BGH,
Urt. v. 5.12.2002 - 3 StR 161/02
3 StR 161/02
StGB § 263
1. Zur Tatbestandsmäßigkeit des Irrtums bei Zweifeln
des Opfers.
2. Zu den Anforderungen an die Feststellung eines Irrtums beim Betrug
zum Nachteil von arbeitsteilig tätigen Unternehmen,
Körperschaften und Personenmehrheiten.
BGH, Urteil vom 5. Dezember 2002 - - LG Düsseldorf
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 5. Dezember 2002
in der Strafsache gegen
wegen Betruges
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat aufgrund der
Verhandlungen vom 17. Oktober und 5. Dezember 2002, an denen
teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr.
Tolksdorf, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Miebach, Winkler, von
Lienen, Becker als beisitzende Richter, Bundesanwalt als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger, - in der Verhandlung
vom 17. Oktober 2002 - Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt: 11
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Düsseldorf vom 20. Dezember 2001 wird
a) das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO
eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall 21 der
Urteilsgründe (Abrechnungserklärungen vom 15. April
1999) wegen Betruges verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung
fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des
Angeklagten der Staatskasse zur Last;
b) der Schuldspruch dahin geändert, daß der
Angeklagte des Betruges in 20 und des versuchten Betruges in 16
Fällen schuldig ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten seines
Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 21
Fällen sowie wegen versuchten Betruges in 16 Fällen
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die
hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die
Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, bleibt im
wesentlichen ohne Erfolg. Die Verfahrensrügen sind aus den
Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Auch mit
der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts hat die Revision
- abgesehen von der Einstellung des Verfahrens im Fall 21 der
Urteilsgründe und der dadurch veranlaßten
Änderung des Schuldspruchs - keinen Erfolg.
I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte eröffnete im Jahr 1997 eine Zahnarztpraxis als
reine Privatpraxis, weil er einen Antrag auf Zulassung als Kassenarzt
wegen seiner Vorstrafen nicht als erfolgversprechend ansah. Um auch
Kassenpatienten behandeln und die für diese erbrachten
Leistungen abrechnen zu können, setzte er ab Ende 1997 den als
Kassenarzt zugelassenen Zeugen R. , der seine eigene Zahnarztpraxis
wegen hoher Schulden und fehlender Einnahmen hatte aufgeben
müssen, in seiner Praxis gegen eine monatliche Zahlung von
6.000 DM als "Strohmann" ein. Der Angeklagte behandelte neben den
Privatpatienten 90 % der Kassenpatienten, R. nur die restlichen 10 %.
Entsprechend der von beiden getroffenen Abrede rechnete R. jedoch
gegenüber der Kassenzahnärztlichen Vereinigung N. (im
folgenden: KZV) auch die vom Angeklagten durchgeführten
Behandlungen als eigene ab.
Auf diese Weise wurden der KZV im Zeitraum vom 12. Januar 1998 bis 10.
April 2000 in 37 Fällen von R. unterzeichnete
Leistungsanträge vorgelegt. Die KZV zahlte nach
Prüfung der Unterlagen Honorare in Höhe von insgesamt
rund 1,26 Millionen DM an R. aus. Das Geld vereinnahmte - abgesehen von
der monatlichen Zahlung von 6.000 DM an R. - der Angeklagte
für sich.
Bereits in einer bei der KZV im August 1998 eingegangenen und an die
Staatsanwaltschaft weitergeleiteten anonymen Anzeige wurde der
Angeklagte bezichtigt, Behandlungen von Kassenpatienten über
einen anderen Kassenarzt abzurechnen. Da der Name des Kassenarztes
nicht mitgeteilt war, wurde das Ermittlungsverfahren eingestellt.
