BGH,
Urt. v. 21.2.2001 - 3 StR 372/00
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
________________
StGB § 220 a, § 6 Nr. 9,
IV. Genfer Abkommen vom 12. August 1949 Art. 146, 147
1. Die im Völkermordtatbestand des § 220 a Abs. 1
StGB vorausgesetzte Absicht,
eine nationale, rassische oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe
als solche ganz oder teilweise zu zerstören, ist ein
tatbezogenes Merkmal
und fällt deshalb nicht unter § 28 StGB.
2. Nach § 6 Nr. 9 StGB ist deutsches Strafrecht auf im Ausland
von Ausländern
begangene Straftaten anwendbar, wenn die Bundesrepublik Deutschland
aufgrund eines zwischenstaatlichen Abkommens völkerrechtlich
zur Verfolgung
dieser Auslandstaten verpflichtet ist. Eine Verfolgungspflicht ergibt
sich
aus dem IV. Genfer Abkommen vom 12. August 1949 zum Schutz von
Zivilpersonen
in Kriegszeiten jedenfalls dann, wenn ein internationaler bewaffneter
Konflikt vorliegt und die Straftaten die Voraussetzungen einer
“schweren
Verletzung” dieses Abkommens i.S.d. Art. 147
erfüllen.
3. Der bewaffnete Konflikt in Bosnien-Herzegowina zwischen den
bosnischen
Serben und der zentralen Regierung in Bosnien-Herzegowina war zumindest
im Jahre 1992 auch nach dem offiziellen Rückzug der
Jugoslawischen Armee am
19. Mai 1992 ein bewaffneter internationaler Konflikt
(Anschluß an das Urteil der Berufungskammer des
Internationalen Gerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien
vom 15. Juli 1999 in der Sache v. Dusko Tadic IT-94-1-A).
4. Der Begriff der Folter des Art. 147 der IV. Genfer Konvention
erfaßt jedes
zweckbezogene Zufügen schwerer körperlicher oder
seelischer Leiden, das
durch staatliche Organe oder mit staatlicher Billigung begangen wird.
Die
Folter ist gegenüber der “unmenschlichen
Behandlung”, die keine auf das
Quälen eines Menschen gerichtete Absicht voraussetzt, der
engere Begriff.
BGH, Urteil vom 21. Februar 2001 - 3 StR 372/00 - OLG
Düsseldorf
BUNDESGERICHTSHOF
URTEIL
3 StR 372/00
vom
21. Februar 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zum Völkermord u.a.
- 2 -
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung
vom
14. Februar 2001 in der Sitzung am 21. Februar 2001, an denen
teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Kutzer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Miebach,
von Lienen,
Becker
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung vom 14. Februar 2001 -
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 3 -
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts
Düsseldorf vom 29. November 1999 wird als unbegründet
verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu
tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten, einen bosnischen Serben,
wegen Beihilfe zum Völkermord in Tateinheit mit Beihilfe zur
Freiheitsberaubung
(von über einer Woche Dauer) in 56 Fällen und in
Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung in fünf Fällen zu einer
Freiheitsstrafe von neun Jahren
verurteilt.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die
Sachrüge
gestützten Revision. Das Rechtsmittel ist unbegründet.
1. Der Senat hat in seiner Grundsatzentscheidung BGHSt 45, 64 zur
Begründung der deutschen Gerichtsbarkeit für die
Verfolgung von Völkermord
bereits entschieden, daß für ein im Ausland von
Ausländern an Ausländern
begangenes Verbrechen des Völkermordes (§ 220 a StGB)
nach § 6 Nr. 1
StGB kraft Weltrechtsprinzips deutsches Strafrecht gilt. Hiervon geht
das
Oberlandesgericht aus. Es hat auch zutreffend die tatbestandlichen
Vorausset-
4 -
zungen des Völkermordes gemäß §
220 a Abs. 1 Nr. 1 und 3 StGB als erfüllt
angesehen.
Nach den Feststellungen beteiligte sich der Angeklagte an einer in
seinem
Heimatort O. und dessen Umgebung am 27. und 28. Mai 1992
durchgeführten militärischen serbischen Aktion gegen
die dort lebende muslimische
Bevölkerung, die darauf gerichtet war, diese systematisch zu
vertreiben
oder zu eliminieren. Dabei wurden die Häuser der Muslime
durchsucht und geplündert,
die Frauen und Kinder überwiegend verschleppt und an der
Kampflinie
ausgesetzt, die männlichen muslimischen Bewohner
körperlich mißhandelt
oder getötet und die Mehrzahl der Männer festgenommen
und in Gefangenenlager
abtransportiert. Diese Aktion in O. war Teil der von der politischen
Führung der bosnischen Serben betriebenen Aggressionspolitik
zur ethnischkulturellen
Vereinheitlichung der von den Serben in Bosnien-Herzegowina
beanspruchten
Gebiete. Zu diesem Zweck gingen ab April 1992 die von der jugoslawischen
Volksarmee (JNA) unterstützte bosnisch-serbische Armee und
paramilitärische
Gruppen in Abstimmung mit der politischen und militärischen
Führung der bosnischen Serben etwa gleichzeitig in
verschiedenen Orten an
der Nord- und Ostgrenze Bosniens gegen die dort lebende muslimische
Bevölkerung
vor. Der Angeklagte, der das Erstarken des serbischen Nationalismus
in Bosnien-Herzegowina ab Herbst 1991 miterlebt hatte und dessen Ziele
befürwortete,
brachte diese Einstellung auch durch nationalistische und
diskriminierende
Äußerungen gegenüber muslimischen
Bürgern seines Heimatortes
zum Ausdruck. Er gehörte ab März/April 1992 zu den
Serben in O. , die
uniformiert und bewaffnet in der Öffentlichkeit auftraten und
die serbischen Militärverbände
unterstützten, die seit dem 1. Mai 1992 zunächst die
um O.
