BGH,
Urt. v. 8.3.2006 - 5 StR 473/05
5 StR 473/05
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 8.3.2006
in der Strafsache
gegen w
egen schweren Raubes u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
8.03.2006, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger, Richter Basdorf, Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum als beisitzende Richter, Staatsanwältin als
Vertreterin der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin Na. , Justizangestellte R. als
Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt: Auf die Revision der Staatsanwaltschaft
wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 12. Mai 2005 dahingehend
abgeändert, dass der Angeklagte L. des schweren Raubes in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und
erpresserischem Menschenraub schuldig ist. Die weitergehende Revision
der Staatsanwaltschaft wird verworfen. Die Staatskasse trägt
die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten
L. hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen.
- Von Rechts wegen -
G r ü n d e
Das Landgericht hat den zur Tatzeit 21-jährigen Angeklagten L.
sowie den knapp zwei Jahre jüngeren Angeklagten H. wegen
schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung schuldig gesprochen. Den Angeklagten L. hat
es zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren sechs Monaten, den
Mitangeklagten H. - unter Einbeziehung früherer Jugendstrafen
- zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer
Revision zu Ungunsten des Angeklagten L. , die vom Generalbundesanwalt
vertreten wird. Die Revision der Staatsanwaltschaft führt zu
einer Korrektur des Schuldspruchs; im Übrigen bleibt sie ohne
Erfolg. 1
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I. Nach den Feststellungen des Landgerichts hielten sich die
Angeklagten am 6. Januar 2005 in der B. -Bar am Brunsbüttler
Damm in Berlin-Spandau auf. In dieser Gaststätte saß
auch der später geschädigte He. mit zwei Begleitern
an einem gesonderten Tisch. Der Angeklagte L. , von imposanter und
furchteinflößender Statur, kam an den Tisch der drei
und forderte: „Jetzt legt jeder von euch zehn Euro auf den
Tisch, sonst gibt’s richtig Stress“. Hierzu waren
diese nicht bereit. Der Mitangeklagte H. machte dem
Geschädigten He. den Vorschlag, mit ihm auf die Toilette zu
gehen, um dort alles in Ruhe zu besprechen. Der Angeklagte L. folgte
auf ein Zeichen des Mitangeklagten. Nachdem sich die Angeklagten kurz
verständigt hatten, schlugen sie beide im Bereich der
Herrentoilette mit der flachen Hand und mit der Faust dem
Geschädigten He. mehrfach ins Gesicht und forderten vom ihm
die Herausgabe seiner Wertsachen. He. erlitt schmerzhafte Prellungen im
Gesicht, blutete aus der Nase und Oberlippe; zudem brach ein
Stück eines Schneidezahns ab. Der Mitangeklagte H. bedrohte
den Geschädigten im Anschluss an die Misshandlungen mit einem
Teleskopschlagstock, den ihm vorher der Angeklagte L. gereicht hatte.
Der Geschädigte, der innerhalb des Lokals keine Hilfe mehr
erwartete, nachdem die Angeklagten zwischenzeitlich einen seiner
Begleiter und den Wirt „abgewimmelt“ hatten,
erklärte den Angeklagten, er habe kein Geld bei sich,
könne aber welches am Geldautomaten abheben. Er wusste dabei,
dass er das Tageslimit für sein Konto bereits
ausgeschöpft hatte, hoffte aber, auf diese Weise den
Angeklagten entkommen zu können. Die Angeklagten, die dem
Geschädigten einschärften, sich unauffällig
zu verhalten, folgten dem Geschädigten zum Geldautomaten am
Spandauer Rathaus, wobei sie für ein kurzes Stück den
Bus benutzten. Am Geldautomaten misslang wegen des bereits
erschöpften Tageslimits ein dreimaliger Versuch des
Geschädigten, Geld abzuheben. Daraufhin nahmen die Angeklagten
dem Opfer Bargeld in Höhe von etwa 100 Euro sowie das Handy
weg, 2
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was der Geschädigte aus Angst vor weiteren Misshandlungen
geschehen ließ. II. Die Revision der Staatsanwaltschaft
führt zu einer Korrektur des Schuldspruchs; sie bleibt aber im
Übrigen ohne Erfolg. 3 1. Entgegen der Auffassung des
Landgerichts erfüllt das Verhalten der Angeklagten den
Tatbestand des erpresserischen Menschenraubes (§ 239a StGB).
