BGH,
Urt. v. 21.3.2002 - 3 StR 340/01
3 StR 340/01
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
21. März 2002
in der Strafsache gegen
1.
2.
wegen fahrlässiger Tötung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 21.
März 2002, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Prof. Dr. Tolksdorf, die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Miebach, Winkler, Pfister, von Lienen als beisitzende Richter,
Staatsanwältin als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten P. , Rechtsanwalt als
Verteidiger des Angeklagten N. , Justizamtsinspektorin als
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht
erkannt:
1. Das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 30. Januar 2001
wird
a) auf die Revisionen der Angeklagten im Schuldspruch dahin
geändert, daß diese der fahrlässigen
Tötung in vier tateinheitlichen Fällen schuldig sind,
b) auf die Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft im
Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen fahrlässiger
Tötung zu Geldstrafen von 240 Tagessätzen zu je 100
DM (P. ) und 180 Tagessätzen zu je 100 DM (N. ) verurteilt.
Die Angeklagten und die Staatsanwaltschaft haben hiergegen Revision
eingelegt. Mit dem unbeschränkten Rechtsmittel der Angeklagten
wird die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt.
Die Staatsanwaltschaft hat ihr Rechtsmittel auf den Strafausspruch
beschränkt und beanstandet die Verhängung von
Geldstrafen an Stelle von Freiheitsstrafen. Die Revisionen von beiden
Seiten führen zur Aufhebung des Strafausspruchs, dagegen haben
die weitergehenden Rechtsmittel der Angeklagten keinen Erfolg.
Nach den Feststellungen haben die beiden Angeklagten 1993 eine bereits
Anfang 1984 errichtete Schießanlage gepachtet und seitdem
gemeinsam in Form einer GmbH betrieben, deren gleichberechtigte
Gesellschafter sie waren. Der Angeklagte P. , gelernter
Büchsenmacher, war dabei überwiegend für den
technischen Bereich zuständig, während sich der
Angeklagte N. mehr um den kaufmännischen Bereich
gekümmert hat. Auf dem 25-Meter-Schießstand
für Kurzwaffen befand sich vor dem Schützenstand ein
der Schalldämmung dienendes Kiesbett, das entgegen den
Genehmigungsauflagen nicht mit einer Abdeckung versehen und auch nicht
im vorgeschriebenen Turnus in sachgerechter Weise von
Pulverrückständen gereinigt worden war. Im Jahre 1989
waren die Wände des Schießstandes nach einem Brand
auf einem benachbarten Schießstand "auf Anraten und Kosten
der Versicherung" mit einem Polyurethanschaumstoff verkleidet worden.
Bei einem Übungsschießen am 21. April 1995 entstand
aus ungeklärter Ursache etwa in der Mitte des Kiesbettes ein
kleines Feuer, das sich sogleich in Folge der Pulverablagerungen im
Kies nach beiden Seiten ausbreitete und auf die Verkleidung der
Wände übergriff. Es entstand eine Feuerwalze mit
Verpuffung, die zum Tod von vier Sportschützen
führte. Die Strafkammer sieht den
Fahrlässigkeitsvorwurf darin, daß die Angeklagten
bei der Übernahme der Schießanlage die Auflagen der
Genehmigung nicht oder zumindest nicht sorgfältig zur Kenntnis
genommen, deshalb den genehmigungswidrigen Zustand des Kiesbettes nicht
beseitigt und zudem die vorgeschriebene Reinigung von
Pulverrückständen nicht vorgenommen haben. Ferner
hätten sie auf Grund von in Fachzeitschriften
veröffentlichten - und von ihnen auch gelesenen - Berichten
über zwei schwere Brandunfälle im Dezember 1992 und
im Januar 1993, bei denen insgesamt zehn Menschen durch das
Übergreifen von Feuer auf die leicht brennbaren
Polyurethan-Wandverkleidungen ums Leben gekommen seien, die
Beschaffenheit der Wandverkleidungen des von ihnen betriebenen
Schießstandes überprüfen und den
Polyurethanschaumstoff durch ein schwer entflammbares Material ersetzen
müssen.