liegenden muslimischen Dörfer angriffen. Bereits vor dem
27./28. Mai 1992 ließ
- 5 -
er sich deshalb in Uniform und mit einem automatischen Gewehr bewaffnet
zur
Bewachung der serbischen Militärkommandatur einteilen. An der
am 27. und
28. Mai 1992 durchgeführten Militäraktion zur
Verhaftung und Vertreibung der
muslimischen Bevölkerung beteiligte er sich in der Weise,
daß er die Verladung
und den Abtransport der Bewohner eines Dorfes persönlich
überwachte,
eigenhändig und unter Mitwirkung weiterer Serben muslimische
Männer verfolgte,
festnahm und den Führern des bosnisch-serbischen
Militärs übergab
und fünf Gefangene selbst körperlich erheblich
mißhandelte. Außerdem gehörte
er zu dem Bewachungspersonal in K. , wo die Gefangenen über
Nacht
festgehalten und verhört wurden und wo sie, soweit sie nicht
zur Exekution
ausgesondert worden waren, mit Bussen in die Internierungslager
abtransportiert
wurden.
2. Dieses Verhalten des Angeklagten hat das Oberlandesgericht
rechtsfehlerfrei als Beihilfe zum Völkermord
gemäß § 220 a Abs. 1 Nr. 1 und
Nr. 3 StGB, § 27 StGB, begangen zum Nachteil der
Bevölkerungsgruppe der
muslimischen Bevölkerung in und um O. und dessen Umgebung,
gewürdigt.
Auch seine Annahme, für die Beihilfe zum Völkermord
gemäß § 220 a
Abs. 1 StGB genüge es, daß der Haupttäter
die tatbestandlich vorausgesetzte
Absicht hatte und der Gehilfe dies weiß, ist aus
Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Eine Milderung nach § 28 StGB kommt nicht in Betracht, da die
Völkermordabsicht
kein persönliches, sondern ein tatbezogenes Merkmal ist.
Wie der Senat bereits entschieden hat, erhalten die unter die
verschiedenen
Tatmodalitäten des § 220 a Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 5
StGB fallenden objektiven
Tathandlungen ihren besonderen Unrechtsgehalt als Völkermord,
der sie
von gemeinen Delikten wie Tötungsverbrechen oder schweren oder
gefährli-
6 -
chen Körperverletzungen unterscheidet, erst durch die von
§ 220 a Abs. 1
StGB vorausgesetzte Absicht, eine unter den Schutz dieser Vorschrift
fallende
Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören (vgl. BGHSt
45, 64). Der
erstrebte Erfolg, eine Gruppe als solche ganz oder teilweise zu
zerstören, muß
nicht erreicht werden, es genügt, daß er von der
Täterabsicht erfaßt wird.
Durch dieses gesetzliche Merkmal, das den erstrebten Erfolg im
Subjektiven
als überschießende Innentendenz gleichsam vorweg
erfaßt, wird nicht der Täter,
sondern die Tat als ganzes und damit ihr besonderes Unrecht
gekennzeichnet.
Die vom Tatbestand des § 220 a Abs. 1 StGB vorausgesetzte
Absicht
ist deshalb ein subjektives Unrechtsmerkmal, ähnlich den
Absichtsmerkmalen
der §§ 242, 243, 267 StGB (vgl. BGHSt 22, 375, 380
f.) oder der verfassungsfeindlichen
Absicht i.S.d. § 94 StGB a.F. (vgl. BGHSt 17, 215; Roxin in LK
11. Aufl. § 28 Rdn. 23 und 70), die anerkanntermaßen
nicht zu den besonderen
persönlichen Merkmalen i.S.d. § 28 StGB
zählen, weil sie nur ins Subjektive
verlegte Merkmale des objektiven Tatbestands darstellen (vgl. Cramer in
Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 28 Rdn.
20; Jescheck/Weigend, AT
5. Aufl. § 61 VII 4 a, S. 658; vgl. zu § 220 a StGB
Jähnke in LK 11. Aufl.
§ 220 a Rdn. 12; Eser in Schönke/Schröder,
StGB 25. Aufl. § 220 a Rdn. 6;
Ambos NStZ 1998, 138, 139).
3. Es gefährdet den Bestand des Urteils nicht, daß
das Oberlandesgericht
ohne nähere Begründung meint, nicht feststellen zu
können, welche konkreten
objektiven und subjektiven Tatanteile der Angeklagte an den
festgestellten
Tötungshandlungen zum Nachteil einzelner muslimischer
Männer hatte
(vgl. UA S. 102 f.). Das Oberlandesgericht hat zwar nur darlegen
wollen, warum
es den Angeklagten nicht auch wegen Beihilfe zu einem oder mehreren
Delikten nach §§ 211, 212 StGB schuldig gesprochen
hat. Damit setzt es sich
- 7 -
aber zugleich in Widerspruch zu seiner Würdigung der
Beteiligung des Angeklagten
als Beihilfe zu § 220 a Abs. 1 Nr. 1 StGB.
