BGH,
Urt. v. 20.11.2008 - 4 StR 328/08
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 328/08
vom
20. November 2008
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja Veröffentlichung: ja
StGB § 222, § 228, § 229
1. Die Abgrenzung zwischen Selbst- und einverständlicher
Fremdgefährdung richtet sich bei
Fahrlässigkeitsdelikten nach der Herrschaft über den
Geschehensablauf.
2. Zur rechtfertigenden Wirkung einer Einwilligung bei
gefährlichem Handeln im Straßenverkehr.
BGH, Urteil vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08 - Landgericht Konstanz
1.
2.
3.
wegen zu 1. und 2.: vorsätzlicher Gefährdung des
Straßenverkehrs zu 3.: Beihilfe zur vorsätzlichen
Gefährdung des Straßenverkehrs
- 2 -
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20.
November 2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof Maatz, Prof. Dr. Kuckein,
Richterin am Bundesgerichtshof Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer als beisitzende Richter,
Bundesanwältin als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten B. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten S. ,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten H. ,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin Si. ,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 3 -
I. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der
Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom
28. Februar 2008 bezüglich der Angeklagten B. und H.
1. im Schuldspruch dahin abgeändert, dass diese Angeklagten
der vorsätzlichen Gefährdung des
Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger
Tötung schuldig sind,
2. im Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten dieser Rechtsmittel, an
eine andere Strafkammer des Landgerichts Konstanz
zurückverwiesen.
III. Die Revisionen der Angeklagten B. und S. werden verworfen; sie
haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die der Nebenklägerin
hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
- 4 -
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten B. und H. wegen
vorsätzlicher Gefährdung des
Straßenverkehrs je zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr
und sechs Monaten sowie den Angeklagten S. wegen Beihilfe hierzu zu
einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt; die Vollstreckung
der Strafen hat es bei allen Angeklagten zur Bewährung
ausgesetzt. Daneben hat es den drei Angeklagten die Fahrerlaubnis
entzogen, die Führerscheine eingezogen und Sperren
für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von drei (Angeklagte
B. und H. ) bzw. zwei Jahren (Angeklagter S. ) angeordnet.
1
Gegen das Urteil richten sich die jeweils auf die Verletzung
materiellen Rechts gestützten Revisionen der
Staatsanwaltschaft, der Nebenklägerin sowie der Angeklagten B.
und S. . Die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägerin machen
geltend, dass die Angeklagten B. und H. auch wegen
fahrlässiger Tötung hätten verurteilt werden
müssen; die Staatsanwaltschaft beanstandet zudem die
Strafaussprüche. Mit der entsprechend beschränkten
Revision des Angeklagten B. werden Einwendungen gegen den
Rechtsfolgenausspruch erhoben. Der Angeklagte S. erstrebt einen
Freispruch. Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, die vom
Generalbundesanwalt vertreten werden, und die Rechtsmittel der
Nebenklägerin haben den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg.
Die Revisionen der Angeklagten B. und S. sind dagegen
unbegründet.
2
I.
Zum Tatgeschehen hat das Landgericht im Wesentlichen folgende
Feststellungen getroffen:
3
- 5 -
Bereits ab ca. März 2006 gab es im Bodenseegebiet eine
„Szene“, der junge Männer
angehörten, die bis zum März 2007 auf Autobahnen in
der Umgebung von Singen mit „hoch frisierten Autos“
mindestens zehn verabredete „Autotests oder richtige
Autorennen“ durchführten, an denen zumeist
fünf bis sieben Fahrzeuge beteiligt waren.
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Der Angeklagte B. war Besitzer eines 1986 zugelassenen Pkw VW Golf II,
den er für Rennzwecke umgebaut und unter anderem mit dem Motor
eines Audi S3 ausgestattet hatte, so dass das Fahrzeug eine
Höchstgeschwindigkeit von etwa 240 km/h erreichen konnte. Mit
diesem Fahrzeug hatte er schon vor dem 30. März 2007 an
mehreren Rennen teilgenommen. Auch der mit ihm befreundete J. -P. Sim.
