BGH,
Urt. v. 24.1.2002 - 3 StR 402/01
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 402/01
vom
24. Januar 2002
in der Strafsache gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 24.
Januar 2002, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Prof. Dr. Tolksdorf, Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Miebach,
Pfister, Becker als beisitzende Richter, Bundesanwalt als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Rechtsanwältin als Verteidigerin,
Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des
Landgerichts Kiel vom 17. Mai 2001, soweit es den Angeklagten C.
betrifft,
a) im Schuldspruch dahin abgeändert, daß der
Angeklagte der Geiselnahme in Tateinheit mit Vergewaltigung in zwei
Fällen und mit gefährlicher Körperverletzung
schuldig ist,
b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen tateinheitlich begangener
zweifacher Vergewaltigung in Tateinheit mit Nötigung,
Freiheitsberaubung, gefährlicher Körperverletzung,
vorsätzlicher Störung von Telekommunikationsanlagen
sowie mit mehreren Vergehen gegen das Waffen- und gegen das
Sprengstoffgesetz zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren
verurteilt.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Nebenklägerin mit ihrer
auf die Sachrüge gestützten Revision, mit der sie die
Verurteilung des Angeklagten auch wegen Geiselnahme
gemäß § 239 b StGB erstrebt.
Das Rechtsmittel hat Erfolg, weil das Landgericht den Tatbestand des
§ 239 b Abs. 1 StGB zu Unrecht verneint hat.
1. Nach den Feststellungen zwang der Angeklagte die
Nebenklägerin Christa H. in der Nacht vom 4. Oktober auf den
5. Oktober 1998 mit vorgehaltener Schußwaffe zum Verlassen
der Wohnung. Anschließend verbrachte er sie, wie schon seit
Tagen vorgeplant und vorbereitet, mit Hilfe eines der beiden
Mitangeklagten in die Wohnung eines weiteren Mitangeklagten, der diese
dem Angeklagten zum Zwecke der Entführung der
Nebenklägerin zur Verfügung gestellt hatte. Die
Nebenklägerin war seit einigen Jahren die
Lebensgefährtin des Angeklagten, hatte sich aber zusammen mit
den beiden gemeinsamen Kindern von diesem nach mehrfachen heftigen,
auch körperlichen Auseinandersetzungen getrennt.
Nach der Ankunft in der Wohnung wählte der Angeklagte mit
einem Handy eine Telefonnummer an und sprach sodann einige Anweisungen
sowie die Worte: "Ihr könnt jetzt die anderen bringen". Die
inzwischen mit Handschellen gefesselte Nebenklägerin hielt es
für möglich, daß zwei mit ihr befreundete
Personen auf Veranlassung des Angeklagten an einen anderen Ort
verbracht und dort erschossen werden sollten. Mit dem -
möglicherweise fingierten - Telefonat verfolgte der Angeklagte
den Zweck, seine Macht über die Nebenklägerin zu
demonstrieren und ihr Angst zu machen. Die Nebenklägerin, die
zuvor am 3. August 1998 schon einmal vom Angeklagten mit Gewalt
entführt, gefesselt und mit einem Elektroschockgerät
verletzt worden war, fürchtete um ihr Leben, weil der
Angeklagte ihr vollends unberechenbar erschien. Sodann
veranlaßte der Angeklagte die Nebenklägerin, zwei
von ihm zuvor angefertigte Briefe vorzulesen, deren erster mit der
Anweisung endete, die Nebenklägerin solle sich ausziehen und
bäuchlings auf das Bett legen. Diese befolgte, nachdem ihre
Fesselung gelöst worden war, die Anweisung und las auch den
zweiten Brief vor, der mit der Ankündigung endete, sie
würden nunmehr mehrere Tage miteinander verbringen, es werde
mehrfach zum Geschlechtsverkehr kommen; sie solle alles tun, was der
Angeklagte wolle, denn dies sei besser für sie. Sodann fragte
der Angeklagte mehrfach mit jeweils lauter werdender Stimme, ob alles
klar sei, ob sie - die Nebenklägerin - alles machen werde, was
er wolle. Zuletzt hielt er ein mitgebrachtes Cuttermesser mit der
Klinge in die Nähe einer der Brustwarzen der
Nebenklägerin. Außerdem hielt er die Brustwarze mit
dem Maul einer Flachzange fest und kniff soweit zu, daß die
Nebenklägerin Schmerzen verspürte.
Anschließend vollzog der Angeklagte, der wußte,
daß die Nebenklägerin mit sexuellen Handlungen nicht
einverstanden war, zweimal den Geschlechtsverkehr und einmal den
Oralverkehr mit seinem Tatopfer. Vor den sexuellen Handlungen hatte der
Angeklagte der Nebenklägerin die Handschellen
gänzlich abgenommen und danach nicht wieder angelegt. Auf ihre
spätere Frage, warum er sie nicht erneut gefesselt habe,
zeigte der Angeklagte "grinsend" auf seine scharfe Selbstladepistole,
die er zusammen mit einer weiteren Schußwaffe mit in die
Wohnung gebracht und unter das Kopfkissen gelegt hatte. Die
Nebenklägerin verstand diese Geste, wie vom Angeklagten
beabsichtigt, dahin, daß er von der Waffe Gebrauch machen
werde, wenn sie versuchen sollte zu fliehen. Am folgenden Tag kam es
erneut gegen den Willen der Nebenklägerin, die unter dem
Eindruck der fortwirkenden Drohung vom Vortag davon überzeugt
war, daß sie die Wohnung nicht ohne eigene
Gefährdung verlassen konnte, zum Geschlechtsverkehr.