§ 220 a Abs. 1 Nr. 1 StGB ist eine Begehungsalternative des
Völkermordes,
die als Tatbestandsmerkmal die vorsätzliche Tötung
eines Menschen voraussetzt,
so daß der Sachverhalt, der wegen Völkermordes nach
§ 220 a
Abs. 1 Nr. 1 StGB festgestellt werden muß, jeweils auch eine
Verurteilung zumindest
wegen Totschlags trägt (BGHSt 45, 64, 70). Die
tatbestandlichen Voraussetzungen
des § 220 a Abs. 1 Nr. 1 StGB und die für die
Beihilfe hierzu
erforderlichen objektiven und subjektiven Förderungshandlungen
des Angeklagten
hat das Oberlandesgericht jedoch festgestellt und rechtlich zutreffend
gewürdigt. Es hat dem Angeklagten in diesem Zusammenhang
angelastet, daß
er sich am 28. Mai 1992 seit den Vormittagsstunden im Bereich des
sogenannten
Lesesaals, in dem die gefangenen Muslime die Nacht über
festgehalten
worden waren, aufgehalten und Anteil an dem genommen hat, was sich
dort und in seinem Umkreis abspielte. Es hat festgestellt,
daß der Angeklagte
spätestens im Verlauf des Vormittags des 28. Mai 1992 von der
vorgesehenen
Liquidierung bestimmter Muslime Kenntnis erlangt hatte und dies
billigte. Unter
den zur Liquidierung aussortierten Männern waren u.a. Adem,
Fehim und Ferid
A. , Mujo und Hamdija I. sowie Esed B. , die der Angeklagte
zum Teil selbst am Vortag festgenommen und mißhandelt hatte.
Nach den
Feststellungen wurden drei dieser Männer später
getötet. Ausweislich der Urteilsgründe
sah der Angeklagte auch, daß in der Nähe des
Lesesaals ein Lkw
bereit stand, der für den Abtransport der zur Liquidation
vorgesehenen Männer
bestimmt war, welche Personen ihn besteigen mußten oder auf
seine Ladefläche
geworfen wurden. Ebenso ist dem Angeklagten - so das Urteil - die
Erschießung
zweier namentlich genannter weiterer muslimischer Männer im
Ver-
8 -
lauf der Verladeaktion der zum Abtransport in die Gefangenenlager
bestimmten
Muslime nicht entgangen, da er u.a. in der Reihe der ein Spalier
bildenden
Serben stand, durch das die gefangenen Muslime unter Schlägen
zum Bus
hingetrieben wurden (vgl. UA S. 36 f., 40 f., 84 f.). Daß das
Oberlandesgericht
diese Feststellungen für nicht ausreichend erachtet hat, den
Angeklagten auch
wegen Beihilfe zum Mord zum Nachteil der namentlich genannten
fünf Muslime,
deren Tötung festgestellt worden ist, schuldig zu sprechen,
beschwert den
Angeklagten nicht.
4. Auch soweit das Oberlandesgericht den Angeklagten der Beihilfe zur
Freiheitsberaubung in 56 und der gefährlichen
Körperverletzung in fünf Fällen
schuldig gesprochen und die Anwendbarkeit deutschen Rechts insoweit auf
§ 6
Nr. 9 StGB gestützt hat, hält das Urteil rechtlicher
Nachprüfung stand.
a) Nach § 6 Nr. 9 StGB gilt das deutsche Strafrecht
unabhängig vom
Recht des Tatorts für im Ausland begangene Taten, die aufgrund
eines für die
Bundesrepublik Deutschland verbindlichen Abkommens auch dann zu
verfolgen
sind, wenn sie im Ausland begangen wurden. § 6 Nr. 9 StGB
erfaßt jedoch
nur solche Taten, zu deren Verfolgung im Einzelfall eine
völkervertragliche
Verfolgungspflicht der Bundesrepublik Deutschland besteht, was mit dem
Gesetzeswortlaut
des § 6 Nr. 9 StGB "zu verfolgen sind" zum Ausdruck gebracht
wird (vgl. Gribbohm in LK 11. Aufl. § 6 Rdn. 66 f.; vgl. auch
BGH NJW 1991,
3104; Eser in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl.
§ 6 Rdn. 10; Hoyer in SK
StGB § 6 Rdn. 4). Ein derartiges Abkommen ist die IV. Genfer
Konvention zum
Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten vom 12. August 1949 (IV. GK)
mit den
Zusatzprotokollen I und II vom 8. Juni 1977 (Gribbohm aaO vor
§ 3 Rdn. 29
und § 6 Rdn. 78; Lackner/Kühl, StGB 23. Aufl.
§ 6 Rdn. 1; Eser in Schön-
9 -
ke/Schröder aaO Rdn. 11). Die Bundesrepublik Deutschland ist
dem IV. Genfer
Abkommen vom 12. August 1949 mit Gesetz vom 21. August 1954 (BGBl 1954
II S. 781), bezüglich der Zusatzprotokolle mit Gesetz vom 11.
Dezember 1990
(BGBl 1990 II S. 1550) beigetreten, ebenso im Jahre 1954 die ehemalige
Föderative
Volksrepublik Jugoslawien (BGBl 1954 II S. 976 und 1003).
