BGH,
Urt. v. 4.12.2003 - 5 StR 308/03
5 StR 308/03
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
4.12.2003
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der
Hauptverhandlung
vom 2. und 4.12.2003, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger,
Richter Basdorf,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Richterin am Landgericht
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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in der Sitzung vom 4.12.2003 für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Potsdam vom 29. Januar 2003 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Betruges
in 351 Fällen aus Rechtsgründen freigesprochen. Die
vom Generalbundesanwalt
vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der
Sachrüge Erfolg,
so daß es auf die Verfahrensrüge nicht mehr ankommt.
I.
1. Dem Angeklagten wird mit der Anklage vorgeworfen, als
Alleingesellschafter
und Geschäftsführer der ZRD - Z H -
D GmbH durch die Zusendung von Scheinrechnungen, bei denen es
sich in Wahrheit um Angebote zur Eintragung in eine angeblich von ihm
geführte
Datenbank handelte, 351 Geschädigte über eine
gegenüber dem Angeklagten
bestehende Zahlungspflicht getäuscht und zur Zahlung von
Beträgen
zwischen 387,64 DM und 1.143,96 DM veranlaßt zu haben.
2. Nach den Feststellungen gründete der Angeklagte im Januar
1999
die ZRD Z R -D GmbH. Alleiniger Gesellschafter und
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Geschäftsführer war der Angeklagte. Offizieller
Firmenzweck sollten unter
anderem Einrichtung, Betrieb und Pflege von Datenbanken sowie Abruf- und
Abfragesystemen sein. Danach hatte der Angeklagte den Plan, ein
Faxabrufsystem
zu installieren, mit dem er bundesweit Unternehmen aller Art die
Möglichkeit bieten wollte, unternehmenseigene Daten und
Informationen zu
speichern, die über eine von ihm zu benennende Servicenummer
von den
Kunden der Unternehmen jederzeit per Fax hätten abgerufen
werden können.
Um Kunden zu werben, entwickelte der Angeklagte nach bereits vorhandenen
Mustern anderer Anbieter ein „Angebotsschreiben“,
das nach seiner
Gestaltung auf den ersten Blick einer amtlichen Rechnung glich. So wies
es typische Rechnungsmerkmale auf, wie das Fehlen von individueller
Anrede
und Grußformel, die Aufschlüsselung des zu zahlenden
Betrages nach
Netto- und Bruttosumme sowie die Beifügung eines
ausgefüllten Überweisungsträgers.
Überdies fehlte auf der Vorderseite des Schreibens eine
nähere
Darstellung der angebotenen Leistung; diese ergab sich erst aus den auf
der Rückseite enthaltenen Eintragungsbedingungen, die in
kleiner Schrift und
mit hellgrauer Farbe gedruckt waren. Allerdings befand sich auf dem
Schreiben
mehrfach der Wortteil „Offerte“. Auch wurde darauf
hingewiesen, daß die
Zahlung mittels des beigefügten
Überweisungsträgers „bei Annahme“
zu erfolgen
habe und daß die auf der Rückseite befindlichen
Rechtshinweise und
Eintragungsbedingungen „vor Annahme“ zu beachten
seien.
Der Angeklagte veränderte das Schreiben mehrfach, unter anderem
auf Verlangen des Handelsregisters, um dem Anschein entgegenzuwirken,
das Schreiben sei die Rechnung einer öffentlichen Stelle. So
wurde die Firma
von „Z H -D “ über „ZRD R
“ schließlich in „ZRD Z R -D “
geändert. Auch wurde
der für amtliche Rechnungen übliche Begriff
„Kassenzeichen“ durch
„ZRD-Offertennummer“ ersetzt und später
auf die Festsetzung einer für
Rechnungen typischen Zahlungsfrist von sieben Tagen verzichtet.
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Von Januar 1999 bis Januar 2000 versandte der Angeklagte seine
Formulare an 12.290 neu gegründete oder umbenannte
Unternehmen, deren
Adressen er dem Bundesanzeiger oder sonstigen
Veröffentlichungen über
neue Registereintragungen entnommen hatte. Zur Einrichtung einer
entsprechenden
Datenbank kam es nicht, weil keines der angeschriebenen Unternehmen
den Versuch unternahm, mit dem Angeklagten Kontakt aufzunehmen.
