BGH,
Urt. v. 8.1.2009 - 5 StR 548/08
5 StR 548/08
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 8. Januar 2009
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8.
Januar 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Berlin vom 18. Juni 2008 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
G r ü n d e
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher
Körperverletzung in Tateinheit mit unerlaubtem Führen
einer Schusswaffe zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
Die dagegen mit der Sachrüge begründete Revision der
Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat
Erfolg.
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und
Wertungen getroffen:
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a) Der 21 Jahre alte türkische Angeklagte half seit
längerem in dem von seinen Eltern betriebenen Kiosk aus. Er
führte zu seinem Schutz eine mit einer scharfen Patrone
geladene, nach einem Umbau als Schusswaffe voll
funktionsfähige Schreckschusspistole mit sich.
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Am späten Abend des 20. November 2007 kam es zum Streit
zwischen dem mit 1,78 ‰ alkoholisierten Angeklagten und
dessen Vater. Der Angeklagte verließ, die
Wohnungstür hinter sich zuschlagend, die elterliche Wohnung.
Der Vater folgte ihm in eine Grünanlage und schlug seinem Sohn
mit der Hand so ins Gesicht, dass eine Zahnprothese beschädigt
wurde. Als der Vater ein zweites Mal ausholte, wich der Angeklagte
zurück. Er zog die Waffe. Im Ausweichen nach hinten feuerte er
sie, um den Vater von weiteren Schlägen abzuhalten, in
Richtung von dessen Oberkörper ab. Das Geschoss drang in den
unteren vorderen linken Brustkorb ein, durchschlug die Leber von links
vorne nach rechts hinten und blieb im Körper stecken. Die
lebensgefährliche Verletzung ist nach operativer Versorgung
auskuriert.
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b) Das Landgericht hat den Gebrauch der Schusswaffe nicht als
erforderliche Verteidigung im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB
angesehen. Dem Angeklagten, der über Kampfsporttechniken
verfügte, hätte körperliche Gegengewalt als
erfolgversprechendes Verteidigungsmittel zur Verfügung
gestanden.
Die Schwurgerichtskammer hat einen Tötungsvorsatz des
Angeklagten beweiswürdigend verneint. Der Angeklagte sei
seinem Vater immer mit großem Respekt begegnet und dessen
körperlichen Angriffen in der Vergangenheit stets ausgewichen.
Seiner Äußerung in der Hauptverhandlung, er
würde seinen Vater nie töten wollen, schenkte das
Landgericht „trotz der abstrakt hohen Gefährlichkeit
der Benutzung einer Schusswaffe … Glauben“ (UA S.
9). Dem gegenüber dem psychiatrischen
Sachverständigen wiedergegebenen Ausruf des Angeklagten
unmittelbar vor der Schussabgabe: „Lass mich in
Ruhe!“ hat das Landgericht den Willen des Angeklagten
entnommen, seinen Vater abzuwehren und diesen dabei allenfalls zu
verletzen.
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2. Die Revision der Staatsanwaltschaft dringt durch, da die
Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite revisionsrechtlicher
Kontrolle nicht standhält (vgl. BGH NJW 2007, 384, 387,
insoweit in BGHSt 51, 144 nicht abge-
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druckt). Dies gilt auch unter Berücksichtigung des nur
eingeschränkten Prüfungsmaßstabs und vor
dem Hintergrund, dass sich der Unrechtsgehalt einer - bewusst besonders
- gefährlichen Körperverletzung von einem zugleich
bedingt vorsätzlich versuchten Totschlag ebenso wenig
grundlegend unterscheidet wie der einer - bewusst besonders
gefährlichen - Körperverletzung mit Todesfolge von
einem bedingt vorsätzlich vollendeten Totschlag (vgl. BGHR
StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 59).