Unabhängig
von der Frage, ob Bosnien-Herzegowina schon als einer der
Nachfolgestaaten
der ehemaligen Föderativen Volksrepublik Jugoslawien mit dem
Tag seiner
Unabhängigkeitserklärung vom 6. März 1992
die Verpflichtungen aus dieser
IV. GK ohne weiteres übernommen hat, ist Bosnien-Herzegowina
selbst am
31. Dezember 1992 mit Wirkung vom 6. März 1992 allen vier
Genfer Konventionen
vom 12. August 1949 beigetreten (BGBl 1993 II S. 1190).
b) Nach Art. 2 der IV. GK findet das Abkommen in allen Fällen
eines erklärten
Krieges oder eines anderen bewaffneten Konfliktes Anwendung, der
zwischen zwei oder mehreren Vertragsparteien entsteht, auch wenn der
Kriegszustand von einer der Parteien nicht anerkannt wird (Abs. 1),
aber auch
in allen Fällen vollständiger oder teilweiser
Besetzung des Gebiets einer der
Vertragsparteien, selbst wenn diese Besetzung auf keinen bewaffneten
Widerstand
stößt (Abs. 2). Nach Art. 4 Abs. 1 dieses Abkommens
unterfallen solche
Personen seinem Schutz, die sich im Falle eines Konflikts oder einer
Besetzung
zu irgendeinem Zeitpunkt und gleichgültig auf welche Weise im
Machtbereich
einer am Konflikt beteiligten Partei oder einer Besatzungsmacht
befinden,
deren Angehörige sie nicht sind. Die Verpflichtung einer
Vertragspartei zur
Strafverfolgung von Verletzungen des Abkommens ist in Art. 146 Abs. 1
der IV.
GK auf die Personen beschränkt, die eine der in Art. 147 der
IV. GK umschriebenen
schweren Verletzungen des Abkommens gegen geschützte Personen
begangen oder den Befehl zu einer solchen schweren Verletzung erteilt
haben.
- 10 -
Die Vertragsparteien des Abkommens sind nicht nur zur Verfolgung solcher
Personen, die schwerer Verletzungen nach Art. 147 der IV. GK beschuldigt
werden, verpflichtet, sondern auch dazu, sie ungeachtet ihrer eigenen
Nationalität
vor ihre eigenen Gerichte zu stellen (Art. 146 Abs. 2 Satz 1 IV. GK).
Nach
Art. 148 der IV. GK kann zudem keine der Vertragsparteien sich oder
eine andere
Partei von den Verantwortlichkeiten befreien, die ihr oder einer anderen
Partei infolge einer schweren Verletzung i.S.d. Art. 147 der IV. GK
zufallen.
c) Die auf die völkervertragsrechtliche
Verfolgungsverpflichtung aus der
IV. GK gestützte Anwendbarkeit des § 6 Nr. 9 StGB im
vorliegenden Fall setzt,
jedenfalls nach herkömmlichem Verständnis (vgl. dazu
Kreß EuGRZ 1996, 638,
645; Werle JZ 2000, 755, 759), voraus, daß die
Übergriffe der bosnischen Serben
gegen die muslimische Bevölkerung in Bosnien-Herzegowina im
Rahmen
der sogenannten ethnischen Säuberungen auch nach dem
offiziellen Rückzug
der jugoslawischen Volksarmee (JNA) aus Bosnien-Herzegowina am 19. Mai
1992 noch im Zusammenhang mit einem internationalen Konflikt i.S.d.
Art. 2
der IV. GK standen. Außerdem ist erforderlich, daß
die Tatopfer unter den
Kreis der "geschützten Personen" nach Art. 4 Abs. 1 des IV. GK
fallen.
Das hat das sachverständig beratene Oberlandesgericht anhand
der
von ihm hierzu festgestellten Umstände und Gegebenheiten zur
Tatzeit in Bosnien-
Herzegowina rechtsfehlerfrei dargelegt. Seine Bewertung steht im
Einklang
mit dem Urteil der Berufungskammer des Internationalen
Strafgerichtshofs
für das ehemalige Jugoslawien in der Sache gegen Dusko Tadic
vom 15. Juli
1999 (ICTY-Appeals Chamber Prosecutor v. Dusko Tadic, Judgement,
15.7.1999; www.un.org/icty/tadic/appeal/judgement).judgement).
- 11 -
aa) Der Internationale Gerichtshof ist in diesem Urteil aufgrund einer
Gesamtbetrachtung der Verhältnisse in Bosnien-Herzegowina, der
faktischen
Kräfteverteilung sowie der politischen Entwicklung bis hin zum
Dayton-Paris-
Abkommen vom 14. Dezember 1995 davon ausgegangen, daß es sich
bei der
bewaffneten Auseinandersetzung im muslimisch-serbischen Konflikt in
Bosnien-
Herzegowina wegen der nach dem offiziellen Rückzug der
Jugoslawischen
Armee am 19. Mai 1992 andauernden Verwicklung der Republik Jugoslawien
in
die militärischen Auseinandersetzungen - auch - um einen
internationalen
Konflikt handelte. Soweit staatliche jugoslawische Truppen nicht an
konkreten
Auseinandersetzungen beteiligt waren, kommt es nach Auffassung des
Internationalen
Strafgerichtshofs darauf an, ob dem auswärtigen Staat,
nämlich
(Rest-)Jugoslawien, das Verhalten der nichtstaatlichen Truppen, d.h.
konkret
der bosnischen Serben, als eigenes zugerechnet werden kann, so
daß die Aktivitäten
der bosnischen Serben de facto als Aktivitäten der Republik
Jugoslawien
bzw. der JNA erscheinen. Dies ist dann der Fall, wenn diese Truppen
oder paramilitärischen Einheiten im großen und
ganzen unter der Kontrolle Jugoslawiens
standen und damit zu dessen de facto-Organen geworden sind (vgl. Urteil
der Berufungskammer in der Sache Tadic vom 15. Juli 1999 Nr. 83 ff.,
157 ff., 162; vgl. hierzu auch Ambos NStZ 2000, 71; Kreß,
Resolution 827
(1993) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen betreffend den
Internationalen
Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien, Vorbemerkungen
in
Grützner/Pötz IRG 2. Aufl. Bd. III 27, Rdn. 24 f.).