(das spätere Tatopfer) gehörte der
„Szene“ an; er hatte ebenfalls an mehreren Rennen
teilgenommen, wobei wechselweise er oder der Angeklagte B. Fahrer bzw.
Beifahrer des jeweiligen Fahrzeugs war.
5
Der mit dem Angeklagten S. befreundete Angeklagte H. konnte am 30.
März 2007 den seinem Vater gehörenden Pkw Porsche
Carrera 4S nutzen, der über eine Leistung von 280 kW
verfügte und eine Höchstgeschwindigkeit von etwa 300
km/h erreichen konnte.
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Am Nachmittag des 30. März 2007 verabredeten die Angeklagten
B. , H. und S. sowie J. -P. Sim. , mit dem Pkw VW Golf des Angeklagten
B. und dem Pkw Porsche zunächst auf der vierspurig ausgebauten
Bundesstraße B 33 „Beschleunigungstests“
durchzuführen. „Die mit der Durchführung
der Autorennen verbundenen Eigen- und Fremdgefahren waren allen
Beteiligten bewusst“. Anschließend fuhren der
Angeklagte B. mit J. -P. Sim. als Beifahrer in dem Pkw VW Golf und der
Angeklagte H. mit
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- 6 -
dem Angeklagten S. als Beifahrer in dem Pkw Porsche bei Allensbach auf
die autobahnähnlich ausgebaute Bundesstraße. Dort
führten sie nach dem Ende einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf
120 km/h einen ersten Beschleunigungstest durch. Hierzu fuhren die
Fahrzeuge nebeneinander, sodann zählten die Beifahrer - durch
Handzeichen - von 3 auf 0 und die Fahrer beschleunigten die Pkws. Der
Beschleunigungstest wurde von beiden Beifahrern gefilmt, wobei J. -P.
Sim. die Videokamera des Angeklagten B. und der Angeklagte S. seine
Handykamera benutzte.
Nach einem weiteren Beschleunigungstest auf der Autobahn A 81 fuhren
die Angeklagten B. und H. erneut auf die Bundesstraße B 33.
Dort führten sie nach der Aufhebung einer
Geschwindigkeitsbegrenzung auf 120 km/h erneut einen solchen Test
durch. Hierzu gab der Angeklagte S. aus dem Pkw Porsche heraus das
Startzeichen und forderte den Angeklagten H. mit den Worten
„Gib Gas“ oder „Los“ zum
Beschleunigen auf.
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Nach Beendigung dieses Rennens wechselten die Fahrzeuge die
Fahrstreifen, um einen weiteren Beschleunigungstest
durchzuführen; der Angeklagte B. fuhr nunmehr auf dem linken,
der Angeklagte H. auf dem rechten Fahrstreifen. Zur
Durchführung des Rennens verringerten die Angeklagten B. und
H. zunächst die Geschwindigkeit von etwa 120 km/h auf ca. 80
km/h und zumindest J. -P. Sim. gab durch Handzeichen das Startsignal.
Anschließend beschleunigten die Fahrer die Pkws. Das Rennen,
das sowohl der Angeklagte S. als auch J. -P. Sim. wiederum filmten,
wurde auch nach dem Erreichen einer
Geschwindigkeitsbeschränkung auf 120 km/h
fortgeführt; als das entsprechende Verkehrszeichen passiert
wurde, hatte der vom Angeklagten H. gesteuerte Pkw Porsche eine
Geschwindigkeit von mehr als 200 km/h, der vom Angeklagten B.
gesteuerte Pkw VW erreichte schließlich
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- 7 -
eine Spitzengeschwindigkeit von 213 km/h. Beide setzten das Rennen
fort, auch als vor ihnen auf dem rechten Fahrstreifen der vom Zeugen G.
gesteuerte, mit vier Personen besetzte und knapp 120 km/h schnelle Pkw
Opel Astra sichtbar wurde. Als der Zeuge die „von hinten auf
ihn zuschießenden“ Fahrzeuge bemerkte, steuerte er
sein Fahrzeug innerhalb des Fahrstreifens nach rechts (ein
Standstreifen ist im dortigen Bereich der Bundesstraße nicht
vorhanden), während der Angeklagte B. den Pkw VW auf dem
linken Fahrstreifen zur Mittelleitplanke hin lenkte. Zugleich steuerte
der Angeklagte H. den Pkw Porsche über die mittlere
Fahrbahnmarkierung hinaus auf den linken Fahrstreifen, um das Fahrzeug
des Zeugen G. ebenfalls überholen zu können.
