BGH,
Urt. v. 30.9.2009 - 2 StR 300/09
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 300/09
vom
30. September 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Untreue u. a.
- 2 -
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30.
September 2009, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer
als Vorsitzender,
der Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl und
Cierniak,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 3 -
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Koblenz vom 25. Februar 2009 mit den Feststellungen
aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im
Übrigen wegen vorsätzlicher Verletzung der
Insolvenzantragspflicht zu einer Geldstrafe von 120
Tagessätzen zu je 150 € verurteilt und ausgesprochen,
dass zur Entschädigung für die überlange
Verfahrensdauer 30 Tagessätze der verhängten
Geldstrafe als vollstreckt gelten.
1
Die Revision der Staatsanwaltschaft, die sich nach dem Inhalt der
Revisionsbegründung ausschließlich gegen den
Teilfreispruch wendet, rügt die Verletzung materiellen Rechts.
Das Rechtsmittel hat in vollem Umfang Erfolg.
2
- 4 -
I.
Dem Teilfreispruch liegt eine Anklage wegen Untreue zugrunde.
3
1. Dem Angeklagten war insoweit vorgeworfen worden:
4
J. Sch. war in der Zeit vom 03.08.1999 bis 12.10.2001
Geschäftsführer der Firma P. GmbH mit Sitz in D. (im
Folgenden: P. D. ). Die in das Handelsregister beim Amtsgericht Neuwied
unter HRB eingetragene Gesellschaft war am 19.11.1984 als 'D. S. GmbH'
gegründet worden. Seit dem 03.08.1999 war
Mehrheitsgesellschafterin des Unternehmens die Firma P. GmbH mit Sitz
in St. (im Folgenden: P. St. ). Deren Gesellschafter war der gesondert
verfolgte Kaufmann W.. Gegenstand des Unternehmens war der Handel und
Vertrieb von Autozubehörprodukten, insbesondere der Handel mit
Fanartikeln der Formel 1-Rennfahrer M. und R. Sc. . Am 07.10.2001
erwarb der Angeklagte über eine Vorratsgesellschaft, die C.
Vermögensverwaltungs GmbH mit Sitz in Si. , deren
Alleingesellschafter er war, sämtliche
Geschäftsanteile der Firma P. D. im Nennwert von 500.000,-- DM
zum Kaufpreis von 5,-- DM. Am 12.10.2001 beschloss er die Liquidation
der Gesellschaft und bestellte sich selbst zum Liquidator, nachdem er
den Angeschuldigten J. Sch. als Geschäftsführer
abberufen hatte. Zwischen P. D. und der Muttergesellschaft in St.
bestanden enge Geschäftsbeziehungen. P. St. war eine der
Hauptlieferanten von P. D. . Die Verbindlichkeiten aus den Lieferungen
bauten sich seit dem 01.04.2001 kontinuierlich auf und betrugen am
12.10.2001 rund drei Mio. DM. Da die Forderungen in der Krise
kreditiert worden waren, hatten sie eigenkapitalersetzenden Charakter.
Es bestand damit ein Rückzahlungsverbot. Darüber
hinaus hatte die W bank die Stundung der Forderungen zur Bedingung
5
- 5 -
für den Fortbestand der Geschäftsverbindung
erklärt. Am 04.10.2001 fassten J. Sch. und der Angeklagte
gemeinschaftlich mit dem gesondert verfolgten Kaufmann W. in Kenntnis
des Rückzahlungsverbotes der kreditierten Kaufpreisforderungen
und in dem Bewusstsein, die Liquidität der Firma P. D. zu
gefährden, folgende Vereinbarung:
(1) Sämtliche Gesellschaftsanteile an P. D. werden an die C.
Vermögensverwaltungs GmbH zu einem symbolischen Kaufpreis von
5,-- DM veräußert.
6
(2) Die offenen, bislang gestundeten Forderungen von P. St. gegen P. D.
werden durch Warenlieferungen ausgeglichen.
7
(3) P. D. wird in 'A. M. F. Vertriebs GmbH' umbenannt.
8
Der Gesellschafterwechsel wurde am 07.10.2001 notariell beurkundet. J.
Sch. wurde am 12.10.2001 als Geschäftsführer
abberufen, blieb indes Geschäftsführer der Firma P.
St. . Die vereinbarte Warenlieferung erfolgte am 18.10.2001. Der
Kaufpreis in Höhe von 2.328.350,29 DM (= 1.190.466,60 EUR)
wurde absprachegemäß verrechnet. Die gelieferten
Waren waren der W bank sicherungsübereignet. Eine
Veräußerung durfte nur im Rahmen
ordnungsgemäßen Geschäftsverkehrs erfolgen.
Die Angeschuldigten waren sich bewusst, dass die Warenlieferung nur
dazu diente, eine Aufrechnungslage zu schaffen, um wertlos gewordene
Forderungen der Muttergesellschaft zu realisieren. Infolge der
Verrechnungsabrede wurde der P. D. keine Liquidität
zugeführt, sondern die letzten werthaltigen und kurzfristig
verfügbaren Vermögenswerte entzogen. Nachdem die W
bank Kenntnis von der Veräußerung der
sicherungsübereigneten Ware erlangt hatte, kündigte
9
- 6 -
sie am 24.10.2001 die Geschäftsverbindung, was unmittelbar zur
Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führte.