I. Die Nachprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch wegen
fahrlässiger Tötung keinen Rechtsfehler zum Nachteil
der Angeklagten ergeben. Der Senat hat jedoch die Urteilsformel
geändert, weil das Vorliegen gleichartiger Tateinheit durch
das schuldhafte Verursachen des Todes von vier Menschen im Schuldspruch
zum Ausdruck zu bringen ist (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner,
StPO 46. Aufl. § 260 Rdn. 26). Dieser Änderung steht
weder § 265 Abs. 1 StPO noch das Verschlechterungsverbot des
§ 358 Abs. 2 StPO entgegen.
1. Die Strafkammer hat ohne Rechtsfehler eine vorwerfbare
Pflichtwidrigkeit der Angeklagten darin gesehen, daß sie bei
der Übernahme des Schießstandes dessen baulichen
Zustand nicht auf die Übereinstimmung mit der erteilten
Genehmigung überprüft und die Auflage, den Bereich
vor dem Schützenstand von Pulverrückständen
zu reinigen, nicht ausreichend erfüllt haben. Es ist auch
nicht zu beanstanden, daß neben der Verantwortlichkeit des
Angeklagten P. auch eine strafrechtlich relevante Verantwortung des
Angeklagten N. angenommen worden ist. Denn dieser war nicht nur
gleichberechtigter Mitgesellschafter, sondern nach den Feststellungen
neben dem Angeklagten P. immerhin auch - wenngleich in deutlich
geringerem Umfang - für die technische Sicherheit
mitverantwortlich. Eine eindeutige Übertragung der
Mitverantwortung des Angeklagten N. für den technischen
Betrieb der Schießanlage auf seinen Partner hat danach nicht
stattgefunden. Im übrigen stellt die erstmalige
Überprüfung des Zustandes der
gefahrenträchtigen Schießanlage an Hand der
Genehmigungsunterlagen samt den erteilten Auflagen bei
Übernahme des Betriebs eine elementare Verpflichtung dar,
deren Delegierbarkeit ohnehin nicht außer Zweifel steht.
2. Soweit die Strafkammer eine zusätzliche Pflichtwidrigkeit
darin sieht, daß die Angeklagten es unterlassen haben, die
Wandverkleidung auf ihre Brennbarkeit zu untersuchen, hat sie dies
unzureichend begründet. Nach ihren - durch konkrete
Einzelheiten allerdings nicht belegten - Feststellungen war diese
Wandverkleidung aus Polyurethanschaumstoff als schwer entflammbares
Material auf "Anraten und Kosten der Versicherung" nach einem Brand auf
einem benachbarten Schießstand im Jahr 1989 und damit vor der
Übernahme der Anlage durch die Angeklagten eingebaut worden.
Die Angeklagten haben sich dementsprechend dahin eingelassen,
daß sie von schwer entflammbarem Polyurethan ausgegangen
seien. Diese Einlassung hat die Strafkammer nicht als widerlegt
angesehen; sie hat insbesondere nicht festgestellt, daß die
Angeklagten wußten, daß es gar keinen schwer
entflammbaren Polyurethan-Schaumstoff gibt, wie nachträglich
der Lieferant der Wandverkleidung in der Hauptverhandlung bekundet hat
(UA S. 14). Bei diesem von der Strafkammer angenommenen Kenntnisstand
konnte von den Angeklagten nicht erwartet werden, daß sie
eine von der zuständigen Versicherung veranlaßte
Brandschutzmaßnahme in Zweifel ziehen und eine
Überprüfung durch einen dafür erforderlichen
Sachverständigen vornehmen lassen. Dies gilt auch vor dem
Hintergrund der schweren Brandunfälle in den Jahren 1992 und
1993, die auf Polyurethanschaumstoffe zurückgeführt
wurden. Wenn nämlich die Angeklagten - irrig - davon
ausgegangen waren, daß es auch schwer entflammbares
Polyurethan gebe und dieses bei ihrem Schießstand eingebaut
worden ist, mußten sie auch solche Informationen nicht zu
einer Überprüfung veranlassen. Denn es ist nicht
festgestellt, daß sich aus diesen Berichten ergibt,
daß sämtliche Polyurethanschaumstoffe brennbar sind
und es schwer entflammbare Verkleidungen aus diesem Material nicht
gibt. Allerdings weist der Senat angesichts der bisherigen
dürftigen Feststellungen, die nicht erkennen lassen, ob ihnen
nicht lediglich die Übernahme unüberprüfter
Einlassungen der Angeklagten zugrunde liegt, daraufhin, daß
der neue Tatrichter Gelegenheit zu näherer Aufklärung
haben wird.
