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BGH, Urteil vom 24. Juli 2003 - 3 StR 212/02


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 24.7.2003 - 3 StR 212/02
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 212/02
vom
24. Juli 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u. a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
10. Juli 2003, in der Sitzung am 24. Juli 2003, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Tolksdorf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Winkler,
Pfister,
Becker,
Hubert
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
- jeweils in der Verhandlung vom 10. Juli 2003 -,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revision des Angeklagten N. wird das Urteil
des Landgerichts Düsseldorf vom 16. August 2001,
soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Beschwerdeführer und den früheren Mitangeklagten
S. wegen "Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion mit Todesfolge"
in Tateinheit mit sechsfachem Mord und zweifachem Mordversuch zu
lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und ausgesprochen, daß die Schuld der
Angeklagten besonders schwer wiegt.
Nach den Feststellungen war der Beschwerdeführer Eigentümer eines in
D. gelegenen, mehrgeschossigen Hauses, in dem sich elf Mietwohnungen
befanden. Da die Mieter sich seinen Sanierungsplänen widersetzten,
wollte er sie aus dem Hause drängen. Zu diesem Zweck öffnete er zusammen
mit seinem Freund, dem früheren Mitangeklagten S. , in den Nachtstunden
des 24. Juli 1997 im Keller des Hauses die Gasleitung. Das ausströmende
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Gas führte kurze Zeit später zu einer Explosion, durch die das Haus völlig zerstört
und sechs Menschen getötet wurden; zwei weitere Bewohner überlebten
den Einsturz des Hauses mit schweren Verletzungen. Die Angeklagten wollten
an sich nur eine Verpuffung erreichen, um die Mieter zum Auszug zu veranlassen.
Es war ihnen aber klar, daß das letztlich unkontrollierte Ausströmen großer
Gasmengen zur Zerstörung des Hauses und zum Tod von Menschen führen
konnte. Dieses Risiko nahmen sie in Kauf.
Die auf Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision
des Beschwerdeführers hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Die Revision des
früheren Mitangeklagten S. , die diese Verfahrensrüge nicht erhoben hatte,
hat der Senat durch Beschluß vom 11. Februar 2003 unter Bestätigung des
Schuld- und Strafausspruchs verworfen.
A.
Zu Recht beanstandet der Beschwerdeführer, daß das Schwurgericht
bei seiner Urteilsfindung die Angaben verwertet hat, welche die geschiedene
Ehefrau des früheren Mitangeklagten S. bei einer richterlichen Vernehmung
im Ermittlungsverfahren gemacht hatte.
I. Die Revision rügt die Verwertung dieser Zeugenaussage unter drei
verschiedenen Gesichtspunkten. Sie sieht darin einen Verstoß gegen § 252
StPO, die Mißachtung eines sich aus der Verletzung der Benachrichtigungspflicht
nach § 168 c Abs. 5 Satz 1 StPO ergebenden Verwertungsverbots sowie
eine Beeinträchtigung des Rechts des Beschwerdeführers auf ein faires Ver-
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fahren gemäß Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK. Dem liegt folgender Sachverhalt
zugrunde:
Nachdem erste Untersuchungen ergeben hatten, daß die Gasexplosion
durch eine Manipulation am abgesperrten Hausanschluß ausgelöst worden
war, leitete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Herbeiführens
einer Sprengstoffexplosion gegen Unbekannt ein. Am 2. August 1997
wurden der Beschwerdeführer und S. in Haft genommen, da gegen sie
der dringende Verdacht bestand, daß sie im Frühjahr 1996 versucht hätten,
das genannte Haus durch Dritte in Brand setzen zu lassen. Am 3. August 1997
wurde ihnen bei einer polizeilichen Vernehmung eröffnet, daß ihnen nunmehr
auch zur Last gelegt werde, die Gasexplosion vom 24. Juli 1997 vorsätzlich
herbeigeführt zu haben.
