BGH,
Urt. v. 29.9.2004 - 2 StR 149/04
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 149/04
vom
29. September 2004
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29.
Septem-
ber 2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan
und der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Bode,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Pr of. Dr. Fischer,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung
als Verteidiger,
Rechtsanwalt in der Verhandlung
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des
Landgerichts Köln vom 28. August 2003 wird verworfen.
Der Staatskasse fallen die Kosten des Rechtsmittels und die
dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Aus-
lagen zur Last.
2. Die sofortige Beschwer de der Staatsanwaltschaft gegen die
Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils wird kosten-
pflichtig verwor fen.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen
Körperverletzung in Tat-
einheit mit Bedrohung ( Fall II 3 der Urteilsgründe) unter
Einbeziehung einer
Geldstrafe aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtgeldstrafe von 110
Ta-
gessätzen zu je 16
€
ver urteilt. Es hat ihn weiter wegen schwerer räuberischer
Erpressung (Fall II 5 der Urteilsgründe), wegen
Körperverletzung in Tateinheit
mit Bedrohung in zwei Fällen (Fälle II 6 und II 7 kz
der Urteilsgründe), wegen
gefährlicher Körperverletzung (Fall II 7 m der
Urteilsgründe), sowie wegen Be-
drohung (Fall II 8 der Ur teilsgründe) zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von sieben
Jahr en und neun Monaten verurteilt.
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Mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten Revision
rügt die
Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechtes. Sie beanstandet
mit
dem wirksam beschränkten Rechtsmittel, daß der
Angeklagte wegen der Taten
am 29.9.2002 zum Nachteil der Zeugen K. und N. nur wegen
gefährlicher bzw.
einfacher Körperverletzung (Fälle II 7 m und II 7 kz
der Urteilsgr ünde) statt
jeweils wegen versuchten Mordes verurteilt worden ist.
Die Revision hat keinen Erfolg.
II.
1. Zu den angefochtenen Schuldsprüchen hat das
Landgericht folgende
Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte klingelte am 29.9.2002 an der
Wohnungstür der Neben-
klägerin (im folgenden N.) seiner von ihm getrennt lebenden
Ehefrau. N., die
Besuch von dem Zeugen K. (im folgenden K.) hatte, öffnete die
Türe nicht. Der
Angeklagte drohte "ich werde euch nicht am Leben lassen, ihr
Hurenkinder." Er
drückte gewaltsam die Tür auf und stürmte an
N. vorbei zum Kinderzimmer, wo
er auf K. traf. Er versetzte ihm zwei Faustschläge, worauf
dieser die Flucht er-
griff. Der Angeklagte holte in der Küche ein großes
und spitzes Küchenmesser
und bedrohte damit N., die daraufhin um Hilfe r ief. K. kehrte deshalb
zurück.
Sofort wandte sich der Angeklagte erneut diesem zu und stach dr eimal
von
vorne auf dessen "Herzregion", wobei er sinngemäß
äußerte, er werde "sie
beide umbringen". Der Angeklagte traf K. dreimal auf der rechten
Körperseite
im Übergangsbereich vom Brust- zum Bauchraum. Die Ver
letzungen des K.
waren nicht lebensgefährlich. Als der Angeklagte sah,
daß er den blutenden K.
im Bauchbereich verletzt hatte, wandte er sich von ihm ab und wieder
der N.
zu, da er befürchtete, diese könne ihm
zwischenzeitlich entfliehen. Zugunsten
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des Angeklagten hat die Kammer insoweit festgestellt, daß er
zu diesem Zeit-
punkt nicht davon ausging, K. bereits tödliche Verletzungen
zugefügt zu haben
und er davon absah, weiter auf K. einzustechen, obwohl ihm dies
möglich ge-
wesen wäre und er dies auch erkannt hatte. K. floh erneut.