Allerdings zahlten insgesamt 351 Empfänger mittels des
vorgefertigten
Überweisungsträgers. Diese hielten aber das Schreiben
für eine amtliche
Rechnung und wollten mit der geleisteten Zahlung die noch ausstehende
Rechnung für die kurz zuvor erfolgte Registereintragung
begleichen. Insgesamt
gingen 433.198,43 DM auf den Konten des Angeklagten ein.
Die technischen Voraussetzungen, um bei etwaigen Angebotsannahmen
das Faxabrufsystem kurzfristig betreiben zu können, bestanden.
3. Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Betruges
freigesprochen, weil es an einer Täuschung im Sinne des
§ 263 Abs. 1 StGB
fehle. Zwar könne die Versendung von
rechnungsähnlichen Offerten im Einzelfall
durchaus zur Annahme einer Täuschungshandlung führen,
wenn bei
Gestaltung der Formularschreiben typische Rechnungsmerkmale verwendet
würden. Jedoch würde sich aus den Hinweisen, die sich
auf der Vorderseite
der hier verwendeten Formulare befänden, der Angebotscharakter
der
Schreiben „eindeutig“ ergeben und „kein
Zweifel“ daran bestehen, daß es
sich nicht um eine amtliche Rechnung handele. Schließlich
spreche gegen
eine Täuschung auch der Umstand, daß sich das
Vertragsangebot ausschließlich
an Vollkaufleute, also überwiegend im geschäftlichen
Verkehr
erfahrene Adressaten, gerichtet habe und es nur bei einem
außerordentlich
geringen Teil der Empfänger (knapp 3 %) zu einem Irrtum
gekommen sei. Es
sei nicht Aufgabe des § 263 StGB, sorglose Menschen vor ihrer
eigenen
Sorglosigkeit zu schützen.
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Darüber hinaus hat der Tatrichter die Einlassung des
Angeklagten
nicht zu widerlegen vermocht, er habe nicht damit gerechnet,
daß seine
Schreiben als amtliche Rechnung mißverstanden werden
könnten. Der Angeklagte
möge vielleicht gehofft haben, daß einige Adressaten
einem Irrtum
erlägen, der Angeklagte habe aber nicht zielgerichtet die
Irrtumserregung
angestrebt.
II.
Das Urteil hält rechtlicher Überprüfung
nicht stand.
1. Das Landgericht ist zutreffend von der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs
ausgegangen, wonach derjenige, der Angebotsschreiben
übersendet, in denen durch die Verwendung typischer
Rechnungsmerkmale
der Eindruck einer Zahlungspflicht erweckt wird, eine
Täuschung im Sinne
des § 263 Abs. 1 StGB begehen kann (vgl. BGHSt 47, 1;
Tröndle/Fischer,
StGB 51. Aufl. § 263 Rdn. 16). Jedoch ist die
Beweiswürdigung in verschiedener
Hinsicht fehlerhaft.
Allerdings muß das Revisionsgericht grundsätzlich
hinnehmen, wenn
der Tatrichter einen Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an seiner
Täterschaft
nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist
Sache des Tatrichters;
die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich
darauf, ob diesem
Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht
der Fall,
wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder
lückenhaft ist oder
gegen Denkgesetze und gesicherte Erfahrungssätze
verstößt (st. Rspr.; BGH
NStZ 2002, 48; BGH NStZ-RR 2000, 171; BGHR StPO § 261
Überzeugungsbildung
33 m.w.N.).
