilegierung gegenüber § 232
Abs. 4 Satz 1 StGB darstellt. Eine Verurteilung des Angeklagten nach
letztgenannter Vorschrift scheidet daher aus.
cc) Die Feststellungen belegen aber auch dessen Strafbarkeit nach
§ 232 Abs. 1 Satz 1 StGB nicht. Zwar war der Angeklagte im
Besitz des Passes der Nebenklägerin. Das Landgericht hat aber
nicht festgestellt, wie der Angeklagte in dessen Besitz gekommen ist;
schon gar nicht steht fest, dass er den Pass einbehalten hat, um die
Situation der Nebenklägerin als Ausländerin zu
verschlechtern und sie in ihrer Fähigkeit, sich seinem
Ansinnen zu widersetzen, zu schwächen (vgl. Fischer, StGB 57.
Aufl. § 232 Rdn. 10). Auch könnte die
Prostitutionstätigkeit, der die Nebenklägerin vor dem
Eintreffen beim Angeklagten unwiderlegt selbständig
nachgegangen war, gegen eine ausländerspezifische
Hilflosigkeit sprechen. Der Senat ist deshalb gehindert, den
Schuldspruch abzuändern.
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2. Die Revision des Angeklagten führt wegen der fehlerhaften
Anwendung von § 232 Abs. 4 Nr. 1 StGB ebenfalls zur Aufhebung
des Urteils.
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3. Für das weitere Verfahren sieht der Senat Anlass zu
folgenden Hinweisen:
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a) Sofern der Angeklagte den Pass der Nebenklägerin von Anfang
an mit dem Ziel einbehalten hat, die Nebenklägerin daran zu
hindern, die Prostitution aufzugeben, läge auch in dem
Zeitraum, in dem diese einen solchen Willen nicht gefasst hatte,
sondern freiwillig der Prostitution nachgegangen war, ein
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Vergehen der Zuhälterei auch in der dritten Tatvariante des
§ 181 a Abs. 1 Nr. 2 StGB (Maßnahmen treffen, die
die Person davon abhalten sollen, die Prostitution aufzugeben) vor.
b) Ob der Angeklagte im Hinblick auf die zuerst in der "Villa " und
sodann in der "M. -Bar" ausgeübte Tätigkeit der
Nebenklägerin eine oder mehrere Taten der Zuhälterei
begangen hat, ist davon abhängig, ob die
Nebenklägerin die Prostitution endgültig aufgegeben
hatte, als sie sich nach der Rückkehr aus der "Villa " wieder
beim Angeklagten aufhielt. Bei der Zuhälterei handelt es sich
um ein Dauerdelikt, so dass mehrere, zeitlich gestreckte dirigierende
Maßnahmen zum Nachteil einer Prostituierten rechtlich zu
einer Tat zusammengefasst werden (BGHSt 39, 390). Dies ist aber anders,
wenn die Prostituierte den Willen hat, ihre Tätigkeit zu
beenden, und die dirigierende Zuhälterei erst wieder einsetzen
kann, nachdem dieser Wille überwunden ist (vgl. BGH NStZ-RR
2001, 170). Die bisherigen Feststellungen legen eine solche
Zäsur, bei deren Vorliegen sodann in Bezug auf § 232
StGB von einer (Wieder-) Aufnahme der Prostitution und nicht von deren
Fortsetzung auszugehen wäre, nicht nahe. Danach hatte der
Angeklagte die Nebenklägerin aus der "Villa " abgeholt, weil
deren Betreiber ihn darum gebeten hatte. Nicht
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ausschließbar mit dem Einverständnis der
Nebenklägerin hatte der Angeklagte unmittelbar danach
versucht, diese in einem anderen Bordell unterzubringen. Die
Rückkehr in die Wohnung des Angeklagten diente erkennbar nicht
dem Ziel, die Nebenklägerin zukünftig zu beherbergen
und nicht mehr der Prostitution nachgehen zu lassen.
Becker Pfister von Lienen
Hubert Schäfer |