BGH,
Urt. v. 8.8.2006 - 5 StR 405/05
5 StR 405/05
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
8.8.2006
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Volksverhetzung
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8.
August 2006, an der teilgenommen haben:
Richter Basdorf als Vorsitzender,
Richter Häger,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Brause,
Richter Dr. Jäger
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt U.
als Verteidiger für den Angeklagten O. ,
Rechtsanwalt N.
als Verteidiger für den Angeklagten M. ,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Angeklagten gegen das
Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. Dezember 2004 werden verworfen.
2. Die Staatskasse trägt die Kosten der Rechtsmittel der
Staatsanwaltschaft und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen
der Angeklagten. Die Angeklagten tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel.
- Von Rechts wegen -
G r ü n d e
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Volksverhetzung - nach
§ 130 Abs. 2 Nr. 1 lit. a und b vierte Variante StGB -
verurteilt, den Angeklagten O. zu einer Geldstrafe von 90
Tagessätzen zu 10 €, den Angeklagten M. zu einer
Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 10 €. Hiergegen
richten sich die jeweils auf die Sachrüge gestützten
Revisionen der Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft begehrt mit ihren
auf die Sachrüge gestützten Revisionen jeweils eine
Schuldspruchänderung, nämlich eine Verurteilung der
Angeklagten nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB, und eine Aufhebung
der Strafaussprüche. Sämtliche Rechtsmittel bleiben
ohne Erfolg.
1
Das Landgericht hat festgestellt:
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Die Angeklagten O. und M. bildeten zusammen mit dem früheren
Mitangeklagten Horst Mahler das sogenannte „Deutsche
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Kolleg“, das sie als ein „Denkorgan des Deutschen
Reiches“ bezeichneten. Als „Deutsches
Kolleg“ veröffentlichten sie im Internet einen - von
ihnen unterzeichneten - Text mit dem Titel „Deutsches Kolleg.
Ausrufung des Aufstandes der Anständigen“. Dieser
Text wurde vom früheren Mitangeklagten Mahler in das Internet
eingestellt und war für jedermann ab dem 15. Oktober 2000
zumindest unter folgenden Internetadressen abruf- und lesbar: www.w. ,
www.h. , www.d. . Der Text beruhte auf einer Idee des Angeklagten O. .
Die veröffentlichte Endfassung des Textes wurde vom
früheren Mitangeklagten Mahler und dem Angeklagten O.
gemeinsam verfasst. Nach einem Streit darüber, ob von einem
„Fortbestand des Deutschen Reiches“ oder von einer
„Wiedereinsetzung des Deutschen Reiches“ auszugehen
sei, wurde im letzten Teil des Textes ein
„100-Tage-Programm“ für eine
künftige „Notstandsregierung“ formuliert,
in dem sich u. a. folgende Programmpunkte finden:
„…
A. …
1. Beendigung der Ausländerbeschäftigung.
2. Ausschluss ausländischer Arbeitnehmer aus der
Arbeitslosenversicherung.
3. Pflicht zur Meldung aller von Ausländern besetzten
Arbeitsplätze beim Arbeitsamt als freie
Arbeitsplätze, die an volksdeutsche Bewerber vergeben werden
müssen, die das Arbeitsamt als geeignet bezeichnet.
4. Einstellungsverbot für ausländische und
volksfremde Arbeitskräfte am deutschen Arbeitsmarkt, und zwar
auch für Arbeitsplätze, die ausländisches
Eigentum sind.
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5. Beschäftigungsverbot für ausländische und
volksfremde Arbeitskräfte am deutschen Arbeitsmarkt ein Jahr
nach Erlass des Einstellungsverbotes.
B. …
1. Hohe Geld- und Arbeitsstrafen für unerlaubten Aufenthalt.
…
3. Ausweisung aller arbeitslos gewordenen Ausländer.
4. Ausweisung aller zum Straf- oder Sozialfall gewordenen
Ausländer.
…
10. Freiräumung aller Asylantenunterkünfte und
Ausweisung der Asylbewerber.
…
E. …
6. Verbot von Ausländerorganisationen in Deutschland,
…
…
J. …
10. Entlastung der deutschen Volksschule von Hilfs- und
Fremdschülern, um sie der deutschen Kultur
zurückzugeben.
