BGH,
Urt. v. 27.04.2006 - 4 StR 572/05
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 572/05
vom 27.04.2006
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
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StGB § 46 Abs. 1
Einen Rechtssatz des Inhalts, dass jeder Straftäter schon nach
dem Maß der verhängten Strafe die Gewissheit haben
muss, im Anschluss an die Strafverbüßung in die
Freiheit entlassen zu werden, gibt es nicht. Insbesondere kann sich aus
dem hohen Lebensalter eines Angeklagten, etwa unter
Berücksichtigung statistischer Erkenntnisse zur
Lebenserwartung, keine Strafobergrenze ergeben. BGH, Urteil vom
27.04.2006 - 4 StR 572/05 - Landgericht Hagen
in der Strafsache
gegen 1. 2. 3.
wegen schweren Raubes u. a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
27.04.2006, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am
Bundesgerichtshof Dr. Tepperwien, Richter am Bundesgerichtshof Maatz,
Prof. Dr. Kuckein, Dr. Ernemann, Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible als beisitzende Richter, Bundesanwalt als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten
Wilfried A. , Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten Lothar A. ,
Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten R. , Justizangestellte als
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
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1. Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Hagen vom 10. Juni 2005 werden verworfen. 2. Jeder
Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen. Von Rechts wegen Gründe: Das Landgericht hat den
Angeklagten Wilfried A. wegen schweren Raubes bzw. schwerer
räuberischer Erpressung in 12 Fällen, versuchter
schwerer räuberischer Erpressung und Verabredung zur schweren
räuberischen Erpressung - zum Teil in Tateinheit mit
Waffendelikten - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren, den
Angeklagten Lothar A. wegen schweren Raubes bzw. schwerer
räuberischer Erpressung in 12 Fällen und Verabredung
zur schweren räuberischen Erpressung - teilweise in Tateinheit
mit unerlaubtem Waffenführen - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von 12 Jahren und den Angeklagten R. wegen schweren Raubes bzw.
schwerer räuberischer Erpressung in neun Fällen und
Verabredung zur schweren räuberischen Erpressung - ebenfalls
zum Teil in Tateinheit mit unerlaubtem Waffenführen - zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil
wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen, mit denen sie die
Verletzung materiellen Rechts rügen. Sie beanstanden
insbesondere die Strafzumessung des Landgerichts. Die Rechtsmittel
haben keinen Erfolg. 1 1. Nach den Feststellungen begingen die
erheblich und einschlägig vorbestraften Angeklagten in der
Zeit von Ende 1988 bis zum 15. Januar 2004 gemeinschaftlich neun
Raubüberfälle auf Bankinstitute, drei weitere
Überfälle verübten nur die Angeklagten
Wilfried und Lothar A. gemeinsam 2
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- wobei der Angeklagte Wilfried A. wegen einer dieser Taten bereits im
Jahre 1989 mit zehn Jahren Freiheitsstrafe bestraft worden war -, zwei
Banküberfälle beging der Angeklagte Wilfried A.
allein, dabei blieb es in einem Fall beim Versuch. Den letzten
Überfall planten die drei Angeklagten für den 4.
November 2004. An diesem Tag wurden sie festgenommen. Die
Banküberfälle wurden jeweils mit geladenen scharfen
Schusswaffen durchgeführt. Die Beute betrug insgesamt fast
eine Million Euro. Nach ihrer Festnahme wurden bei den Angeklagten vier
halbautomatische Selbstladepistolen, eine Maschinenpistole, Munition,
drei scharfe Handgranaten und insgesamt ca. 417.800 €
sichergestellt. 3 2. Die Feststellungen des Landgerichts tragen die
Schuldsprüche. Auch die Strafaussprüche halten
sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand. 4 a) Die zum Teil
fehlerhafte Anwendung neuen Rechts statt des Tatzeit-Rechts durch das
Landgericht bei § 250 StGB und den Waffendelikten
(Fälle II 1, 2, 4a bis 4h der Urteilsgründe)
beschwert die Angeklagten nicht, weil das Tatzeit-Recht bei der
gebotenen konkreten Betrachtung (vgl. BGHSt 45, 92 f.;
Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 2 Rdn. 10 ff.)
nicht milder war als das geltende Recht (§ 2 Abs. 1, 3 StGB).
