BGH,
Urt. v. 20.7.2004 - 1 StR 145/04
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 145/04
vom
20. Juli 2004
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20.
Juli 2004,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenkläger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger
wird das Urteil des Landgerichts Kempten vom 21. Oktober 2003
mit den zugehörigen Feststellungen, mit Ausnahme derjenigen
zum äußeren Tatgeschehen, aufgehoben und die Sache
in diesem
Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer
Freiheitsstrafe
von zwölf Jahren verurteilt. Dagegen wendet sich die Revision
der
Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, und die
der
Nebenkläger. Die von den Nebenklägern erhobene
Verfahrensrüge ist unzulässig,
weil sie nicht ausgeführt wurde (§ 344 Abs. 2 Satz 2
StPO). Mit der
Sachrüge beanstanden die Revisionen die Verneinung des
Mordmerkmals
Heimtücke und erstreben eine Verurteilung wegen Mordes. Die
Rechtsmittel
haben Erfolg.
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I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts gab es zwischen dem
Angeklagten
und seiner Lebensgefährtin, Frau B. , wie schon
häufiger zuvor,
Streit. Sie verließ die Wohnung, schlug die Tür zu
und ging bis zum Beginn
der in das Erdgeschoß führenden Treppe. Der
Angeklagte folgte ihr und
holte sie ein. Sie sagte nun zu ihm, daß er gut im Bett sei
und ihr im Haushalt
helfe, jedoch in der Gesellschaft unmöglich sei. Sie sei etwas
Besseres und er
nichts. Danach drehte sie sich um und begann, die Treppe
hinunterzugehen.
Mit einem Angriff des Angeklagten rechnete sie nicht. In der Beziehung
war es
nie zu Gewalttätigkeiten gekommen. Der ca. 1,85 m
große und 90 kg schwere
Angeklagte war durch die Worte seiner Lebensgefährtin erregt
und wollte diese
zunächst zurückhalten. Er packte mit der linken Hand
die ca. 1,60 m große
Frau, die ihm den Rücken zugedreht hatte, am Hals und
würgte sie. Gleichzeitig
hielt er ihr mit der rechten Hand den Mund zu und preßte
ihren Hinterkopf
gewaltsam gegen seine Brust. Als der Angeklagte seine
Lebensgefährtin in den
Würgegriff genommen hatte, entschloß er sich, sie
solange zu würgen, bis sie
tot sei. Unter Ausnutzung seiner körperlichen
Überlegenheit würgte er sie mindestens
eine Minute lang, bis sie entsprechend seiner Absicht verstorben war.
Abwehrverletzungen wurden beim Tatopfer nicht festgestellt.
Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, er habe sie nur festhalten
und nicht töten wollen.
2. Das Landgericht hat das Tatgeschehen als Totschlag gewertet. Das
Vorliegen von Mordmerkmalen, insbesondere von Heimtücke, hat
es ausgeschlossen.
Zwar sei die Frau objektiv arglos gewesen und habe mit einem Angriff
des Angeklagten nicht gerechnet, als sie die Treppe hinuntergehen
wollte.
Es gebe jedoch keinen Nachweis dafür, daß der
Angeklagte diese Arglosigkeit
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bewußt zur Tötung ausgenutzt habe. Vielmehr sei die
Kammer überzeugt, daß
der Angeklagte den Tötungsvorsatz erst gefaßt habe,
als er die Frau gepackt
hatte. Zu diesem Zeitpunkt sei sie dann nicht mehr arglos gewesen. Die
Hauptverhandlung
habe auch nicht ergeben, daß es vor der Tat zu keinem
Wortwechsel
gekommen, der Angeklagte der arglosen Frau von der Wohnung bis
zur Treppe nur nachgeschlichen sei und diese dann, ohne irgendeine
Vorwarnung,
erwürgt habe.
II.
Diese Erwägungen sind rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht
den festgestellten
Sachverhalt nicht erschöpfend gewürdigt und ohne
hinreichende Begründung
ein bewußtes Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit durch den
Angeklagten
verneint hat.
1. Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung
die Arg- und
Wehrlosigkeit des Tatopfers bewußt zur Tötung
ausnutzt. Wesentlich ist, daß
der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also
arglos ist, in einer hilflosen
Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf
sein Leben
zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren (BGHSt 39, 353, 368;
BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 2 m.w.Nachw.). Das
Opfer muß gerade
aufgrund seiner Arglosigkeit wehrlos sein (BGHSt 32, 382, 384).
Allerdings
kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das
Opfer auch
dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig
entgegentritt, die
Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren
Angriff
aber so kurz ist, daß keine Möglichkeit bleibt, dem
Angriff irgendwie zu begegnen
(BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3, 15).
Maßgebend für die Beurteilung
ist die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz
geführten Angriffs.