Hier erweist sich die Beweiswürdigung des Landgerichts als
widersprüchlich
und lückenhaft. Freilich können und müssen
die Gründe auch eines
freisprechenden Urteils nicht jeden irgendwie beweiserheblichen Um-
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stand ausdrücklich würdigen. Das Maß der
gebotenen Darlegung hängt von
der jeweiligen Beweislage und insoweit von den Umständen des
Einzelfalles
ab; dieser kann so beschaffen sein, daß sich die
Erörterung bestimmter einzelner
Beweisumstände erübrigt. Insbesondere wenn das
Tatgericht auf
Freispruch erkennt, obwohl - wie hier - nach dem Ergebnis der
Hauptverhandlung
gegen den Angeklagten ein ganz erheblicher Tatverdacht besteht,
muß es allerdings in seiner Beweiswürdigung und
deren Darlegung die ersichtlich
möglicherweise wesentlichen gegen den Angeklagten sprechenden
Umstände und Erwägungen einbeziehen (BGH wistra 2002,
260, 261; BGH
NStZ-RR 2000, 171) und in einer Gesamtwürdigung betrachten
(BGH NJW
2002, 2188, 2189; 2002, 1811, 1812; BGH NStZ 2002, 48). Dem wird das
angefochtene Urteil nicht gerecht.
a) Die Feststellungen zum Angebotsschreiben widersprechen sich.
Der Tatrichter hat einerseits ausgeführt, daß das
„Angebotsschreiben ... nach
seiner Gestaltung auf den ersten Blick einer amtlichen Rechnung
gleicht“
(UA S. 4). Diese Wertung ist nach den im Urteil mitgeteilten
Rechnungsmerkmalen
(u.a. Bezeichnung der Firma als „Z H -
D , Angabe einer Zahlungsfrist, vorgefertigter Zahlschein, Verwendung
der Begriffe Kassenzeichen und ZRD-Kostengegenstand, Fehlen von
individueller Anrede und Grußformel) nicht nur
möglich, sondern naheliegend.
Hiermit ist nicht ohne weiteres die Wertung vereinbar, die Formulare
seien „von der Gestaltung her der Rechnung einer
Gerichtskasse (nur) bei
oberflächlicher Betrachtung durchaus
ähnlich“ und es fände sich „auf
dem
Formular eine Vielzahl deutlicher Hinweise, die keinen Zweifel daran
lassen,
daß es sich eben nicht um eine amtliche Rechnung“
(UA S. 11) handele.
Das Landgericht hat bei seiner Wertung den Hinweisen auf den
Angebotscharakter,
deren Bedeutung sich erst aus den auf der Rückseite
befindlichen
Rechtshinweisen und Eintragungsbedingungen ergibt, das entscheidende
Gewicht beigemessen. Es hätte sich aber damit auseinandersetzen
müssen, daß die äußerliche
Gestaltung der Formulare auch auf deren Inhalt
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zurückwirken kann (vgl. Anm. Geisler in NStZ 2002, 86, 87 f.
und Anm. Loos
in JR 2002, 77, 78, jew. zu BGHSt 47, 1). Wie sich aus dem in den
Urteilsgründen
wiedergegebenen Formular ergibt, sind die auf der Rückseite
befindlichen
Angaben in winziger Schrift ohne jeden Absatz und ohne jede Hervorhebung
mit hellgrauer Farbe gedruckt. Unter Berücksichtigung auch
dieses
Umstandes hätte sich dann möglicherweise ergeben,
daß der Angeklagte
mit dem Gesamterklärungswert des Formulars bei den
Empfängern
den Eindruck vermitteln wollte, daß eine Zahlung für
eine bereits erfolgte Leistung
eingefordert werde.
b) Insbesondere schöpfen die Darlegungen, mit denen die
Einlassung
des Angeklagten als nicht zu widerlegen angesehen wird, den Sachverhalt
nicht aus. Es wird in diesem Zusammenhang nicht ausdrücklich
erörtert, daß
der Angeklagte zwar insgesamt 433.198,43 DM erhalten, aber keinerlei
Geschäftstätigkeit
entfaltet hat. Mit dieser Passivität auf dem vermeintlichen
Geschäftsfeld hätte sich das Landgericht
auseinandersetzen müssen, weil
sie nahe legt, daß ein solcher Geschehensablauf auch den
Absichten des
Angeklagten entsprochen hat. Dies gilt umso mehr, als die angebotene
Leistung
erst auf der Rückseite - mit winziger Schrift und hellgrauer
Farbe gedruckt
- beschrieben wird. Wenn es dem Angeklagten darum gegangen
wäre,
Kunden zu gewinnen, hätte es nahegelegen, daß er die
von ihm angebotene
Leistung optisch deutlich vorangestellt hätte. Dabei
hätte auch die in
den Urteilsgründen mitgeteilte schwere Erreichbarkeit des
Angeklagten
(Briefkastenfirma) Berücksichtigung finden müssen.