Während des Überholvorgangs befanden sich die drei
Fahrzeuge zeitgleich nebeneinander, wobei der Abstand zwischen dem VW
und dem Porsche etwa 30 cm betrug; nach dem Überholvorgang
erreichte der Pkw Porsche im Bereich der auf 120 km/h begrenzten
Höchstgeschwindigkeit eine Geschwindigkeit von mehr als 240
km/h. „Die durch das gleichzeitige Überholen
realisierte Gefährdung haben sie [die Angeklagten B. und H. ]
bewusst verursacht und in Kauf genommen“.
Als sich die drei Fahrzeuge während des
Überholvorgangs nebeneinander befanden, geriet das vom
Angeklagten B. gesteuerte Fahrzeug mit den linken Reifen auf den
Grünstreifen an der Mittelleitplanke. Bei dem Versuch, wieder
auf die Fahrbahn zu gelangen, machte der Angeklagte B. eine zu starke
Lenkbewegung, das von ihm gesteuerte Fahrzeug geriet ins Schleudern,
kam rechts von der Fahrbahn ab, überschlug sich, prallte gegen
ein Verkehrszeichen, schleuderte zurück gegen die
Mittelleitplanke und kam schließlich nach etwa 300 Meter auf
dem rechten Fahrstreifen zum Stehen, wo es in Brand geriet. Bereits vor
dem Erreichen des Endstandes wurden die - nicht angeschnallten -
Insassen aus dem Fahrzeug geschleudert. An den bei
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- 8 -
dem Unfall erlittenen Verletzungen verstarb J. -P. Sim. noch am selben
Tag, der Angeklagte B. wurde schwer verletzt.
Die Angeklagten H. und S. , die den Unfall beobachtet hatten, fuhren
zunächst weiter und kehrten nach dem Ende der vierspurigen
Ausbaustrecke auf der Gegenfahrbahn zur Unfallstelle zurück.
11
II.
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin
haben Erfolg. Beide Rechtsmittelführer beanstanden zu Recht,
dass die Angeklagten B. und H. nicht der fahrlässigen
Tötung (§ 222 StGB) schuldig gesprochen wurden.
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1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen haben die
Angeklagten B. und H. fahrlässig den Tod des J. -P. Sim.
verursacht.
13
a) Fahrlässig handelt ein Täter, der eine objektive
Pflichtverletzung begeht, sofern er diese nach seinen subjektiven
Kenntnissen und Fähigkeiten vermeiden konnte, und wenn gerade
die Pflichtverletzung objektiv und subjektiv vorhersehbar den Erfolg
herbeigeführt hat. Die Einzelheiten des durch das
pflichtwidrige Verhalten in Gang gesetzten Kausalverlaufs brauchen
dagegen nicht vorhersehbar zu sein (st. Rspr.; vgl. BGHSt 49, 166, 174
m.w.N.).
14
b) Ihre Pflichten als Fahrzeugführer haben beide Angeklagte
verletzt. Bereits die Durchführung des Beschleunigungstests
verstieß gegen § 29 Abs. 1 StVO (vgl. BGHZ 154, 316,
318 f.). Auch den Überholvorgang haben beide
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- 9 -
Fahrzeugführer vorschriftswidrig durchgeführt
(§ 5 Abs. 4 Satz 2 StVO). Zudem war dem Angeklagten H. der
Fahrstreifenwechsel untersagt (§ 7 Abs. 5 StVO) und beide
Angeklagte hätten nach § 1 Abs. 2 StVO alles
unternehmen müssen, um die mit dem Überholvorgang
verbundene Gefährdung zu vermeiden. Auch haben sie die im
Bereich des Unfallorts zulässige
Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h erheblich
überschritten.
