BGH,
Urt. v. 25.6.2008 - 5 StR 109/07
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
StGB § 356
Mehrere Tatbeteiligte derselben Straftat können Parteien im
Sinne des § 356 StGB sein.
BGH, Urteil vom 25. Juni 2008 - 5 StR 109/07
LG Potsdam -
5 StR 109/07
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 25. Juni 2008
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Parteiverrats u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der
Hauptverhandlung vom 24. und 25. Juni 2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richter Prof. Dr. Jäger,
Richterin Dr. Schneider
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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am 25. Juni 2008 für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Potsdam vom 15. September 2006 mit den Feststellungen
aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des schweren
Parteiverrats (in Tateinheit mit einer Verletzung der Vertraulichkeit
des Wortes) sowie vom Vorwurf einer tatmehrheitlich begangenen
versuchten Nötigung freigesprochen.
Die Staatsanwaltschaft hat zu Ungunsten des Angeklagten Revision
eingelegt. Sie beanstandet mit der Sachbeschwerde, dass der Angeklagte
nicht wegen Parteiverrats gemäß § 356 Abs.
1, Abs. 2 StGB und wegen versuchter Nötigung verurteilt worden
ist. Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat
Erfolg.
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I.
Dem Urteil des Landgerichts liegen folgende Feststellungen zugrunde:
3
Der Angeklagte, ein Rechtsanwalt, übernahm am 5. März
2001 in einem Strafverfahren wegen versuchten Mordes zum Nachteil der
O. die Verteidigung der damaligen Angeklagten P. . Mit Schreiben vom 6.
März 2001 bat der Angeklagte die vormalige Verteidigerin der
P. um die Übersendung von das Verfahren betreffenden
Unterlagen, unter anderem Tonbandkassetten mit mitgeschnittenen
Telefonaten und Fotos. Das Mandat wurde am 10. März 2001 durch
den von P. bevollmächtigten Po. gekündigt. Am 14.
März 2001 suchte der Angeklagte P. in der
Untersuchungshaftanstalt auf, um das Mandatsverhältnis zu
klären. Beide kamen überein, dass das
Mandatsverhältnis weiter bestehen solle, sofern Po. damit
einverstanden sei. Am 19. März 2001 erhielt der Angeklagte von
der vormaligen Verteidigerin die erbetenen Unterlagen. Die
Mikrokassetten enthielten Mitschnitte von Telefonaten zwischen P. und
ihrem Opfer, die nach der Tat von P. aufgezeichnet worden wa-ren und
ebenso wie die Fotos das unverändert gute Verhältnis
zwischen beiden Frauen belegen sollten. Am 22. März 2001
forderte Po. den Angeklagten auf, die Entziehung des Mandats zu
akzeptieren. Der neue Verteidiger der P. bat den Angeklagten nunmehr
unter anderem um Übersendung der Mikrokassetten und Fotos.
Daraufhin erteilte der Angeklagte P. eine Kostenrechnung über
1.479 DM. Auf den Einwand des Po. , dass die angesetzten Kosten
für den Besuch in der Untersuchungshaftanstalt am 14.
März 2001 nicht erstattungsfähig seien,
erklärte der Angeklagte, er werde sein
Zurückbehaltungsrecht ausüben und die noch in seinem
Besitz befindlichen Unterlagen erst nach vollständiger
Bezahlung seiner Rechnung herausgeben. Am 11. Oktober 2002 schlossen
der Angeklagte und P. einen gerichtlichen Vergleich, in welchem sich P.
zur Zahlung des Rechnungsbetrages verpflichtete. Eine Herausgabe
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- 5 -
der einbehaltenen Unterlagen wurde von ihr bis zu diesem Zeitpunkt
nicht begehrt.
Am 25. Juli 2001 erhielt Po. eine Zeugenladung zum
Hauptverhandlungstermin am 23. Oktober 2001 im Verfahren gegen P. .