Zwischenzeitlich
hatte N. die Wohnung der Nachbar n erreicht, doch konnte der Angeklagte
mit
einem Fuß das Schließen der Tür
verhindern. Er schlug durch den Türspalt mit
dem Messer nach N., die sich gegen die Tür stemmte, traf sie
jedoch nicht. Der
Angeklagte beabsichtigte die N. durch die ungezielt geführten
Schläge mit dem
Messer von der Tür zu vertreiben, um so in die Wohnung
einzudringen und sie
her ausholen zu können. Daß er die N. auf diese
Weise verletzen konnte, nahm
er billigend in Kauf. Daß er selbst eine Tötung der
N. für möglich hielt und in
Kauf genommen hätte, konnte nicht festgestellt werden. Nach
mehreren ver-
geblichen Schlägen ließ der Angeklagte das Messer zu
Boden fallen und griff
mit der Hand durch den Türspalt. Dabei bekam er die Haare der
N. zu fassen
und versuchte, sie aus der Wohnung zu zerren. N. riß sich
unter Schmerzen
los und floh in das Innere der Wohnung. Den Nachbarn gelang es dann die
Tür
zuzudrücken. Der Angeklagte hob das Messer auf und legte es in
der Küche
der N. ab. Als der Angeklagte das Haus verließ, sah er dort
K. stehen. Er
schrie ihn wütend an: "Lebst du noch?" K. lief davon. Der
Angeklagte folgte
ihm, um ihn weiter zu schlagen und zu verletzen, konnte ihn aber nicht
einho-
len. Zugunsten des Angeklagten ist die Kammer davon ausgegangen,
daß er
zu diesem Zeitpunkt nicht mehr damit rechnete, K. töten zu
können und dies
auch nicht mehr wollte.
2. a) Das Landgericht hat die drei Messerstiche gegen K. als
eine ge-
fährliche Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr.
2 StGB) gewertet. Hinsichtlich ei-
nes Tötungsdeliktes ist es von einem str afbefr eienden
Rücktritt ausgegangen.
Es habe ein unbeendeter Versuch vorgelegen, von dem der Angeklagte
freiwil-
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lig zurückgetreten sei. Seine sinngemäße
Äußerung "Lebst du noch?" (UA S.
61) sei nicht als Ausdruck des Er staunens zu werten, sondern habe
einen rein
drohenden Charakter gehabt. K. habe diese Bemerkung deshalb auch nicht
als
Fr age sondern als Drohung aufgefaßt.
b) Soweit der Angeklagte mit dem Messer nach der N. schlug,
hat das
Landgericht keinen Tötungsvorsatz feststellen können
und ist von einer ver-
suchten gefährlichen Körperverletzung ausgegangen.
Von dieser sei der An-
geklagte freiwillig zurückgetreten. Der Versuch sei nicht
fehlgeschlagen, da er
dur chaus hätte weitermachen können. Der Angeklagte
habe seine Absicht, die
N. mit dem Messer zu verletzen freiwillig und endgültig
aufgegeben. Dur ch das
Reißen an den Haaren habe er sich allerdings einer
(einfachen) Körperverlet-
zung schuldig gemacht, zu der in Tateinheit die Bedrohung mit dem
Messer
träte.
Weitere Delikte zu Lasten des K. hätten wegen
Verfolgungsbeschrän-
kung außer Betracht zu bleiben.
III.
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den
jeweiligen
Schuldspruch.
1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen
gefährlicher Körperverlet-
zung zum Nachteil des K. ist rechtlich nicht zu bestanden.
a) Die Feststellungen wurden ohne Rechtsfehler getr offen.
Insbesonde-
re hat der Tatrichter nachvollziehbar dargelegt, daß die
sinngemäße Äußerung
des Angeklagten "Lebst du noch?" nicht als erstaunte Frage, sonder n
als er-
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neute Drohung zu verstehen war und von dem Zeugen K. auch so
aufgefaßt
wurde.
b) Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei vom
Versuch ei-
nes Tötungsdeliktes freiwillig zurückgetreten,
läßt keinen Rechtsfehler erken-
nen. Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, daß es
sich um einen
unbeendeten Versuch handelte. Nach den zugunsten des Angeklagten getrof-
fenen Feststellungen hielt dieser nach Ausführung seiner
letzten Tathandlung
das Opfer nicht für tödlich verletzt. Selbst wenn er
nach seiner letzten Ausfüh-
rungshandlung zunächst den Eintritt des angestrebten Erfolgs
für möglich ge-
halten, aber unmittelbar darauf diesen Ir rtum erkannt hätte,
so er langt die an
der wahrgenommenen Wirklichkeit korr igierte Vorstellung für
den "Rücktrittsho-
rizont" maßgebliche Bedeutung mit der Folge, daß
der Angeklagte, dessen
Handlungsmöglichkeiten unverändert fortbestanden,
durch Abstandnehmen
von weiteren Ausführungshandlungen mit strafbefreiender
Wirkung zurücktr e-
ten konnte (vgl. u.a. BGHSt 36, 224 ff.).
Der Angeklagte hatte zwar gesehen, daß er K.
getroffen hatte. Die Sti-
che waren jedoch nicht lebensgefährlich. K. konnte fliehen und
zeigte keine
Anzeichen einer möglicherweise tödlichen Verletzung.
Der Tatrichter durfte
daher einen unbeendeten Versuch annehmen (vgl. auch BGH,
Beschluß vom
21. März 2001 - 3 StR 535/00). Von diesem ist der Angeklagte
freiwillig zur ück-
getreten, weil er nicht weiter auf den K. eingestochen hat, obwohl er
dies konn-
te.
Die Freiwilligkeit wir d nicht dadurch ausgeschlossen,
daß der Angeklag-
te nicht aus einem sittlich billigenswerten Motiv von weiteren
Angriffen auf den
Zeugen absah, sondern nur weil er die N. nicht entkommen lassen wollte.
Das
Abstandnehmen erweist sich hier als das Ergebnis einer nüchter
nen Abwä-
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gung, bei der der Angeklagte Herr seiner Entschlüsse blieb
(vgl. hier zu BGHSt
35, 184 ff.).
2. Die Verur teilung wegen einfacher
Körperverletzung (in Tateinheit mit
Bedrohung) zum Nachteil der N. läßt ebenfalls keinen
Rechtsfehler erkennen.
a) Die Beweiswürdigung des Tatrichters ist rechtlich
nicht zu beanstan-
den. Die Schlußfolgerungen ( UA S. 152, 153), daß
der Angeklagte bei seiner
Tathandlung - trotz verschiedener Äußerungen -
jedenfalls keinen Tötungsvor-
satz hatte, sind vertretbar und deshalb vom Revisionsgericht
hinzunehmen.
Dies gilt weiter auch für die Annahme des Landgerichts, der
Angeklagte habe
mit dem Fallenlassen des Messers seinen Vorsatz zur Verletzung der N.
mit
diesem Messer endgültig aufgegeben.
b) Die rechtliche Würdigung, daß der
Angeklagte freiwillig vom Versuch
der gefährlichen Körperverletzung
zurückgetreten sei, weist keinen Rechtsfeh-
ler auf. Der Tatrichter hat einen fehlgeschlagenen Versuch
erörtert und mit der
nachvollziehbar en Begründung abgelehnt, daß der
Angeklagte durchaus weiter
hätte versuchen können, die N. mit dem Messer zu
verletzen.
Zutreffend hat das Landgericht in dem Reißen an den
Haaren eine voll-
endete (einfache) Körperverletzung gesehen, die mit der
vorausgehenden Be-
drohung mit dem Messer in Tateinheit steht.
IV. Bei Erfolglosigkeit der zuungunsten des Angeklagten
eingelegten
Revision der Staatsanwaltschaft hat die Nebenklägerin die ihr
im Revisionsver-
fahren erwachsenen Auslagen selbst zu tragen (vgl. KK-Franke StPO 5.
Aufl.
§ 473 Rdn. 11; Hilger in Löwe/Rosenberg StPO 25.
Aufl. § 473 Rdn. 90).
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V. Die sofor tige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die
Kosten-
entscheidung des angefochtenen Urteils war kostenpflichtig zu verwer
fen
(§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO), da diese dem Gesetz entspricht (
§§ 465 Abs. 1
Satz 1, 472 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Rissing-van
Saan
Bode
Otten
Rothfuß
Fischer
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