Zu einem vergleichbaren Ergebnis,
nämlich daß der Konflikt zwischen der JNA und der
Armee der bosnischen
Serben auf der einen und der bosnischen Regierung auf der anderen
Seite zumindest während des gesamten Jahres 1992 angedauert
hatte und
deshalb ein internationaler Konflikt gewesen sei, war schon zuvor eine
andere
erstinstanzliche Kammer des Internationalen Gerichtshofs im sogenannten
- 12 -
Celebici-Verfahren (ICTY Prosecutor v. Delalic et al. Judgement, vom
16. November 1998 - IT-96-21-T, Nr. 211 ff.) gekommen, ebenso das
Minderheitenvotum der Richterin McDonald in dem erstinstanzlichen
Urteil des Verfahrens gegen Tadic vom 7. Mai 1997 (vgl. dazu
Kreß in Fischer/Lüder (Hrsg.)
Völkerrechtliche Verbrechen vor dem Jugoslawien-Tribunal,
nationalen Gerichten und dem Internationalen Strafgerichtshof (1999) S.
15, 24 ff.).
bb) Daß die Teilnahme des Angeklagten an der serbischen
Säuberungsaktion
in und um O. am 27./28. Mai 1992 zum Nachteil der dort lebenden
muslimischen Bewohner gemessen an diesen Grundsätzen eine
Teilnahme
an Aggressionshandlungen der bosnischen Serben im Rahmen des
internationalen Konflikts zwischen Bosnien-Herzegowina und der Republik
Jugoslawien
darstellte, belegen die Feststellungen des Urteils des
Oberlandesgerichts
mit hinreichender Deutlichkeit. Danach wußte der Angeklagte
um die
Entwicklungen des Konfliktes, war beteiligt an militärischen
Vorbereitungen der
Überfälle der serbischen Armee auf die muslimischen
Dörfer im April/Mai 1992
in der Umgebung von O. und nahm Weisungen bosnisch-serbischer
Militärs
zur Verfolgung und Festnahme flüchtiger muslimischer
Männer entgegen.
Er war an der Bewachung und den Verhören der muslimischen
Gefangenen in
K. beteiligt. Er erschien für die vernommenen Zeugen
ersichtlich wie ein Teil
der bosnisch-serbischen Militärs, in deren Handlungen und
Aktivitäten er sich
nahtlos einfügte.
cc) Schließlich ist das Oberlandesgericht auch zu Recht davon
ausgegangen,
daß die unter Mitwirkung des Angeklagten aus ihren
Dörfern vertriebenen,
körperlich mißhandelten oder getöteten
Muslime zu den "geschützten
Personen" i.S.d. Art. 4 Abs. 1 der IV. GK gehörten, selbst
wenn sie offiziell die-
13 -
selbe - bosnische - Staatsangehörigkeit wie die
bosnisch-serbischen Täter besaßen.
Auch insoweit hat sich das Oberlandesgericht an die Auslegung des Art.
4 Abs. 1
der IV. GK durch den Internationalen Gerichtshof in dem genannten
Berufungsurteil
gegen Tadic angelehnt. Die Berufungskammer des Internationalen
Gerichtshofs
hat bei der Beurteilung der Frage, wer zu den "geschützten
Personen" zu zählen ist,
entgegen dem Wortlaut des Art. 4 der IV. GK nicht auf die formale
Staatsangehörigkeit der Beteiligten abgestellt, sondern
darauf, ob die jeweilige Person bei materieller Betrachtung als dem
Staat zugehörig angesehen werden kann, in dessen Gewalt sie
sich befindet.
Das ist für die muslimischen Bosnier, die sich für
die Zeit der bewaffneten Auseinandersetzung
in der Gewalt der bosnischen Serben befanden, zu verneinen,
da die bosnischen Serben als de facto-Organe (Rest-)Jugoslawiens
handelten
und die bosnischen Muslime sich unter diesen Umständen in den
Händen des
feindlichen Jugoslawiens befanden. Auch dann, wenn die bosnischen
Muslime
- noch - die jugoslawische Staatsangehörigkeit besessen haben
sollten, kommt
es nicht allein auf die formale Bindung an einen bestimmten Staat,
sondern
darauf an, ob die muslimischen Bosnier Schutz von dem Staat, dessen
Staatsangehörigkeit
sie innehaben, erhielten und ihm Loyalität schulden
würden.
Dies war im Verhältnis zwischen den muslimischen Bosniern und
(Rest-)
Jugoslawien nicht der Fall, so daß die muslimische
Bevölkerung trotz jugoslawischer
Staatsangehörigkeit nach den Grundsätzen des
Internationalen Gerichtshofs
als "geschützte" Personen anzusehen sind, wenn sie in die
Gewalt
der bosnischen Serben bzw. des bosnisch-serbischen Militärs
geraten und deren
Willkürakten ausgesetzt waren vgl. zum Ganzen Urteil der
Berufungskammer des Internationalen Gerichtshofs in der Sache gegen
Tadic vom 15. Juli 1999, Nr. 163 ff., insbesondere Nr. 167 bis 169;
Kreß in Grützner/Pötz, aaO. Rdn. 25 und Fn.