Nach einem Besprechungstermin riet der Angeklagte im August 2001 Po. ,
nicht ohne Zeugenbeistand zu erscheinen, brachte zum Ausdruck, dass er
sich auf ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55
StPO berufen könne, und schlug Rechtsanwalt B. als
Zeugenbeistand vor. Diesem teilte der Angeklagte unter anderem mit,
dass er selbst die Übernahme des Mandats als Zeugenbeistand
abgelehnt habe, da seiner Tätigkeit „sowohl rein
optische sowie auch juristische Aspekte“
entgegenstünden. Im Hauptverhandlungstermin am 23. Oktober
2001 legte P. nach einem Gespräch mit ihrem neuen Verteidiger
ein Geständnis ab. Dabei beschuldigte sie Po. , sie zu ihrer
Tat angestiftet zu haben. Dieser wurde unmittelbar danach wegen des
Verdachts der Anstiftung zum Mord vorläufig festgenommen. Am
selben Tag beauftragte Po. den Angeklagten mit seiner Verteidigung in
dieser Sache. Am folgenden Tag erreichte der Angeklagte zusammen mit
Rechtsanwalt B. , dass der Antrag auf Erlass eines Haftbefehls gegen
Po. abgelehnt wurde und dieser wieder aus der Haft entlassen wurde. Mit
Schreiben vom 30. Oktober 2001 wandte sich der Angeklagte an die
Staatsanwaltschaft und trat der Aussage der P. entgegen. Er zog ihre
Glaubwürdigkeit in Zweifel und legte dar, dass sie
über großes schauspielerisches Talent
verfüge und sich stets der Lüge bediene. Noch am
selben Tag entwarf er einen Brief, den Po. - zusammen mit einer Kopie
des Schriftsatzes an die Staatsanwaltschaft - an den Vorsitzenden des
Schwurgerichts sandte. Der Brief erreichte das Landgericht am 5.
November 2001, dem Tag der Urteilsverkündung gegen P. , wurde
aber nicht zum Gegenstand der dortigen Verhandlung. Frau P. wurde
aufgrund ihres Geständnisses wegen versuchten Mordes zu einer
Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Am 11.
Januar 2006 legte der Angeklagte das Mandat für
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Po. nieder, weil die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Erteilung
eines vorläufigen Berufsverbots angekündigt hatte und
der Angeklagte eine weitere Störung seines Kanzleibetriebes
vermeiden wollte.
Das Landgericht hat den objektiven Tatbestand sowohl des Parteiverrats
als auch der versuchten Nötigung verneint.
6
II.
Der Freispruch vom Vorwurf des Parteiverrats hält der
revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
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Das festgestellte Handeln des Angeklagten verwirklicht alle
äußeren Tatbestandsmerkmale des § 356 Abs.
1 StGB. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt,
wenn ein Rechtsanwalt bei den ihm in dieser Eigenschaft anvertrauten
Angelegenheiten in derselben Rechtssache beiden Parteien durch Rat oder
Beistand pflichtwidrig dient.
1. Der Angeklagte ist in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt sowohl von
P. als auch von Po. mit der Verteidigung in den gegen sie gerichteten
Strafverfahren beauftragt worden. Damit haben beide Zeugen jeweils ihre
Angelegenheiten dem Angeklagten anvertraut. Hierfür ist es
ausreichend, dass der Mandant dem Anwalt den fraglichen Sachverhalt
mitteilt und damit bezweckt, dass der Rechtsanwalt seine Interessen in
dieser Sache wahrnimmt (vgl. RGSt 49, 342, 343; BGHSt 18, 192, 193;
Cramer/Heine in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl.
§ 356 Rdn. 8; Fischer, StGB 55. Aufl. § 356 Rdn. 3a).
Eine ins Einzelne gehende Feststellung bestimmter anvertrauter
Umstände erfordert das Tatbestandsmerkmal der anvertrauten
Angelegenheiten nicht.
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2. Die anvertrauten Angelegenheiten betrafen auch dieselbe Rechtssache.
In dieser waren die Mandanten des Angeklagten Parteien.
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a) Rechtssache kann jede rechtliche Angelegenheit sein, die zwischen
mehreren Beteiligten mit jedenfalls möglicherweise
entgegenstehenden rechtlichen Interessen nach
Rechtsgrundsätzen behandelt und erledigt werden soll (vgl.