Nachdem in einer weiteren, direkt an die Staatsanwaltschaft gerichteten
anonymen Anzeige der Name des abrechnenden Kassenzahnarztes mit "R. "
genannt worden war, nahm sie die Ermittlungen wieder auf und
unterrichtete die KZV am 20. April 1999. Diese stellte daraufhin
hausinterne Ermittlungen an. Aufgrund der durch sie gewonnenen
Erkenntnisse faßte ihr Vorstand am 16. Juni 1999 den
Beschluß, 50 % der beantragten Leistungen, jedoch
entsprechend den maßgeblichen Satzungsregeln maximal 50.000
DM einzubehalten und nur die darüber hinaus gehenden
Beträge auszubezahlen. Die KZV hatte, nachdem sie in
früheren Fällen bei einer restriktiveren
Vorgehensweise in Gerichtsverfahren unterlegen war, in der Satzung
festgelegt, daß eine Zurückbehaltung nur bei sehr
dichtem Verdacht und nur auf Grund eines Vorstandsbeschlusses
möglich sei.
Das Landgericht hat angenommen, daß für die Zeit vor
der Unterrichtung über die zweite anonyme Anzeige am 20. April
1999 die KZV die Auszahlungen aufgrund eines Irrtums im Sinne des
§ 263 StGB veranlaßt habe: Ein Irrtum sei auch dann
gegeben, wenn der Getäuschte - wie hier - die behaupteten
Tatsachen bezweifele, aber gleichwohl die Möglichkeit der
Unwahrheit für geringer erachte. Die Strafkammer hat daher die
Einreichung von Abrechungen in diesem Zeitraum als 21 Fälle
des vollendeten Betrugs abgeurteilt. Dagegen hat sie für die
nachfolgenden 16 Abrechnungen nur versuchten Betrug bejaht, weil die
Entscheidungsträger der KZV auf Grund der zweiten Anzeige
einen verstärkten Verdacht gehegt hätten und davon
ausgegangen seien, daß die Abrechnungen mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht den Tatsachen
entsprochen hätten. Die späteren Leistungen seien
somit nicht mehr durch einen Irrtum veranlaßt gewesen.
II. Der Schuldspruch hält - in dem durch die teilweise
Einstellung des Verfahrens beschränkten Umfang - der
rechtlichen Nachprüfung aufgrund der Sachrüge stand.
1. Zum Irrtum:
Das Landgericht hat, soweit es die vor dem 20. April 1999 bearbeiteten
Abrechungsanträge (Fälle 1 bis 20) betrifft, ohne
Rechtsfehler angenommen, daß die Sachbearbeiter der KZV die
Auszahlungen trotz des bereits entstandenen, bis dahin allerdings noch
relativ vagen Verdachts auf Grund eines täuschungsbedingten
Irrtums veranlaßt hatten. Soweit es für die
späteren Abrechnungen (Fälle 22 bis 37) wegen des
durch die zweite Anzeige verstärkten und konkretisierten
Verdachts einen Irrtum im Sinne des § 263 StGB aus
Rechtsgründen verneint und den Angeklagten nur wegen
versuchten Betrugs verurteilt hat, ist dieser nicht beschwert, so
daß für die Entscheidung über seine
Revision offen bleiben kann, ob es dabei nicht von einem zu engen
Maßstab ausgegangen ist.
a) Zur Bedeutung von Zweifeln für die Annahme eines Irrtums:
Welchen Einfluß beim Betrugstatbestand Zweifel des Opfers an
der Wahrheit der vorgetäuschten Tatsache auf die Annahme eines
Irrtums haben, ist in der Literatur umstritten.
Die herrschende Lehre geht davon aus, daß auch der Zweifelnde
im Sinne des § 263 StGB irre und Zweifel solange irrelevant
seien, als er die Wahrheit der Tatsache noch für
möglich halte. Der Getäuschte falle der List des
Täters auch dann zum Opfer, wenn er trotz seiner Zweifel
infolge der Täuschung die Vermögensverfügung
vornehme. Ein tatbestandsmäßiger Irrtum sei erst
dann nicht mehr gegeben, wenn er zwar die vorgespiegelte Tatsache
für möglich halte, jedoch zur Frage der Wahrheit
innerlich nicht Stellung beziehe, ihm der Wahrheitsgehalt
gleichgültig sei und er die
Vermögensverfügung unabhängig von ihrer
Wahrheit treffe (vgl. insbesondere Lackner in LK 10. Aufl. §
263 Rdn. 79 ff.; Tiedemann in LK 11. Aufl. § 263 Rdn. 84 ff.;
Cramer in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. §
263 Rdn. 40; Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT Bd. 1, 8. Aufl.
§ 41 Rdn. 59 ff.; Rengier, Strafrecht BT Bd. 1, 4. Aufl.
