BGH,
Urt. v. 22.12.2004 - 2 StR 365/04
Nachschlagewerk:
ja
BGHSt:
nein
Veröffentlichung:
ja
StGB § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a, b und d); § 130
Abs. 3
Zum Tatbestand des Verharmlosens in einer
öffentlichen Versammlung im
Sinne von § 130 Abs. 3 StGB.
BGH, Urteil vom 22. Dezember 2004 - 2 StR 365/04 - Landgericht Erfurt
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 365/04
vom
22. Dezember 2004
in der Strafsache
gegen
- 2 -
wegen Volksverhetzung
- 3 -
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Grund der Verhandlung
vom
15. Dezember 2004 in der Sitzung am 22. Dezember 2004, an denen teilge-
nommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan
und der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. h.c. Detter,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
der Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 4 -
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil
des Landgerichts Erfurt vom 26. April 2004 mit den Fest-
stellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entschei-
dung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten aus
tatsächlichen Gründen vom
Vorwurf eines Vergehens der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 2 Nr.
1 a, Abs. 3,
Abs. 4 StGB) freigesprochen. Ihm lag zur Last, eine Schrift verbreitet
zu haben,
in der die Tötung von Juden in Auschwitz verharmlost worden
sei.
1. Die Strafkammer hat folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte war Landesvorsitzender des Landesverbandes
Thürin-
gen des Bundes der Vertriebenen und auf Bundesebene dessen
Vizepräsident.
Am 9. November 2001 fand in der Stadthalle in
A. der Verbandstag des
Landesverbandes Thüringen statt, auf dem der Angeklagte als
Landesvorsit-
zender einen Rechenschaftsbericht zu erstatten hatte. Der von ihm
erstellte
- 5 -
Rechenschaftsbericht lag in schriftlicher Form vor und wurde in
fünf vorber eite-
ten Pressemappen im Eingangsbereich der Stadthalle von der Pr
essereferentin
des Landesverbandes für geladene Pressevertr eter
bereitgehalten. Ausgehän-
digt wurden Pressemappen zunächst an den bei der Rede
anwesenden Jour-
nalisten K. der Thüringer Allgemeinen
Zeitung und später an den Reporter
des MDR 1 Radio Thüringen S. , der die Rede des
Angeklagten selbst aber
nicht mit angehört hatte und darüber auch nicht
berichtete.
Der Text des Rechenschaftsberichtes war nach den handschr iftlichen
Vorga-
ben des Angeklagten von der Zeugin H. in Maschinenschrift
umgesetzt wor-
den. Das Deckblatt des Rechenschaftsberichts enthielt den Vermerk
"Sperrfrist:
09.11.2001, 9.30 Uhr . Es gilt das gesprochene Wor t!"
Der Rechenschaftsbericht enthielt folgende Passage:
"Noch verhindern die Wolken einer bewusst betr iebenen
einseitigen Kol-
lektivschuldzuweisung gegenüber unserem Volke den klaren Blick
zur
Beurteilung der Verbrechen in der jüngeren
europäischen Geschichte und
über die Kriegsschuld an den Kriegen des vergangenen
Jahrhunderts.
Dies wird sich bald verändern, da die Lügen
über Katyn, über Jebawke
(r ichtig: Jedwabne), über die Opfer in Auschwitz und anderes
nicht mehr
länger zu halten sind".
Der in der Pressemappe enthaltene Rechenschaftsbericht wurde
vom
Angeklagten in veränderter Form vor den etwa 200 Delegierten
mündlich vor-
getragen. Dabei formulierte er diese Passage wie folgt:
"Noch verhindern die Wolken einer bewusst betr iebenen einseitigen Kol-
lektivschuldzuweisung gegenüber unserem Volke den klaren Blick
zur
- 6 -
Beurteilung der Verbrechen in der jüngeren
europäischen Geschichte und
über die Kriegsschuld in den Kriegen des vergangenen
Jahrhunderts.
Dies wird sich bald verändern, da die Lügen
über Katyn, Jedwabne und
die Aussagen über die Opfer in Auschwitz und anderes nicht
mehr länger
zu halten sind. In Auschwitz gab es offensichtlich keine 6 Millionen
Opfer,
sondern, wie ich in Polen erfahren habe, sind 930.000 nachgewiesen.