RGSt 62, 289, 291; BGHSt 5, 301, 304; 18, 192; Fischer aaO Rdn. 5
m.w.N.). Auch Strafsachen gehören zu den unter § 356
StGB fallenden Rechtssachen, wenn an ihnen mehrere Personen mit
widerstreitenden Interessen rechtlich beteiligt sind (RGSt 49, 342,
344; BGHSt 5, 284, 285; 301, 304). Diese Personen sind dann Parteien im
Sinne des § 356 StGB. Ein engeres Verständnis vom
Begriff der Partei verlangt Art. 103 Abs. 2 GG nicht.
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Demgemäß hat die Rechtsprechung als Parteien
derselben Rechtssache in einem Strafverfahren unter anderem anerkannt
den Angeklagten und den durch seine Tat Verletzten (RGSt 49, 342, 344;
BGHSt 3, 400, 403; 5, 284, 285) sowie den Beschuldigten und den ihn
belastenden Zeugen (BGHSt 5, 301, 304).
12
13
b) Das Landgericht hat die Rechtsfrage, ob auch mehrere Tatbeteiligte
derselben Strafsache Parteien im Sinne des § 356 StGB sind,
verneint. Es ist damit einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs
gefolgt.
Nach reichsgerichtlicher Rechtsprechung sind unter den
„beiden Parteien“ nur Personen zu verstehen, die an
derselben Rechtssache mit widerstreitenden Interessen rechtlicher Art
beteiligt sind. Dass eine Person an einem bestimmten Verlauf einer
Rechtssache ein rein tatsächliches Interesse hat, macht sie
nicht zur „Partei“ (RGSt 66, 316, 320, 323). Hieran
anschlie-ßend hat der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in
seiner Entscheidung vom 16. Dezember 1952 (2 StR 198/51, zitiert bei
Kalsbach AnwBl 1954, 189 - insoweit in BGHSt 3, 400 nicht abgedruckt)
entschieden, dass zwischen den Teilnehmern an derselben strafbaren
Handlung keine vom Recht geschützten Beziehungen bestehen, die
Gegenstand eines rechtlichen Verfahrens unter ihnen als
„Parteien“ sein können. Das rein
tatsächliche Interesse,
14
- 8 -
das der Anstifter in der Regel daran haben wird, dass in dem
Strafverfahren gegen den Haupttäter die eigene Beteiligung als
Anstifter nicht aufgedeckt wird, mache ihn nicht zur
„Partei“.
c) Der Senat gibt diesen Rechtsstandpunkt auf. Beschuldigte in einer
Strafsache, gegen die jeweils der Verdacht besteht, gemeinsam mit dem
anderen Beschuldigten als Mittäter, Anstifter oder Gehilfe
Teilnehmer derselben Straftat gewesen zu sein, können Parteien
im Sinne des § 356 StGB sein.
15
aa) Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1952 hat im
Schrifttum teilweise Zustimmung gefunden (vgl. z. B. Fischer, StGB 55.
Aufl. § 356 Rdn. 6; Cramer/Heine in
Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 356 Rdn.
13; Rudolphi/Rogall in SK-StGB 7. Aufl. [Stand: September 2003]
§ 356 Rdn. 23). Sie ist aber auch auf Kritik
gestoßen (z. B. O. Geppert NJW 1958, 1959; Schmitt JZ 1962,
40; K. Geppert NStZ 1990, 542, 543.; eingehend Gillmeister in LK 11.
Aufl. § 356 Rdn. 42 m.w.N.; Dahs in Münch-Komm StGB
§ 356 Rdn. 41; Lackner/Kühl, StGB 25. Aufl.
§ 356 Rdn. 5; Kuhlen in NK-StGB 2. Aufl. § 356 Rdn.
26; Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht Besonderer Teil TB 2, 9.
Aufl. § 78 Rdn. 9).
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Bereits im Jahr 1982 hat sich der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs
(NStZ 1982, 465) zurückhaltender geäußert
und die Möglichkeit einer Änderung dieser
Rechtsprechung angedeutet, auf die es für seine damalige
Entscheidung nicht ankam. Auch die Oberlandesgerichte Oldenburg (NStZ
1989, 533) und Stuttgart (NStZ 1990, 542 m. zust. Anm. K. Geppert)
sowie das Kammergericht (Beschluss vom 15. Februar 1999 - 1 Ss 275/98)
haben Mitbeschuldigte derselben Straftat untereinander als
„Parteien“ angesehen.