§ 13 Rdn. 21; Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT Bd. 2, 24.
Aufl. § 13 Rdn. 510; jew. m. w. N.).
Demgegenüber vertritt eine Mindermeinung mit durchweg
viktimologisch orientierten Erwägungen und im einzelnen
differierenden Abgrenzungen die Auffassung, daß der
Betrugstatbestand bei zweifelnden Opfern wegen deren verminderter
Schutzbedürftigkeit nicht anwendbar sei (Hassemer,
Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrechtsdogmatik S. 131
ff., 147; Ellmer, Betrug und Opfermitverantwortung S. 281 ff.; Kurth,
Das Mitverschulden des Opfers beim Betrug, S. 175 ff., 183 ff., 194
ff.). Teilweise wird dabei auf den Intensitätsgrad des
Zweifels oder auf dessen Konkretisierung abgestellt (Krey, Strafrecht
BT Bd. 2, 2. Aufl. Rdn. 373, 374; Pawlik, Das unerlaubte Verhalten beim
Betrug, S. 248).
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes stimmt im wesentlichen mit
der herrschenden Auffassung im Schrifttum überein (BGH wistra
1990, 305; 1992, 95, 97; BGHR StGB § 263 Abs. 1
Täuschung 21; vgl. auch BGHSt 2, 325, 326). Allerdings wurden
bislang - soweit ersichtlich - nur Fälle entschieden, in denen
das Opfer von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit der
Wahrheit der behaupteten Tatsache ("wenn er die Möglichkeit
der Unwahrheit für geringer hält") ausgegangen ist.
Dem Senat geben die Ausführungen des
Beschwerdeführers keine Veranlassung, von den
Grundsätzen der bisherigen Rechtsprechung abzugehen. Die
viktimologisch motivierten Ansätze zur Einschränkung
des Betrugstatbestandes wegen geringerer Schutzbedürftigkeit
des zweifelnden Tatopfers finden im Wortlaut des § 263 StGB
keine Stütze und nehmen den strafrechtlichen Schutz vor
Angriffen auf das Vermögen durch Täuschung
unangemessen weit zurück. Die These, daß keines
Schutzes vor solchen Angriffen bedürfe, wer Zweifel an der
Wahrheit einer behaupteten, für seine Entscheidung
über eine Vermögensverfügung erheblichen
Tatsache hege, trifft nicht zu. Die ihr zugrundeliegende Vorstellung,
daß sich das Tatopfer bei solchen Zweifeln vergewissern oder
von der schädigenden Vermögensverfügung
Abstand nehmen könne, läuft auf eine dem Strafrecht
fremde Bewertung eines Mitverschuldens hinaus, das auch sonst nicht
tatbestandsausschließend wirkt, und begegnet zudem in ihren
tatsächlichen Prämissen Bedenken: Insbesondere in
Fällen, in denen das Tatopfer unter Täuschung
über das Vorliegen der Voraussetzungen auf gesetzlich oder
vertraglich geschuldete Leistungen in Anspruch genommen wird, ist seine
Freiheit, die Erfüllung wegen Zweifeln an der Wahrheit der
anspruchsbegründenden Behauptungen zu verweigern, faktisch
schon durch das mit der Weigerung verbundene Prozeßrisiko
begrenzt. Das wird durch die hier vom Landgericht getroffenen
Feststellungen anschaulich bestätigt: Danach waren
für die KZV in der Vergangenheit gerichtliche Verfahren, in
denen sie von Ärzten auf Zahlungen in Anspruch genommen wurde,
die sie wegen aufgetretener Zweifel an der
Ordnungsmäßigkeit der Abrechnungen
zurückgehalten hatte, negativ ausgegangen. Gerade aus dieser
Erfahrung hatte sie ihre Satzung dahin geändert, daß
nur bei Vorliegen eines "sehr weit konkretisierten Verdachtes"
Zahlungen zurückgehalten werden dürfen (UA S. 31).
