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BGH, Urteil vom 21. September 2000 - 1 StR 236/00


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 21.9.2000 - 1 StR 236/00
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 236/00
vom
21. September 2000
in der Strafsache gegen
wegen Totschlags u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. September 2000, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schäfer und die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Maul, Nack, Dr. Kolz, Hebenstreit, Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger, Rechtsanwalt als Vertreter der Nebenklägerin, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 23. November 1999 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen Totschlags zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Nebenklägerin (Mutter des Tatopfers). Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung sachlichen Rechts und erhebt eine Verfahrensrüge. Ihr Rechtsmittel, das hinsichtlich der Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung einen Schuldspruch (auch) wegen eines versuchten Tötungsdelikts und hinsichtlich der Verurteilung wegen Totschlags einen Schuldspruch wegen Mordes erstrebt, hat mit der Sachbeschwerde Erfolg; auf die Verfahrensrüge kommt es deshalb nicht an.
I.
1. Das Landgericht hat im wesentlichen folgenden Sachverhalt festgestellt:
Am Morgen des 27. Februar 1999 teilte G. , die Ehefrau des
Angeklagten und das spätere Tatopfer, diesem ihren Entschluß mit, sich von ihm zu trennen und mit den beiden gemeinsamen Kindern endgültig die gemeinschaftliche Wohnung zu verlassen. Der Angeklagte, der seine bereits länger andauernden Bemühungen, den Zerfall der Familie zu verhindern, als nunmehr endgültig gescheitert ansehen mußte, geriet hierdurch in einen hochgradigen Erregungszustand. Um G. "um jeden Preis" am Verlassen
der Wohnung zu hindern, begab er sich in die Küche, kochte dort für
G. Kaffeewasser auf, in das er 18 Schlaftabletten Lendormin 0,25 mg gab, und ließ die nichtsahnende G. den hiermit gebrühten Kaffee trin-
ken. Diese wurde nach der Einnahme des Kaffees zunehmend müder. Zu einem Schlaf kam es hingegen nicht, da bei dem Aufkochen der Schlaftabletten vermutlich ein Großteil des Wirkstoffs zerstört worden war.
Als der Angeklagte seiner Ehefrau etwa eine halbe Stunde nach der Einnahme des Kaffees vorschlug, sich doch schlafen zu legen, lief diese in Richtung der Wohnungstür, zog ihre Jacke an und legte sich einen Schal um. Um das Weggehen seiner Ehefrau, das für ihn in seiner hohen Erregung "mit dem Verlust seiner Familie völlig identisch geworden" war, auf jeden Fall zu verhindern, ergriff er ein im Wohnzimmer abgelegtes Videokabel, ging
G. einige Schritte hinterher und schlang es ihr, seitlich hinter ihr sich befindend, so um den Hals, daß das Kabel sich vorne um ihren Hals legte. Als der Angeklagte das Kabel zuzog, fielen er und seine Ehefrau zu Boden, wobei
G. aufgrund der Wirkung der Schlaftabletten kaum noch eine Gegen-
wehr zeigte. Der Angeklagte verknotete das in drei Touren um den Hals der G. festgezogene Kabel. Infolgedessen trat mangels ausreichender Blutversorgung des Gehirns bei G. der Tod ein.
2. Nach Auffassung des Landgerichts ist dem Angeklagten hinsichtlich des ersten Sachverhaltsabschnitts ein - wenn auch nur bedingter - Tötungsvorsatz nicht nachzuweisen, insbesondere weil sich der Angeklagte bereits zu diesem Zeitpunkt in einem akuten Affektzustand befunden habe.
Hinsichtlich des Erdrosselns der Ehefrau meint das Landgericht, es müsse zugunsten des Angeklagten davon ausgegangen werden, daß die Ehefrau nicht mehr arglos war, als der Angeklagte sie mit Tötungsvorsatz angriff; jedenfalls müsse zu seinen Gunsten angenommen werden, daß er auf Grund seines hochgradigen Erregungszustandes nicht in der Lage war, deren Arg- und Wehrlosigkeit zu erkennen.
II.
Sowohl hinsichtlich der Verurteilung (nur) wegen gefährlicher Körperverletzung durch das Beibringen der Schlaftabletten als auch hinsichtlich der Verurteilung (nur) wegen Totschlags durch das Erdrosseln mit dem Videokabel hält die landgerichtliche Beweiswürdigung revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Soweit das Landgericht im ersten Fall einen Tötungsvorsatz des Angeklagten als nicht erwiesen ansieht, läßt das Urteil eine erschöpfende Beurteilung des Sachverhalts vermissen.