3. Die oben unter I. 1. beschriebene pflichtwidrige Unterlassung der
Angeklagten war nach den Feststellungen für die Ausbreitung
des Brandes und die eingetretenen Folgen ursächlich, da bei
Vornahme der gebotenen Abdeckung und sachgerechter Reinigung das in der
Mitte des Kiesbettes entstandene kleine Feuer keine Nahrung in Form
unverbrannter Pulverrückstände gefunden, sich nicht
weiter hätte ausbreiten und deshalb mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit nicht auf die Wandverkleidung
hätte übergreifen können. Gleichzeitig war
aber auch voraussehbar, daß die Entstehung und Ausbreitung
eines Feuers im Bereich des Kiesbettes, das vorschriftswidrig durch
eine erhebliche Menge unverbrannten Nitrocellulosepulvers verunreinigt
war, zu schweren Folgen auch für die Benutzer des
Schießstandes führen kann. Auch bei einem
pflichtwidrigen Verhalten, das nur im Zusammenhang mit einem weiteren,
vom Verantwortlichen - möglicherweise nicht zu vertretenden -
Mangel zu einem Unfall führt, entfällt die
Vorhersehbarkeit nur, wenn das Auftreten des Mangels im Zusammenhang
mit dem pflichtwidrigen Verhalten nicht ganz außerhalb des
gewöhnlichen Erfahrungsbereichs des Verantwortlichen liegt
(BGHSt 12, 75 ff.). Von einem völlig
außergewöhnlichem, nicht vorhersehbarem
Geschehensablauf kann hier jedoch nicht ausgegangen werden. Es ist bei
schweren Brandunfällen nicht ungewöhnlich,
daß erst das Vorhandensein weiterer ungünstiger
Verhältnisse, wie etwa die Verwendung ungeeigneter
Ausbaumaterialien, zu den letztlich eingetretenen schweren Folgen
führt.
Hier ist zu berücksichtigen, daß auch bei
Zugrundelegung der Vorstellung der Angeklagten das
Wandverkleidungsmaterial nicht unbrennbar, sondern nur schwer
entflammbar war. Dies schließt die Möglichkeit ein,
daß das Material unter ungünstigen
Umständen, etwa bei einem mit hohen Flammtemperaturen
verbundenen Ausgangsfeuer, doch in Brand geraten konnte. Die
Angeklagten wußten weiterhin, daß es nach dem
Einbau dieser Wandverkleidung in anderen Schießanlagen zu
schweren Brandunfällen wegen
Polyurethanschaumstoff-Verkleidungen gekommen war. Bei dieser Sachlage
liegt es nicht außerhalb jeglicher Erfahrung, daß
eine mehrere Jahre vor diesen Unfällen erteilte Auskunft der
Versicherung zwar dem damaligen Kenntnisstand entsprochen haben mag,
das verwendete Material sich gleichwohl später als - zumindest
auf Dauer - nicht ausreichend flammbeständig erweisen oder
durch alterungs- oder verschmutzungsbedingte Veränderungen
mangelhaft werden konnte. Immerhin war die Wandverkleidung neben dem
Schützenstand ebenso wie das Kiesbett der Verschmutzung durch
unverbrannte Pulverrückstände ausgesetzt.
4. Da die Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung
bereits von der oben unter I. 1. aufgezeigten Pflichtwidrigkeit
getragen wird, betrifft die von den Angeklagten erhobene
Aufklärungsrüge zur Brennbarkeit des angebrachten
Polyurethan-Schaumstoffs nur noch die Frage zusätzlichen, den
Schuldumfang gegebenenfalls erhöhenden Fehlverhaltens. Da der
Strafausspruch ohnehin auf die Sachrügen aller
Beschwerdeführer aufzuheben ist, kann offen bleiben, ob diese
Rüge der Form des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO
entspricht.
