BGH,
Urt. v. 26.2.2009 - 5 StR 572/08
5 StR 572/08
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 26. Februar 2009
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.
- 2 -
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26.
Februar 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin B.
als Verteidigerin des Angeklagten G. ,
Rechtsanwältin H.
als Verteidigerin des Angeklagten H. S. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Berlin vom 5. Mai 2008 aufgehoben,
a) soweit die Angeklagten G. und H. S. wegen der in der Wohnung des
Nebenklägers begangenen Straftaten verurteilt worden sind,
nämlich der Angeklagte G. wegen gefährlicher
Körperverletzung in Tateinheit mit unterlassener
Hilfeleistung, der Angeklagte H. S. wegen gefährlicher
Körperverletzung (in zwei rechtlich zusammentreffenden
Fällen), mit den insoweit getroffenen Feststellungen zum
Tatvorsatz,
b) in den Aussprüchen über die Höhe der
gegen diese beiden Angeklagten verhängten Jugendstrafen.
Sämtliche Feststellungen zum äußeren
Tathergang, zur (erheblich eingeschränkten)
Schuldfähigkeit der Angeklagten und zu ihren
persönlichen Verhältnissen bleiben aufrechterhalten.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu erneuter Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine
andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
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G r ü n d e
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten G. wegen versuchten Raubes und
gefährlicher Körperverletzung in zwei
Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit unterlassener
Hilfeleistung, zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und vier Monaten,
den Angeklagten H. S. wegen gefährlicher
Körperverletzung, gefährlicher
Körperverletzung (in zwei rechtlich zusammentreffenden
Fällen) und Unterschlagung - unter Freisprechung im
Übrigen - ebenfalls zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und
vier Monaten verurteilt.
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1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
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In der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember 2007 tranken die Angeklagten,
die u. a. wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit
gefährlicher Körperverletzung rechtskräftig
verurteilten bisherigen Mitangeklagten I. (verurteilt zu fünf
Jahren und sechs Monaten Jugendstrafe) und M. S. (verurteilt zu sieben
Jahren und vier Monaten Freiheitsstrafe und Unterbringung nach
§ 64 StGB) sowie der Nebenkläger K. im
Übermaß Alkohol. Während die Angeklagten
und die Mitverurteilten in ihrer Steuerungsfähigkeit deshalb
erheblich eingeschränkt waren, war der Nebenkläger
stark betrunken und weitgehend hilflos. Auf dem Nachhauseweg versuchten
G. und I. , den Nebenkläger zu berauben.
Anschließend schlugen und traten sie gemeinsam mit H. S. den
Nebenkläger gegen Kopf und Oberkörper. H. S. eignete
sich dem erheblich verletzten, blutenden Opfer zur weiteren
Demütigung ausgezogene Sportschuhe an. G. , der erkannte, dass
dem Nebenkläger trotz seines Zustandes gegenwärtig
war, wer ihm die Verletzungen beigebracht hatte, sagte zu den anderen
sinngemäß: „Der hat alles mitgekriegt, der
muss weg, ich habe keine Lust, ins Gefängnis zu
gehen!“ (UA S. 25).
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Die vier jungen Männer brachten den Nebenkläger zu
seiner Wohnung. H. S. zog den vor seiner Wohnungstür fallen
gelassenen Nebenkläger in das Wohnzimmer, „wo dieser
in die Ecke kroch, in der er völlig apathisch liegen
blieb“ (UA S. 25). M. S. , der sich zur Tötung des
Nebenklägers entschlossen hatte, um ihn als Zeugen
vorangegangener Straftaten auszuschließen,
äußerte daraufhin gegenüber den anderen:
„Nun fangt mal an, ihr habt doch so eine große
Klappe gehabt“ (UA S. 25). Mit ihm waren G. und auch I.
spätestens jetzt zur Tötung entschlossen, um den
Nebenkläger als Zeugen auszuschalten. H. S. war nach
Feststellung der Jugendkammer einverstanden, den Nebenkläger
durch weitere Körperverletzungen zu erniedrigen und zu
quälen, „jedoch ging er nicht davon aus, dass K.
nunmehr zu Tode gebracht werden sollte, und war damit auch nicht
einverstanden“ (UA S. 25).
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Durch seine vorangegangene Äußerung in
„Zugzwang“ gesetzt, bildete G. mit seinem
Ledergürtel eine Schlaufe. Als er dennoch den Gürtel
nicht um den Hals des Nebenklägers legte, nahm M. S. den
Gürtel und strangulierte den Nebenkläger im
Einverständnis mit G. und I. mit Tötungsvorsatz. Als
der Gürtel riss, nahm M. S. einen Schal, drosselte den
Nebenkläger wiederum und zerrte diesen auf dem
Fußboden einige Meter durch die Wohnung, bis der
Nebenkläger im Gesicht rot anzulaufen begann und erkennbar
keine Luft mehr bekam.
I. war mit dem Geschehen nun nicht mehr einverstanden. Auf seine
Aufforderung ließ M. S. zunächst von einer weiteren
Strangulation ab, H. S. lockerte den Schal, „um dem Opfer ein
unbedrängtes Atmen zu ermöglichen“ (UA S.