Die Klärung der Frage, ob der Täter - direkten oder bedingten - Tötungsvorsatz hatte, setzt eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände voraus. Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, daß das Gericht die erhobenen Beweise entsprechend gewürdigt, vor allem die Umstände, die die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Daran fehlt es hier.
Das angefochtene Urteil teilt zur Einlassung des Angeklagten mit, er habe eingeräumt, grundsätzlich - wenn auch nicht im konkreten Zeitpunkt der Tat - von der tödlichen Wirkung einer Überdosis Schlaftabletten gewußt zu haben. In den polizeilichen Vernehmungsprotokollen sei zwar als seine Aussage aufgenommen, er habe daran gedacht, daß die von ihm benutzte Menge von Schlaftabletten ausreichend sei, einen Menschen zu töten und er habe dies in Kauf genommen. Aus den Bekundungen des Zeugen KOK Gr. in der Hauptverhandlung ergebe sich jedoch, daß diese Aussage unsachgerechterweise (vgl. Nr. 45 Abs. 2 RiStBV) von den ermittelnden Kriminalbeamten selbst formuliert worden sei, so daß diese den Angeklagten insoweit auch mißverstanden haben könnten. Aus diesem möglichen Mißverständnis der Vernehmungsbeamten schließt das Landgericht ohne jegliche Würdigung weiterer Beweisindizien, zugunsten des Angeklagten könne nicht ausgeschlossen werden, daß er sich der Möglichkeit eines tödlichen Ausgangs bei Verabreichung der tatgegenständlichen 18 Schlaftabletten nicht bewußt gewesen sei. Schon die Feststellungen über den Tathergang hätten zu weiteren Erwägungen Veranlassung geben müssen. Das Beibringen von 18 Schlaftabletten stellt eine objektiv lebensgefährliche Handlung dar - was der Angeklagte zudem jedenfalls in allgemeiner Form wußte -. Zu Ungunsten des Angeklagten spricht auch, daß er sich nicht auf eine geringere Dosierung der Schlaftabletten beschränkt hat, die zur Erreichung seines Zwecks (Verbleiben der Ehefrau in der Wohnung) erfahrungsgemäß ausgereicht hätte, sondern alle ihm verfügbaren Schlaftabletten verwendet hat. Schließlich hat der Angeklagte kurze Zeit nach diesem Vorgang seine Ehefrau tatsächlich getötet, und zwar nach den Feststellungen des Landgerichts mit Tötungsvorsatz. Das Landgericht hätte daher auch aufgrund der Parallelität der beiden Vorgehensweisen und ihrer engen zeitlichen Verknüpfung zu prüfen gehabt, ob auch schon die erste Handlung des Angeklagten mit Tötungsvorsatz erfolgte. Es hat mithin eine Reihe von Umständen nicht gewürdigt, die gegenteilige Feststellungen als die getroffenen zumindest nicht weniger naheliegend erscheinen lassen.
Das Landgericht leitet Zweifel am Vorliegen eines Tötungsvorsatzes ergänzend daraus her, daß der Angeklagte sich im Zeitpunkt der Verabreichung der Schlaftabletten gemäß der Einschätzung des Sachverständigen in einem akuten Affektzustand befunden habe. Es erörtert hierzu zwar auch Merkmale, die in Psychiatrie und Rechtsprechung als mögliche Indizien für einen affektiven Ausnahmezustand genannt werden (vgl. BGHR StGB § 21 Affekt 4 m.w.N.; zusammenfassend Salger in Festschrift für Tröndle, 1989 S. 201). Diese Merkmale kennzeichnen allerdings den Zustand des Täters in einer mehr standardisierten Form. Um den biologisch-psychologischen Sachverhalt des Affekts direkt zu erfassen, bedarf es insbesondere einer Analyse der Tatdurchführung selbst einschließlich des unmittelbaren Vorfeldes und des unmittelbaren Nachtatgeschehens (Salger aaO S. 208). Das Landgericht hätte im Rahmen einer dementsprechenden Gesamtabwägung wesentliche Tatumstände stärker in Rechnung zu stellen gehabt, die gegen die Annahme sprechen, das Persönlichkeitsgefüge des Angeklagten sei so schwer erschüttert gewesen, daß eine tiefgreifende Bewußtseinsstörung eingetreten sei. Das gilt vor allem für die Gestaltung der eigentlichen Tat durch den Angeklagten. Er hat seiner vom Landgericht übernommenen Tatschilderung zufolge nicht spontan gehandelt. Das Beibringen der Schlaftabletten mit Hilfe der Kaffeezubereitung stellte ein mehraktiges, länger hingezogenes Geschehen dar, das der Planung und Beherrschung des verhältnismäßig komplexen Ablaufs bedurfte. Das Landgericht hat insoweit sogar das gesetzliche Merkmal des hinterlistigen Überfalls bejaht, was voraussetzt, daß der Täter in einer auf Verdeckung seiner wahren Absicht berechneten Weise vorgeht.