79;
Ambos NStZ 2000, 71 f.).
- 14 -
dd) Der Senat macht sich die weite Auslegung des Art. 4 Abs. 1 der
IV. GK durch den Internationalen Strafgerichtshof für das
ehemalige Jugoslawien
zu eigen. Sie ermöglicht es, Sinn und Zweck des auf
höchstmöglichen
Schutz von Zivilpersonen gerichteten Art. 4 der IV. GK auch in den
schwierig
zu beurteilenden Fällen ethnisch bedingter Konflikte, die zu
einem Zerfall eines
Staates in einzelne Teile führen, hinreichend Rechnung zu
tragen. Ein solcher
effektiver Schutz von Zivilpersonen in derartigen bewaffneten
Konflikten ist nur
gewährleistet, wenn sie auch dann bei Übergriffen der
gegnerischen militärischen
Kräfte und deren Parteigänger als geschützte
Personen gelten, wenn sie
formal (noch) dieselbe Nationalität haben wie ihre Gegner.
Gemessen an diesen
Grundsätzen waren die muslimischen Bewohner von O.
geschützte
Personen i.S.d. Art. 4 Abs. 1 der IV. GK. Dies gilt vorliegend vor
allem auch
deshalb, weil die von der Republik Jugoslawien und der Jugoslawischen
Armee
gesteuerten Übergriffe der bosnischen Serben gegen die
muslimischen Bewohner
von O. auf dem Boden des unabhängigen Staates Bosnien-
Herzegowina stattfanden, der nach seiner
Unabhängigkeitserklärung vom
6. März 1992 am 6. April 1992 von der Europäischen
Union anerkannt worden
und am 22. Mai 1992 Mitglied der Vereinten Nationen geworden war.
Der Senat kann deshalb offenlassen, ob die im
völkerstrafrechtlichen
Schrifttum vordringende Ansicht zutrifft, daß internationale
und innerstaatliche
Konflikte im Hinblick auf die Strafbarkeit der
Verstöße gegen die IV. GK gleichbehandelt
werden können und schon nach gegenwärtiger Rechtslage
die Anwendbarkeit
deutschen Strafrechts aus § 6 Nr. 9 StGB auch bei
innerstaatlichem
Konflikt hinsichtlich schwerer Verstöße gegen Art. 3
der IV. GK ohne
Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot abgeleitet
werden kann (vgl. dazu
Ambos NStZ 1999, 226, 228 f.; Werle ZStW 109 (1997), 808, 818 ff., 825;
ders.
- 15 -
JZ 2000, 755, 759; vgl. auch Kreß in Fischer/Lüder,
Völkerrechtliche Verbrechen,
S. 15, 19 f.).
d) Jedenfalls im Ergebnis zutreffend hat das Oberlandesgericht
schließlich
auch angenommen, daß sämtliche nach § 239
Abs. 2 StGB, § 223 a StGB
a.F. strafbaren Handlungen des Angeklagten als "schwere Verletzungen"
i.S.d.
Art. 147 des IV. GK anzusehen sind.
Als "schwere Verletzungen" gelten nach Art. 147 der IV. GK namentlich
vorsätzliche Tötung, Folterung oder unmenschliche
Behandlung, vorsätzliche
Verursachung großer Leiden oder schwere
Beeinträchtigungen der körperlichen
Unversehrtheit oder der Gesundheit, rechtswidrige Verschleppung oder
rechtswidrige Gefangenhaltung.
aa) Daß die vom Oberlandesgericht unter § 239 Abs. 2
StGB subsumierten
Verhaftungen mit anschließender Internierung von 56
muslimischen
Männern in Gefangenenlagern, deren Gefangenschaft unter
menschenunwürdigen
und grausamen Bedingungen teilweise über ein Jahr dauerte,
nach ihrer
Art und Schwere die Merkmale der "rechtswidrigen Verschleppung" bzw. der
"rechtswidrigen Gefangenschaft" des Art. 147 der IV. GK
erfüllen, versteht sich
ohne weiteres. Allerdings erscheint die Wertung des Oberlandesgerichts,
die
vom Angeklagten eigenhändig oder im Zusammenwirken mit
weiteren Serben
begangenen gefährlichen Körperverletzungen zum
Nachteil von fünf namentlich
benannten Personen stellten "Folterungen" i.S.d. Art. 147 der IV. GK
dar,
nicht in allen Fällen rechtsbedenkenfrei.