Dabei geht es nicht um die Relativierung des Verbrechens, sondern um
die geschichtliche Wahrheit. Sie kennen meine Einstellung,
daß jedes
Opfer eines Verbrechens eines zu viel ist."
Am 9. November 2001 verfaßte der bei der Rede
anwesende Journalist
K. der Thür inger
Allgemeinen Zeitung einen Artikel, in dem er den Ange-
klagten wegen dessen Äußerungen vor den Delegierten,
insbesondere in Be-
zug auf die betr effende Passage des Rechenschaftsberichts, scharf angr
iff.
2. Das Landger icht hält ein strafbares Verhalten des
Angeklagten nicht
für gegeben. Zwar handele es sich bei der Formulier ung in dem
von ihm inhalt-
lich zu verantwortenden schriftlichen Rechenschaftsbericht um eine im
Rahmen
von § 130 Abs. 2, 3 und 4 StGB str afrechtlich relevante
Äußerung, da hier-
dur ch der Holocaust in Auschwitz zumindest verharmlost werde. Die
Ausfüh-
rungen seien auch geeignet, den öffentlichen Frieden zu
stören, der Angeklag-
te habe aber diesen Bericht weder öffentlich
zugänglich gemacht noch verbrei-
tet.
3. Gegen den Freispruch wendet sich die Staatsanwaltschaft
mit ihr er
auf die Ver letzung sachlichen Rechts gestützten Revision. Sie
ist der Meinung,
das Landgericht habe den Begriff des Verbreitens verkannt. Die vom
Angeklag-
- 7 -
ten gewollte Aushändigung der Pressemappe mit seinem
Redemanuskript an
Jour nalisten als Grundlage für deren Bericht von seiner Rede
erfülle den Tat-
bestand des Verbreitens.
- 8 -
4. Den vom Angeklagten im Rahmen seiner Rede getätigten
Äußerun-
gen hat das Landger icht wie bereits die Staatsanwaltschaft in ihrer
Abschluß-
verfügung vom 9. Januar 2003 zumindest mangels
nachweisbaren Vor satzes
keine str afrechtliche Relevanz im Rahmen von § 130 Abs. 3
StGB zugemes-
sen.
II.
Das Rechtsmittel, das der Generalbundesanwalt vertr itt,
führt zur Aufhe-
bung des Urteils.
1. Die Strafkammer hat zwar unter den gegebenen
Umständen im Er-
gebnis in rechtlich nicht zu beanstandender Weise in der Verteilung der
Pr es-
seer klärung an zwei Journalisten kein Vergehen der
Volksverhetzung nach
§ 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a), Abs. 3, 4 StGB gesehen. Nach
diesen Vorschrif-
ten macht sich strafbar , wer Schriften verbreitet, die eine unter der
Herrschaft
des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1
VStGB be-
zeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den
öffentlichen Frieden zu stö-
ren, leugnet oder verharmlost.
Der Begriff "Verbreiten" wird in mehrer en Straftatbeständen
des StGB verwen-
det (vgl. u.a. §§ 86, 86 a, 184, 186 StGB). Der
Gesetzgeber hat den Begriff
nicht näher abgegrenzt. Er unterliegt deshalb der Auslegung,
wobei insbeson-
der e auf den Grundgedanken der jeweiligen Vorschrift abzustellen ist.