17
bb) Zwischen mehreren Mitbeschuldigten kann ein Interessenwiderstreit
rechtlicher Natur bestehen, über den sie im Strafverfahren
auch als Partei im Sinne des § 356 StGB streiten
können. Die Annahme, das Interes-
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se des Anstifters oder Gehilfen daran, dass in dem Strafverfahren gegen
den Haupttäter seine - des Anstifters oder Gehilfen -
Beteiligung nicht aufgedeckt werde, sei ein rein tatsächliches
Interesse und deshalb könnten sie keine Parteien sein,
überzeugt nicht. Zwar ist die Frage, ob jemand an der zu
untersuchenden Tat beteiligt war, primär eine solche der
Tatsachenfeststellung. Daran knüpfen sich jedoch unmittelbar
strafrechtliche und sonstige rechtliche Konsequenzen für die
Beteiligten (Dahs NStZ 1991, 561, 563). Die Fallgestaltungen, in denen
der eine Mitbeschuldigte seinen Tatbeitrag an derselben Strafsache zu
Lasten des anderen geringer als dessen Beitrag erscheinen lassen will,
sind vielfältig (vgl. Kretschmer, Der strafrechtliche
Parteiverrat - § 356 StGB -, 2005, S. 207). In Betracht kommen
gegenseitige Beschuldigungen ebenso wie die Minderungen des eigenen
Tatanteils auf Kosten des anderen (vgl. OLG Stuttgart NStZ 1990, 542;
K. Geppert NStZ 1990, 542, 544; Hübner in LK 10. Aufl.
§ 356 Rdn. 59). So ist ein Interessenwiderstreit anzunehmen,
wenn der andere Tatbeteiligte an Art und Höhe der Bestrafung
des Haupttäters interessiert ist, etwa weil er selbst seinen
Tatbeitrag nicht als Mittäter, sondern als Gehilfe mit der
Strafrahmenmilderung nach § 27 Abs. 2 Satz 1 StGB erscheinen
lassen will (vgl. Kretschmer aaO S. 207; Hübner aaO). Gleiches
gilt, wenn - wie hier - ein Täter zur Darlegung seiner
geringeren individuellen Schuld behauptet, von einem anderen
Beschuldigten zur Tat angestiftet worden zu sein, was dieser bestreitet.
cc) Diese Lösung steht auch im Einklang mit § 146
StPO. Durch das Gesetz zur Ergänzung des Ersten Gesetzes zur
Reform des Strafverfahrensrechts vom 20. Dezember 1974 wurde in
§ 146 StPO geregelt, dass die Verteidigung mehrerer
Beschuldigter durch einen gemeinschaftlichen Verteidiger
unzulässig ist. Hierdurch sollte jegliche mögliche
Interessenkollision, wie sie stets naheliegt, von vornherein vermieden
werden (vgl. hierzu Laufhütte in KK 5. Aufl. § 146
Rdn. 1). Allerdings sieht diese Vorschrift (i.V.m. § 146a
StPO) seit der Änderung durch das StVÄG 1987 nur noch
die Zurückweisung eines Verteidigers vor, der gleichzeitig
mehrere derselben Tat Beschuldigte verteidigt; damit ist die verbotene
gemeinschaftliche Verteidigung auf die
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- 10 -
gleichzeitige Verteidigung reduziert worden und das Verbot der
sukzessiven Mehrfachverteidigung entfallen (vgl. Laufhütte
aaO; Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl. § 146 Rdn. 18).
Bei einer solchen Verteidigung wird eine so hohe abstrakte Gefahr, dass
ein generelles Verbot angezeigt wäre, nicht mehr gesehen.
Jedoch verbietet § 43a Abs. 4 BRAO dem Rechtsanwalt die
Übernahme von Mandaten mit konkreten Interessenkollisionen. Er
steht in der berufsrechtlichen Verantwortung, einen solchen
Interessenwiderstreit zu vermeiden. Nach alledem sind seit der
Neufassung des § 146 StPO rechtliche Beziehungen zwischen
Beschuldigten generell anerkannt, die für dieselbe Tat als
Täter bzw. Teilnehmer in Betracht kommen und zueinander in
einer Kollision ihrer Verteidigungsinteressen stehen.