2. Auch soweit das Landgericht im zweiten Fall die Voraussetzungen des Mordmerkmals "heimtückisch" verneint hat, erweisen sich die zugrunde liegenden Erwägungen als unzureichend.
Nach ständiger Rechtsprechung handelt heimtückisch, wer in feindseliger Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewußt zur Tötung ausnutzt (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 2 m.w.N.). Bei der erschöpfenden Würdigung der erhobenen Beweise muß sich der Richter in den Urteilsgründen insbesondere mit solchen Feststellungen auseinandersetzen, die zunächst einmal (prima facie) gegen die von ihm gezogenen Schlußfolgerungen sprechen (vgl. Engelhardt in KK 4. Aufl. § 261 StPO Rdn. 50 m.w.N.).

Die Feststellungen über den Tathergang, die Täter-Opfer-Beziehung und die Tatortsituation sprechen hier für eine heimtückische Tötung. Damit hat sich das Landgericht überhaupt nicht auseinandergesetzt.
Eine solche Auseinandersetzung wäre insbesondere unter dem Gesichtspunkt des von dem Landgericht verneinten Merkmals der Arglosigkeit des Opfers geboten gewesen. Arglos ist, wer sich keines Angriffs von seiten des Täters versieht (BGHSt 32, 382 m.w.N.). Das Landgericht verneint dieses Merkmal allein mit der Erwägung, G. habe "möglicherweise" bereits
vor dem Anziehen von Jacke und Schal erkannt, daß ihr der Angeklagte Schlaftabletten beigebracht hatte, und deshalb mit einem Angriff des Angeklagten gerechnet. Das genügt für sich allein nicht, zumal das Landgericht ausdrücklich festgestellt hat, daß es bis zu diesem Zeitpunkt in der Ehe trotz erheblicher Konflikte und Spannungen niemals zu handgreiflichen Aggressionen des Angeklagten gegen seine Ehefrau gekommen ist.
Unzureichend erscheint auch die hilfsweise für den Fall zu bejahender Arglosigkeit der G. angestellte Erwägung des Landgerichts, es sei zugunsten des Angeklagten davon auszugehen, daß dieser aufgrund seines hochgradigen Erregungszustandes nicht in der Lage war, die Arglosigkeit zu erkennen. Diese allein auf die psychische Verfassung des Angeklagten abstellende Darlegung läßt besorgen, das Landgericht habe hinsichtlich der subjektiven Erfordernisse heimtückischer Begehungsweise wiederum wesentliche Umstände - insbesondere das Tatverhalten des Angeklagten - nicht berücksichtigt, die zunächst einmal auf die vollständige Erfassung und Beherrschung aller objektiven und subjektiven Umstände durch den Angeklagten hindeuten. Sie ist zudem - worauf die Beschwerdeführerin zu Recht hinweist - nicht ohne weiteres zu vereinbaren mit der von dem Landgericht vorgenommenen Bewertung des Verabreichens der Schlaftabletten als Köperverletzung mittels eines hinterlistigen Überfalls. Mit der Bejahung der objektiven und subjektiven Voraussetzungen des Merkmals des hinterlistigen Überfalls hat das Landgericht hinsichtlich dieser Tat - wie bereits ausgeführt - seine Überzeugung zum Ausdruck gebracht, der Angeklagte sei planmäßig in eine auf Verdeckung seiner wahren Absichten berechneten Weise vorgegangen, um hierdurch der angegriffenen Ehefrau die Abwehr des nicht erwarteten Angriffs zu erschweren. Da das Landgericht bereits für diese Tat von einem hochgradigen Erregungszustand des Angeklagten ausging, für den es dem Angeklagten die Voraussetzungen des § 21 StGB wegen tiefgreifender Bewußtseinsstörung zubilligte, bleibt es die Erklärung schuldig, warum der Angeklagte bei der zweiten Tat nicht mehr das Bewußtsein dafür gehabt haben soll, ob und inwieweit das Tatopfer die Situation erkennt.
3. Der Schuldvorwurf bedarf daher insgesamt der Prüfung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter.
Schäfer Maul Nack
Kolz Hebenstreit



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