Damit ist aber die Entscheidungssituation für den
Sachbearbeiter der KZV in gewisser Weise mit der eines Richters
vergleichbar, der im Sinne des § 263 StGB auch dann irrt, wenn
er Zweifel an der Richtigkeit des vom Kläger behaupteten
Sachverhalts hat, der Klage aber stattgeben muß, weil der
Beklagte säumig ist oder die Beweislast ausnahmsweise diesen
trifft (vgl. zum Irrtum beim Prozeßbetrug Tiedemann aaO Rdn.
86; Cramer aaO Rdn. 51; Amelung GA 1977, 16).
Danach spielt es für die
Tatbestandsmäßigkeit - entgegen dem Vorbringen der
Revision - keine Rolle, ob die Entscheidungsträger der KZV bei
sorgfältiger Prüfung die Täuschung durch den
Angeklagten und seinen Mittäter R. hätten erkennen
können, denn selbst leichtfertige Opfer werden durch das
Strafrecht geschützt (st. Rspr., vgl. BGHSt 34, 199, 201; BGH
wistra 1992, 95, 97; MDR 1972, 387 m. w. N.).
Zur Frage, bis zu welcher Intensität Zweifel des
Getäuschten die Annahme eines Irrtums nicht
ausschließen oder - umgekehrt - mit welchem Grad der
Wahrscheinlichkeit er die behauptete Tatsache für wahr halten
muß, damit ein Irrtum bejaht werden kann, neigt der Senat in
Fortführung der bisherigen Rechtsprechung und in
Übereinstimmung mit der oben dargestellten herrschenden
Meinung in der Literatur zu der Auffassung, daß -
über die bislang vom Bundesgerichtshof entschiedenen
Fälle hinaus - Zweifel solange nicht geeignet sind, die
Annahme eines tatbestandsmäßigen Irrtums in Frage zu
stellen, als das Opfer gleichwohl noch die Wahrheit der behaupteten
Tatsache für möglich hält und deswegen die
Vermögensverfügung trifft, also trotz seiner Zweifel,
seien sie auch noch so erheblich, der List des Täters zum
Opfer fällt (Lackner aaO). Auch bei einem solchen
Geschädigten ist noch eine Fehlvorstellung vorhanden, die
für die Vermögensverfügung
ursächlich wird und unter den tatbestandlichen Begriff des
Irrtums subsumiert werden kann. Hinzu kommt, daß erhebliche
praktische Bedenken gegen eine Abgrenzung nach
Wahrscheinlichkeitsgraden bestehen. Diese ließen sich
begrifflich schwer fassen und würden Feststellungen
erforderlich machen, die über die Grenzen dessen hinausgingen,
was die Beweisaufnahme leisten kann.
Die Frage braucht indes hier nicht abschließend entschieden
zu werden. Auch ausgehend von der bisherigen Rechtsprechung, nach der
ein Argwohn des Tatopfers für das Tatbestandsmerkmal des
Irrtums jedenfalls dann unschädlich ist, wenn es die
Möglichkeit der Unwahrheit für geringer hält
als die der Wahrheit, ist die Annahme eines Irrtums und eines
vollendeten Betrugs in den Fällen 1 bis 20 nicht zu
beanstanden. Es liegt auf der Hand, daß durch die im August
1998 eingegangene anonyme Anzeige, die den Angeklagten namentlich
nannte, aber keinen Hinweis darauf enthielt, über welchen
zugelassenen Kassenarzt er von ihm erbrachte Leistungen abrechnete,
kein mit der Prüfung von Abrechnungen des R.