c) An der Vermeidbarkeit des Todes von J. -P. Sim. bei
pflichtgemäßem Verhalten der Angeklagten B. und H.
besteht nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen kein
Zweifel. Insbesondere konnten beide den vor ihnen fahrenden Pkw Opel
des Zeugen G. so rechtzeitig erkennen, dass ein Abbrechen des Rennens
„problemlos“ möglich gewesen wäre.
16
d) Die Vorhersehbarkeit des Todes von J. -P. Sim. für die
Angeklagten B. und H. wird durch die vom Landgericht getroffenen
Feststellungen ebenfalls ausreichend belegt. Im Hinblick auf die
während des Überholens von den Angeklagten gefahrenen
Geschwindigkeiten sowie den Abstand zwischen den Fahrzeugen waren ein
schwerer Verkehrsunfall und der Tod des J. -P. Sim. nicht nur objektiv,
sondern für sie subjektiv vorhersehbar. Denn dies erfordert
nicht, dass die Angeklagten die Folgen ihres Handelns in allen
Einzelheiten voraussehen konnten; vielmehr genügt, dass sie in
ihrem Gewicht im Wesentlichen voraussehbar waren (BGHSt 39, 322, 324
m.w.N.).
17
e) Auch an der Kausalität zwischen dem pflichtwidrigen Handeln
der Angeklagten B. bzw. H. und dem Tod des J. -P. Sim. fehlt es nicht.
18
- 10 -
Für die Prüfung der Kausalität ist bei
fahrlässigen Erfolgsdelikten der Eintritt der konkreten
Gefährdungslage maßgeblich, die unmittelbar zum
schädigenden Erfolg geführt hat (Fischer StGB 55.
Aufl. Vor § 13 Rdn. 33 m.w.N.). Bezogen hierauf waren kausal
für den Tod von J. -P. Sim. jedenfalls die
Durchführung des Rennens, die Einleitung und
Durchführung des Überholvorgangs, zusätzlich
beim Angeklagten B. der Fahrfehler beim Zurücklenken des
Fahrzeugs und beim Angeklagten H. der untersagte Fahrstreifenwechsel.
19
f) Die insbesondere von Teilen des Schrifttums (vgl. Fischer aaO Vor
§ 13 Rdn. 26, 31 m.w.N.) geforderte Zurechnung des Todes ist
ebenfalls zu bejahen. Diese könnte allenfalls dann zweifelhaft
sein, wenn eine Selbstgefährdung oder eine dieser
ausnahmsweise gleichzustellende Fremdgefährdung vorliegen
würde (vgl. BGHSt 39, 322, 324 f.; Roxin NStZ 1984, 411 f.;
Lenckner in Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. Vorbem.
§§ 32 ff. Rdn. 107; weitere Nachweise bei Fischer aaO
Vor § 13 Rdn. 27, 30, 36; Lenckner/Eisele in
Schönke/Schröder aaO Vorbem. §§ 13
ff. Rdn. 101 b). Das ist indes nicht der Fall.
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aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs macht sich, sofern
er nicht kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser
erfasst als der sich selbst Tötende oder Verletzende,
grundsätzlich nicht strafbar, wer das zu einer
Selbsttötung oder Selbstverletzung führende
eigenverantwortliche Handeln des Selbstschädigers
vorsätzlich oder fahrlässig veranlasst,
ermöglicht oder fördert (BGHSt 32, 262, 263 f. = NStZ
1984, 410 m. Anm. Roxin; BGHSt 36, 1, 17; 37, 179, 181; 46, 279, 288;
BGH NJW 2003, 2326, 2327; BGH NStZ 1985, 25, 26; ähnlich
bereits BGHSt 24, 342, 343 f.). Straffrei ist ein solches Handeln
regelmäßig auch dann, wenn es nicht auf die
Selbsttötung oder -verletzung gerichtet war, sich aber ein
entsprechendes, vom Opfer bewusst eingegangenes Risiko realisiert hat
(BGHSt 32, 262, 264 f.; 46, 279, 288; 49,
21
- 11 -
34, 39; BGH NJW 2003, 2326, 2327; BGH NStZ 1985, 25, 26; 1987, 406;
BayObLG NZV 1989, 80 m. Anm. Molketin; OLG Zweibrücken JR
1994, 518, 519 m. Anm. Dölling; einschränkend bei
deliktischer Handlung des Täters und einsichtigem Motiv
für die Selbstgefährdung: BGHSt 39, 322, 325).
