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BGH, Urteil vom 6. Februar 2002 - 2 StR 489/01


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 6.2.2002 - 2 StR 489/01
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 489/01
vom
6. Februar 2002
in der Strafsache gegen
wegen Totschlags
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 6. Februar 2002, an der teilgenommen haben: Richter am Bundesgerichtshof Dr. Bode als Vorsitzender und die Richter am Bundesgerichtshof Dr. h.c. Detter, Rothfuß, Prof. Dr. Fischer, die Richterin am Bundesgerichtshof Elf, Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 29. Mai 2001 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu der Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer Revision die Verletzung materiellen Rechts und erstrebt eine Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
1. Das Landgericht hat im wesentlichen festgestellt:
Der Angeklagte, von Beruf Apotheker, und seine Ehefrau, eine Zahnärztin, lebten in F. seit 1999 getrennt. Die Ehe war zerrüttet. Der Angeklagte beschrieb die Situation wiederholt als "Rosenkrieg". Er war perfektionistisch, rechthaberisch und besserwisserisch und wies seine Ehefrau fortwährend zurecht. Diese gab dem Angeklagten ständig nach, um die Ehe zu retten. Der 1994 geborene gemeinsame Sohn hielt sich nach der Trennung abwechselnd bei einem der Elternteile auf. Im April 2001 wurde die Ehe (nicht rechtskräftig) geschieden.
Das Verhältnis des Angeklagten zu seinen in T. lebenden Schwiegereltern K. war spätestens seit dem Auszug seiner Ehefrau kühl bis feindselig. Sein Verhältnis zu dem im selben Haus wohnenden späteren Tatopfer J. K. , der Schwester des Schwiegervaters, war kühl, neutral, aber nicht feindselig oder gar haßerfüllt. Der Angeklagte hielt sie für die "Vernünftigste" in der Familie. Er wußte nicht, daß sie hingegen eine schlechte Meinung von ihm hatte. Sie meinte, der von dem Angeklagten im Juni 1999 verübte Anschlag, bei dem er versucht hatte, seine Ehefrau mit Äther zu betäuben und für den er zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, sei in Wirklichkeit ein Mordanschlag gewesen und man müsse sich vor dem Angeklagten in acht nehmen.
Die Ehefrau des Angeklagten wollte mit dem Sohn in Urlaub fahren. Über Einzelheiten hatte sie den Angeklagten nicht informiert. Er nahm an, sie wolle allein reisen und den Sohn bei den Großeltern lassen. Das wollte er verhindern. Um sich Gewißheit zu verschaffen, wollte er das Haus der Schwiegereltern in T. observieren. Die am Morgen des 21. Juni 2000 begonnene Observation blieb bis 17.00 Uhr ergebnislos. Er fuhr daraufhin zum Friedhof in der Annahme, dort Frau J. K. zu begegnen. Er wollte sie nach den Urlaubsplänen für seinen Sohn ausfragen. Frau K. kam jedoch nicht. Er übernachtete beim Friedhof in seinem VW-Bus; zum Einschlafen nahm er "ein paar Tropfen" einer Flunitrazepam-Lösung (Rohypnol), nach seinen eigenen Angaben "nicht sehr viel - etwa 35 Tropfen - ca. 1 1/2 mg Wirkstoff". Am nächsten Morgen, dem Fronleichnamstag, erwachte er recht früh und fuhr wieder zum Haus seiner Schwiegereltern, um seine Beobachtungen fortzusetzen. Als er gegen 8.00 Uhr dort ankam, verließen seine Schwiegereltern gerade das Haus. Er entschloß sich nun, Frau J. K. nach den vermeintlichen Urlaubsplänen seiner Schwiegereltern auszufragen und danach, ob sein Sohn die Ferien bei ihnen verbringen solle. Möglicherweise unter dem Vorwand einer Blumenlieferung erreichte er, daß sie ihm die Tür öffnete. Frau K. war in Eile, weil sie rechtzeitig um 9.00 Uhr in der Kirche sein wollte. Sie ließ sich daher auf ein Gespräch nicht so ein, wie der Angeklagte das erwartet hatte. Er wollte sich aber nicht abwimmeln lassen und versuchte, Frau K. zu einer Auskunft zu zwingen. Als sie eine Unterredung verweigerte, schlug er der körperlich unterlegenen 73-jährigen Frau so heftig ins Gesicht, daß sie erhebliche Verletzungen erlitt, die sofort zu bluten begannen. Außerdem fügte er ihr im Nacken zwei blutende, aber nicht tödliche Stichwunden zu. In Todesangst stieß sie einen lauten Schrei aus, den eine Nachbarin hörte. Schließlich würgte der Angeklagte Frau K. , bis er sicher war, daß sie tot war. Hierzu kniete er sich auf ihren Brustkorb und verursachte zahlreiche Rippenbrüche.