Elf Tage später, am 14. August 1997, wurde dem Ermittlungsrichter eine
weibliche Person zur anonymen Vernehmung überstellt, der zuvor gemäß
Runderlaß des Justizministers und des Innenministers des Landes Nordrhein-
Westfalen Vertraulichkeit zugesichert worden war. Der Ermittlungsrichter belehrte
die Zeugin abstrakt über ihre Rechte nach den §§ 52, 55 StPO, nannte
ihr aber keinen Beschuldigten, sondern wies darauf hin, daß sich das Verfahren
gegen Unbekannt richte. Die Zeugin sagte unter anderem aus, der Beschwerdeführer
und S. hätten sich einen Tag vor der Explosion im Keller
des Hauses aufgehalten und dort "etwas gemacht". S. habe in diesem
Zusammenhang geäußert, daß er nicht wisse, ob "links und rechts nur Kellerwände
kaputtgehen oder die Nachbarhäuser mit in die Luft fliegen" würden.
Bei der ermittlungsrichterlich vernommenen Zeugin handelte es sich um
die geschiedene Ehefrau des früheren Mitangeklagten S. , Frau H. . In
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der Hauptverhandlung hat sich die Zeugin H. auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht
aus § 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO berufen. Das Schwurgericht hat deshalb den
Ermittlungsrichter als Zeugen über das Ergebnis der anonymen Vernehmung
im Ermittlungsverfahren gehört. Der Vernehmung des Ermittlungsrichters und
der Verwertung seiner Aussage haben die Verteidiger mit der Begründung widersprochen,
daß entgegen § 168 c Abs. 5 Satz 1 StPO weder der Beschwerdeführer
selbst noch sein damaliger Verteidiger von dem Vernehmungstermin
benachrichtigt worden seien.
Diesen Widerspruch hat das Schwurgericht durch Beschluß vom 8. Mai
2000 mit der Begründung zurückgewiesen, das Ermittlungsverfahren wegen
Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion habe sich zum Zeitpunkt der richterlichen
Vernehmung am 14. August 1997 noch gegen Unbekannt gerichtet, so
daß eine Benachrichtigung des Beschuldigten gemäß § 168 c Abs. 5 Satz 1
StPO nicht möglich gewesen sei. Nach der Vernehmung des Ermittlungsrichters
haben die Verteidiger der Verwertung seiner Angaben erneut widersprochen
und darauf verwiesen, daß der Angeklagte bereits am 3. August 1997 als
Beschuldigter vernommen worden war. In dem angefochtenen Urteil stützt das
Schwurgericht seine Überzeugung von der Täterschaft des Beschwerdeführers
unter anderem auf die Angaben der anonym vernommenen Zeugin gegenüber
dem Ermittlungsrichter, deren Verwertbarkeit es unter Bezugnahme auf den
Beschluß vom 8. Mai 2000 bejaht.
II. Die Verfahrensbeschwerde ist, soweit die Verletzung von § 252 StPO
beanstandet wird, bereits unzulässig, da die Revision das Protokoll der ermittlungsrichterlichen
Vernehmung nicht mitteilt. Sie wäre aber auch unbegründet,
da angesichts der in diesem Protokoll wiedergegebenen Belehrung ausge-
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schlossen werden kann, daß die Zeugin, die bei dieser Vernehmung ihren geschiedenen
Ehemann schwer belastete, sich über ihr Recht, das Zeugnis zu
verweigern, sowie über die Tragweite ihres Verhaltens nicht im Klaren war.
Die Angaben der Zeugin unterliegen jedoch einem Verwertungsverbot,
weil der Beschwerdeführer und sein damaliger Verteidiger entgegen § 168 c
Abs. 5 Satz 1 StPO vom Vernehmungstermin am 14. August 1997 nicht benachrichtigt
worden sind und aufgrund der Feststellungen des Schwurgerichts
auch nicht sicher ist, daß die Benachrichtigung wegen einer damit verbundenen
Gefährdung des Untersuchungserfolgs zu Recht unterblieben ist (§ 168 c
Abs. 5 Satz 2 StPO).