Maßgebliches Abgrenzungskriterium zwischen strafloser
Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung
bzw. -schädigung und der - grundsätzlich
tatbestandsmäßigen - Fremdschädigung eines
anderen ist die Trennungslinie zwischen Täterschaft und
Teilnahme. Liegt die Tatherrschaft über die
Gefährdungs- bzw. Schädigungshandlung nicht allein
beim Gefährdeten bzw. Geschädigten, sondern zumindest
auch bei dem sich hieran Beteiligenden, begeht dieser eine eigene Tat
und kann nicht aus Gründen der Akzessorietät wegen
fehlender Haupttat des Geschädigten straffrei sein (vgl. BGHSt
19, 135, 139; 49, 34, 39; 166, 169; auch zu den gegenteiligen Ansichten
in Rechtsprechung und Schrifttum BGH NJW 2003, 2326, 2327).
22
Dies gilt im Grundsatz ebenso für die Fälle
fahrlässiger Selbst- bzw. Fremdgefährdung. Dabei
bestimmt sich auch hier die Abgrenzung zwischen der Selbst- und der
Fremdgefährdung nach der Herrschaft über den
Geschehensablauf, die weitgehend nach den für Vorsatzdelikte
zur Tatherrschaft entwickelten objektiven Kriterien festgestellt werden
kann (vgl. BGHSt 19, 135, 139 [wer das zum Tode führende
Geschehen tatsächlich beherrscht hat]; BGH NJW 2003, 2326,
2327 [Gefährdungsherrschaft]; ähnlich Duttge in
Otto-FS 2007 S. 227, 244 [Herrschaft über die dem
Schadenseintritt vorausgehende Risikosituation]; Dölling JR
1994, 520). Bei der Prüfung, wer die
Gefährdungsherrschaft innehat, kommt dem unmittelbar zum
Erfolgseintritt führenden Geschehen besondere Bedeutung zu
(Dölling GA 1984, 71, 76, 78; Puppe ZIS 2007, 247, 249;
Lenckner in Schönke/Schröder aaO Vorbem.
§§ 32 ff. Rdn. 52 a, 107;
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- 12 -
Rönnau in LK-StGB 12. Aufl. Vor § 32 Rdn. 167 m.w.N.;
vgl. auch Schweizerisches Bundesgericht Bd 125 IV, 189, 193).
bb) Ausgehend hiervon ist vorliegend ein Fall der Fremd- und nicht der
Selbstgefährdung gegeben. Die Herrschaft über das
Geschehen unmittelbar vor sowie ab dem Beginn des
Überholvorgangs lag allein bei den Fahrzeugführern.
Sie haben die Entscheidung getroffen und umgesetzt, nebeneinander das
vom Zeugen G. gesteuerte Fahrzeug zu überholen, obwohl nur
zwei Fahrstreifen vorhanden waren. Allein sie haben die Geschwindigkeit
der Fahrzeuge und die Lenkbewegungen bestimmt. Ihre Beifahrer waren in
diesem Zeitraum dagegen - ohne die Möglichkeit, ihre
Gefährdung durch eigene Handlungen abzuwenden - lediglich den
Wirkungen des Fahrverhaltens der Angeklagten B. und H. ausgesetzt.
Für das zum Tod von J. -P. Sim. führende Geschehen
war dessen Verhalten, insbesondere das Geben der Startzeichen und das
Filmen der Rennen, gegenüber dem der Angeklagten B. und H. von
untergeordneter Bedeutung.
