BGH,
Urt. v. 20.6.2007 - 1 StR 157/07
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 157/07
vom
20.6.2007
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
20.06.2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
Dr. Graf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das
Urteil des Landgerichts München I vom 11. September 2006
werden verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft
und die hierdurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu
tragen. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die
insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Nebenklägers zu
tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Freiheitsberaubung in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und
Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt.
Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte
Revision des Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer
ebenfalls auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten
Revision, dass der Angeklagte nicht wegen Geiselnahme
gemäß § 239b Abs. 1 StGB verurteilt worden
ist. Beide Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
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I.
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen
getroffen:
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Der Mitangeklagte Ö. , der seine Verurteilung nicht
angefochten hat, hatte bei einem nächtlichen Kontrollbesuch in
der Wohnung seiner 17-jährigen Schwester T. Ö. den
Zeugen E. vorgefunden. Er hatte deshalb seine Schwester und E.
geschlagen und mit einem Messer bedroht. Gemeinsam mit dem telefonisch
herbeigerufenen Angeklagten und den gesondert Verfolgten K. und Ek.
zwang er sodann den verängstigten E. , mit ihnen zu einem
abgelegenen Parkplatz zu fahren. Dort erklärte er dem
Angeklagten, E. müsse weiter eingeschüchtert werden,
damit er seine Schwester nunmehr heirate. Der Angeklagte erwiderte, er
werde "dies" nun regeln.
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Der Angeklagte setzte sich mit E. auf die Rücksitzbank des
Kraftfahrzeugs, ergriff eine (ungeladene) Gaspistole, hielt sie so vor
das Gesicht des E. , dass dieser sie wegen des nicht verschlossenen
Laufs für eine scharfe Waffe hielt, und steckte ihm ihren Lauf
gewaltsam in den Mund. Er erweckte den Anschein, die Waffe
auslösen zu wollen, woraufhin E. in Todesangst aufschrie.
Nunmehr drehte der Angeklagte die Waffe um und schlug mit ihrem
metallischen Griff mehrmals kräftig gegen den Kopf des E. . Er
zwang ihn, wieder auszusteigen, und forderte ihn auf, sich - wie schon
zuvor - bei Ö. nochmals zu entschuldigen und diesem zum
Zeichen der Respektbekundung nach türkischer Sitte die Hand zu
küssen. Zusätzlich erklärte er, falls
Ö. die Geste der Entschuldigung nicht annehme, müsse
er damit rechnen, umgebracht zu werden. Ö. seinerseits
erließ dem E. den Handkuss, drohte ihm aber an, es werde noch
schlimmer kommen, wenn er sich nicht an seine Vorgaben halte, und
ließ ihn daraufhin gehen.
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Der Angeklagte wusste bei seinem Vorgehen gegen E. , dass dieser sich
bereits mehrfach bei Ö. entschuldigt hatte und selbst nach
weiteren Möglichkeiten zur Entschuldigung und Respektbezeugung
suchte. Die Drohungen des Angeklagten dienten nicht dem Zweck, der
Aufforderung zur Entschuldigung Nachdruck zu verleihen, sondern sollten
die Einschüchterung des E. nochmals steigern, um für
die Zukunft sicher zu stellen, dass E. außereheliche
Beziehungen zu T. Ö. unterlässt und diese heiratet.
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2. Das Landgericht hat dieses Geschehen nicht als Geiselnahme
gemäß § 239b Abs. 1 StGB gewertet. Der
Angeklagte habe dem Geschädigten E. zwar im Rahmen einer zuvor
geschaffenen Bemächtigungssituation mit dem Tode gedroht. Die
Drohung habe jedoch nicht dazu gedient, E. ein Verhalten noch
während der Dauer der Zwangslage abzunötigen.
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II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet. Das
Landgericht hat zu Recht eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen eines
Verbrechens der Geiselnahme verneint.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist § 239b StGB
- schon wegen der hohen Mindeststrafe von fünf Jahren -
einschränkend auszulegen. Zwischen der Entführung
eines Opfers und einer beabsichtigten Nötigung muss ein
funktionaler und zeitlicher Zusammenhang derart bestehen, dass der
Täter das Opfer während der Dauer der
Entführung nötigen will und die abgenötigte
Handlung auch während der Dauer der Zwangslage vorgenommen
werden soll (vgl. BGH NJW 1997, 1082; NStZ 2006, 36). Denn der Zweck
dieser Strafvorschrift besteht gerade darin, das
Sich-Bemächtigen oder die Entführung des Opfers
deshalb besonders unter Strafe zu stellen, weil der Täter
seine Drohung während der Dauer der Zwangslage jederzeit
realisieren
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kann (BGH StV 1997, 302; NStZ 2006, 36). Allerdings kann auch das
Erreichen eines Teilerfolges des Täters, der mit Blick auf ein
weitergehendes Ziel jedenfalls vorbereitend wirkt, eine
Nötigung darstellen (BGH NJW 1997, 1082; NStZ 2006, 36).
Jedenfalls solche Handlungen des Opfers, die eine nach der Vorstellung
des Täters eigenständig bedeutsame Vorstufe des
gewollten Enderfolgs darstellen, führen zur Vollendung der mit
der qualifizierten Drohung erstrebten Nötigung (BGH aaO).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Der Angeklagte
wollte den Geschädigten E. einschüchtern und ihn
dadurch dazu bringen, künftig au-ßereheliche
Beziehungen zu der Zeugin T. Ö. zu unterlassen und diese zu
heiraten. Damit waren seine Ziele auf ein Verhalten des E. in einem
Zeitraum gerichtet, zu dem dieser aus der Gewalt der beiden Angeklagten
wieder entlassen sein würde. Aus den rechtsfehlerfrei
getroffenen Feststellungen des Landgerichts ergibt sich nicht, dass der
Angeklagte erreichen wollte (und erreicht hat), dass E. bereits
während der Bemächtigungssituation sich verbindlich
zu seinem künftigen Verhalten gegenüber T.
Ö. festlegt.
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Auch soweit der Angeklagte dem E. eine nochmalige Entschuldigung
für dessen bisheriges Verhalten und einen Handkuss als
Respektbezeugung abverlangte, ist keine hinreichende Vorstufe des
gewollten Enderfolgs - zukünftige Beziehungen zu T.
Ö. - gegeben. Es fehlt insoweit bereits die erforderliche
finale Verknüpfung zwischen der Bemächtigungslage und
ihrer Ausnutzung zum Zwecke der Nötigung. Dem Angeklagten war
nach den ausdrücklichen Feststellungen des Landgerichts
bewusst, "dass dem Geschädigten E. die Aufforderung zur
nochmaligen Entschuldigung und Respektbezeugung als Gelegenheit zur
Besänftigung des Angeklagten Ö. willkommen war und
dass E. ihr auch ohne zusätzliche Drohungen nachkommen
würde."
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Insoweit wollte der Angeklagte daher schon nicht - was eine
Nötigung voraussetzt - einen entgegenstehenden Willen des
Geschädigten überwinden.
Damit erfüllt das Verhalten des Angeklagten nur die
Tatbestände der tateinheitlich begangenen Freiheitsberaubung,
Bedrohung und gefährlichen Körperverletzung.
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III.
Die Revision des Angeklagten ist aus den in der Antragsschrift des
Generalbundesanwalts zutreffend genannten Gründen
unbegründet.
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Herr VRiBGH Nack ist wegen
Urlaubs an der Unterschrift
gehindert.
Wahl Wahl Kolz
Hebenstreit Graf |