Die Würdigung der festgestellten Tatumstände ist
lückenhaft. Es bleibt schon unklar, ob die
Schwurgerichtskammer die erkannte abstrakt hohe Gefährlichkeit
der Benutzung einer Schusswaffe (UA S. 9) im Sinne des von der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannten Erfahrungssatzes
hinreichend berücksichtigt hat, dass jede Form des
Schießens mit einer scharfen Waffe in Richtung auf einen
Menschen wegen der außergewöhnlich großen
Lebensgefährlichkeit den Schluss auf einen
Tötungsvorsatz nahe legt (BGHSt 42, 65, 69; BGHR StGB
§ 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 45; BGH, Beschluss vom 7.
Februar 2008 - 5 StR 453/07).
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Zwar können auch bei solchen äußerst
gefährlichen Gewalthandlungen Umstände vorliegen, die
belegen, dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht
erkannt oder jedenfalls darauf vertraut haben könnte, ein
solcher Erfolg werde nicht eintreten. Insbesondere bei spontanen,
unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten
Handlungen kann aus dem Wissen um einen möglichen
Erfolgseintritt nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der
Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden
Besonderheiten geschlossen werden, dass auch das - selbständig
neben dem Wissenselement stehende - voluntative Vorsatzelement gegeben
ist (BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 62; BGHR StGB
§ 15 Vorsatz, bedingter 4). Die Ablehnung eines bei
äußerst gefährlichen Tathandlungen nahe
liegenden bedingten Tötungsvorsatzes bedarf allerdings einer
Gesamtwürdigung, die alle für den Vorsatz erheblichen
Beweisanzeichen umfasst. Diesen Anforderungen wird
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das Landgericht nicht gerecht. Gewichtige, für die Annahme
eines Tötungsvorsatzes sprechende Kriterien hat es nicht
erkennbar gewürdigt.
Das Landgericht durfte sich für die Ablehnung eines
Tötungsvorsatzes nicht auf die Würdigung des von der
Tatsituation losgelösten grundsätzlichen
Verhältnisses des Angeklagten zum Opfer beschränken.
Auch dem Argument, die Forderung des Angeklagten gegenüber
seinem angreifenden Vater, dieser solle ihn in Ruhe lassen, belege den
fehlenden Tötungsvorsatz, mag schon eine
Überbewertung des Wortsinns zugrunde liegen, jedenfalls aber
ist es für sich nicht tragfähig. Denn das Landgericht
lässt die für das voluntative Element bei der
Tatausführung aussagkräftige konkrete Situation bei
Schussabgabe, insbesondere die Schussrichtung, ebenso
unerörtert wie die durch den Schuss hervorgerufene
lebensgefährliche Verletzung als Grundlage für eine
mögliche Billigung eines tödlichen Erfolges. All dies
hätte im Rahmen der Beweiswürdigung zum
Tötungsvorsatz im Urteil abgehandelt werden müssen
(vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 30, 61).
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3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat insbesondere
für den Fall der Bejahung des bedingten
Tötungsvorsatzes darauf hin, dass eine relevante Verminderung
der Schuldfähigkeit angesichts der erheblichen Alkoholisierung
und der Affektbeladenheit des Angeklagten eingehend zu
erörtern sein wird. Hierbei wird auch dem Charakter der Tat,
die der Einstellung des Angeklagten zum Opfer grundlegend widerstreitet
und spontan aus einer objektiv bestehenden Notwehrlage begangen worden
ist, besondere Berücksichtigung zu schenken sein.
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Der Senat hebt auch die für sich nicht rechtsfehlerhaften
Feststellungen zum objektiven Tathergang auf, da mit ihrer
Aufrechterhaltung dem neuen Tatgericht keine besondere Erleichterung
geschaffen würde und hier nahezu sämtliche
Einzelheiten des objektiven Tatgeschehens mit der Beurteilung eines
etwaigen bedingten Tötungsvorsatzes auf das Engste
zusammenhängen.
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Basdorf Brause Schaal
Schneider König |