24
cc) Auch eine - vom Landgericht angenommene - der
Selbstgefährdung gleichzustellende Fremdgefährdung
bzw. -schädigung liegt nicht vor (hierzu Roxin in Gallas-FS
1973 S. 241, 252; ders. NStZ 1984, 411, 412; ders. Strafrecht AT-1,
1997, § 11 Rdn. 107). Diese kann nicht allein damit
begründet werden, dass es weitgehend vom Zufall abhing, wer im
konkreten Fall Fahrer und wer Beifahrer war. Entscheidend ist vielmehr
die tatsächliche Situation beim Schadenseintritt. Ob diese
Grundsätze in gleicher Weise Geltung hätten, wenn die
an einem riskanten Unternehmen Beteiligten ein in etwa gleiches
Maß an Tatherrschaft besessen hätten (hier die
beiden Fahrer der am Rennen beteiligten Fahrzeuge im
Verhältnis untereinander), hat der Senat nicht zu entschei-
25
- 13 -
den, weil diese Voraussetzung im Verhältnis der Angeklagten B.
und H. zu J. -P. Sim. nicht vorliegt.
2. In seinen Tod oder in das Risiko seines Todes hat J. -P. Sim. auch
nicht in rechtserheblicher Weise eingewilligt.
26
a) Während Rechtsprechung und herrschende Lehre darin
übereinstimmen, dass entsprechend § 216 StGB eine
Einwilligung in den von einem anderen vorsätzlich
herbeigeführten Tod grundsätzlich nicht
strafbefreiend wirkt, die vorsätzliche (oder
fahrlässige) Körperverletzung dagegen unter den
einschränkenden Voraussetzungen des § 228 StGB
gerechtfertigt sein kann, werden die Zulässigkeit und
Bedeutung der Einwilligung in eine Lebensgefahr nicht einheitlich
beurteilt.
27
In der älteren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wurde
eine solche Einwilligung als grundsätzlich unbeachtlich
angesehen, weil das Leben eines Menschen auch in § 222 StGB
zum Schutz der Allgemeinheit mit Strafe bedroht sei und eine
Einwilligung das mit einer fahrlässigen Tötung
verbundene Handlungsunrecht nicht zu beseitigen vermöge (BGHSt
4, 88, 93; 7, 112, 114; BGH VRS 17, 277, 279; BGHZ 34, 355, 361; BGH,
Urteil vom 20. Juni 2000 - 4 StR 162/00). In neueren Entscheidungen -
insbesondere zu § 227 StGB - hat der Bundesgerichtshof dagegen
darauf abgestellt, dass bei einer Einwilligung in die
(vorsätzliche) Körperverletzung die Grenze zur
Sittenwidrigkeit jedenfalls dann überschritten sei, wenn bei
vorausschauender objektiver Betrachtung aller maßgeblichen
Umstände der Tat der Einwilligende durch die
Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht
werde. Für diese Eingrenzung spreche sowohl der Normzweck des
§ 228 StGB als auch die aus der Vorschrift des § 216
StGB abzuleitende gesetzgeberische Wertung. Sie begrenzten die
rechtfertigende Kraft der Einwilligung in eine Tötung oder
Körper-
28
- 14 -
verletzung, da das Gesetz ein soziales bzw. Allgemeininteresse am
Erhalt dieser Rechtsgüter auch gegen den aktuellen Willen des
Betroffenen verfolge (BGHSt 49, 34, 42, 44; 166, 173 f. = JR 2004, 472
m. Anm. Hirsch = JZ 2005, 100 m. Anm. Arzt). Diese Grundsätze
hat der Bundesgerichtshof auf die Fälle übertragen,
in denen das spätere Opfer in das Risiko des eigenen Todes
eingewilligt und sich dieses anschließend - im Rahmen des von
der Einwilligung „gedeckten“ Geschehensablaufs -
verwirklicht hat. Auch in diesen Fällen scheide eine
Rechtfertigung der Tat durch die Einwilligung des Opfers bei konkreter
Todesgefahr aus (BGHSt 49, 166, 175).