5 b) Im Übrigen bedarf der näheren
Erörterung nur die von den Beschwerdeführern und vom
Generalbundesanwalt aufgeworfene Frage, ob die Ablehnung minder
schwerer Fälle durch das Landgericht insbesondere wegen des
fortgeschrittenen Alters der Angeklagten (der Angeklagte R. ist 75, der
Angeklagte Wilfried A. 74, der Angeklagte Lothar A. fast 65 Jahre alt)
rechtsfehlerhaft war. Wegen der weiteren sachlich-rechtlichen Angriffe
der Beschwerdeführer gegen die Strafzumessung - namentlich der
gerügten Verstöße gegen § 46 Abs.
3 StGB -, die insgesamt unbegründet sind, nimmt 6
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der Senat auf die zutreffenden Ausführungen in der
Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 23.01.2006 Bezug. aa) Das
Landgericht hat minder schwere Fälle des schweren Raubes, der
schweren räuberischen Erpressung, der versuchten schweren
räuberischen Erpressung, des unerlaubten Führens von
Schusswaffen, des ungenehmigten Ausübens der
tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen und der
Verabredung zur schweren räuberischen Erpressung "schon
angesichts der Vielzahl und der Gefährlichkeit der Taten, des
harten und kompromisslosen Vorgehens der Angeklagten sowie der
Auswirkungen der Taten auf die betroffenen Bankangestellten und Kunden"
abgelehnt. Im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne hat es u. a.
weiter ausgeführt: 7 Zu Lasten der Angeklagten sei zu
berücksichtigen: 8 - die Vielzahl der Taten - die Vielzahl der
- auch einschlägigen - Vorstrafen (der Angeklagte Wilfried A.
hat bereits mehr als 36 Jahre in Strafhaft verbracht, der Angeklagte R.
mehr als 15 Jahre und der Angeklagte Lothar A. etwa 8 Jahre) - die bei
den Taten aufgewendete kriminelle Energie und die jeweils über
den Normalfall eines Banküberfalls hinausgehenden Folgen
für die Tatopfer - das durch den Einsatz scharfer geladener
Schusswaffen über den Normalfall eines Banküberfalls
hinausgehende Gefährdungspotential - der lange Tatzeitraum und
die jeweils hohe Beuteerwartung und
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- die Verwirklichung von zum Teil mehreren Straftatbeständen.
Zugunsten der Angeklagten wirke sich aus: 9 - dass sie - zum Teil schon
frühzeitig - geständig waren, - dass das erbeutete
Geld zum großen Teil sichergestellt werden konnte, - dass die
Angeklagten sich bei von den Überfällen betroffenen
Bankangestellten entschuldigt und - dass sie sich zivilrechtlich dem
Inventarversicherer betroffener Sparkassen gegenüber
verpflichtet haben, Schadenswiedergutmachung zu leisten. Gewichtigster
Milderungsgrund sei allerdings das Alter und die damit verbundene
erhöhte Haftempfindlichkeit der Angeklagten; dies gelte
für alle Angeklagten, wenn auch beim Angeklagten Lothar A.
(dem "Jüngsten" der Angeklagten) in geringerem
Ausmaß. Unter Beachtung der höchstrichterlichen
Rechtsprechung zur Strafmilderung bei einer reduzierten Lebenserwartung
seien sowohl die Einzelstrafen als auch die Gesamtstrafen derart zu
mildern, dass den Angeklagten die Hoffnung bleibe, ihre Entlassung aus
dem Strafvollzug noch erleben zu können. Hierbei sei
allerdings zu bedenken, dass es keinen
übermäßigen "Altersrabatt" geben
dürfe, da sonst das "Signal" gegeben werden könnte,
im Alter Straftaten zu begehen, weil im Falle der Ergreifung nur eine
geringe Strafe drohe. 10 Unter Berücksichtigung der genannten
Strafzumessungserwägungen hat das Landgericht für die
abgeurteilten Taten - jeweils gesondert begründete -
Einzelfreiheitsstrafen zwischen drei Jahren und sechs Monaten und acht
Jahren und sechs Monaten verhängt. Bei der Bildung der
Gesamtstrafen hat es das hohe Alter der Angeklagten nochmals
ausdrücklich mildernd gewertet. Die Un-11
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terbringung in der Sicherungsverwahrung (§ 66 Abs. 2 StGB) hat
es insbesondere auch im Hinblick auf das fortgeschrittene Alter der
Angeklagten nicht angeordnet, weil nicht zu besorgen sei, dass die
Angeklagten nach der Haftentlassung für die Allgemeinheit
(noch) gefährlich seien. bb) Die
Strafzumessungserwägungen des Landgerichts halten rechtlicher
Nachprüfung stand. Insbesondere unterliegt es keinen
rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht die Voraussetzungen
für das Vorliegen minder schwerer Fälle verneint hat.
