BGH,
Urt. v. 20.2.2008 - 5 StR 575/07
5 StR 575/07
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
20.2.2008
in dem Sicherungsverfahren
gegen
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
20.2.2008, an der teilgenommen haben:
Richterin Dr. Gerhardt
als Vorsitzende,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richter Prof. Dr. Jäger
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
Die Revision des Beschuldigten gegen das Urteil des Landgerichts Bremen
vom 24. April 2007 wird verworfen.
Der Beschuldigte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
- Von Rechts wegen -
G r ü n d e
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Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem
psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, dabei aber die Vollstreckung
der Maß-regel zur Bewährung ausgesetzt. Die auf die
Sachrüge gestützte Revision ist unbegründet.
Das Rechtsmittel, über das der Senat nach Terminsantrag des
Generalbundesanwalts aufgrund einer Hauptverhandlung zu entscheiden
hatte, bleibt entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts ohne
Erfolg.
1. Das Landgericht hat zu den Anlasstaten folgende Feststellungen
getroffen:
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Am 27. Januar 2005 schlug der Beschuldigte, dessen
Einsichtsfähigkeit aufgrund einer paranoid-halluzinatorischen
Psychose aufgehoben war, mit einem Stein das Schlafzimmerfenster seines
ihm nur flüchtig bekannten Wohnungsnachbarn ein. Engere
Kontakte oder Streitigkeiten gab es zwischen beiden nicht. Als der
Nachbar ihn zur Rede stellte, holte der Beschuldigte aus seinem
Hosenbund ein Messer mit einer 14 Zentimeter langen Klinge hervor.
Unter Vorhalt des Messers drohte er seinem Nachbarn, ihn umzubringen.
Dieser
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entfernte sich daraufhin. Sodann schlug der Beschuldigte mit einem
Backstein die Glasscheibe in dessen Wohnungseingangstür ein.
Als die alarmierten Polizeibeamten eintrafen, den Beschuldigten
befragten und der Nachbar das bei dem Beschuldigten im Hosenbund
steckende Messer hervorzog, erregte sich dieser sehr. Er ergriff das
Messer und hielt es auf die Polizeibeamten gerichtet, um sie zu
bedrohen. Gegen die Versuche, ihm das Messer zu entwinden, wehrte er
sich heftig und trat nach den Beamten, ohne sie jedoch zu treffen. Nach
seiner Festnahme erzählte er den Polizeibeamten, er habe in
seiner Wohnung noch eine Schusswaffe, CS-Gas,
„Molotow-Cocktails“, die er aus
„persönlichen Gründen“
benötige, und Handgranaten. Tatsächlich wurden in
seiner Wohnung eine Gaspistole, CS-Gas und zwei Bierflaschen
aufgefunden, an denen sich Reste von Motorbenzin befanden. Eine der
beiden Flaschen war zudem teilweise mit Sand gefüllt und mit
einem Stofffetzen im Flaschenhals versehen.
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2. Die Feststellung der rechtswidrigen Taten und deren Bewertung als
Sachbeschädigung in zwei Fällen, Bedrohung, Bedrohung
in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und einen
Verstoß gegen das Waffengesetz sind nicht zu beanstanden.
3. Auch der Maßregelausspruch hält rechtlicher
Überprüfung stand.
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a) Die Feststellungen des Landgerichts zur Schuldunfähigkeit
sind noch ausreichend belegt und weisen eine nachvollziehbare und
eindeutige Bewertung des Zustands des Beschuldigten aus.
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Das sachverständig beratene Landgericht teilt hierzu - dem
Sachverständigen folgend - mit, dass der Beschuldigte an einer
paranoid-halluzinatorischen Psychose im Sinne einer krankhaften
seelischen Störung leide, die bei den Taten zur Aufhebung der
Einsichtsfähigkeit geführt habe. Das Urteil zeigt die
wesentlichen Anknüpfungspunkte und Darlegungen des Sach-
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verständigen für diese Diagnose auf (BGHSt 34, 29,
31; BGH NStZ 2003, 307). Denn die wichtigsten Ergebnisse der wenige
Wochen nach der Tat erfolgten Exploration werden geschildert, so u. a.
dass der Beschuldigte „seinen Halluzinationen
ausgeliefert“ gewesen sei, was zudem anschaulich durch die
Angaben des Beschuldigten gegenüber dem Gutachter zu den
Anlasstaten belegt wird.
Den Urteilsgründen lässt sich - jedenfalls im
Gesamtzusammenhang - noch hinreichend entnehmen, wie das Krankheitsbild
in der konkreten Tatsituation auf den Beschuldigten eingewirkt hat.