Im Rah-
men von § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a) StGB bedeutet
"Verbreiten" die mit einer
körperlichen Weitergabe der Schrift verbundene
Tätigkeit, die darauf gerichtet
ist, die Schrift ihrer Substanz nach einem größeren
Personenkreis zugänglich
zu machen, wobei dieser nach Zahl und Individualität so
groß sein muß, daß er
- 9 -
für den Täter nicht mehr kontrollierbar ist. Dabei
reicht schon die Weitergabe
eines Exemplars der Schrift aus, wenn dies mit dem Willen geschieht,
der
Empfänger werde die Schrift durch körperliche
Weitergabe einem größeren
Personenkreis zugänglich machen oder wenn der Täter
mit einer Weitergabe
an eine gr ößere nicht mehr zu kontrollierende Zahl
von Personen rechnet (Ket-
tenverbreitung). Bei der Aushändigung einer Vielzahl
gleicher Exemplare an
verschiedene Abnehmer (Mengenverbreitung) wird bereits verbreitet, wenn
der
Täter das erste Exemplar einer Mehrzahl von ihm zur
Verbreitung bestimmter
Schriften an einen einzelnen Bezieher abgegeben hat. Voraussetzung ist
aber
immer, daß an einen größeren und nicht
(vom Täter) kontrollierbaren Per so-
nenkreis weitergegeben wird oder weitergegeben werden soll. Die
Weitergabe
an einzelne bestimmte Dritte allein ver mag das Merkmal des Verbreitens
nicht
zu erfüllen, wenn nicht feststeht, daß der Dritte
seinerseits die Schrift an weite-
re Personen überlassen wird. Entscheidend ist, daß
die Schrift, nicht etwa bloß
ihr geistiger Inhalt, so vielen Personen zugänglich gemacht
wird, daß es sich
bei den Empfängern um einen für den Täter
nicht mehr kontrollierbar en Per so-
nenkreis handelt (vgl. dazu BGHSt 13, 257, 258; 18, 63, 64; 19, 63, 71;
47, 55,
59; BGH MDR 1966, 687; BGH NJW 1999, 1979, 1980 insoweit in BGHSt 45,
41 nicht abgedr uckt; BayObLG NStZ 1983, 120 ff. m. Anm. Keltsch; 1996,
436,
437; 2002, 258, 259 m. Anm. Schröder JZ 2002, 412 f.; OLG
Frankfurt StV
1990, 209; Thüring. OLG NStZ 2004, 628 ff. [ betrifft den hier
abzuurteilenden
Sachverhalt]).
Das vom Angeklagten verfaßte und in die Pr
essemappe aufgenommene
Redemanuskript war eine Schrift im Sinne von § 130 StGB (vgl.
dazu BGHSt
13, 375, 376), das Manuskript war nicht nur an eine Person gerichtet
und nicht
nur für einen einzelnen Empfänger bestimmt, sondern
sollte an alle interessier-
ten Journalisten, die an der Versammlung teilnehmen wollten, verteilt
werden.
- 10 -
Tatsächlich ist der in der Pr esseerklärung
enthaltene schriftliche Rechen-
schaftsbericht als solcher nicht verbreitet worden, sondern nur dessen
Inhalt
war im Zusammenhang mit der Rede des Angeklagten Gegenstand der
Veröf-
fentlichung in der Thüringer Zeitung. Das allein
genügt aber nicht für ein
"Verbreiten" im Sinne von § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a) StGB.
In der Weiterga-
be von zwei Pressemappen selbst liegt nach den getroffenen
Feststellungen
noch kein Verbreiten, da weder eine Ketten- noch eine Mengenverbreitung
vor-
liegen.
2. Das Landgericht hat jedoch den Umstand, daß
fünf Pressemappen
ber eitgehalten wurden und nach den getroffenen Feststellungen zu dem
Ver-
bandstag an Vertreter von verschiedenen Zeitungen, Agenturen, des
Fernse-
hens und des Rundfunks Einladungen verschickt worden waren, nur unzurei-
chend rechtlich bewertet.
a) Es hat ein Zugänglichmachen i.S.v. § 130 Abs. 2
Nr. 1 Buchst. b)
StGB fehlerhaft abgelehnt, weil das Merkmal der Öffentlichkeit
nicht erfüllt sei.
Zugänglichmachen bedeutet, einem anderen die
Möglichkeit zu eröffnen, sich
durch sinnliche Wahrnehmung vom Inhalt der Schrift Kenntnis zu
verschaffen.