befaßter und für die Auszahlungsanordnung
zuständiger Mitarbeiter der KZV auf den Gedanken verfallen
ist, daß gerade in dessen Anträgen die vom
Angeklagten durchgeführten Behandlungen abgerechnet sein
könnten, und diesen Sachverhalt dann auch noch als
wahrscheinlicher angesehen hat als die von R. behauptete
Selbsterbringung der Leistungen. Ebendies bringt das angefochtene
Urteil mit der Feststellung, daß die "maßgeblichen
Entscheidungsträger" in der KZV vor dem 20. April 1999
allenfalls einen vagen Verdacht hatten, noch hinreichend deutlich zum
Ausdruck. Etwas anderes läßt sich im
übrigen auch dem Vorbringen der Revision nicht entnehmen, die
sich insofern im Kern ihrer Ausführungen auf den Vorwurf
beschränkt, den zuständigen Mitarbeitern
hätten bei sorgfältigerer Prüfung Zweifel
kommen können und müssen, die, wie sie - allerdings
zu Unrecht - meint, einen Irrtum ausgeschlossen hätten.
Soweit das Landgericht den Angeklagten in den Fällen 22 bis 37
wegen des nunmehr verstärkten und in Richtung des R.
konkretisierten Verdachts nur wegen versuchten Betrugs verurteilt hat,
liegt nahe, daß es gemessen an den vorstehenden
Maßstäben zu strenge Anforderungen an die Annahme
eines täuschungsbedingten Irrtums gestellt hat. Hierdurch ist
der Angeklagte jedoch nicht beschwert.
b) Zur gerichtlichen Feststellung des Irrtums:
Der Bestand des angefochtenen Urteils wird im Ergebnis auch nicht
dadurch gefährdet, daß es das Landgericht
unterlassen hat, in den Urteilsgründen im einzelnen
darzustellen, wer in den Abrechnungsfällen jeweils die
"maßgeblichen Entscheidungsträger" innerhalb der KZV
gewesen waren und welche konkreten Vorstellungen diese über
die Wahrheit der Angaben in den Anträgen hatten.
aa) Da der Tatbestand des Betrugs voraussetzt, daß die
Vermögensverfügung durch den Irrtum des
Getäuschten veranlaßt worden ist, müssen
die Urteilsgründe regelmäßig darlegen, wer
die Verfügung getroffen hat und welche Vorstellungen er dabei
hatte. Die Überzeugung des Gerichts, daß der
Verfügende einem Irrtum erlegen war, wird dabei in aller Regel
dessen Vernehmung erfordern. Nur in einfach gelagerten Fällen
- insbesondere bei der betrügerischen Erschleichung von
Leistungen zum Nachteil von Unternehmen, in denen die Prüfung
der anspruchsbegründenden Voraussetzungen in einem
standardisierten, auf massenhafte Erledigung ausgerichteten
Abrechnungsverfahren erfolgt - wird sich die tatrichterliche
Überzeugung je nach den näheren Umständen
ausnahmsweise auch in anderer Weise gewinnen lassen, etwa durch
Vernehmung eines Abteilungsleiters oder Innenrevisors, der
betriebsintern die Schadensfälle bearbeitet hatte und von
daher zu den Vorstellungen der einzelnen Sachbearbeiter berichten kann
(vgl. BGHR StGB § 263 Abs. 1 Irrtum 9). Eine solche mittelbare
Beweiserhebung wird jedoch dann nicht ausreichen, wenn vor der
Verfügung ein erheblicher Verdacht einer
betrügerischen Täuschung laut geworden ist oder sich
sonst Anhaltspunkte für weitergehende Erkenntnisse des konkret
für die Verfügung zuständigen Mitarbeiters
ergeben haben, da dann fraglich wird, ob dieser noch einem Irrtum
erlegen war und durch diesen zur Verfügung veranlaßt
worden ist.