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Nach einer Pause, während deren Dauer von mindestens
fünf Minuten die jungen Männer rauchend um ihr am
Boden liegendes Opfer herumstanden, versuchte G. , aus der Wohnung zu
flüchten, was ihm aber wegen einer Verkantung des Schlosses
der Wohnungseingangstür nicht gelang.
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I. entschloss sich nunmehr, die Tötung des
Nebenklägers doch zu vollenden, um ihn als Zeugen
auszuschalten, strangulierte ihn mit aller Kraft mit dem Schal, bis er
ihn für tot hielt, und versetzte ihm dann noch wenigstens zwei
massive Fußtritte gegen den Kehlkopf. M. S. brachte dem Opfer
sodann, als er noch Lebenszeichen bei ihm bemerkte, mit einem
Küchenmesser mit einer 20 cm langen Klinge zwei tiefe
Schnittwunden an der Kehle bei, um dessen Tod sicher
herbeizuführen.
G. hatte vom Flur aus die Angriffe des I. gesehen, aber nichts
unternommen, um ihn davon abzuhalten, obgleich er erkannte, dass der
Nebenkläger Hilfe benötigte. H. S. beobachtete das
gesamte Vorgehen von I. und M. S. , war dabei aber nach Auffassung der
Jugendkammer lediglich mit Körperverletzungen einverstanden,
nicht aber mit der Tötung des Nebenklägers. Dieser
überlebte trotz der ihm zugefügten
lebensgefährlichen Verletzungen.
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2. Mit ihren auf die Sachrüge gestützten Revisionen
greift die Staatsanwaltschaft lediglich die Beurteilung des
Tatgeschehens in der Wohnung des Nebenklägers bei den
Angeklagten G. und H. S. an. Sie erstrebt insoweit auch deren
Verurteilung wegen versuchten Mordes. Die vom Generalbundesanwalt
vertretenen Rechtsmittel haben Erfolg.
II.
Das angefochtene Urteil leidet an einem unauflöslichen
Widerspruch. Die Jugendkammer sieht einerseits aufgrund der mindestens
fünf Minuten währenden Pause zwischen dem
abgebrochenen Drosselvorgang und dem unmittelbar durch die beiden
rechtskräftig Verurteilten ausgeführten
Tötungsversuch eine Zäsur, vor der sie einen
Rücktritt vom unbeendeten Tötungsversuch und nach der
sie einen neuen Tötungsentschluss annimmt. Andererseits
beurteilt sie die Tathergänge in der Wohnung des
Nebenklägers ohne ersichtliche Einschränkung als
tateinheitlich.
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1. Dies hat sich jedenfalls unmittelbar zum Vorteil des Angeklagten G.
ausgewirkt. Angesichts des durchgängigen
Tötungsmotivs und des engen zeitlichen Zusammenhanges liegt
die Annahme einer einheitlichen Tötung deutlich
näher. Jedenfalls bei dieser Betrachtungsweise scheidet ein
strafbefreiender Rücktritt des Angeklagten G. aus, der den
gemeinschaftlichen Tötungsentschluss bei den
Mittätern sogar initiiert hatte. Denn die Voraussetzungen des
§ 24 Abs. 2 StGB liegen schon mangels jeglichen Versuchs der
Verhinderung der Vollendung der gemeinschaftlichen Tötung
offensichtlich nicht vor. G. wäre demnach - im Ergebnis nicht
anders als die rechtskräftig Verurteilten - wegen versuchten
Mordes in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung zu verurteilen gewesen.
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2. Bei abweichender Beurteilung und Zubilligung eines
Rücktritts vom Versuch hätte das Landgericht das
Vorliegen eines anschließend verübten -
tatmehrheitlich - versuchten Tötungsdelikts durch Unterlassen
bei dem Angeklagten G. nicht verneinen dürfen.
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a) Zu Unrecht geht das Landgericht davon aus, dass dieser Angeklagte
keine Garantenstellung hatte. Beteiligen sich nämlich mehrere
an noch nicht einmal lebensgefährlichen Misshandlungen eines
Opfers und zielen die weiteren Tathandlungen eines Tatgenossen auf die
Tötung des Opfers ab, so kann ein lediglich zuvor an den
Gewalttätigkeiten Beteiligter nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs rechtlich als Garant mit der Folge der Verpflichtung
zur Abwendung des drohenden Tötungserfolges anzusehen sein
(BGH NStZ 1985, 24; NJW 1999, 69, 71 f.; BGHR StGB § 13 Abs. 1
Garantenstellung 7), wenn durch sein Vorverhalten die nahe Gefahr des
Eintritts des tatbestandsmäßigen Erfolges besteht
(BGH NStZ 1998, 83, 84; 2004, 89, 91; NStZ-RR 1997, 292, 293). Dies
kann dadurch bewirkt werden, dass der zur Tötung des Opfers
bereite Tatgenosse durch die übrigen Tatbeteiligten in seinen,
die Misshandlung des Opfers übersteigenden und nunmehr auf
dessen Tötung gerichteten Handlungen bestärkt wird
(BGH NStZ 1992, 31; NJW 1999 aaO; NStZ 2000, 583).