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Der Begriff der Folter wird durch Art. 1 Abs. 1 des
Übereinkommens gegen
Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung
oder Strafe (UN-Anti-Folterkonvention) vom 10. Dezember 1984
(BGBl 1990 II S. 247 f.) völkerrechtlich definiert. Die Folter
wird nicht nur in
Art. 147 der IV. GK, sondern auch beim Folterverbot der Art. 3 MRK,
Art. 7
IPBPR neben der unmenschlichen Behandlung als besondere Form
völkerrechtswidrigen
Verhaltens aufgeführt. Somit kann davon ausgegangen werden,
daß mit den Begriffen der Folter und der unmenschlichen
Behandlung in völkerrechtlich
relevanten Vorschriften jeweils vergleichbare Verhaltensweisen
gemeint sind, die entweder verboten sind oder geächtet werden
sollen (so auch
EGMR NJW 2001, 56, Leitsatz 4). Folter ist dabei der engere Begriff. Er
erfaßt
vorsätzliche schwere körperliche oder psychische
Mißhandlungen einer Person
durch staatliche Organe oder durch mit staatlicher Billigung
tätig werdende
Personen. Die Zufügung schwerster körperlicher oder
seelischer Qualen muß
dabei vorbedacht und gewollt sein. Folter setzt heute allerdings nicht
mehr
zwingend, wie noch der engere rechtshistorische Folterbegriff, als
Zweck der
Mißhandlung die Erlangung von Informationen oder die
Erzwingung eines Geständnisses
voraus. Nach der Definition des Art. 1 Abs. 1 der UN-Anti-
Folterkonvention genügt vielmehr auch die absichtliche
Zufügung großer körperlicher
oder seelischer Schmerzen oder Leiden zum Zwecke der
Einschüchterung
anderer, der Diskriminierung einer Person als Angehöriger
einer bestimmten
Gruppe oder zum Zweck der Bestrafung; damit kann jede zweckbezogene
Quälerei eines Menschen durch staatliche Organe oder mit
staatlicher
Billigung dem Begriff der Folter unterfallen (vgl. Gollwitzer in
Löwe/Rosenberg,
24. Aufl. Art. 3 MRK/Art. 7 IPBPR Rdn. 18 f. m.w.Nachw.).
Demgegenüber ist
für eine "unmenschliche" oder "grausame" Behandlung im Sinne
dieser Vorschriften
keine hierauf gerichtete Absicht erforderlich. Folter ist deshalb die
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verschärfte und vorbedachte Form der unmenschlichen oder
grausamen Behandlung.
Ob eine schwere Mißhandlung von Menschen als Folter bewertet
werden kann, hängt nach der Rechtsprechung des EGMR von den
Umständen
des Einzelfalles ab, wie der Dauer der Behandlung, ihren physischen und
psychischen
Folgen sowie u. U. vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand
des Opfers (vgl. EGMR in EuGRZ 1979, 149, 153 f. und bei Strasser EuGRZ
1990, 86 f.). Bei der Abgrenzung der Folter von der unmenschlichen
Behandlung
ist aber zu beachten, daß die zunehmend höheren
Anforderungen an den
Schutz der Menschenrechte und die Grundfreiheiten es erforderlich
machen,
die herkömmliche Definition der UN-Anti-Folterkonvention "im
Lichte der heutigen
Verhältnisse" auszulegen (EGMR NJW 2001, 56, 60 m.w.Nachw.).
Dies
kann zur Folge haben, daß in der Vergangenheit nur als
"unmenschliche oder
erniedrigende Behandlung" eingestufte Verhaltensweisen künftig
als "Folter"
qualifiziert werden können. Ob dies der Fall ist,
insbesondere, ob das "Mindestmaß
an Schwere" erreicht ist, hängt von den Umständen des
Einzelfalles
ab (vgl. EGMR aaO).
Demgegenüber wird der Begriff der Folter in Art. 7 Abs. 2 e)
des Römischen
Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH-Statut) vom 17.
Juli
1998 (BGBl 2000 II S. 1394 ff.) lediglich dahin definiert,
"daß einer im Gewahrsam
oder unter der Kontrolle des Beschuldigten befindlichen Person
vorsätzlich
große körperliche oder seelische Schmerzen oder
Leiden zugefügt werden".
Eine notwendige Verbindung des Zufügens von großen
Schmerzen oder
Leiden mit irgendeinem verfolgten Zweck ist nach dieser Definition
nicht vorgesehen.
Ob damit der Folterbegriff des Art. 1 Abs. 1 der
UN-Anti-Folterkonvention
dahin erweitert werden soll, daß es auf eine bisher
erforderliche
Absicht des Täters nicht mehr ankommt, erscheint fraglich;
denn neben der
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Folter in Art. 7 Abs. 1 f) werden in Art. 7 Abs. 1 k) des IStGH-Statuts
andere
"unmenschliche Handlungen ähnlicher Art", mit denen
vorsätzlich große Leiden
usw. verursacht werden, als Unterfälle des Verbrechens gegen
die Menschlichkeit
genannt. Daraus folgt, daß zwischen "Folter" und
"unmenschlichen
Handlungen ähnlicher Art" auch nach der Grundkonzeption des
IStGH-Statuts
ein Unterschied bestehen muß. Jedenfalls soll der Folter
nicht der Charakter
als typischerweise von staatlichen Organen gestütztes Delikt
genommen werden.
Es geht ersichtlich vor allem darum, die Folter bei massenhafter und
systematischer
Begehung im Zusammenhang mit einem ausgedehnten Angriff
gegen die Zivilbevölkerung als Anwendungsfall des
völkerstrafrechtlichen Verbrechens
gegen die Menschlichkeit zu kennzeichnen (vgl. zur V. Sitzung der
Vorbereitungskommission des Internationalen Strafgerichtshofs Ambos NJW
2001, 405, 406). Die konkrete Auslegung des Folterbegriffs in Art. 7
Abs. 1 des
IStGH-Statuts, der für diese Fälle zukünftig
die Gerichtsbarkeit des Internationalen
Strafgerichtshofs begründen soll, kann hier jedoch
offenbleiben, da der
bisher völkerrechtlich anerkannte und auch zur Tatzeit
geltende Folterbegriff
der engere und deshalb hinsichtlich seiner Anwendbarkeit der
für den Angeklagten
günstigere ist.
bb) Gemessen an den zu Art. 1 Abs. 1 UN-Anti-Folterkonvention sowie
Art. 3 EMRK und Art. 7 IPBPR entwickelten
Auslegungsmaßstäben, die auch
für die Auslegung des Art. 147 der IV. GK herangezogen werden
können, ist
die Bewertung der massiven und schwersten Mißhandlungen des
Esed B.
durch den Angeklagten als Folter rechtlich vertretbar. Dies gilt im
Ergebnis
ebenso für die Gesamtheit der Mißhandlungen des Adem
A. sowie des
Ibrahim B. und des Mehmet C. , insbesondere im Hinblick auf die Folgen
der Mißhandlungen dieser Männer durch den
Angeklagten und weitere Serben.