Bei arbeitsteilig tätigen Unternehmen, Körperschaften
und Personenmehrheiten wird in der Regel auch festzustellen sein, wer
im konkreten Fall auf welcher Grundlage und mit welchen Vorstellungen
die Entscheidung über die Erbringung der vom Täter
erstrebten Leistung getroffen und damit die Verfügung
vorgenommen hat. Im allgemeinen werden Prüfungen und
Auszahlungsanordnungen auf der üblicherweise dafür
vorgesehenen Sachbearbeiterebene getroffen. Im Einzelfall kann die
Entscheidung aber auch - etwa wegen der
Größenordnung eines Geschäfts oder auf
Grund eines geschöpften Verdachts - einer vorgesetzten Ebene
vorgelegt worden sein, die dann die Entscheidung selbst trifft oder dem
Sachbearbeiter Weisung für die Erledigung des Vorgangs
erteilt. In diesen Fällen kann die Beurteilung der
Irrtumsfrage sich insbesondere dann als problematisch erweisen, wenn
entweder nachgeordnete Hilfspersonen oder Vorgesetzte bessere
Erkenntnisse als der irrende Verfügende gehabt und unter
Verstoß gegen ihre dienstlichen Pflichten eine entsprechende
Information oder Weisung zur Verhinderung einer Verfügung
unterlassen haben (vgl. Tiedemann aaO, Rdn. 82 m. w. N.).
bb) Das angefochtene Urteil gibt auch unter Berücksichtigung
des Revisionsvorbringens keine Veranlassung, zu diesen zum Teil noch
wenig geklärten Rechtsfragen des näheren Stellung zu
nehmen:
Für die Fälle 1 bis 20 reichen die allerdings recht
pauschalen Feststellungen noch aus. Ihre - hier für die
Annahme eines Irrtums genügende (s. o. zu Buchst. a)) -
Überzeugung, daß die "maßgeblichen
Entscheidungsträger" innerhalb der KZV vor dem 20. April 1999
lediglich einen vagen Verdacht hatten, hat die Strafkammer ohne
Rechtsfehler dadurch gewonnen, daß sie fünf in
unterschiedlichen Funktionen - vom
Hauptgeschäftsführer bis zur Leiterin des
Prüfungswesens - tätige Zeugen vernommen und sie
insbesondere auch zur Behandlung und Bewertung der ersten anonymen
Anzeige befragt hat. Da sich dabei keine Anhaltspunkte dafür
ergeben haben, daß es innerhalb der KZV weitergehende
Erkenntnisse gegeben haben könnte, durfte die Strafkammer
angesichts des standardisierten, auf Massenerledigung angelegten
Abrechnungsverfahrens auch ohne namentliche Feststellung und Vernehmung
der einzelnen Sachbearbeiter den Schluß ziehen, daß
auch diese allenfalls einen lediglich vagen Verdacht hatten, der - wie
dargelegt - einen Irrtum nicht in Frage stellt.
Für die nach dem 20. April 1999 bearbeiteten Anträge
(Fälle 21 bis 37) hätte das Landgericht dagegen -
angesichts des nunmehr deutlich stärkeren Verdachts - auf die
Feststellung der jeweils verfügenden Mitarbeiter und deren
Vorstellungen über die Wahrheit der behaupteten Tatsachen
nicht verzichten dürfen, wenn es den Angeklagten wegen
vollendeter Betrugstaten hätte verurteilen wollen. Da die
Strafkammer indes für diesen Zeitraum ohnehin einen Irrtum
verneint und daher nur versuchten Betrug angenommen hat, kommt es auf
die tatsächlichen Vorstellungen der Mitarbeiter der KZV
ohnehin nicht an. Vielmehr genügt, daß der
Angeklagte mit einem Irrtum der zuständigen Sachbearbeiter
rechnete oder ihn jedenfalls ernsthaft für möglich
hielt. Das hat das Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellt.