b) Für gefährliches Handeln im
Straßenverkehr gilt nichts anderes. Zwar versucht der
Gesetzgeber, den Gefahren des Straßenverkehrs durch besondere
Verhaltensregeln - insbesondere in der Straßenverkehrsordnung
- entgegenzuwirken; auch ist ein gefährliches Verhalten im
Straßenverkehr allgemein untersagt (§ 1 Abs. 2
StVO). Dies führt jedoch nicht dazu, dass bei einem
Verstoß gegen verkehrsbezogene Sorgfaltspflichten einer
Einwilligung des Betroffenen in gefährdendes Verhalten eines
anderen keinerlei rechtliche Bedeutung zukommt. Eine rechtfertigende
Wirkung der Einwilligung in riskantes Verkehrsverhalten scheidet nur
für diejenigen Tatbestände grundsätzlich
aus, die zumindest auch dem Schutz der Sicherheit des
Straßenverkehrs im Allgemeinen dienen (§§
315 b, 315 c StGB). Bezweckt eine Vorschrift dagegen
ausschließlich den Schutz von Individualrechtsgütern
(wie §§ 222, 229 StGB), so verliert die Einwilligung
ihre (insoweit) rechtfertigende Wirkung nur dort, wo die Grenze zur
Sittenwidrigkeit überschritten ist, also bei konkreter
Todesgefahr, unabhängig von der tatsächlich
eingetretenen Rechtsgutverletzung.
29
Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu. Ob bereits durch den mit
hohen Geschwindigkeiten durchgeführten "Beschleunigungstest"
auf einer öffentlichen
30
- 15 -
Straße mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 120 km/h die
drohende Rechtsgutgefährdung für die Insassen der an
dem Rennen beteiligten Fahrzeuge so groß war, dass eine
konkrete Lebensgefahr vorlag, braucht der Senat nicht zu entscheiden.
Jedenfalls lag eine solche Gefahr in der Fortsetzung des Rennens noch
zu einem Zeitpunkt, als ein gleichzeitiges Überholen eines
unbeteiligten dritten Fahrzeugs mit nicht mehr kontrollierbaren
höchsten Risiken für sämtliche betroffenen
Verkehrsteilnehmer verbunden war. In eine derart massive Lebensgefahr
konnte J. -P. Sim. bezogen auf seine Person nicht mit rechtfertigender
Wirkung einwilligen und zwar weder allgemein zu Beginn der Fahrt in dem
Sinne, dass er mit einer Durchführung des Rennens "um jeden
Preis" einverstanden war, noch in der konkreten Situation bei Beginn
des Überholmanövers mit den sich deutlich
abzeichnenden Gefahren.
3. Einen zu Gunsten der Angeklagten B. und H. wirkenden Rechtsfehler
(§ 301 StPO) weist das Urteil nicht auf. Insbesondere wurden
diese Angeklagten nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen
zu Recht wegen vorsätzlicher Gefährdung des
Straßenverkehrs verurteilt. Dabei entnimmt der Senat dem
Gesamtzusammenhang der Urteilsausführungen, dass die
Strafkammer die bei § 315 c Abs. 1 StGB erforderliche
Gefährdung nicht in der der Tatbeteiligten und der von diesen
geführten Fahrzeuge gesehen, sondern auf die für die
Insassen des Pkw Opel und dieses Fahrzeug konkret bestehende Gefahr
abgestellt hat. Hierin liegt im Hinblick auf die zu dem
Überholvorgang getroffenen Feststellungen kein Rechtsfehler.
31
4. Der Senat kann die Schuldsprüche selbst abändern.
§ 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, da der Vorwurf der
fahrlässigen Tötung den Angeklagten bereits in der
Anklageschrift zur Last gelegt worden war. Die Änderung der
Schuldsprüche führt zur Aufhebung der
Rechtsfolgenaussprüche
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- 16 -
und der diesen zugrunde liegenden Feststellungen. Das Landgericht wird
über die Rechtsfolgen neu zu entscheiden und
bezüglich der Strafaussetzung zur Bewährung auch
Gesichtspunkte der Generalprävention zu
berücksichtigen haben.