Das Landgericht hätte die Angeklagten deshalb wegen schweren
Raubes in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung und erpresserischem Menschenraub schuldig
sprechen müssen. 4 a) Der Tatbestand des erpresserischen
Menschenraubes setzt ein Entführen oder ein
Sich-Bemächtigen eines Menschen voraus. Nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt im -
auch bei zwei Mittätern gegebenen -
„Zwei-Personen-Verhältnis“
(Täter-Opfer) ein Sich-Bemächtigen vor, wenn der
Täter die physische Herrschaft über einen anderen
erlangt, wobei weder eine Ortsveränderung erforderlich ist,
noch der Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt sein muss
(BGHR StGB § 239a Abs. 1 Sich-Bemächtigen 6, 7).
Allerdings verlangt das Vorliegen einer
Bemächtigungssituation, dass diese im Blick auf die erstrebte
Erpressungshandlung eine eigenständige Bedeutung hat; sie
setzt weiterhin eine gewisse Stabilisierung der Beherrschungslage
voraus, die dann durch den Täter ausgenutzt werden soll. Beide
Kriterien dienen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl.
BGHSt 40, 350 ff.) dazu, vor allem bei
Zwei-Personen-Verhältnissen den Anwendungsbereich der
§§ 239a, 239b StGB von demjenigen klassischer Delikte
mit Nötigungselementen wie den §§ 177, 253,
255 StGB abzugrenzen (BGHR StGB § 239a Abs. 1
Sich-Bemächtigen 4, 8). 5
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b) Ein Sich-Bemächtigen im Sinne dieser Bestimmung liegt
allerdings nicht bereits in dem Veranlassen des Geschädigten,
ihnen zur Herrentoilette zu folgen, und den sich daran
anschließenden Gewalthandlungen durch die Angeklagten. Durch
die Schläge und die Drohung mit dem Teleskopschlagstock hatten
sie zwar die notwendige physische Herrschaft über den
Geschädigten erlangt. Die Angeklagten forderten jedoch bereits
im unmittelbaren Zusammenhang mit den Schlägen die Herausgabe
von Geld und Wertsachen. Eine nach dem Tatbestand des § 239a
StGB erforderliche stabile (Zwischen-) Lage als Basis für
weitere Nötigungen bestand deshalb nicht (vgl. BGHR StGB
§ 239a Abs. 1 Sich-Bemächtigen 4). 6 c) Der auf den
Vorschlag des Geschädigten umgesetzte neue Tatplan,
nämlich das Abheben von Geld aus dem Geldautomaten,
erfüllt jedoch den Tatbestand des § 239a StGB. Mit
dem Verlassen des Lokals ist eine stabile
Bemächtigungssituation entstanden. Diese war bedingt durch die
physische Übermacht der beiden Angeklagten und wurde
zusätzlich verstärkt durch die fortwirkende
Einschüchterung aufgrund der vorangegangenen Misshandlungen.
Dabei ist es unerheblich, dass die dann realisierte
Bemächtigungslage auf das Opfer selbst zurückging.
Sein Vorschlag, den Geldautomaten aufzusuchen und dort Geld von seinem
Konto abzuheben, hob die Bemächtigungslage zu seinen Lasten
nicht auf. Diese Anregung bedeutete nicht, dass He. die Angeklagten -
was für sie auch offensichtlich war - freiwillig zu dem
Geldautomaten führen wollte. Vielmehr bewirkte er nur eine
Änderung der Tatausführung, die ihn zunächst
vor weiteren unmittelbar drohenden Handlungen schützen und
seine Flucht erleichtern sollte. An der Bemächtigungslage, die
zu einer Erpressung des abgehobenen Geldes dienen sollte,
änderte dies nichts, zumal der Geschädigte
während des Verbringens zum Geldautomaten auch
tatsächlich keine Gelegenheit sah, den Angeklagten zu
entkommen. 7 Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist die Annahme
einer Bemächtigungssituation im Sinne des § 239a StGB
auch nicht deshalb 8
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ausgeschlossen, weil das Opfer im Vergleich zu seiner
bedrängten Situation auf der Herrentoilette durch den
gemeinsamen Weg zum Geldautomaten nicht in eine qualifiziert
schlechtere Lage gebracht worden sei. Das Landgericht leitet dies aus
der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung geforderten
eigenständigen Bedeutung der Bemächtigungssituation