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d) Bei dem Verfahren gegen P. wegen versuchten Mordes und dem
späteren Verfahren gegen Po. wegen Anstiftung hierzu handelt
es sich um dieselbe Rechtssache. Eine solche ist nicht nur gegeben,
wenn es sich um ein und dasselbe Verfahren handelt; sie liegt vielmehr
auch vor, wenn in Verfahren verschiedener Art und verschiedener
Zielrichtung ein und derselbe Sachverhalt maßgeblicher
Verfahrensgegenstand ist (vgl. RGSt 60, 298, 300; BGHSt 5, 301, 304;
18, 192; Fischer, StGB 55. Aufl. § 356 Rdn. 5). Den
Vergleichsmaßstab hat das dem Rechtsanwalt unterbreitete
Lebensverhältnis in seinem gesamten Tatsachen- und materiellen
Rechtsgehalt zu bilden (vgl. Rudolphi/Rogall in SK-StGB 7. Aufl.
[Stand: September 2003] § 356 Rdn. 19). In diesem Sinne
besteht eine Identität des Sachverhalts.
3. Ein Rechtsanwalt dient dann pflichtwidrig, wenn er einer Partei Rat
und Beistand leistet, nachdem er einer anderen Partei in derselben
Sache bereits Rat und Beistand geleistet hat (vgl. BGHSt 5, 284, 286;
7, 17, 20; 12, 96, 98; 15, 332, 334; 34, 190, 192; BVerfG - Kammer -
NJW 2001, 3180 f.). Der Angeklagte hat pflichtwidrig gehandelt, denn
die Interessen der P. , die er im Rahmen des
Verteidigungsverhältnisses wahrzunehmen gehabt hatte, und die
Interessen des Po. waren eklatant und ganz offen-
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- 11 -
sichtlich entgegengesetzt. Als der Angeklagte die Verteidigung von Po.
mit dem Ziel übernahm, P. der
„Alleintäterschaft zu bezichtigen“, um den
Vorwurf der Tatbeteiligung zu entkräften, hatte er bereits
zuvor P. mit der Intention, sie zu entlasten, mithin im
gegenläufigen Interesse, beraten. Hier manifestiert sich die
Pflichtwidrigkeit des Verhaltens des Angeklagten in besonderer Weise in
dem von ihm an die Staatsanwaltschaft Dresden gerichteten Brief, in dem
er die Glaubwürdigkeit seiner früheren Mandantin P.
vor Abschluss des gegen sie gerichteten Strafverfahrens in Zweifel zog
und zugunsten seines neuen Mandanten Po. darstellte, dass
„die Zeugin über ein großes
schauspielerisches Talent verfüge und sich stets der
Lüge bediene“ (UA S. 16).
22
4. Ob der Angeklagte, wie die Revision vorträgt, einem
unvermeidba-ren Verbotsirrtum erlegen ist, bedarf bei der neuen
Verhandlung der Prüfung. Die Strafkammer ist im Rahmen der
Feststellungen hierauf nicht eingegangen. Ein Verbotsirrtum im Sinne
des § 17 StGB kommt nur in Betracht, wenn dem Täter
die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun. Nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs braucht der Täter die
Strafbarkeit seines Vorgehens nicht zu kennen; es genügt, dass
er wusste oder hätte erkennen können, Unrecht zu tun
(BGHSt 15, 377, 383; BGH NStZ 1996, 236, 237; wistra 1986, 218; BGH,
Beschluss vom 2. April 2008 - 5 StR 354/07, zur
Veröffentlichung in BGHSt bestimmt).
Der Unrechtsgehalt wird hier naheliegend bereits durch den
Verstoß gegen das in § 43a Abs. 4 BRAO normierte
Verbot vermittelt, keine widerstreitenden Interessen zu vertreten (K.
Geppert NStZ 1990, 542, 544 f.). Allerdings geht die anwaltliche
Berufspflicht über die Strafbestimmung des § 356 StGB
hinaus (Feuerich/Weyland, BRAO 7. Aufl. § 43a Rdn. 54 unter
Hinweis auf BT-Drucks 12/4993 S. 27). Deshalb mag es Fälle
geben, in denen das Bewusstsein, gegen berufliches Standesrecht zu
verstoßen, einen Verbotsirrtum nicht ausschließt.
