BGH,
Urt. v. 4.2.2009 - 2 StR 504/08
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 504/08
vom
4. Februar 2009
BGHR: ja BGHSt: ja Veröffentlichung: ja
StGB §§ 73 Abs. 1 Satz 2, 73a Satz 1
1. Von den Ermittlungsbehörden für
Betäubungsmittelaufkäufe eingesetztes Kaufgeld
unterliegt jedenfalls dann dem Wertersatzverfall
gemäß § 73a Satz 1 StGB, wenn es nicht
sichergestellt wurde.
2. § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB steht der Anordnung des Verfalls
von eingesetztem Scheinkaufgeld nicht entgegen, weil der
öffentlichen Hand eigenständige
Ersatzansprüche, die eine Kompensation ihrer verletzten
Interessen gewährleisten sollen, nicht zur Verfügung
stehen.
BGH, Urteil vom 4. Februar 2009 - 2 StR 504/08 - LG Gera
in der Strafsache
gegen
1. 2. 3. wegen unerlaubten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 4.
Februar 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Prof. Dr. Schmitt,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt für den Angeklagten L. ,
Rechtsanwalt für den Angeklagten B. und
der Referendar
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Gera vom 19. Juni 2008 im Ausspruch über den
Verfall von Wertersatz aufgehoben, soweit
- beim Angeklagten Ö. von einer Verfallsanordnung insgesamt
- beim Angeklagten L. von einer den Betrag von 600,-- Euro
übersteigenden Verfallsanordnung und
- beim Angeklagten B. von einer den Betrag von 4.000,-- Euro
übersteigenden Verfallsanordnung
abgesehen wurde.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
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Gründe:
Das Landgericht hat die drei Angeklagten wegen
Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz
zu Gesamtfreiheitsstrafen von zwei Jahren sechs Monaten (Angeklagter
Ö. ), drei Jahren sechs Monaten (Angeklagter L. ) und vier
Jahren (Angeklagter B. ) verurteilt. Zu Lasten des Angeklagten L. hat
es den Verfall von Wertersatz in Höhe von 600 €, zu
Lasten des Angeklagten B. in Höhe von 4000 €
angeordnet. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer zu Ungunsten
der Angeklagten eingelegten, auf die Verletzung sachlichen Rechts
gestützten Revision allein gegen die Nichtanordnung von
Wertersatz (Angeklagter Ö. ) bzw. die Höhe des
Verfallbetrages (Angeklagte L. und B. ). Das wirksam
beschränkte - vom Generalbundesanwalt ver-tretene -
Rechtsmittel hat Erfolg.
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1. Nach den Feststellungen verkauften die Angeklagten vom 23. November
2007 bis 13. Dezember 2007 Kokain an einen verdeckt ermittelnden
Polizeibeamten des Thüringer Landeskriminalamtes. Das
Landgericht meint, das von den Ermittlungsbeamten zum Scheinkauf von
Drogen eingesetzte Kaufgeld stelle kein erlangtes Etwas im Sinne von
§ 73 StGB dar. Die nach § 73a StGB mögliche
Verfallsanordnung müsse sich auf die Gelder
beschränken, die den Angeklagten bei der Abwicklung der
Tathandlungen vorübergehend oder nicht mehr individualisierbar
zugeflossen seien, ohne unmittelbar vom nicht offen ermittelnden
Endabnehmer des Kokains gezahlt worden zu sein. Ein Verfall der
Geldbeträge, die darüber hinaus im Rahmen der
Scheinaufkäufe gezahlt, bei den Angeklagten jedoch nicht mehr
aufgefunden wurden, könne dagegen nicht angeordnet werden.
Denn § 73a StGB knüpfe an die Voraussetzungen des
Verfalls an, die hinsichtlich der zum Scheinkauf zur Verfügung
gestellten Gelder nicht vorlägen, da die Angeklagten hieran
aufgrund der Nichtig-
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keit des schuldrechtlichen und des dinglichen
Erwerbsgeschäftes kein Eigentum hätten erwerben
können.
2. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht
stand. Von den Ermittlungsbehörden für
Betäubungsmittelaufkäufe eingesetztes Kaufgeld
unterliegt jedenfalls dann dem Wertersatzverfall, wenn es nicht
sichergestellt wurde. Beim Erlangen im Sinne von §§
73 Abs. 1, 73a Satz 1 StGB handelt es sich um einen
tatsächlichen Vorgang. Erlangt ist - unabhängig von
der Wirksamkeit des zugrunde liegenden Verpflichtungs- und
Verfügungsgeschäftes - schon dann
„etwas“, wenn der Gegenstand in irgendeiner Phase
des Tatablaufs in die Verfügungsgewalt des Täters
übergegangen ist und ihm so aus der Tat unmittelbar etwas
wirtschaftlich messbar zugute kommt (BGHSt 51, 65, 68; BGH, Beschluss
vom 30. Mai 2008 - 2 StR 174/08). Die Angeklagten Ö. , L. und
B. hatten mit dem Erhalt und dem Besitz des Geldes aus den
Scheinkäufen die tatsächliche und, soweit die Gelder
nicht aufgefunden wurden, von ihnen auch genutzte Möglichkeit
darüber zu verfügen. Dies stellt einen dem jeweiligen
Geldbetrag entsprechenden Wert dar, den die Angeklagten unmittelbar aus
der Tat erlangt haben. Auf die zivilrechtlichen
Eigentumsverhältnisse an den Beträgen kam es entgegen
der Auffassung des Landgerichts nicht an.
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Dies gilt gleichermaßen für den Durchgangserwerb
durch die Angeklagten Ö. und L. . Einer Verfallsanordnung
steht nicht etwa entgegen, dass der Angeklagte Ö. im Fall II
2. 2600 Euro und im Fall II 3. 3000 Euro unmittelbar nach deren Erhalt
an den Angeklagten L. weiter gegeben hat. Ausschlaggebend ist, dass er
- wenn auch nur vorübergehend - die tatsächliche
Möglichkeit erlangt hat, über die Beträge zu
verfügen (vgl. BGHR StGB § 73 Erlangtes 5). Selbst
wenn ein Rauschgifthändler dieselben Geldscheine, die er von
den Käufern erhält, unmittelbar im Anschluss daran an
seinen Lieferanten
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weitergibt, werden diese Beträge zunächst Bestandteil
seines Vermögens und unterliegen dem Verfall (vgl. BGHSt 51,
65, 66 ff.; BGH NStZ 2004, 440).
Auch die Vorschrift des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB steht der
Verfallsanordnung nicht entgegen. „Verletzter“ im
Sinne dieser Vorschrift kann nur derjenige sein, dessen
Individualinteressen durch das vom Täter verletzte Strafgesetz
geschützt werden solle (vgl. BGHR StGB § 73
Verletzter 1, 2). Dies kann zwar auch eine Behörde sein, die,
wie etwa der Steuerfiskus (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 237, 238; BGHR StGB
§ 73 Verletzter 3) oder der Dienstherr (vgl. BGH NStZ-RR 2008,
13, 15) eigenständige öffentlich-rechtliche
Ansprüche hat, welche eine Kompensation ihrer verletzten
Interessen gewährleisten sollen. Dies trifft jedoch auf das
Landeskriminalamt bzw. das Land Thüringen als seinem
Rechtsträger nicht zu. Die Strafvorschriften des
Betäubungsmittelgesetzes bezwecken nicht den individuellen
Rechtsgüterschutz staatlicher Stellen, sondern dienen allein
der Wahrung öffentlicher Belange, ohne für den Fall
ihrer Verletzung der öffentlichen Hand
Ersatzansprüche zur Verfügung zu stellen.
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3. Die Feststellungen des Landgerichts zu den gezahlten, vereinnahmten
und weitergegebenen Geldbeträgen können aufrecht
erhalten bleiben, da sie von dem Rechtsfehler unbeeinflusst sind.
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4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes
hin:
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a) Soweit die Anordnung von Wertersatzverfall bei Durchgangserwerb
eines Angeklagten in Betracht kommt, können spätere
Mittelabflüsse erforderlichenfalls im Rahmen der
Härteregelung des § 73c StGB berücksichtigt
werden.
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b) Bei dem Angeklagten L. scheitert die Verfallsanordnung hinsichtlich
der 3000 Euro aus der Tat II 3. nicht daran, dass ihm der Betrag nur
mittelbar über den Angeklagten Ö. zugeflossen ist.
Erlangt im Sinne des § 73a StGB ist auch das, was
zunächst ein Mittäter erhält und erst
später - entsprechend einer zuvor getroffenen Absprache -
aufgeteilt wird (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 10 f.).
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c) Der neue Tatrichter wird bei der gebotenen Prüfung nach
§ 73c StGB die zutreffenden Ausführungen des
Generalbundesanwalts zu den Berechnungsgrundlagen des
Wertersatzverfalls bei den einzelnen Angeklagten zugrunde zu legen
haben.
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Rissing-van Saan Fischer Roggenbuck
Cierniak Schmitt
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 504/08
vom
12. März 2009
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge u.a.
wird das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 4. Februar 2009 wegen eines
offensicht-lichen Schreibversehens dahingehend berichtigt,
dass das Zitat auf S. 6 RdNr. 5 Zeile 5/6 "BGH NStZ-RR 2007, 237,
238"... lauten muss.
Rissing-van Saan Fischer Roggenbuck
Appl Schmitt |