ab. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Mit der
eigenständigen Bedeutung der Bemächtigungslage ist -
in Abgrenzung insbesondere zu den Raubdelikten - lediglich gemeint,
dass über die in jeder mit Gewalt verbundenen
Nötigungshandlung liegende Beherrschungssituation hinaus eine
weitergehende Druckwirkung auf das Opfer sich gerade auch aus der
stabilisierten Bemächtigungslage ergeben und der
Täter beabsichtigen muss, die durch das
Sich-Bemächtigen des Opfers geschaffene Lage für sein
weiteres erpresserisches Vorgehen auszunutzen (BGH NStZ-RR 2004, 333,
334). Erforderlich ist eine finale Beziehung zwischen der
Bemächtigungslage und ihrer Ausnutzung zum Zwecke der
Erpressung, an deren Vorliegen hier kein ernsthafter Zweifel bestehen
kann. Ob das Opfer aufgrund der ersten Raubattacke in einer
bedrängteren Lage war, ist dabei unerheblich. Entscheidend ist
vielmehr, dass nunmehr nach dem modifizierten Tatplan die weitere
Kontrolle über das Opfer die Voraussetzung für die
erstrebte Erpressung des aus dem Geldautomaten noch zu ziehenden
Betrages bilden sollte. d) Der Annahme eines erpresserischen
Menschenraubes nach § 239a StGB steht schließlich
nicht entgegen, dass der Vermögensverlust sich auf das in
seiner Börse mitgeführte Geld und das Handy bezog.
Auch die Wegnahme dieser Vermögenswerte erfolgte unter
Ausnutzung der vorher geschaffenen Bemächtigungssituation. Die
Änderung der Zielrichtung der Wegnahmehandlung nach der
fehlgeschlagenen Abhebung vom Geldautomaten stellt dabei eine
unerhebliche Abweichung vom Kausalverlauf dar, weil die Angeklagten von
ihrem Opfer Geld und Wertsachen wollten und diese letztlich auch
erhalten haben. Da der Tatbestand der Erpressung die Raubhandlung mit
umfasst, liegt ein erpresserischer Menschenraub auch dann vor, wenn die
Bemächtigungslage für einen Raub im Sinne des
§ 249 StGB 9
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ausgenutzt wird (BGH NStZ 2002, 31, 32; NStZ-RR 2004, 333, 334). Die
Korrektur des Schuldspruchs kann der Senat selbst vornehmen, weil nicht
ersichtlich ist, wie sich der Angeklagte hiergegen hätte
anders verteidigen können. 2. Einer Aufhebung des
Strafausspruchs bedarf es bei dieser Sachverhaltskonstellation nicht,
weil der Senat ausschließen kann, dass sich die fehlerhafte
Verneinung des Tatbestands des erpresserischen Menschenraubes nach
§ 239a StGB auf die verhängte Strafe ausgewirkt hat.
Das Landgericht hat nämlich zu Recht den Schwerpunkt der Tat
in den Misshandlungen auf der Herrentoilette des Lokals gesehen, die in
der Absicht erfolgten, den Geschädigten zur Herausgabe von
Geld und Wertsachen zu veranlassen. Es hat weiterhin das
Sich-Bemächtigen des Opfers bei der Bemessung der Strafe
ersichtlich schärfend gewürdigt, insoweit aber auch
rechtsfehlerfrei mildernd berücksichtigt, dass die Idee zur
Fahrt zum Geldautomaten vom Opfer selbst ausgegangen ist. 10 Entgegen
der Auffassung der Staatsanwaltschaft lässt insbesondere die
vom Landgericht gegebene Begründung einer Annahme eines minder
schweren Falles keinen Rechtsfehler erkennen. Das Landgericht hat
insoweit die von der Rechtsprechung verlangte Gesamtwürdigung
von Tat und Täter sorgfältig und mit vertretbaren
Erwägungen vorgenommen. Das vom Landgericht gefundene Ergebnis
hält sich innerhalb des ihm zukommenden Ermessensspielraums
(BGHR StGB vor § 1/minder schwerer Fall
Gesamtwürdigung 7). Es ist offensichtlich, dass der Tatrichter
hinsichtlich des erpresserischen Menschenraubes gleichfalls von einem
minder schweren Fall im Sinne des § 239a Abs. 2 StGB
ausgegangen wäre und die Strafe trotz unterschiedlicher
Höchststrafe gleich bemessen hätte. 11
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3. Die umfassende Überprüfung des angefochtenen
Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten L. ergeben
(§ 301 StPO). 12
Harms Häger Basdorf Gerhardt Raum |