1. Eine Benachrichtigungspflicht hätte allerdings nicht bestanden, wenn
sich das Ermittlungsverfahren wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion
zum Zeitpunkt der Vernehmung noch gegen Unbekannt gerichtet hätte. Dies ist
aber entgegen der Auffassung des Schwurgerichts nicht der Fall. Der Beschwerdeführer
und S. waren bereits Beschuldigte. Ihnen war elf Tage
vorher im Verlauf einer polizeilichen Vernehmung eröffnet worden, daß sie
auch der Herbeiführung der Gasexplosion beschuldigt würden. Insofern kann
offen bleiben, ob diese Erweiterung des Tatvorwurfs - wie von der Revision
vorgetragen - auf direkte Veranlassung der Staatsanwaltschaft erfolgt ist. Denn
auch wenn die Polizei gemäß § 163 Abs. 1 StPO ohne vorherige Weisung der
Staatsanwaltschaft tätig wird, handelt sie als deren "verlängerter Arm"
(BVerwGE 47, 255, 263; Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl. § 163 Rdn. 1); trifft sie
strafprozessuale Maßnahmen mit Außenwirkung gegen eine bestimmte Person
als Beschuldigten, so hat wegen der Einheit und Unteilbarkeit des Ermittlungsverfahrens
auch die Staatsanwaltschaft den Betroffenen mit Rücksicht auf sei-
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ne Interessen als Beschuldigten zu behandeln (Wache in KK 5. Aufl. § 163
Rdn. 2).
Im übrigen hätten der Beschwerdeführer und S. spätestens durch
den Antrag auf richterliche Vernehmung der Zeugin H. hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen
Straftat den Status von Beschuldigten erlangt. Ein
Verdächtiger wird zum Beschuldigten, wenn die Strafverfolgungsbehörde faktische
Maßnahmen ergreift, die erkennbar darauf abzielen, gegen ihn wegen
einer Straftat vorzugehen (vgl. BGHR StPO § 55 Abs. 1 Verfolgung 3 m. w. N.).
Aufgrund der vorangegangenen polizeilichen Vernehmung der Zeugin H.
war bereits bekannt, daß deren Angaben den Beschwerdeführer und S.
erheblich belasteten. Die von der Strafverfolgungsbehörde erwirkte richterliche
Vernehmung konnte deshalb nur den Zweck haben, einen Beweis gegen diese
beiden Personen zu sichern.
2. Für die danach im Grundsatz gegebene Benachrichtigungspflicht ist
ohne belang, ob der Ermittlungsrichter der irrigen Auffassung war, das Verfahren
richte sich noch nicht gegen einen bestimmten Beschuldigten.
§ 168 c Abs. 5 Satz 1 StPO soll verhindern, daß im Ermittlungsverfahren
unter Verletzung des Anspruchs des Beschuldigten auf rechtliches Gehör
(Art. 103 Abs. 1 GG) ein für den weiteren Verlauf des Strafverfahrens möglicherweise
entscheidendes Beweisergebnis herbeigeführt werden kann, ohne
daß der Beschuldigte und sein Verteidiger Gelegenheit hatten, hierauf Einfluß
zu nehmen (BGHSt 26, 332, 335). Für den Rechtsverstoß macht es keinen
Unterschied, ob die erforderliche Benachrichtigung absichtlich, versehentlich
oder unter Verkennung der gesetzlichen Voraussetzungen unterblieben ist
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(Wache in KK 5. Aufl. § 168 c Rdn. 22; Rieß in Löwe/Rosenberg, StPO
24. Aufl. § 168 c Rdn. 49).
Die Verantwortung für das Ermittlungsverfahren trägt die Staatsanwaltschaft;
sie hat darauf zu achten und sicherzustellen, daß die Ermittlungen
rechtlich einwandfrei geführt werden (BGHSt 34, 215, 217; Wache in KK
5. Aufl. § 163 Rdn. 2; Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl. § 163 Rdn. 3). Bei der Beantragung
der richterlichen Zeugenvernehmung nach § 162 StPO muß die
Staatsanwaltschaft deshalb dafür Sorge tragen, daß dem Ermittlungsrichter die
Person des Beschuldigten rechtzeitig mitgeteilt wird. Andernfalls wäre die Erfüllung
der Benachrichtigungspflicht weitgehend in das Belieben der Ermittlungsbehörden
gestellt.