…“
I.
Die Revisionen der Angeklagten versagen. Das Urteil enthält
keinen sachlich-rechtlichen Fehler zu ihrem Nachteil.
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1. Zu Recht hat das Landgericht darin, dass die Angeklagten den
genannten Text in das Internet stellten, eine gemeinschaftlich
begangene Volksverhetzung nach § 130 Abs. 2 Nr. 1 lit. a und b
StGB gefunden.
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a) Der in das Internet eingestellte Text steht nach § 11 Abs.
3 StGB den Schriften im Sinne des § 130 Abs. 2 Nr. 1 StGB
gleich (vgl. BGHSt 46, 212, 216; Tröndle/Fischer, StGB 53.
Aufl. § 11 Rdn. 36, 36 a).
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- 6 -
Mit der Einstellung in das Internet wurde der Text im Sinne des
§ 130 Abs. 2 Nr. 1 lit. a StGB verbreitet und im Sinne von
lit. b der genannten Vorschrift öffentlich zugänglich
gemacht.
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b) Der veröffentlichte Text stachelt durch die Summierung der
oben genannten Postulate zum Hass gegen Teile der Bevölkerung,
nämlich gegen die in Deutschland lebenden Ausländer,
partiell darunter insbesondere die Asylbewerber, auf. Der Aufruf geht
zunächst dahin, alle Ausländer von jeder bestehenden
oder künftigen Beschäftigung in einem
Arbeitsverhältnis in Deutschland und parallel von der
Arbeitslosenversicherung auszuschlie-ßen und sie alsdann -
zum „Sozialfall“ geworden - auszuweisen. Die
Schulen sollen von „Fremdschülern“
entlastet werden. Mit der Forderung einer
„Freiräumung aller Asylunterkünfte und
Ausweisung der Asylbewerber“ wird die umfassende Missachtung
des Asylrechts reklamiert. Mit alledem wird die Gesamtheit der in
Deutschland lebenden Ausländer - wie das Landgericht es
zutreffend bewertet hat - als bloße
„Vertreibungsmasse“, die
„loszuwerden“ es gelte, gekennzeichnet. Eine solche
Stigmatisierung stachelt zum Hass gegen den betroffenen
Bevölkerungsteil auf (vgl. von Bubnoff in LK 11. Aufl.
§ 130 Rdn. 25 m. N. der Rspr.).
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Dem stehen die Einwendungen der Revisionen der Angeklagten nicht
durchgreifend entgegen: Dass die veröffentlichte Schrift nur
„politische Utopie“ sei, „deren Umsetzung
völlig außerhalb der derzeitigen politischen
Realität“ liege, schließt die genannte
Tatbestandsmäßigkeit nicht aus. Gleiches gilt
für das Argument der Beschwerdeführer, dass
„etwa 90 % der Programmpunkte“ sich nicht auf
Ausländer, sondern auf zahlreiche andere
Bevölkerungsgruppen beziehen. Auch angesichts alldessen kommt
den die Ausländer betreffenden Programmpunkten ein eigener
Erklärungswert zu.
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c) Nicht etwa stehen der vorbezeichneten
Tatbestandsmäßigkeit verfassungsrechtliche
Gesichtspunkte entgegen. Das Grundrecht der
Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG)
findet seine Schranke
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in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze (Art. 5 Abs. 2 GG), zu
denen auch § 130 StGB gehört. Hier ergibt sich keine
Besonderheit daraus, dass die allgemeinen Gesetze im Lichte der
Grundrechte auszulegen sind.
d) Vom Vorsatz der Angeklagten hat das Landgericht sich
rechtsfehlerfrei überzeugt. Für einen etwaigen
Verbotsirrtum gibt es keinen hinreichenden Anhalt.
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2. Die Überzeugung von der Mittäterschaft des
Angeklagten M. hat das Landgericht rechtsfehlerfrei gewonnen. Es hat
hierbei auf die Mitgliedschaft des Angeklagten M. im
„Deutschen Kolleg“, seine Eigenschaft als
„Mitunterzeichner des veröffentlichten
Textes“ und auf die - nicht unterzeichnete - Durchschrift
eines in seiner Wohnung gefundenen Schreibens vom 30. Mai 2001 an einen
K. abgestellt. In dem letztgenannten Schreiben heißt es:
„’Der Aufstand der Anständigen’
enthält nicht unsere Reichsordnung, sondern das
100-Tage-Programm. Dieses ’straffe’ Regiment
… oder meinetwegen diese Diktatur brauchen wir, um den
Augiasstall auszumisten. Wenn Dir das zu scharf ist, kannst Du ja
derweil eine 100-tägige Auslandsreise machen.