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b) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe
liegt nach den Feststellungen des Landgerichts - auch hinsichtlich
aller subjektiven Voraussetzungen - eine Garantenstellung des
Angeklagten G. auf der Hand: Dieser sah vom Flur aus die Angriffe des
I. gegen den Hals des Nebenklägers. Er hielt es für
möglich, dass der Nebenkläger noch lebte, unternahm
aber nichts, um I. von seinem Tun abzuhalten, obwohl es ihm
möglich war. Zuvor hatte er wesentlich zur Eskalierung des
Tatgeschehens beigetragen, da er sich schon im Laufe der Nacht an
verschiedenen Orten an den Misshandlungen des Nebenklägers
beteiligt, den ersten Ansatz zu dessen Tötung in der Wohnung
initiiert und daran aktiv mitgewirkt hatte. I. s Bestärkung
hierdurch wird durch seine vom Landgericht festgestellte
Äußerung zu Beginn des erneuten Strangulierens:
„Gebt her, ihr kriegt das ja nicht hin“ (UA S. 27),
hinreichend deutlich belegt. Dass G. nach seiner Vorstellung keine
Möglichkeit zu wirksamer Einflussnahme auf seine bisherigen
Mittäter gehabt hätte, hat das Landgericht - wie
dessen Schuldspruch wegen unterlassener Hilfeleistung beweist - nicht
angenommen und liegt auch sonst gänzlich fern.
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3. Hinsichtlich der Verantwortung als Unterlassungstäter
gälte für den Angeklagten H. S. nichts anderes. Auch
er war an den Gewalthandlungen gegenüber dem
Nebenkläger im Vorfeld beteiligt. Während des ersten
Tötungsanlaufs war er mit weiteren Gewalthandlungen
einverstanden gewesen.
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Abgesehen davon liegt - weitergehend - in der Sache gänzlich
fern, dass der Angeklagte H. S. , der das gesamte Geschehen verfolgte
und eingestandenermaßen mit weiteren gemeinsamen
Gewalthandlungen zum Nachteil des Nebenklägers einverstanden
war, hierbei ungeachtet der von den Mittätern offen
ausgesprochenen Tötungsmotivation und der bemerkten konkreten
gegen das Opfer angewendeten Gewalt dessen Tötung nicht
mindestens billigend in Kauf genommen hat. Da es insoweit an jeglicher
nachvollziehbarer Begründung fehlt, ist die Verneinung des
Tötungsvorsat-
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zes bei H. S. nur auf eine nicht tragfähige Unterstellung von
dessen eingeschränkten Vorstellungen
zurückzuführen; sie kann daher keinen Bestand haben.
III.
Die Aufhebung der von der widersprüchlichen und
lückenhaften Beurteilung betroffenen Schuldsprüche zu
den Taten in der Wohnung des Nebenklägers gegen die beiden
Angeklagten, gegen die sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft
richten, berührt nicht die rechtsfehlerfrei weitgehend
aufgrund der Geständnisse der Angeklagten getroffenen
Feststellungen zum äußeren Tatablauf; sie bleiben
aufrechterhalten. Das neue Tatgericht wird lediglich die bislang
widersprüchlich beurteilte Frage einer relevanten
Zäsur zwischen den Tatabschnitten neu bewerten und bei dem
Angeklagten H. S. insgesamt sowie bei dem Angeklagten G. für
den Fall der Annahme einer Zäsur für den zweiten
Tatabschnitt Feststellungen zu Tötungsvorsatz und -motiv zu
treffen haben.
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Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen
der Angeklagten und zu ihrer Schuldfähigkeit sind ebenfalls
rechtsfehlerfrei getroffen und bleiben aufrechterhalten. Danach
erweisen sich für beide Angeklagte die Annahme erheblich
verminderter Schuldfähigkeit einschließlich der
Verneinung der Voraussetzungen des § 64 StGB und die Anwendung
von Jugendstrafrecht als nicht beanstandenswert; dies ist für
das neue Tatgericht, das folgerichtig nunmehr keinen
Sachverständigen mehr hinzuzuziehen haben wird, verbindlich.
Da eine maßgeblich mildere Beurteilung als die bisherige bei
beiden Angeklagten aus Rechtsgründen ausscheidet, hat es bei
der Verhängung von Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld, bei
H. S. auch wegen schädlicher Neigungen zu verbleiben. Das neue
Tatgericht hat lediglich über deren Höhe nach
Maßgabe des von ihm gefundenen Schuldspruchs neu zu befinden.
Selbst bei Annahme gemeinschaftlich versuchten Mordes werden mildere
Sanktionen als bei den rechtskräftig abgeurteilten,
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insoweit deutlich aktiver an dem Tatgeschehen beteiligten
Mitangeklagten nahe liegen. Neben den notwendigen wenigen neuen
Feststellungen zum Schuldspruch dürfen dem erneuten Urteil
neue Feststellungen allenfalls zugrunde gelegt werden, wenn sie den
bisher getroffenen aufrechterhaltenen Feststellungen nicht
widersprechen.
Basdorf Brause Schaal
Dölp König |