3. Die Benachrichtigung des Beschwerdeführers und seines Verteidigers
hätte deshalb nur unterbleiben dürfen, wenn sie den Untersuchungserfolg gefährdet
hätte (§ 168 c Abs. 5 Satz 2 StPO).
a) Der Untersuchungserfolg besteht in der Gewinnung einer wahrheitsgemäßen
Aussage, die in einem späteren Verfahrensabschnitt verwertet werden
kann (BGHSt 29, 1, 3). Eine Gefährdung dieses Erfolgs liegt insbesondere
vor, wenn infolge der mit der Benachrichtigung verbundenen zeitlichen Verzögerung
der Verlust des Beweismittels droht. Sie ist aber auch dann gegeben,
wenn die auf zureichende tatsächliche Anhaltspunkte gestützte Besorgnis besteht,
der Anwesenheitsberechtigte werde die Benachrichtigung zur Vornahme
von Verdunkelungsmaßnahmen ausnutzen, etwa den Zeugen mit Nachdruck
zu einer Falschaussage anhalten (BGHSt 29, 1, 3; 32, 115, 129; Wache in KK
5. Aufl. § 168 c Rdn. 17; aA Rieß in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 168 c
- 10 -
Rdn. 44; Welp JZ 1980, 134). Wann diese Besorgnis begründet ist, entzieht
sich allgemein gehaltenen Aussagen und kann nur unter Berücksichtigung der
Umstände des Einzelfalls beurteilt werden.
b) Diese Beurteilung obliegt zunächst dem vernehmenden Ermittlungsrichter
(BGHSt 29, 1, 3; 31, 140, 142 f.; BGH NStZ 1999, 417), dem dabei wegen
des Prognosecharakters seiner Entscheidung ein gewisser Beurteilungsspielraum
zuzubilligen ist. Seine Entschließung und die sie tragenden Gründe
hat er aktenkundig zu machen (BGHSt 31, 140, 142), um dem erkennenden
Gericht, das über die Verwertbarkeit des gewonnenen Beweisergebnisses zu
entscheiden hat, die Nachprüfung zu ermöglichen, ob er den ihm zustehenden
Beurteilungsspielraum eingehalten hat. Daran fehlt es hier.
c) Fehlt eine Entscheidung des Ermittlungsrichters oder ist sie nicht mit
einer Begründung versehen, so folgt daraus nicht ohne weiteres ein Verwertungsverbot.
Ein solches besteht nur dann, wenn die Benachrichtigung objektiv
zu Unrecht unterblieben ist (Rieß in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 168 c
Rdn. 49). Das erkennende Gericht hat deshalb in eigener Verantwortung unter
Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu prüfen, ob die Benachrichtigung
unterbleiben durfte, wenn es das Ergebnis der Vernehmung bei seiner Entscheidungsfindung
berücksichtigen will (BGHSt 29, 1, 3; BGH NStZ 1990, 136;
1999, 417). Abzustellen ist dabei auf den Zeitpunkt der richterlichen Vernehmung;
spätere Umstände, die der Ermittlungsrichter noch nicht kennen konnte,
dürfen nicht berücksichtigt werden (Rieß aaO; Fezer JZ 1983, 355, 356).
Hat das erkennende Gericht eine Gefährdung des Untersuchungserfolgs
bejaht, so ist das Revisionsgericht seinerseits auf die Prüfung beschränkt, ob
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dabei Rechtsfehler, insbesondere eine Überschreitung des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums,
erkennbar sind (vgl. BGHSt 29, 1, 3). Dementsprechend
würde die Verwertung der Angaben der Zeugin H. keinen Bedenken begegnen,
wenn sich das Schwurgericht aufgrund eigener Prüfung rechtsfehlerfrei
davon überzeugt hätte, daß mit der Benachrichtigung der Anwesenheitsberechtigten
eine Gefährdung des Untersuchungserfolgs verbunden gewesen
wäre. Diese Prüfung hat das Schwurgericht allerdings nicht vorgenommen, weil
es die unzutreffende Ansicht vertreten hat, das Ermittlungsverfahren habe sich
zum Zeitpunkt der richterlichen Vernehmung noch gegen Unbekannt gerichtet.
d) Das Revisionsgericht kann grundsätzlich die vom Tatrichter unterlassene
Prüfung nicht dadurch nachholen, daß es eine eigene Würdigung der
zum Zeitpunkt der ermittlungsrichterlichen Vernehmung vorliegenden tatsächlichen
Umstände vornimmt; denn diese Beurteilung liegt weitgehend auf tatsächlichem
Gebiet (BGHSt 31, 140, 143; Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl.