Schmeißen wir die Ausländer eben alleine
raus.“ Der aus alledem gezogene Schluss des Landgerichts auf
die Mittäterschaft des Angeklagten M. war - was
genügt - möglich, darüber hinaus sogar
naheliegend. Soweit die hiergegen erhobenen Einwendungen der Revision
des Angeklagten M. urteilsfremden Charakter haben, sind sie ohnehin
unbeachtlich.
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II.
Auch die Revisionen der Staatsanwaltschaft bleiben erfolglos. Eine
Eignung der Tat zur Störung des öffentlichen Friedens
im Sinne des § 130 Abs. 1 StGB ergibt sich aus den
Feststellungen nicht.
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Anerkannt ist, dass zur Erfüllung dieses Tatbestandsmerkmals
eine bereits eingetretene Störung des öffentlichen
Friedens nicht erforderlich ist. Es genügt vielmehr, dass
berechtigte - mithin konkrete - Gründe für die
Befürchtung vorliegen, der Angriff werde das Vertrauen in die
öffentliche Rechtssicherheit erschüttern, sei es auch
nur bei der Bevölkerungsgruppe, gegen die er sich richtet
(BGHSt 16, 49, 56; 29, 26; 46, 212, 218 f.; BGH, Urt. v. 15. Dezember
2005 - 4 StR 283/05; von Bubnoff aaO Rdn. 13 bis 15 m.w.N.). Allerdings
hat der Bundesgerichtshof die Eignung zur Störung des
öffentlichen Friedens verschiedentlich schon darin gefunden,
dass die Publikation nach den konkreten Umständen einer
breiteren Öffentlichkeit bekannt werden kann (BGHSt 29, 26,
27; 46, 212, 219; BGH, Urt. v. 14. Januar 1981 - 3 StR 440/80, insoweit
in NStZ 1981, 258 nicht abgedruckt). Es kann dahingestellt bleiben, ob
dem uneingeschränkt zu folgen ist. Bedenken ergeben sich
namentlich unter dem Gesichtspunkt, dass angesichts der
inflationären Einstellung fast jeder Nachricht in das Internet
deren Abrufbarkeit für jedermann besteht, so dass dem
Tatbestandsmerkmal der Eignung zur Störung des
öffentlichen Friedens - auf die Wahrnehmbarkeitsbreite der
Nachricht reduziert - nahezu jede eigene Bedeutung genommen
würde. Jedenfalls treten hier besondere Umstände
hinzu:
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Zum einen liegt eine Besonderheit darin, dass mit der
veröffentlichten Schrift nicht Postulate aufgestellt werden,
die in allernächster Zeit realisiert werden sollten. Vielmehr
wird ein „100-Tage-Programm“ für die
ersten Monate einer „Notstandsregierung“ eines
wiederentstandenen „Deutschen Reiches“ entworfen.
Eine solche absurde Fantasie, von der Verteidigung euphemistisch als
„politische Utopie“ bezeichnet, vermag - wenngleich
im Sinne von § 130 Abs. 2 Nr. 1 StGB zum Hass gegen Teile der
Bevölkerung aufstachelnd - den öffentlichen Frieden
in der Bundesrepublik Deutschland nicht zu stören.
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Zum anderen ist auszuschließen, dass die
veröffentlichte Schrift - angesichts ihres Inhalts und seiner
Verfasser, unter denen sich der
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mit seinem Lebenslauf allgemein bekannt gewordene Horst Mahler befindet
- vom aufgeschlossenen Teil der Öffentlichkeit in der Weise
ernst genommen werden könnte, dass hieraus etwa eine
Störung des öffentlichen Friedens zu resultieren
vermöchte.
Auch sonst enthält das angefochtene Urteil keinen
sachlich-rechtlichen Fehler zum Vorteil der Angeklagten.
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Basdorf Häger Gerhardt
Brause Jäger |