Dies kann entweder durch Wahrnehmung des Erzeugnisses in seiner
Substanz
oder in seinem Inhalt geschehen (BGH NJW 1976, 1984;
Lackner/Kühl StGB
25. Aufl. Rdn. 5; Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. Rdn. 10;
Lenckner/Perron in
Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. Rdn. 9 jew. zu
§ 184). Das Zugänglichma-
chen muß allerdings öffentlich erfolgen und ist dann
gegeben, wenn die Mög-
lichkeit der Wahrnehmung durch eine unbestimmte Vielzahl von -
innerlich
nicht notwendigerweise verbundenen - Personen eröffnet ist
(Lackner/Kühl
aaO Rdn. 6; Tröndle/Fischer aaO Rdn. 6 jew. zu § 74
d) . Ein solcher Sachver-
- 11 -
halt liegt hier nahe. Soweit das Landgericht (UA S. 16) eine Anwendung
dieser
Begehungsalternative abgelehnt hat, weil zu dem Verbandstag neben den
De-
legierten nur Pressevertreter zugelassen waren, nicht aber sonstige
Öffentlich-
keit und der Bericht nur auf Anforderung und nur an einen ganz
bestimmten,
eng begr enzten Per sonenkr eis persönlich ausgegeben wurde,
hat es nicht be-
dacht, daß die Pressevertreter ein Teil der
Öffentlichkeit sind (vgl. BGHSt 34,
329, 332; 47, 278, 282) und dadurch eine unbestimmte Zahl von Personen
von
den Manuskripten Kenntnis nehmen konnten.
b) Die Tatbestandsalternative des „ Vorrätighaltens
zum Zwecke der
Verbreitung“ i S.v. § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. d)
StGB hat es überhaupt nicht
geprüft. Diese Prüfung lag hier aber nach der
Ablehnung eines "Verbreitens"
i.S.v. § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a) StGB wegen der Weitergabe
nur zweier
Exemplare nahe, da fünf Pressemappen bereit lagen und etwa 15
Pressever-
treter eingeladen waren ( UA S. 11; vgl. zum Vor rätighalten:
Lackner/Kühl aaO
Rdn. 5; Lenckner/Perron aaO Rdn. 46 jew. zu § 184 StGB).
3. Dazu kommt, daß das Landger icht den zur Aburteilung
stehenden
Sachverhalt nicht in seinem gesamten Umfang beurteilt hat. Es hat
nämlich nur
am Rande erörtert, ob die Rede des Angeklagten auf der
Vertreter versamm-
lung den Tatbestand des § 130 Abs. 3 StGB erfüllt,
und - wie die Staatsanwalt-
schaft - ohne nähere Begründung ein
vorsätzliches Handeln verneint (UA
S. 21). Nach § 130 Abs. 3 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu
fünf Jahren oder
mit Geldstr afe bestraft, wer eine unter der Herrschaft des
Nationalsozialismus
begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des VStGB bezeichneten
Art in einer
Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu
stör en, öffentlich oder in
einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost. Nach den
bisherigen Fest-
- 12 -
stellungen könnten die mündlichen
Äußerungen des Angeklagten die Alter nati-
ve "in einer Versammlung verharmlosen" im Rahmen von § 130
Abs. 3 StGB
erfüllen.
- 13 -
a) Das Landgericht war gehalten, den dur ch die zugelassene Anklage
abgegrenzten Prozeßstoff erschöpfend zu behandeln
(st. Rspr. BGHSt 25, 72,
75, 76; 32, 215, 216 m.w.N.; vgl. BGH wistra 2004, 272). Die
Äußerungen des
Angeklagten in der Versammlung, die auch in der Anklage im wesentlichen
Er-
gebnis der Ermittlungen ausdrücklich er wähnt sind,
stellen zusammen mit dem
verteilten Redemanuskript einen einheitlichen Vor gang dar. Denn das in
der
Pressemappe enthaltene Redemanuskript sollte als Hilfe bei der
Berichterstat-
tung über diese Rede dienen. Daß die
Staatsanwaltschaft in ihrer Abschlußver-
fügung vom 9. Januar 2003 einen hinreichenden Tatverdacht
für eine Anklage-
erhebung bezüglich der mündlichen
Äußerungen aus subjektiven Gründen ver-
neint hat, steht dem nicht entgegen, eine möglicherweise zu
beachtende "(Teil-
) Einstellung" ist insoweit nicht erfolgt.
b) Die Äußerungen beziehen sich,
dafür steht schon das Synonym
"Auschwitz", auf unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene
Handlungen der in § 6 Abs. 1 VStGB bezeichneten Art (vgl.
Lackner/Kühl aaO
Rdn. 8 a zu § 130; allgemein zum Leugnen des Holocaust EGMR
NJW 2004,
3691 ff.).
c) Sie wurden in einer Versammlung getätigt.