§ 168 c Rdn. 9; aA Fezer JZ 1983, 355, 356). Eine Ausnahme von diesem
Grundsatz kommt nur dann in Betracht, wenn das erkennende Gericht alle für
die Beurteilung maßgeblichen tatsächlichen Umstände festgestellt hat und sich
daraus ergibt, daß eine andere Entscheidung des Ermittlungsrichters als diejenige,
von der Benachrichtigung abzusehen, nicht vertretbar gewesen wäre (vgl.
BGHSt 42, 86, 91 ff.). Das ist hier nicht der Fall.
Allein das Zeugnisverweigerungsrecht der Zeugin H. und die Möglichkeit
seiner Geltendmachung hätten das Absehen von der Benachrichtigung
des Beschwerdeführers und seines Verteidigers nicht rechtfertigen können.
Zwar wird vertreten, daß von der Benachrichtigung des Beschuldigten abgesehen
werden darf, wenn begründete tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen,
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daß ein Zeuge nur deshalb von seinem Weigerungsrecht Gebrauch machen
werde, weil er andernfalls Repressalien seitens des Beschuldigten ausgesetzt
wäre (vgl. BayObLG NJW 1978, 232; offengelassen in BGHSt 29, 1, 3). Abgesehen
davon, daß das Landgericht hierzu keine Feststellungen getroffen hat,
ließe sich mit Gründen, die in der Person des Beschuldigten liegen, jedenfalls
ein Absehen von der Benachrichtigung des Verteidigers nicht rechtfertigen (vgl.
BGHSt 29, 1, 4).
Ebensowenig kann der Senat mit Blick auf die der Zeugin H. gewährte
Vertraulichkeitszusage mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, daß
die Benachrichtigung der Anwesenheitsberechtigten zu unterbleiben hatte. Allerdings
mag es in den Fällen, in denen die Strafverfolgungsbehörden eine
Vertraulichkeitszusage deswegen ausgesprochen haben, weil der Zeuge bei
Bekanntwerden seiner Person erheblich gefährdet wäre (vgl. Gemeinsame
Richtlinien der Justiz- und Innenminister der Länder, Anlage D zur RiStBV, I.
Nr. 3.3), naheliegen, daß auch die Voraussetzungen des § 168 c Abs. 5 Satz 2
StPO bejaht werden können. Dies entbindet den Ermittlungsrichter indes nicht
von seiner Verpflichtung zu einer eigenständigen Prüfung. Er hat sich in eigener
Verantwortung davon zu überzeugen, daß die der Vertraulichkeitszusage
zugrundeliegenden tatsächlichen Umstände auch eine Gefährdung des Untersuchungserfolgs
im Sinne von § 168 c Abs. 5 Satz 2 StPO begründen und damit
ein Absehen von der Benachrichtigung rechtfertigen. Dabei können zwar im
Einzelfall legitime - in den Gründen für die Vertraulichkeitszusage angelegte -
Interessen einer vollständigen gerichtlichen Sachprüfung entgegenstehen; jedenfalls
eine Prüfung der behördlichen Entscheidung auf ihre Plausibilität muß
dem Gericht aber ermöglicht werden, wie es für die vergleichbaren Fälle, daß
die zuständige Dienstbehörde die Erteilung einer Aussagegenehmigung oder
- 13 -
die Bekanntgabe der Personalien eines Zeugen verweigert, bereits anerkannt
ist (vgl. BVerfGE 57, 250, 288; BGHSt 29, 109, 112; 32, 114, 125 ff.).