2. Das Landgericht hat hierzu im Wesentlichen folgende Feststellungen
getroffen:
10
Am 05.10.2001 erwarb der Angeklagte, der ab Ende der 90er Jahre als
Rechtsanwalt und Wirtschaftsprüfer für W.
tätig war, auf dessen Veranlassung alle
Geschäftsanteile der P. D. über eine
Vorratsgesellschaft, deren Anteile ihm gehörten. Der Nennwert
der Geschäftsanteile betrug insgesamt 500.000 DM, der
Kaufpreis 5 DM. Im Zeitpunkt des Erwerbs der Gesellschaft bestanden
Verbindlichkeiten gegenüber der P. St. , die zuvor 70 % der
Geschäftsanteile gehalten hatte. P. D. verfügte nicht
über die nötigen liquiden Mittel, um die Forderungen
der Muttergesellschaft zu erfüllen. Zudem hatte das St.
Mutterunternehmen auf Verlangen der W bank die Forderungen gegen ihre
Tochtergesellschaft gestundet. Dies hatte zur Folge, dass die
Forderungen auf mehr als 2 Mio. DM angewachsen waren. Darüber
hinaus bestand bereits im März 2001 eine
Überschuldung der Gesellschaft in Höhe von rund
3.600.000 Euro. Nach Erwerb der Gesellschaft berief der Angeklagte den
Geschäftsführer ab, beschloss die Liquidation und
bestellte sich selbst zum Liquidator. Anschließend sprach er
allen 98 Arbeitnehmern die Kündigung aus und stellte sie
überwiegend mit sofortiger Wirkung von ihrer Arbeitsleistung
frei. Wie von vornherein mit W. abgesprochen,
veräußerte er sodann Ware zum Kaufpreis von
2.328.350,29 DM (= 1.190.466,60 Euro) an P. St. , deren
Geschäftsanteile W. gehörten. Die Kaufpreisforderung
wurde aufgrund einer Absprache W. mit dem Angeklagten, die beide vor
der Veräußerung der Geschäftsanteile
getroffen hatten, mit den offenen Gegenforderungen verrechnet. Auf
diese Weise sollte die alte Gesellschafterin vollständig
befriedigt werden. Da das Warenlager an die W bank e.G.
sicherungsübereig-
11
- 7 -
net war und nach deren allgemeinen Geschäftsbedingungen nur im
Rahmen eines ordnungsgemäßen
Geschäftsverkehrs hätte veräußert
werden dürfen, kündigte die Bank die
Geschäftsverbindung zur P. D. und stellte ihre Forderungen in
Höhe von 6,6 Mio. DM fällig, nachdem W. es abgelehnt
hatte, andere Sicherheiten zu stellen. Infolge der Kündigung
der Geschäftskonten trat unmittelbar die
Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft ein. In Kenntnis der
eingetretenen Zahlungsunfähigkeit beantragte der Angeklagte
erst am 27.12.2001 bei dem zuständigen Amtsgericht die
Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das
Vermögen der GmbH. Am 01.03.2002 wurde das Insolvenzverfahren
eröffnet.
Nicht festgestellt werden konnte, "dass dem Angeklagten die
Fehlerhaftigkeit der Bilanz und die Überschuldung der P. D.
bekannt war" (UA S. 6). Das Landgericht hat den Angeklagten danach vom
Vorwurf der Untreue gegenüber P. D. aus tatsächlichen
- subjektiven - Gründen freigesprochen. Er habe die aus seiner
Sicht begründete Erwartung gehabt, die Liquidation nach
Begleichen aller Forderungen mit einem Überschuss
abschließen zu können, und deshalb weder mit der
Schädigung fremden Vermögens gerechnet noch eine
solche billigend in Kauf genommen.
12
II.
Das angefochtene Urteil war auf die Sachrüge hin aufzuheben,
soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist.
13
1. Den Urteilsgründen lässt sich rechtsfehlerhaft
schon nicht hinreichend entnehmen, unter welchen rechtlichen
Gesichtspunkten das Landgericht den Tatbestand der Untreue
geprüft hat. Dem Senat ist deshalb die Nachprüfung
14
- 8 -
verwehrt, ob die Feststellungen im Einzelnen rechtsfehlerfrei getroffen
wurden oder ob der Tatrichter an seine Überzeugungsbildung zu
hohe Anforderungen gestellt hat. Wie der Generalbundesanwalt in seiner
Antragsschrift vom 30. Juli 2009 zutreffend ausgeführt hat,
kommt die Begehung einer Untreue gegenüber der P. D. sowohl
durch einen Angriff auf das Stammkapital als auch durch eine
Existenzgefährdung, insbesondere eine
Liquiditätsgefährdung in Betracht (vgl. hierzu im
Einzelnen Senatsbeschluss vom 31. Juli 2009 - 2 StR 95/09 - zur
Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
Die in BGHSt 49, 147, 160 f. aufgestellten Grundsätze gelten
in der Liquidation fort. Weiter war auch bei entsprechenden
Feststellungen zur Sicherungstreuhand eine Untreue gegenüber
der W bank zu prüfen (vgl. u. a. BGHR StGB § 266 Abs.