2. Die Erwägung des Landgerichts, die Angebotsschreiben seien
nicht
zur Täuschung geeignet gewesen, weil für deren
Empfänger „bei Anwendung
(nur) durchschnittlicher Sorgfalt ohne weiteres erkennbar (sei),
daß es sich
jedenfalls nicht um eine amtliche Rechnung handelt“, und von
den „im geschäftlichen
Verkehr erfahrene(n) Adressaten“ erwartet werden
könne und
müsse, „daß sie im Zweifel auch die
Rückseite des Schreibens lesen und
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spätestens dadurch den Angebotscharakter erkennen“
(UA S. 14), vermag
ebenfalls nicht zu überzeugen.
Leichtgläubigkeit oder Erkennbarkeit der Täuschung
bei hinreichend
sorgfältiger Prüfung schließen die
Schutzbedürftigkeit des potentiellen Opfers
und damit gegebenenfalls eine Täuschung nicht aus (vgl. BGHSt
34, 199,
201; BGH NStZ 2003, 313, 314). Eine Täuschung kann auch
konkludent erfolgen,
nämlich durch irreführendes Verhalten. Eine
Täuschungshandlung
kann somit auch gegeben sein, wenn sich der Täter hierzu -
isoliert betrachtet
- wahrer Tatsachenbehauptungen bedient. In solchen Fällen wird
ein
Verhalten dann zur tatbestandlichen Täuschung, wenn der
Täter die Eignung
der - inhaltlich richtigen - Erklärung, einen Irrtum
hervorzurufen, planmäßig
einsetzt und damit unter dem Anschein
„äußerlich verkehrsgerechten Verhaltens"
gezielt die Schädigung des Adressaten verfolgt, wenn also die
Irrtumserregung
nicht die bloße Folge, sondern der Zweck der Handlung ist
(vgl. BGHSt 47, 1; BGH wistra 2001, 386).
In diesem Zusammenhang hätte die Strafkammer nicht lediglich
auf
eine Geschäftserfahrung der Empfänger abstellen
dürfen. Sie hätte sich auch
damit auseinandersetzen müssen, daß die Schreiben
speziell auf die Empfänger
ausgerichtet waren. Die Schreiben wurden nicht wahllos an einen
zufällig
ausgewählten Adressatenkreis versendet. Vielmehr wurden sie
gezielt
an einen Personenkreis gerichtet, für den unmittelbar zuvor
eine Eintragung
im Handelsregister erfolgt war und der deshalb mit einer Kostenforderung
rechnen mußte. Ein auf Unaufmerksamkeit beruhender
Routineirrtum lag bei
derartigen Empfängern nahe. Ihre Geschäftserfahrung
ändert hieran ersichtlich
nichts, zumal die Erledigung des Schreibens durch Büropersonal
zu erwarten
war (vgl. OLG Frankfurt a.M. NJW 2003, 3215). Der Beschluß des
Senats vom 27. Februar 1979 - 5 StR 805/78 - (veröffentlicht
in NStZ 1997,
186) darf ohnehin nicht dahin mißverstanden werden,
daß eine vorsätzliche
Täuschung von Kaufleuten in Fällen vergleichbarer Art
regelmäßig zu verneinen
wäre.
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III.
Der neue Tatrichter wird gegebenenfalls auch zu prüfen haben,
ob
die einzelnen dem Angeklagten vorgeworfenen Betrugsfälle
konkurrenzrechtlich
jeweils eigenständige Taten darstellen oder aber als Teil
eines Organisationsdelikts
zu bewerten sind (vgl. BGHR StGB § 263 Täterschaft 1;
BGH NStZ 1996, 296; BGH, Beschl. v. 26.08.2003 - 5 StR 145/03 Umdruck
S. 15 f.). Letzteres hätte zur Folge, daß auch
diejenigen Fälle, in denen
die Adressaten keine Zahlung geleistet haben, - als
unselbständige Versuchsfälle
- von der Anklage mitumfaßt wären und der
Kognitionspflicht unterlägen.
Harms Häger Basdorf
Brause Schaal |