Schließlich wurde sie am frühen Morgen des 8.
Oktober 1998 von einem Spezialkommando der Polizei aus der
verschlossenen Wohnung befreit.
2. Das Landgericht hat dieses Verhalten des Angeklagten neben
Verstößen gegen das Waffengesetz als
Freiheitsberaubung, Nötigung, Vergewaltigung und als
gefährliche Körperverletzung gewertet. Den Tatbestand
des § 239 b StGB hat es hingegen nicht als erfüllt
angesehen. Diese Wertung erschöpft die getroffenen
Feststellungen nicht.
Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß der
Angeklagte die Nebenklägerin entführt hat. Es hat
sich aber nicht davon zu überzeugen vermocht, daß
der Angeklagte schon bei der Entführung die Absicht hatte, die
Nebenklägerin durch eines der qualifizierten
Nötigungsmittel des § 239 b StGB zu einer Duldung
oder Unterlassung zu nötigen. Ob diese Wertung frei von
Rechtsfehlern ist, kann dahinstehen, weil nach den Feststellungen die
objektiven und subjektiven Voraussetzungen des § 239 b Abs. 1
2. Alt. StGB gegeben sind.
Der Angeklagte hat nach den getroffenen Feststellungen während
der Entführung der Nebenklägerin in der Wohnung eine
Reihe von Handlungen vorgenommen, die sich rechtlich als qualifizierte
Drohungen im Sinne des § 239 b Abs. 1 StGB darstellen.
Daß der Angeklagte die Nebenklägerin durch Bedrohung
mit einer Freiheitsstrafe von über einer Woche Dauer zur
Duldung sexueller Handlungen nötigen wollte, ergibt sich aus
seiner Ankündigung anläßlich der
erzwungenen Verlesung der von ihm selbst verfaßten Briefe,
sie würden mehrere Tage miteinander verbringen und es werde
mehrfach zum Geschlechtsverkehr kommen. Dadurch, daß der
Angeklagte während der von ihm inszenierten und an die
Verlesung der Briefe anschließenden Befragung der
Nebenklägerin dieser ein Cuttermesser mit der Klinge in die
Nähe einer Brustwarze hielt, die er zudem mit dem Maul einer
Flachzange umschlossen hielt und soweit zukniff, daß die
Nebenklägerin Schmerzen verspürte, hat er mit einer
schweren Körperverletzung gedroht. Daß das
Abschneiden einer Brustwarze zu einer dauernden Entstellung im Sinne
des § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB führen kann, hat das
Landgericht selbst nicht bezweifelt. Schließlich beinhaltet
das Verhalten des Angeklagten, der auf die Frage der
Nebenklägerin, warum er sie nicht erneut fessele, unter
Grinsen auf die unter dem Kopfkissen verwahrte Schußwaffe
zeigte, eine konkludente Drohung mit dem Tod. Diese Drohungen erfolgten
während der durch die Entführung entstandenen Lage in
der Wohnung. Mit ihnen hat er die Nebenklägerin, was er auch
wollte, jeweils zur Duldung oder Vornahme der nachfolgenden sexuellen
Handlungen veranlaßt. Dies genügt für die
zweite Alternative des § 239 b Abs. 1 StGB. Die Auffassung der
Strafkammer, eine Geiselnahme komme nicht in Betracht, da "die
qualifizierte Drohung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes
(BGHSt 40, 350, 357) über die Bemächtigungssituation
hinausgehend - und insofern unabhängig von ihr - beabsichtigt
sein muß", läßt ein
Mißverständnis der zitierten Entscheidung des
Großen Senats für Strafsachen erkennen, die sich mit
ihren Ausführungen zur Notwendigkeit einer restriktiven
Auslegung der §§ 239 a, 239 b StGB in Fällen
des sogenannten "Zwei-Personen-Verhältnisses" gerade nicht auf
Entführungsfälle der hier in Rede stehenden Art
bezieht.
3. Der Senat hat, nachdem er in der Revisionshauptverhandlung das
Verfahren gemäß § 154 a Abs. 2 StPO auf die
jetzt abgeurteilten Straftaten beschränkt hat, den
Schuldspruch selbst analog § 354 Abs. 1 StPO
abgeändert. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da
der Tatvorwurf des § 239 b StGB bereits Gegenstand der
zugelassenen Anklage war.
Die Strafe muß nunmehr durch den neuen Tatrichter auf der
Grundlage des geänderten Schuldspruchs neu zugemessen werden.
Die Einziehungsanordnungen werden durch die
Schuldspruchänderung nicht berührt, da die
eingezogenen Gegenstände zur Vorbereitung oder Begehung der
abgeurteilten Taten gebraucht worden sind (§ 74 Abs. 1 und 2
StGB).
Tolksdorf Rissing-van Saan Miebach
Pfister Becker |