Denn dass sich der Beschuldigte bei den Taten in einem akuten Schub der
psychotischen Störung befunden hat, wird durch das dargelegte
Nachtatverhalten und der unmittelbar anschließenden
Unterbringung durch das Vormundschaftsgericht sowie der Diagnose der
ihn dort behandelnden Ärzte - die mit der des
Sachverständigen übereinstimmt - ausreichend
deutlich. Das Landgericht hat entgegen der Auffassung der Revision eine
von der Krankheit unbeeinflusste streitige Auseinandersetzung zwischen
dem Beschuldigten und seinem Nachbarn ausgeschlossen. Weiterer
„Erhebungen“ hierzu bedurfte es nicht.
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b) Die Revision beanstandet ohne Erfolg, das Landgericht habe nicht
ausreichend dargelegt, dass in der Zukunft von dem Beschuldigten
infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind
und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Die auch insoweit sachverständig beratene Strafkammer ist zu
ihrer Gefährlichkeitsprognose aufgrund einer nachvollziehbaren
Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Beschuldigten
und seiner Taten gelangt. Hierdurch wird die erforderliche
Wahrscheinlichkeit höheren Grades hinsichtlich neuerlicher
schwerer Störungen des Rechtsfriedens (BGH NStZ-RR 2006, 136;
BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 16) trotz einzelner
missverständlicher Formulierungen noch ausreichend belegt.
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Die Strafkammer hat insoweit auf die sachverständige Prognose
abgehoben, dass ohne ärztliche und medikamentöse
Versorgung ein „Rückfall in das alte
Krankheitsbild“ mit den entsprechenden Symptomen, die auch zu
den An-
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lasstaten geführt hätten, drohe. Entgegen der
Auffassung des Generalbundesanwalts ist hiermit nicht nur die
bloße Möglichkeit, sondern eine gesteigerte
Wahrscheinlichkeit für die Begehung weiterer Taten
umschrieben. Dies ergibt sich jedenfalls aus dem Gesamtzusammenhang der
Urteilsgründe.
Das Landgericht hat nämlich festgestellt, dass die schwere
psychische Erkrankung fortdauert (UA S. 11). Durch die Behandlung -
zwangsweise Durchsetzung einer drei Monate währenden
stationären Therapie und Gabe von Depotpräparaten mit
engmaschiger Betreuung - habe zwischenzeitlich nur eine Remission, d.
h. eine Rückbildung der Symptome dieser Erkrankung erreicht
werden können (UA S. 10). Hieraus folgt, dass sich ohne die
Behandlung auf dem Boden des fortbestehenden Störungsbildes
die Symptome wieder bemerkbar machen würden, sofern nicht eine
freilich äußerst unwahrscheinliche Heilung eintritt.
Demgegenüber tritt der gegen eine Gefährlichkeit
sprechende Umstand, dass es über einen Zeitraum von zwei
Jahren und drei Monaten zu keinen neuen Taten gekommen ist,
zurück.
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Ob nach Beendigung der Medikation und dem damit verbundenen
Wiederaufleben der Symptome sodann abermals - wie bei den Anlasstaten -
ein akuter Schub der Krankheit eintreten wird, kann nur prognostisch
beurteilt werden. Vor dem Hintergrund nicht nur der Anlasstaten,
sondern auch der mitgeteilten Taten aus den Jahren 2002 und 2003, bei
denen es aufgrund von Wahnideen zu teilweise erheblichen
körperlichen Übergriffen gekommen ist, durfte das
Landgericht zu einer negativen Gefährlichkeitsprognose
gelangen. Denn hieraus ergibt sich, dass es bei dem noch jungen
Beschuldigten ohne Behandlung bereits sehr häufig zu
krankheitsbedingten Zuständen, in denen er rechtswidrige Taten
begangen hat, gekommen ist und nur im Jahr 2004 eine gewisse Beruhigung
eingetreten ist. Diese war aber nicht von Dauer, wie durch die Begehung
der Anlasstaten dokumentiert wird. Aufgrund dieser Umstände
ist belegt, dass das Landgericht nicht nur von der
Möglichkeit, sondern von einer Wahrscheinlichkeit
höheren Grades (BGH NStZ-RR 2006, 136; BGHR StGB § 63
Gefährlichkeit 11, 27) für die Begehung
zukünftiger Taten ausgehen durfte
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und die Umschreibung als „gewisse
Wahrscheinlichkeit“ nur eine unpräzise Formulierung
darstellt.
c) Das Landgericht hat auch nicht verkannt, dass es für die
Entscheidung, ob die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
anzuordnen ist, unerheblich ist, dass die von dem Beschuldigten
ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit durch eine konsequente
medizinische Behandlung abgewendet werden kann. Zutreffend ist es davon
ausgegangen, dass ein solches täterschonendes Mittel Bedeutung
erst für die Frage erlangt, ob die Vollstreckung der
Maßregel gemäß § 67b StGB zur
Bewährung ausgesetzt werden kann (BGHR StGB § 63
Gefährlichkeit 6, 28 und Beweiswürdigung 1).
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Gerhardt Raum Brause
Schaal Jäger |