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2. An diesen Maßstäben gemessen, hält die
Bewertung des Landgerichts
zur subjektiven Tatseite rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Der erste Angriff auf das Opfer war hier ein Würgegriff von
hinten an
den Hals. Ein solcher verbunden mit dem gleichzeitigen Zuhalten des
Mundes
und gewaltsamen Pressen des Hinterkopfes gegen die Brust stellt nach
seinem
objektiven Erscheinungsbild einen tätlichen Angriff auf das
Leben dar. Beweisanzeichen
dafür, daß der Angeklagte diese Vorgehensweise
gewählt hat, um
Frau B. zurückzuhalten, lediglich am Weggehen zu hindern, hat
das
Landgericht nicht festgestellt. Das äußere
Tatgeschehen, das in Fallgestaltungen
der vorliegenden Art besonderen Beweiswert für die subjektive
Tatseite
hat, legt vielmehr den Schluß nahe, daß dieser
Angriff mit Tötungsvorsatz erfolgte,
zumal der Angeklagte Frau B. dann auch tatsächlich
erwürgt hat.
Sich dazu aufdrängende Darlegungen fehlen.
Ferner sieht das Landgericht die Einlassung des Angeklagten, er habe
seine Lebensgefährtin nur festhalten und nicht töten
wollen, insoweit als widerlegt
an, als er ab Beginn des Würgevorgangs mit direktem
Tötungsvorsatz
handelte, nicht aber beim Setzen des Würgegriffes. Bei einem
derart massiven
einheitlichen tätlichen Angriff hätte
erörtert werden müssen, warum das Landgericht
nicht von einer einheitlichen Motivation ausgegangen ist.
Im übrigen läßt der festgestellte
Geschehensablauf eine zeitliche Zäsur
dahingehend nicht erkennen, daß das Opfer den Angriff auf
sein Leben erkannt
hätte, als der Angeklagte den Tötungsvorsatz
faßte, und ihm deshalb auch
noch hätte ausweichen können, somit nicht arglos
gewesen sei.
b) Selbst wenn der Angeklagte den Tötungsvorsatz erst
gefaßt haben
sollte, als er Frau B. in den Würgegriff genommen hatte, so
schließt dies
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die Arglosigkeit seines Opfers nicht von vornherein aus. Wie bereits
oben ausgeführt,
ist das Merkmal der Arglosigkeit auch dann gegeben, wenn bei offen
feindseligem Verhalten das Opfer die Tötungsabsicht noch im
letzten Augenblick
erkennt, aber nicht mehr reagieren kann. Dabei macht es keinen
Unterschied,
ob der überraschende Angriff von vornherein mit
Tötungsvorsatz geführt
wird, oder ob der ursprüngliche Handlungswille derart schnell
in den Tötungsvorsatz
umschlägt, daß der Überraschungseffekt bis
zu dem Zeitpunkt
andauert, zu dem der Täter mit Tötungsvorsatz
angreift. In beiden Fällen bleibt
dem Opfer keine Zeit zu irgendwie gearteten Gegenmaßnahmen
(BGHR StGB
§ 211 Abs. 2 Heimtücke 3). Der vorausgegangene
Wortwechsel beseitigte hier
nach der Überzeugungsbildung des Landgerichts die Arglosigkeit
des Opfers
nicht. Es wurde vielmehr durch den ersten tätlichen Angriff
von hinten in einer
hilflosen Lage überrascht und dadurch daran gehindert, dem
Anschlag auf sein
Leben zu begegnen, was die fehlenden Abwehrverletzungen
bestätigen.
c) Für das bewußte Ausnutzen von Arg- und
Wehrlosigkeit genügt es,
daß der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer
Bedeutung für die hilflose
Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne
erfaßt, daß
er sich bewußt ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit
gegenüber einem Angriff
schutzlosen Menschen zu überraschen (BGH NStZ 2003, 535). Wenn
der
Angeklagte seine Lebensgefährtin in der beschriebenen Art und
Weise von
hinten packte, der gegenüber er trotz vieler Streitigkeiten
noch nie Gewalt ausgeübt
hatte, liegt die Annahme nahe, daß er sich des
überraschenden Angriffs
bewußt war. Die Ausführungen des Landgerichts, mit
denen es ein Ausnutzungsbewußtsein
verneint, sind nur auf dem Hintergrund der zeitlichen Einordnung
des Tötungsvorsatzes und der daraus folgenden
rechtsfehlerhaften Bewertung
der Arglosigkeit nachvollziehbar. Daraus hat das Landgericht nicht
tragfähige Schlüsse auf das
Ausnutzungsbewußtsein gezogen. Der Annahme
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eines solchen steht auch die Erregung des Angeklagten nicht entgegen.
Das
Landgericht hat nicht festgestellt, daß der Angeklagte die
für die Heimtücke
maßgeblichen Umstände aufgrund seiner Erregung nicht
in sein Bewußtsein
aufgenommen hat.
3. Bei dieser Sachlage liegt Mord in der Begehungsform der
Heimtücke
nahe. Das Urteil kann danach keinen Bestand haben. Die Feststellungen
zum
äußeren Tatgeschehen sind von den Rechtsfehlern
nicht betroffen und können
bestehen bleiben.
Nack Wahl Kolz
Hebenstreit Elf |