Auch für die Strafrahmenwahl gilt, dass die Strafzumessung
grundsätzlich Sache des Tatrichters ist, weil er am ehesten in
der Lage ist, sich aufgrund der Hauptverhandlung einen umfassenden
Eindruck von Tat und Täter zu verschaffen und die für
die Strafrahmenwahl wesentlichen Umstände zu gewichten. Das
Revisionsgericht kann daher auch insoweit - ebenso wie bei der
Strafhöhenbemessung - nur eingreifen, wenn die durch den
Tatrichter vorgenommene Bewertung Rechtsfehler aufweist, etwa weil die
maßgeblichen Erwägungen rechtlich anerkannten
Strafzumessungsgrundsätzen zuwiderlaufen, sie in sich
widersprüchlich oder sie in dem Sinne lückenhaft
sind, dass nahe liegende, sich aufdrängende Gesichtspunkte
nicht bedacht wurden (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StGB vor §
1/minder schwerer Fall, Gesamtwürdigung 7, 8;
Tröndle/Fischer aaO § 46 Rdn. 108 ff.). Solche
Rechtsfehler sind nicht ersichtlich. 12 Das Landgericht hat alle
für die Strafzumessung bestimmenden Umstände gesehen
und in dem Sinne, dass die Strafen gerechter Schuldausgleich sein
müssen (vgl. BGHSt 24, 132, 134; BGHR StGB § 46 Abs.
1 Schuldausgleich 25, 27, 29), rechtsfehlerfrei gewichtet. Insbesondere
hat es sich, anders als vom Bundesgerichtshof in diesem Zusammenhang
beanstandete Entscheidungen (vgl. etwa BGHR StGB § 46 Abs. 1
Schuldausgleich 20), ausführlich mit dem fortgeschrittenen
Alter der Angeklagten und der Wirkung der Strafen auf 13
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ihr zukünftiges Leben auseinandergesetzt und auf Strafen
erkannt, die den Angeklagten noch die Hoffnung lassen, ihre Entlassung
aus dem Strafvollzug erleben zu können. Einen Rechtssatz des
Inhalts, dass jeder Straftäter schon nach dem Maß
der verhängten Strafe die Gewissheit haben muss, im Anschluss
an die Strafverbüßung in die Freiheit entlassen zu
werden, gibt es nicht. Insbesondere kann sich aus dem hohen Lebensalter
eines Angeklagten, etwa unter Berücksichtigung statistischer
Erkenntnisse zur Lebenserwartung, keine Strafobergrenze ergeben.
Allerdings muss ihm unter Vollstreckungsgesichtspunkten
grundsätzlich eine Chance verbleiben, wieder der Freiheit
teilhaftig zu werden (vgl. BVerfGE 45, 187, 228 f., 239, 242, 245; 64,
261, 270 ff., 281; 72, 105, 113 ff.; 86, 288, 312; BVerfG NStZ 1996,
53, 54 f.). Das hat das Landgericht bedacht und - im
Erkenntnisverfahren - die Rechtsfolgen, auch durch das Absehen von der
Anordnung der Sicherungsverwahrung, entsprechend bemessen. Die
Besorgnis der Beschwerdeführer und des Generalbundesanwalts,
das Landgericht könne die bei der Strafzumessung in engerem
Sinne erörterten strafmildernden Gesichtspunkte - insbesondere
das fortgeschrittene Alter der Angeklagten - bei der Strafrahmenwahl
nicht in Betracht gezogen haben, teilt der Senat nicht. Das Landgericht
hat zunächst - wozu es gehalten war (st. Rspr.; vgl. nur BGH
NStZ 1983, 407) - entschieden, von welchem Strafrahmen es ausgeht,
danach - allgemein - die zu Lasten und zu Gunsten der Angeklagten
sprechenden Strafzumessungsgesichtspunkte erwogen und
schließlich die Strafzumessung für jeden Angeklagten
und die einzelnen Taten vorgenommen. 14
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Dieser Urteilsaufbau lässt nach Auffassung des Senats nicht
besorgen, dass die Strafkammer die bei den weiteren
Strafzumessungserwägungen ausführlich
erörterten Umstände bei der Strafrahmenwahl aus dem
Blick verloren haben könnte.
Tepperwien Maatz Kuckein Ernemann Sost-Scheible |