2. Zum Vermögensschaden:
Die Strafkammer hat in der Auszahlung der Honorare an den Zeugen R.
für die Leistungen, die der Angeklagte als Nichtkassenarzt
erbracht hatte, ohne Rechtsfehler einen entsprechenden
Vermögensschaden gesehen. Nach der für den Bereich
des Sozialversicherungsrechts geltenden streng formalen
Betrachtungsweise (vgl. BGH NStZ 1995, 85 f.) genügt
hierfür bereits der Umstand, daß der Angeklagte ohne
kassenärztliche Zulassung nicht berechtigt ist, an der durch
die KZV erfolgten Verteilung der von den Kassen bezahlten Honorare
teilzunehmen. Dabei spielt es keine Rolle, daß den Kassen
infolge der Behandlung ihrer Patienten durch den Angeklagten
Aufwendungen in möglicherweise gleicher Höhe erspart
blieben, die ihnen durch die Behandlung durch einen anderen, bei der
Kasse zugelassenen Arzt entstanden wären. Denn eine solche
Kompensation findet bei der Schadensberechnung nicht statt (BGH NStZ
1995, 85, 86), zumal ein anderer hypothetischer Sachverhalt zugrunde
gelegt wird und offen bleiben muß, ob ein anderer Arzt die
gleiche Behandlungsweise gewählt hätte.
Soweit der Beschwerdeführer Bedenken gegen diese streng
formale sozialversicherungsrechtliche Betrachtungsweise anmeldet und
unter Bezugnahme auf Stimmen aus dem strafrechtlichen Schrifttum (vgl.
Volk NJW 2000, 3385 ff.) Einschränkungen verlangt, kann offen
bleiben, ob dem zu folgen ist. Die Notwendigkeit von
Einschränkungen wird diskutiert für Fälle
des Abrechnungsbetrugs begangen durch Ärzte, die sich als
Partner einer zugelassenen Gemeinschaftspraxis ausgaben, in Wahrheit
aber lediglich Angestellte waren und denen deshalb vorgeworfen wurde,
sich die Zulassung erschlichen zu haben (vgl. OLG Koblenz, MedR 2001,
144 f.). In solchen Fällen mag tatsächlich
zweifelhaft sein, ob der Irrtum der Verantwortlichen bei der
Kassenärztlichen Vereinigung nicht allein eine "Statusfrage",
nicht aber die Abrechnungsvoraussetzungen betrifft und ob nicht die
Auszahlung des Honorars deswegen auch keinen Vermögensschaden
begründet. Daraus läßt sich aber
für die Beurteilung der Strafbarkeit des Angeklagten nichts
ableiten. Anders als die Ärzte in den genannten
Fällen, die immerhin wirksam zugelassen waren und im
übrigen - nach Genehmigung - auch als Angestellte eines
Kassenarztes hätten tätig werden dürfen,
gehört der Angeklagte nicht zum Kreis der
Anspruchsberechtigten; mit den Abrechnungen, die er und der
Mittäter R. vorgelegt haben, ist nicht lediglich über
berufsständische "Statusfragen" getäuscht worden.
III. Im Fall 21 hat der Senat das Verfahren nach § 154 Abs. 2
StPO eingestellt, weil hierzu dem Urteil nicht zu entnehmen ist, ob
über den vor dem 20. April 1999 eingereichten Antrag vor oder
erst nach diesem Zeitpunkt entschieden worden ist. Davon
könnte aber - wie dargestellt - abhängen, ob die
getroffenen Feststellungen ausreichen, um die Verurteilung des
Angeklagten wegen vollendeten Betrugs auch in diesem Fall zu tragen.
IV. Zum Strafausspruch hat die Nachprüfung des Urteils auf
Grund der Revisionsrechtfertigung ebenfalls keinen Rechtsfehler zum
Nachteil des Angeklagten ergeben. Das Landgericht hat bei der
Strafzumessung insbesondere erheblich zugunsten des Angeklagten
berücksichtigt, daß er fachgerechte
ärztliche Behandlungen durchgeführt und objektiv die
abgerechneten Leistungen tatsächlich erbracht hat. Auch die
Gesamtstrafe hat Bestand, da der Senat ausschließen kann,
daß das Landgericht bei Wegfall der Einzelstrafe von neun
Monaten im Fall 21 angesichts der verbliebenen 36 weiteren
Einzelstrafen zu einer niedrigeren Gesamtstrafe gelangt wäre.
Tolksdorf Miebach Winkler von Lienen Becker |