Daß es sich um eine Ver-
treterversammlung eines Verbandes mit einer
beschränkten Anzahl von Teil-
nehmern gehandelt hat, steht dem nicht entgegen. Denn zur
Erfüllung des
Merkmals „Versammlung“ genügt eine
räumlich zu einem bestimmten Zweck
vereinigte Personenmehrheit, dabei kann es sich auch um einen
begrenzten
Personenkreis handeln (vgl. Tröndle/Fischer aaO § 80
a Rdn. 4; Lackner/Kühl
aaO Rdn. 2 zu § 80 a; Bubnoff in LK 11. Aufl. Rdn. 14 zu
§ 111 jew. m.w.N.).
- 14 -
d) Der Angeklagte hat nach den bisher igen Feststellungen
auch ver-
har mlost. Ein Verharmlosen liegt vor, wenn der
Äußernde die Anknüpfungstat-
sachen für die Tatsächlichkeit der NS-Gewalttaten
herunter spielt, beschönigt
oder in ihrem wahren Gewicht verschleiert (BGHSt 46, 36, 40; 47, 278):
Nicht
erforder lich ist das Bestreiten des Völkermordes als
historisches Gesamtge-
schehen, es genügen ein "Herunterrechnen der
Opferzahlen“ und sonstige
Formen des Relativierens oder Bagatellisierens seines Unrechtsgehalts
(vgl.
BT-Drucks. 9/2090 S. 7, 8; 10/1286 S. 9; BGHSt 46, 36, 40;
Tröndle/Fischer
aaO Rdn. 31; Bubnoff aaO Rdn. 44; Lenckner in
Schönke/Schröder, aaO
Rdn. 21 jeweils zu § 130; vgl. auch Wandres; Die Strafbarkeit
des Auschwitz-
Leugnens 2000 S. 230 ff.; 245 ff.; König/Seitz NStZ 1995, 1,
3; Stegbauer NStZ
2000, 281, 285), wobei es sich dann um eine abgeschwächte Form
des Leug-
nens handelt ("teilweises Leugnen" vgl. Wandres aaO S. 230; Stegbauer
NStZ
2000, 284). Ein solches Relativieren und Bagatellisieren liegt hier
vor. Das NS-
Gewalt- und Massenvernichtungsunrecht im Konzentrationslager Auschwitz
ist
eine geschichtliche Tatsache. Demgegenüber geht die Aussage
der einschlä-
gigen Textpassage der Rede des Angeklagten erkennbar dahin,
daß es nicht in
dem geschichtlich aner kannten Umfang zu dem Massenmord in Auschwitz ge-
kommen sei. Die Zahl der Opfer müsse vielmehr in so
erheblicher Weise nach
unten korrigiert werden, daß es in diesem Zusammenhang als
angebracht er-
scheine, der bisherigen Geschichtsschreibung bewußt
betriebene einseitige
Kollektivschuldzuweisung gegenüber dem deutschen Volk und den
Gebrauch
von Lügen zu bescheinigen. Der Kontext der Rede zeigt somit
ein umfassen-
des Herunterspielen der Opferzahlen durch den Angeklagten, nicht nur
ein
zahlenmäßiges Infragestellen im Randbereich der
geschichtlich feststehenden
Größenordnung.
- 15 -
In der Rede findet sich zwar auch eine beschwichtigende Bekundung
("dabei
geht es nicht um die Relativierung des Verbrechens, sondern um die
geschicht-
liche Wahr heit"). Damit wird aber die verharmlosende Hauptaussage des
An-
geklagten, die Aussagen über die Zahl der Opfer in Auschwitz
entspreche nicht
der Wahrheit, nicht in Frage gestellt. Im Vordergrund bleibt das
Leugnen der
geschichtlichen Wahrheit durch das bewußte Infragestellen der
Opferzahlen.
Denn dem Angeklagten ging es ersichtlich nicht um ein "Zahlenspiel".