1 Vermögensbetreuungspflicht 14 und 27). Der Tatrichter hat
sich hierzu in den Urteilsgründen nicht verhalten, da er dies
ersichtlich für entbehrlich hielt, weil er meinte, einen
entsprechenden Vorsatz des Angeklagten nicht feststellen zu
können.
15
2. Die Beweiswürdigung bezüglich des Vorsatzes des
Angeklagten hält jedoch rechtlicher Nachprüfung nicht
stand.
16
Sie weist mehrere Rechtsfehler auf. Zwar ist die
Beweiswürdigung grundsätzlich Sache des Tatrichters.
Sie ist jedoch rechtsfehlerhaft, wenn sie lückenhaft ist,
namentlich wesentliche Feststellungen nicht berücksichtigt
oder nahe liegende Schlussfolgerungen nicht erörtert, wenn sie
widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder
Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die
zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte
Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ-RR 2005, 147;
2004, 238 jeweils m.w.N.). Dabei ist der Tatrichter gehalten, sich mit
den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die
Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzu-
17
- 9 -
setzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen.
Eine Beweiswürdigung, die über schwerwiegende
Verdachtsmomente hinweggeht, ist rechtsfehlerhaft (BGH NStZ 2002, 656,
657; NStZ-RR 2004, 238, 239). Aus den Urteilsgründen muss sich
auch ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert
gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung
eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. BGHR StPO § 261
Beweiswürdigung 2, 11; Beweiswürdigung unzureichende
1; BGH NStZ 2002, 48; NStZ-RR 2004, 238, 239). Diesen Anforderungen
genügt - worauf die Staatsanwaltschaft und der
Generalbundesanwalt zutreffend hinweisen - das angefochtene Urteil
nicht. Dies gilt bereits für die Feststellung des
Landgerichts, dem Angeklagten sei die Überschuldung der
Gesellschaft nicht bekannt gewesen. Die Strafkammer hat sich nicht
näher damit auseinandergesetzt, dass der Angeklagte
sämtliche Geschäftsanteile der P. D. im Nennwert von
insgesamt 500.000 DM zum Preis von nur 5 DM erworben hat, was nahe
legt, dass er wusste, dass das Eigenkapital aufgebraucht und die
Geschäftsanteile wertlos waren. Das Landgericht hat weiter
nicht erörtert, weshalb gerade der Angeklagte bei Testieren
der Bilanz zum 31.03.2001 nicht erkannt haben sollte und hat, dass das
Stammkapital bereits zum 31.03.2000 verbraucht war und dass in
Wirklichkeit eine Unterdeckung von ca. 3.600.000 € vorlag. Der
P. D. fehlten liquide Mittel; Kaufpreisforderungen der P. St. gegen die
P. D. mussten gestundet werden. Es war naheliegend, dass dem
Angeklagten diese Umstände bekannt waren, da er als
Wirtschaftsprüfer die Bilanz testiert hatte und wenig
später die Geschäftsanteile für nur 5 DM
gekauft und zugleich die Liquidation betrieben hat. Ob der
Sachverständige F. -B. Anhaltspunkte für die Kenntnis
des Angeklagten von der Überschuldung gefunden hat, ist nicht
ausschlaggebend. Entscheidend ist, dass die Überschuldung zu
erkennen war und nach der Vorbildung und der Tätigkeit des
Angeklagten sich diesem aufdrängen musste. Schon diese
Einzelindizien hätten einer Würdigung durch den
Tatrichter be-
- 10 -
durft; die weiter gebotene Gesamtwürdigung wurde
rechtsfehlerhaft unterlassen.
Bei entsprechenden Feststellungen zur Kenntnis des Angeklagten von der
Überschuldung wäre auch die Verneinung des voluntiven
Elements des Vorsatzes nicht ausschließbar anders
ausgefallen. In diesem Zusammenhang war in die Gesamtbetrachtung
einzustellen, dass - vor dem Hintergrund des hohen Forderungsbestandes
der Muttergesellschaft - näher zu prüfen war, ob der
Kauf der Gesellschaft und die sofortige Lieferung des Warenbestandes
unter Verrechnung der kreditierten Forderungen von vornherein darauf
angelegt waren, Gläubigerschutzbestimmungen zu umgehen. Die
Kammer hält es demgemäß durchaus
grundsätzlich für möglich, dass der
Angeklagte handelte, um W. bei der Rückführung seiner
Forderungen zu helfen (UA S. 12). Dass das Landgericht eine solche Tat
dem Angeklagten nicht zutraut, genügt ohne tragfähige
Erwägungen hierzu nicht, seinen Vorsatz zu verneinen.
18
3. Bei entsprechenden Feststellungen käme auch ein
Insolvenzdelikt in Betracht. Weiter wird auch eine veruntreuende
Unterschlagung zum Nachteil der W bank zu prüfen sein.
19
Fischer Rothfuß Roggenbuck
Appl Cierniak |