III.
Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision des
Angeklagten B. hat aus den vom Generalbundesanwalt in der
Antragsschrift vom 28. Juli 2008 dargelegten Gründen keinen
Erfolg.
33
IV.
Erfolglos ist auch das Rechtsmittel des Angeklagten S. .
34
1. Die Strafkammer ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der
Angeklagte S. zu der vom Angeklagten H. begangenen
vorsätzlichen Gefährdung des
Straßenverkehrs Hilfe geleistet hat.
35
Nach ständiger Rechtsprechung ist als Hilfeleistung in diesem
Sinn grundsätzlich jede Handlung anzusehen, die die
Herbeiführung des Taterfolges durch den Haupttäter
objektiv fördert oder erleichtert; dass sie für den
Eintritt dieses Erfolges in seinem konkreten Gepräge in
irgendeiner Weise kausal wird, ist nicht erforderlich. Ferner ist
unerheblich, ob der Angeklagte seine Unterstützungshandlungen
schon längere Zeit vor der Begehung der Haupttaten in deren
Vorbereitungsphase vorgenommen hatte (BGH NJW 2007, 384, 388 f.
m.w.N.). Maßgeblich ist allein, dass die Beihilfehandlung die
Haupttat zu irgendeinem
36
- 17 -
Zeitpunkt zwischen Versuchsbeginn und Beendigung erleichtert oder
gefördert hat (BGH NStZ 2008, 284 m.w.N.).
Dies ist durch die Feststellungen im angefochtenen Urteil hinreichend
belegt. Danach beschränkte sich die Hilfeleistung des
Angeklagten S. nicht auf ein passives Dabeisein, vielmehr hat er sich
an der Tat insbesondere durch das Filmen des letzten Rennens aktiv
beteiligt und hiermit die Tatbegehung durch den Angeklagten H.
unterstützt.
37
2. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen handelte der
Angeklagte S. auch (doppelt) vorsätzlich.
38
Dabei steht der Vorsatz des Angeklagten S. bezüglich seiner
Hilfeleistung aufgrund der Feststellungen außer Frage und
bedurfte keiner näheren Erörterung im Urteil. Sein
Vorsatz umfasste aber auch die von ihm geförderte Haupttat,
zumal er das Rennen aus dem gegenüber dem VW Golf
zurückliegenden Porsche filmte, er also den
Überholvorgang und die damit verbundenen Gefahren von Anfang
an verfolgte und erfasste. Das Maß des tatsächlich
verwirklichten Unrechts ist bei § 315 c StGB kein Umstand der
Tat, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört und daher - zur
Begründung des Schuldspruchs wegen Beihilfe - vom
Gehilfenvorsatz umfasst sein muss. Daher ist unerheblich, ob dem
Gehilfen, wäre ihm der tatsächlich eingetretene
Erfolg der Haupttat bewusst gewesen, dieser letztlich
unerwünscht war (vgl. BGH NJW 2007, 384, 390).
39
3. Der Rechtsfolgenausspruch weist aus den vom Generalbundesanwalt in
der Antragsschrift vom 28. Juli 2008 dargelegten Gründen
keinen Rechtsfehler auf. Bei der Maßregelanordnung nach
§§ 69, 69 a StGB gegen einen Beifah-
40
- 18 -
rer sind zwar besonders gewichtige Hinweise zu fordern, aus denen sich
die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen ergibt (BGH
NStZ 2004, 617 m.w.N.). Diese sind vorliegend indes mit dem vom
Landgericht zutreffend als Beihilfe zur vorsätzlichen
Gefährdung des Straßenverkehrs gewerteten Verhalten
des Angeklagten S. gegeben (vgl. Tepperwien in Nehm-FS 2006 S. 427,
430).
Tepperwien Maatz Kuckein
Solin-Stojanović Mutzbauer |