Nach der Tat legte der Angeklagte die Leiche in die Badewanne und beseitigte notdürftig die Tatspuren. Sodann verkleidete er sich mit Kleidungsstücken von Frau K. und fuhr mit ihrem Pkw davon.
Die Strafkammer meint, sie habe nicht klären können, aus welchem Grund der Angeklagte Frau K. getötet hat. Möglicherweise habe er befürchtet, durch einen erneuten Schrei könnten Dritte aufmerksam werden und ihn entdecken, weshalb er sich entschlossen habe, Frau K. zu töten, um sie zum Schweigen zu bringen. Möglicherweise habe er aber auch seinen tätlichen Angriff auf Frau K. verdecken wollen, um - anders als beim Angriff auf seine Ehefrau ein Jahr zuvor - kein Risiko einzugehen, daß ihn Frau K. bei der Polizei anzeigt. Nicht auszuschließen sei auch, daß der Angeklagte Frau K. aus Haß oder Wut auf ihre Familie getötet habe. Da der Angeklagte selbst kein Motiv für die Tötung angegeben habe und sich kein Motiv zwingend aufdränge, müsse das Tatmotiv offenbleiben.
Das Landgericht hat den Angeklagten danach wegen Totschlags und nicht wegen Mordes verurteilt, weil nicht feststehe, daß er aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch, grausam oder um eine andere Straftat zu verdecken getötet habe.
2. Die Ablehnung eines Schuldspruchs wegen Mordes hält der rechtlichen Prüfung nicht stand. Soweit das Landgericht das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe abgelehnt hat, sind seine Erwägungen zum Tatmotiv lückenhaft. Die Strafkammer konnte sich zwar nicht davon überzeugen, daß der Angeklagte Frau K. aus Haß oder Wut auf die Familie getötet hat (UA S. 36/37). Das Landgericht hat aber bei seiner Prüfung der möglichen Tatmotive ein naheliegendes und in den Urteilsgründen selbst angedeutetes Tatmotiv nicht näher erwogen. Hierauf hat der Generalbundesanwalt zu Recht hingewiesen:
Das Landgericht hat festgestellt, daß der Angeklagte verärgert war, als sich Frau K. unerwartet nicht auf ein Gespräch einließ (UA S. 58). Er wollte sie daher zu einer Auskunft zwingen und griff sie deshalb massiv tätlich an (UA S. 34, 58). Einzig ihre Ablehnung, dem Angeklagten Rede und Antwort zu stehen, ist Frau K. zum Verhängnis geworden (UA S. 70). Wenn nur dieser Grund den Angeklagten veranlaßte, Frau K. zu töten, hätte sich das Landgericht nicht nur mit den in den Urteilsgründen erörterten möglichen Tatmotiven (Verdeckungsabsicht, Haß auf die Familie), sondern auch mit der naheliegenden Möglichkeit auseinandersetzen müssen, daß der Angeklagte Frau K. aus Verärgerung darüber getötet hat, daß auch seine tätlichen Angriffe nicht den gewünschten Erfolg hatten.
Geht man von diesem Tatmotiv aus, kommt es durchaus in Betracht, daß der Angeklagte bei der Tötung von Frau K. aus niedrigen Beweggründen handelte. Das Landgericht hätte daher dieses Tatmotiv ausdrücklich erörtern müssen. Ein Beweggrund ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes niedrig, wenn er nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist (BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 11, 22, 23, 25, 28; BGH NJW 2002, 382, 383). Gefühlsregungen wie Verärgerung, Wut und Zorn kommen als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 8, 16, 22, 23; BGH NJW a.a.O.). Anhaltspunkte dafür, daß der Angeklagte seine gefühlsmäßigen oder triebhaften Regungen nicht gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern konnte (vgl. BGHSt 28, 210, 212; BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 15; BGH NJW a.a.O.), ergeben die bisherigen Urteilsgründe nicht, zumal das sachverständig beratene Landgericht eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten ohne Rechtsfehler verneint hat.
Ein neuer Tatrichter muß daher nochmals darüber entscheiden, ob der Angeklagte des Mordes schuldig ist. Soweit niedrige Beweggründe in Betracht kommen und eine Spontantat nach den bisherigen Feststellungen nicht ausgeschlossen ist, wird zu beachten sein, daß in solchen Fällen eine besonders sorgfältige Prüfung erforderlich ist, in die insbesondere das zur Tat führende Geschehen, der Anlaß der Tat sowie alle naheliegenden Möglichkeiten der inneren Verfassung des Täters einzubeziehen sind (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 31 m.w.N.).
Da die Vorgeschichte und das eigentliche Tatgeschehen durch das mögliche Tatmotiv eng miteinander verknüpft sind, müssen die gesamten Feststellungen aufgehoben werden, um dem neuen Tatrichter eine umfassende neue Beurteilung des Gesamtgeschehens zu ermöglichen.
Bode Detter Rothfuß
Fischer Elf



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