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Zweifelhaft erscheint hingegen, insbesondere mit Blick auf die
erforderliche
Absicht, ob die Tätlichkeit des Angeklagten gegen den zuvor
von anderen Serben
festgenommenen und körperlich mißhandelten Fehim A.
, schon die
Bewertung als Folter rechtfertigt. Insoweit hat das Oberlandesgericht
lediglich
festgestellt, daß der Angeklagte diesem Tatopfer, das als
Folge der vorherigen
Mißhandlung durch andere Serben und ohne Zutun des
Angeklagten blutende
Gesichtsverletzungen davongetragen hatte, einmal mit dem Gewehrkolben
auf
den Kopf schlug, so daß dieses aufschrie und erneut frisches
Blut über sein
Gesicht lief. Das Verhalten des Angeklagten darf jedoch nicht
losgelöst von
den Gesamtumständen des Geschehens am 27. Mai 1992 gesehen
werden; zu
berücksichtigen ist auch, daß die muslimischen
Bewohner der Dörfer L. und
S. an diesem Tag systematisch aus ihren Häusern vertrieben
wurden, die
Männer sich aus Angst vor körperlichen
Übergriffen und Gefangennahme in
der Umgebung auf Feldern und in den Wäldern zu verstecken
suchten, wo sie
unter Teilnahme des Angeklagten systematisch aufgespürt und
unter Mißhandlungen
und Beleidigungen zu einem Sammelpunkt getrieben wurden, um
später von den Familien getrennt in die Gefangenschaft
abtransportiert zu werden.
Angesichts der Gesamtheit der Tatumstände liegt jedenfalls
eine "unmenschliche
Behandlung" im Sinne einer die Menschenwürde des betroffenen
Tatopfers mißachtenden Zufügung von schweren
körperlichen und seelischen
Leiden vor (vgl. zu dem Begriff Gollwitzer in Löwe/Rosenberg
aaO Rdn. 22 f.),
so daß die Tätlichkeiten des Angeklagten auch
insoweit unter Art. 147 der
IV. GK fallen, und seine Verurteilung nach § 223 a StGB a.F.
auch diesbezüglich
auf § 6 Nr. 9 StGB gestützt werden kann.
e) Im übrigen hat das Oberlandesgericht im Anschluß
an die bisherige
Rechtsprechung, die über den Wortlaut des § 6 StGB
hinaus einen legitimie-
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renden Anknüpfungspunkt im Einzelfall verlangt, der einen
unmittelbaren Bezug
der Strafverfolgung im Inland herstellt und die Anwendung
innerstaatlichen
(deutschen) Strafrechts rechtfertigt, geprüft, ob solche
Anknüpfungstatsachen
vorliegen (vgl. dazu zuletzt BGHSt 45, 64, 66 zu § 6 Nr. 1
StGB m.w.Nachw.,
insoweit ablehnend Werle JZ 1999, 1181, 1182 f.; ders. JZ 2000, 755,
759;
Lüder NJW 2000, 269 f.; Lagodny/Nill-Theobald JR 2000, 205,
206; offengelassen
in Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 12. Dezember 2000
- 2 BvR 1290/99 - unter III 6 c) - [S. 22]). Diese hat es zutreffend
darin gesehen,
daß der Angeklagte, der von 1969 bis 1989 kontinuierlich in
der Bundesrepublik
Deutschland gelebt und gearbeitet hatte, nach wie vor seine Wohnung
hier innehatte und auch in den letzten Jahren dorthin
regelmäßig zurückgekehrt
war, um seine ihm in Deutschland gewährte Rente abzuholen und
sich
beim Arbeitsamt zu melden, bei dem er noch als Arbeitsuchender
registriert
war. Der Senat neigt jedoch dazu, jedenfalls bei § 6 Nr. 9
StGB, solche zusätzlichen
legitimierenden Anknüpfungstatsachen für nicht
erforderlich zu halten
(vgl. auch Ambos NStZ 1999, 226, 227 und NStZ 1999, 404, 405; a.A. BGH
NStZ 1999, 236; BayObLG NJW 1998, 392, 393). Wenn nämlich die
Bundesrepublik
Deutschland in Erfüllung einer völkerrechtlich
bindenden, aufgrund
eines zwischenstaatlichen Abkommens übernommenen
Verfolgungspflicht die
Auslandstat eines Ausländers an Ausländern verfolgt
und nach deutschem
Strafrecht ahndet, kann schwerlich von einem Verstoß gegen
das Nichteinmischungsprinzip
die Rede sein (noch offen gelassen in BGHSt 45, 64, 69). Der
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Senat braucht diese Frage auch jetzt nicht abschließend zu
entscheiden, weil
das Urteil des Oberlandesgerichts insoweit jedenfalls keinen
Rechtsfehler zum
Nachteil des Angeklagten aufweist.
Kutzer Rissing-van Saan Miebach
von Lienen Becker |