Hier kann der Senat nicht feststellen, daß die Plausibilitätsprüfung zu
einem Absehen von der Benachrichtigung des Beschwerdeführers und seines
Verteidigers hätte führen müssen; denn weder der Ermittlungsrichter noch das
Schwurgericht haben dargelegt, aus welchen Gründen der Zeugin H. Vertraulichkeit
zugesichert worden war.
e) Die einem Zeugen von den Strafverfolgungsbehörden gegebene
Vertraulichkeitszusage wird durch das Erfordernis einer - zumindest eingeschränkten
- Offenlegung der dafür maßgeblichen tatsächlichen Umstände gegenüber
dem Ermittlungsrichter nicht entwertet. Eine solche Offenlegung ist
nämlich nur geboten, wenn die Strafverfolgungsbehörden die richterliche Vernehmung
dieses Zeugen für erforderlich halten und sie deshalb veranlassen.
Dann aber hat der Ermittlungsrichter nicht vorrangig die Vertraulichkeitszusage,
sondern die Strafprozeßordnung, insbesondere § 168 c Abs. 5 StPO und §
68 Abs. 3 StPO zu beachten. Die Benachrichtigung des Beschuldigten und seines
Verteidigers vom Termin einer richterlichen Zeugenvernehmung kann auch
bei der Vernehmung eines Zeugen, dem von den Strafverfolgungsbehörden
Vertraulichkeit zugesichert worden war, nur unter der Voraussetzung des § 168
c Abs. 5 Satz 2 StPO unterbleiben. Diese zwingende Vorschrift kann auch nicht
dadurch umgangen werden, daß das Verfahren, in dem die anonyme Vernehmung
erfolgt, "gegen Unbekannt" geführt wird.
4. Auf der rechtsfehlerhaften Verwertung der Angaben der Zeugin H.
beruht das Urteil, weil das Schwurgericht seine Überzeugung von der Täter-
14 -
schaft des Beschwerdeführers unter anderem auf die Angaben der anonym
vernommenen Zeugin stützt. Nachdem die Zeugin H. sich in der Hauptverhandlung
auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen hatte, wäre das Schwurgericht
auch daran gehindert gewesen, die fehlerhafte richterliche Vernehmung
vom 14. August 1997 wie eine nichtrichterliche Vernehmung zu behandeln, bei
der kein Anwesenheitsrecht des Beschuldigten und seines Verteidigers bestanden
hätte.
- 15 -
B.
I. Auf die Rüge des Beschwerdeführers, er sei auch unabhängig von der
Verletzung der Benachrichtigungspflicht aus § 168 c Abs. 5 Satz 1 StPO in seinem
Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK verletzt,
weil er und seine Verteidiger der Zeugin H. in keinem Verfahrensstadium
Fragen stellen konnten, kommt es nicht mehr an. Nur ergänzend weist der
Senat darauf hin, daß unter diesem Gesichtspunkt das Verfahren nicht zu beanstanden
ist; denn die Aussage dieser Zeugin stellt nicht das einzige Beweismittel
dar, auf das sich das Schwurgericht bei seiner Entscheidung gestützt
hat (vgl. EGMR EuGRZ 1992, 474, 475 - Asch gegen Österreich; BGHSt
46, 93, 95 ff. m. w. N.).
II. Für das neue Verfahren, in dem die Zeugin H. nach dem rechtskräftigen
Abschluß des Verfahrens gegen den früheren Mitangeklagten S.
kein Zeugnisverweigerungsrecht mehr haben wird (vgl. BGHSt 38, 96), geben
materiellrechtliche Fehler des angefochtenen Urteils dem Senat Anlaß, auf seinen
Beschluß vom 11. Februar 2003 in dem Revisionsverfahren gegen den
früheren Mitangeklagten hinzuweisen.
Tolksdorf Winkler Pfister
Becker Hubert
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
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___________________
StPO §§ 163 a, 168 c Abs. 5
1. Zur Begründung der Beschuldigteneigenschaft.
2. Die Benachrichtigung des Beschuldigten und seines Verteidigers vom
Termin einer richterlichen Zeugenvernehmung kann auch bei der Vernehmung
eines Zeugen, dem von den Strafverfolgungsbehörden Vertraulichkeit
zugesichert worden war, nur unter der Voraussetzung des § 168 c
Abs. 5 Satz 2 StPO unterbleiben.
BGH, Urteil vom 24. Juli 2003 - 3 StR 212/02 - LG Düsseldorf



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