Freilich liegt hier - abgesehen von der Offensichtlichkeit des
Interessenwiderstreits - angesichts der festgestellten
23
- 12 -
Äußerung gegenüber seinem Kollegen vor
dessen Übernahme der Zeugenbeistandschaft ein Verbotsirrtum
fern.
III.
Der Freispruch vom Vorwurf der versuchten Nötigung wird von
den Feststellungen des angefochtenen Urteils ebenfalls nicht getragen.
24
1. Nach Auffassung des Tatrichters war der Angeklagte aufgrund eines
Zurückbehaltungsrechts nach § 273 BGB berechtigt, die
Herausgabe von Mikrokassetten und Fotos an seine frühere
Mandantin P. bis zur Begleichung seiner Honorarforderung zu verweigern.
Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
25
26
a) Das Urteil stellt darauf ab, dass dem Angeklagten „in
Ansehung der offenen Forderung“ ein
Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB zugestanden
habe. Weil von der geltend gemachten Forderung in Höhe von
1.479 DM die erst nach Beendigung des Mandats entstandenen Aufwendungen
für den Besprechungstermin vom 14. März 2001
abzusetzen seien, habe sich die Honorarforderung auf mindestens 1.281
DM belaufen. Dabei ist von der Strafkammer nicht bedacht worden, dass
der Angeklagte mit Telefax vom 7. April 2001 die Herausgabe der
Unterlagen nicht von Zahlung des reduzierten Rechnungsbetrages, sondern
von Zahlung des Gesamtbetrages abhängig gemacht hat. Der
Angeklagte war aber nicht berechtigt, ein
Zurückbehaltungsrecht für eine
überhöhte Forderung geltend zu machen. Eine
Versuchsstrafbarkeit - gegebenenfalls konsequent sogar wegen versuchter
Erpressung - wäre deshalb bereits aus diesem Grunde zu
erörtern gewesen.
b) Einem Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB an den
Unterlagen kann außerdem die Natur des
Schuldverhältnisses entgegenstehen, auf dem der
Herausgabeanspruch der früheren Mandantin beruht. Nach der
Rechtsprechung besteht an Geschäftspapieren, die von einem
Mandanten für die
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- 13 -
ordnungsgemäße Bearbeitung der Angelegenheiten, auf
die sie sich beziehen, alsbald benötigt werden, in aller Regel
kein Zurückbehaltungsrecht des Rechtsanwalts nach §
273 BGB (vgl. BGH WM 1968, 1325; NJW 1997, 2944, 2945). Ebenso kann
auch ein Steuerberater an der Ausübung eines
Zurückbehaltungsrechts aus § 273 BGB gehindert sein,
wenn er sich dadurch nach den besonderen Umständen des Falles
treuwidrig verhalten würde; dies kommt insbesondere in
Betracht, wenn die Zurückbehaltung dem Mandanten einen
unverhältnismäßig hohen, auch bei
Abwägung mit den Interessen des Steuerberaters nicht zu
rechtfertigenden Schaden zufügen würde (vgl. BGH NJW
1988, 2607). Diese Erwägungen können im vorliegenden
Fall in ganz besonderem Maße zum Tragen kommen. Eine Bejahung
des Zurückbehaltungsrechts hätte hier aus der
maßgeblichen Sicht des Angeklagten zur Tatzeit dazu
führen können, dass P. wesentliche
Verteidigungsunterlagen im Verfahren wegen versuchten Mordes erst
erhalten hätte, wenn die Honoraransprüche des
Angeklagten geklärt waren. Das hätte ihre
Verteidigungsposition erheblich schwächen können. P.
befand sich seit zwei Monaten in Untersuchungshaft und somit in einer
„Ausnahmesituation“. Sie bestritt die Tat und
berief sich auf einen Unfall. Mit Ausnahme der Geschädigten
gab es keine Tatzeugen. Vor diesem Hintergrund kam allen sonstigen
Indizien grundsätzlich Gewicht zu. Die Erwägungen des
Landgerichts, P. hätte in ihrem Strafverfahren einen
Beweisantrag stellen können, um so notfalls die gerichtliche
Beschlagnahme der Unterlagen zu bewirken, berücksichtigt
nicht, dass P. ein Interesse daran gehabt haben kann, die Unterlagen
nicht insgesamt, sondern nur teilweise zum Gegenstand einer
Beweisaufnahme werden zu lassen.