Entsprechendes gilt für die Rüge der Angeklagten, in
den Urteilsgründen seien die Anknüpfungstatsachen
für die Beurteilung der Sachverständigen unzureichend
wiedergegeben. Soweit die - ohnehin auf der Hand liegende -
Ursächlichkeit der Durchsetzung des Kiesbettes mit etwa 30 kg
Pulverrückständen für die Ausbreitung des
Feuers in Frage steht, reichen die - allerdings sehr knappen -
Urteilsfeststellungen noch aus, soweit es dagegen um die Beurteilung
der Wandverkleidung geht, kommt es aus den aufgezeigten
Gründen darauf nicht an.
II. Der Strafausspruch muß auf die Revisionen der Angeklagten
und der Staatsanwaltschaft aufgehoben werden, da er Rechtsfehler zum
Nachteil und zum Vorteil der Angeklagten aufweist.
1. Die unzureichend begründete Annahme der Strafkammer, die
Angeklagten wären verpflichtet gewesen, die Wandverkleidung
auf ihre Brennbarkeit untersuchen zu lassen, hat zur Folge,
daß der Strafzumessung ein zu hoher Schuldumfang zugrunde
liegt.
2. Da der unter I. 1. rechtsfehlerfrei festgestellte
Fahrlässigkeitsvorwurf in einem Unterlassen liegt,
hätte die Strafkammer den Rechtsgedanken des § 13
Abs. 2 StGB bei der Strafzumessung ungeachtet dessen in
Erwägung ziehen müssen, daß sie eine
Geldstrafe verhängt und deswegen eine Strafrahmenmilderung
nach § 49 Abs. 1 StGB ausscheidet.
3. Die Festsetzung der Tagessatzhöhe für beide
Angeklagte auf je 100 DM wird den Anforderungen von § 40 Abs.
2 Satz 1 StGB nicht gerecht. Danach hat das Gericht die Bestimmung
unter Berücksichtigung der persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnisse vorzunehmen. Diese sind jedoch
unzureichend festgestellt. Die Strafkammer teilt hierzu lediglich mit,
daß sie "davon ausgehe", daß die Angeklagten aus
dem Betrieb ihres Schießstandes "mindestens 3000 DM pro
Monat" verdienen. Dies läßt weder erkennen, ob dem
Feststellungen oder Schätzungen zugrunde liegen, auf welchen
Grundlagen diese getroffen worden sind, ob es sich um Brutto- oder
Nettoeinnahmen handelt und welches Vermögen die Angeklagten
haben. Ferner sind ersichtlich die Unterhaltsverpflichtungen des
Angeklagten N. für seine beiden ehelichen Kinder
unberücksichtigt geblieben, da bei gleichem Einkommen der
gleiche Tagessatz von je 100 DM wie bei dem kinderlosen Angeklagten P.
festgesetzt worden ist.
Schließlich ist auch nicht festgestellt, wie sich der durch
den Vorfall entstandene Sachschaden von ca. 250 000 DM auf die
Angeklagten ausgewirkt hat, insbesondere inwieweit die von ihnen
betriebene Gesellschaft oder sie persönlich unmittelbar
geschädigt oder Regreßansprüchen der
Eigentümer oder von Versicherungen ausgesetzt sind. Solche
Umstände können zum einen das Einkommen der
Angeklagten aus der Gesellschaft gemindert haben, zum anderen sind
derartige Schulden gegebenenfalls bei der Bemessung der Tagessatzzahl,
Tagessatzhöhe und der Prüfung von
Zahlungserleichterungen nach § 42 StGB zu
berücksichtigen (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl.
§ 40 Rdn. 20 m. w. N.).
III. Im Hinblick auf die Ausführungen der Staatsanwaltschaft
bemerkt der Senat, daß bei tatzeitnaher Verurteilung und bei
Zugrundelegung des vom Landgericht angenommenen Schuldumfanges die
Verhängung einer Freiheitsstrafe zur angemessenen Ahndung des
Vorfalles nahegelegen hätte, daß aber nunmehr -
unabhängig von der Frage des Schuldumfangs - der lange
Zeitraum seit Tatbegehung und die nicht unerhebliche Verfahrensdauer,
die durch die notwendige Zurückverweisung weiter
verlängert wird, dagegen sprechen werden. Der neue Tatrichter
wird darüber hinaus zu prüfen haben, ob es zu einer
Verfahrensverzögerung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK
gekommen ist (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2
Verfahrensverzögerung 13).
Tolksdorf Miebach Winkler Pfister von Lienen |