Sinn sei-
ner Ausführungen war es, "die Lügen über
Katyn, über Jedwabne, die Aussa-
gen über die Opfer in Auschwitz" anzuprangern. Der Angeklagte
wollte den
Eindruck erwecken, daß eine zutreffende Beurteilung der
Verbrechen, also ins-
besondere auch der nationalsozialistischen Verbrechen in Auschwitz,
bisher
dur ch "bewußt betriebene einseitige
Kollektivschuldzuweisung" und "Lügen"
nicht möglich gewesen sei. Dies impliziert die Aussage,
daß die bisherigen als
gesichert geltenden Erkenntnisse über Anzahl und Schicksal der
Opfer im Kon-
zentrationslager Auschwitz das Ergebnis einer bewußten und
gewollten Ge-
schichtsfälschung seien, deren Richtigstellung zu einer
entscheidend günstige-
ren Beurteilung nationalsozialistischer Unrechtstaten führen
werde.
e) Die Rede des Angeklagten war auch geeignet, den
öffentlichen Frie-
den zu stören. Gestört ist der öffentliche
Frieden unter anderem dann, wenn
das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentliche
Rechtssicherheit erschüttert
wird (BGHSt 34, 329, 331; 46, 212, 218; vgl. auch
Tröndle/Fischer aaO
Rdn. 14 aE; Bubnoff aaO Rdn. 13 und 46 jeweils zu § 130 StGB),
die Äußerun-
gen "auf die Betroffenen als Ausdruck unerträglicher
Mißachtung wirkt" (BT-
Drucks. 9/2090 S. 7). Geeignetheit zur Friedensstörung liegt
nach dem Sinn
des Gesetzes aber nur dann vor, wenn die Äußerung
vernünftiger weise eine
der angeführten Reaktionen erwarten lassen muß (BT-
Drucks. 9/2090 S. 8).
- 16 -
Daß die Äußerungen des Angeklagten vor der
Vertreterversammlung diese
Wirkung hatten, zeigen schon die scharfen Angr iffe des anwesenden
Journalis-
ten in seinem Bericht in der Thüringer Allgemeinen Zeitung
über die Rede des
Angeklagten (vgl. zur Beobachtung durch die Pr esse: BGHSt 47, 278,
282; vgl.
auch BGHSt 34, 329, 332) und die Reaktion einiger
Versammlungsteilnehmer
(UA S. 21).
f) Auch die subjektive Seite ist zumindest in Gestalt des
bedingten Vor-
satzes (vgl. Lackner/Kühl aaO Rdn. 12 zu § 130)
entgegen der Ansicht des
Landgerichts nach dem bisherigen Beweisergebnis naheliegend. Im Falle
des
"Verharmlosens" muß sich der Vorsatz auf die Unwahrheit der
mit der Verharm-
losung verbundenen Tatsachenbehauptungen sowie auf die
gänzliche Unan-
gemessenheit der geäußerten Wertungen erstrecken
(vgl. Tröndle/Fischer aaO
§ 130 Rdn. 34 aE; vgl. auch Wandres aaO S. 230 f.) . Die
bisherigen Feststel-
lungen sprechen dafür, daß dem Angeklagten -
unabhängig von seiner persön-
lichen Überzeugung (BGH NStZ 1995, 128 f.; vgl. auch Stegbauer
NStZ 2000,
281, 286) - die Tragweite seiner Äußerungen
bewußt und ihr Inhalt auch ge-
wollt war. Gerade die Einschränkung "dabei geht es nicht um
die Relativierung
des Ver brechens, sondern um die geschichtliche Wahrheit" zeigt,
daß es dem
Angeklagten darauf ankam, seinen Zuhör en bewußt zu
machen, daß es sich
bei der Zahl der Opfer in Auschwitz neben den "Lügen
über Katyn, Jedwabne"
um eine ( weitere) "Lüge" handelte, um die nach seiner Ansicht
"einseitig be-
triebene Kollektivschuldzuweisung" zu begründen. Zu
berücksichtigen ist in
diesem Zusammenhang zudem, daß die Ausführungen des
Angeklagten über
Katyn, Jedwabne und Auschwitz in dem Rechenschaftsbericht des
Landesvorsitzenden eines Landesverbands des Bundes der Vertriebenen
ersichtlich fehl am Platze waren, was auch Delegierte selbst
bemängelten (UA
S. 21).
- 17 -
- 18 -
Die Sache muß deshalb neu verhandelt werden.
Rissing-van
Saan
Detter
Otten
Rothfuß
Roggenbuck
|