2. Aus der Vorschrift des § 50 BRAO würde sich hier
für den Angeklagten kein weiterreichendes
Zurückbehaltungsrecht ergeben. Nach § 50 Abs. 3 BRAO
kann der Rechtsanwalt gegenüber seinem Mandanten die
Herausgabe der Handakten verweigern, bis er wegen seiner
Gebühren und Auslagen befriedigt ist, sofern nicht die
Vorenthaltung nach den Umständen unangemessen wäre.
Zum einen sind gemäß § 50 Abs. 4 BRAO unter
Handak-
28
- 14 -
ten im Sinne des § 50 Abs. 3 BRAO Schriftstücke zu
verstehen, die der Rechtsanwalt aus Anlass seiner beruflichen
Tätigkeit vom oder für den Auftraggeber erhalten hat.
Bei den von P. übergebenen Unterlagen handelte es sich aber um
Mikrokassetten und Fotos, nicht jedoch um Schriftstücke. Zum
anderen hätte die Verweigerung der Rückgabe der
erhaltenen Unterlagen die Verteidigungsmöglichkeiten der P. in
dem gegen sie gerichteten Strafverfahren erheblich
beeinträchtigen können und wäre dann den
Umständen nach unangemessen gewesen (vgl. zum Umfang der
Herausgabepflicht auch Feuerich/Weyland, BRAO 7. Aufl. § 50
Rdn. 20).
3. Schließlich vermögen auch die Erwägungen
des Landgerichts zu der Annahme nicht zu überzeugen, die
Verweigerung der Herausgabe der Unterlagen stellte für P. kein
empfindliches Übel im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB
dar, weil sie während des Strafverfahrens nicht versucht habe,
die Unterlagen zu erlangen. Dasselbe gilt für die
Erwägung, das Handeln des Angeklagten sei nicht als
verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB anzusehen, weil P.
nicht bekundet habe, ihre Verteidigung sei durch das
Zurückhalten der Unterlagen erschwert worden. Bei der hier in
Frage stehenden Strafbarkeit wegen eines versuchten
Nötigungsdelikts kommt es nicht auf den objektiven Wert des
Beweismittels an, sondern auf den Wert, den das Beweismittel in der
Vorstellung des Angeklagten hatte. Daher war auf das Vorstellungsbild
des Angeklagten abzustellen. Für die Annahme zumindest
bedingten Vorsatzes stellt - was das Landgericht nicht
erörtert - die Vorgehensweise des Angeklagten ein gewichtiges
Indiz dar. Aus Sicht des Angeklagten wäre es widersinnig
gewesen, P. für den Fall der Nichtzahlung zu drohen, die
Beweismittel einzubehalten, wenn er sich nicht vorgestellt
hätte, seine Drohung würde als empfindliches
Übel aufgefasst werden.
29
IV.
Eine Vorlage der Sache an den Großen Senat des
Bundesgerichtshofs für Strafsachen oder eine
förmliche Anfrage an den 2. Strafsenat des
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Bundesgerichtshofs ist nicht mehr geboten, nachdem der 2. Strafsenat
mitgeteilt hat, dass für die vorliegende Fallkonstellation
keine anfrage- oder vorlagepflichtige Divergenz im Sinne des §
132 Abs. 2 und 3 GVG in Bezug auf die Entscheidung des 2. Strafsenats
vom 16. Dezember 1952 für gegeben erachtet wird, weil im
Hinblick auf die zwischenzeitlich erfolgte Änderung des
Verbots der Mehrfachverteidigung bei jetzt vom Gesetzgeber in
§ 146 StPO zugelassener Sukzessivverteidigung nunmehr
rechtliche Beziehungen zwischen Beschuldigten anerkannt sind, die
für dieselbe Tat als Täter bzw. Teilnehmer in
Betracht kommen.
Basdorf Brause Schaal
Jäger Schneider |