BGH,
Urt. v. 9.4.2009 - 3 StR 376/08
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 376/08
vom
9. April 2009
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
_________________________
GVG § 21 e Abs. 3, StPO § 338 Nr. 1 Buchst. b
1. Der Präsidiumsbeschluss über die Errichtung einer
Hilfsstrafkammer und die Übertragung (auch) bereits
anderweitig anhängiger Sachen an diese (§ 21 e Abs. 3
GVG) ist zu begründen.
2. Mängel dieser Begründung können
spätestens bis zur Entscheidung der Hilfsstrafkammer
über einen in der Hauptverhandlung erhobenen Besetzungseinwand
(§ 222 b StPO) behoben werden.
BGH, Urt. vom 9. April 2009 - 3 StR 376/08 - LG Hannover
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in der Strafsache
gegen
wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u. a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung
vom 12. März 2009 in der Sitzung am 9. April 2009, an denen
teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
von Lienen,
Hubert,
Dr. Schäfer
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt - in der Verhandlung vom 12. März 2009 - ,
Staatsanwältin - bei der Verkündung am 9. April 2009 -
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung vom 12. März 2009 -
als Verteidiger,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Hannover vom 29. November 2007 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im
Übrigen wegen unerlaubten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben
Fällen und wegen "gewerbsmäßigen"
unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zur
Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten
verurteilt. Die gegen die Verurteilung gerichtete Revision des
Angeklagten hat mit der Besetzungsrüge Erfolg, soweit sie
beanstandet, die Einrichtung der Hilfsstrafkammer 3 a durch das
Präsidium des Landgerichts sei nicht
gesetzmäßig erfolgt, so dass diese zur Verhandlung
und Entscheidung im vorliegenden Verfahren nicht berufen und das
erkennende Gericht somit vorschriftswidrig besetzt gewesen sei
(§ 338 Nr. 1 StPO i. V. m. § 21 e Abs. 3 GVG ).
1
1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:
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Durch schriftliche "Anordnung (1/2007) gemäß
§ 21 e GVG" vom 10. Januar 2007 eröffnete das
Präsidium des Landgerichts "mit Wirkung vom 11. Januar 2007"
unter anderem die Hilfsstrafkammer 3 a und teilte dieser die in der
Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 2006 bei der Strafkammer 3
eingegangenen, dort noch anhängigen Haftsachen zu, die noch
nicht terminiert waren. Außerdem wurden dieser
Hilfsstrafkammer "mit Wirkung vom 1. März 2007" die
nächsten zwei Haftsachen übertragen, für die
nach der bisherigen Geschäftsverteilung die Strafkammer 3
zuständig gewesen wäre. Als Anlass für die
Änderung der Geschäftsverteilung wurde eingangs der
Anordnung insoweit eine Überlastung der Strafkammer 3
angegeben. Eine Begründung enthielt die Entscheidung des
Präsidiums nicht. Die Überleitung der bei der
Strafkammer 3 bereits anhängigen und noch nicht terminierten
Haftsachen erfasste - neben einer weiteren Strafsache - auch das gegen
den Beschwerdeführer gerichtete Verfahren.
3
In diesem teilte die Hilfsstrafkammer 3 a mit Schreiben vom 1. Februar
2007 die Gerichtsbesetzung mit. Der Verteidiger des
Beschwerdeführers bat mit Schreiben vom 6. Februar 2007 an die
Präsidialabteilung des Landgerichts, ihm je eine Kopie der
Beschlussfassung über die Änderung der
Geschäftsverteilung, des Protokolls der
Präsidiumssitzung und der Überlastungsanzeige des
Vorsitzenden der ehemals zuständigen Strafkammer zu
überlassen. Daraufhin übersandte der
Präsident des Landgerichts unter dem 8. Februar 2007 eine
Kopie der "Anordnung (1/2007)" und teilte mit, dass die
Übersendung eines Protokolls der Präsidiumssitzung
nicht möglich sei, weil "dort Protokolle nicht
geführt werden". Eine schriftliche
Überlastungsanzeige sei nicht gefertigt worden. Sowohl dem
Präsidium des Landgerichts als auch dem Oberlandesgericht
Celle sei jedoch die Überlastung der Strafkammer bekannt, die
die Eröffnung der Hilfsstrafkammer notwendig gemacht habe. Vor
der Beschlussfassung des
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Präsidiums habe er als dessen Vorsitzender darüber
hinaus Gespräche mit dem Vorsitzenden und dem
stellvertretenden Vorsitzenden der Strafkammer 3 geführt, in
denen die Überlastung der Kammer nochmals dargelegt und
erörtert worden sei.
In der Hauptverhandlung vom 26. Februar 2007 erhob der Angeklagte vor
Einlassung zur Sache den Besetzungseinwand gemäß
§ 222 b Abs. 1 StPO. Zur Begründung beanstandete er
unter anderem den Übergang des Verfahrens von der ordentlichen
Strafkammer 3 in die Zuständigkeit der Hilfsstrafkammer 3 a
und begründete die Rüge insoweit damit, dass weder
ein Protokoll der Präsidiumssitzung noch eine
Überlastungsanzeige des Vorsitzenden der ordentlichen
Strafkammer 3 vorliege. Es sei daher nicht nachvollziehbar, aufgrund
welcher Tatsachen das Präsidium die Einrichtung einer
Hilfsstrafkammer meinte beschließen zu müssen.
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Die Große Hilfsstrafkammer 3 a wies den Besetzungseinwand in
der Hauptverhandlung vom 12. März 2007 als
unbegründet zurück. § 21 e Abs. 3 Satz 1 GVG
ermächtige das Präsidium unter anderem dann zu einer
Änderung des Geschäftsverteilungsplanes, wenn dies
wegen Überlastung nötig werde. Ob ein Fall der
Überlastung eingetreten sei, unterliege allein der
Prüfung und Ermessensentscheidung des Präsidiums. Das
Gesetz definiere den Begriff "Überlastung" nicht. Insbesondere
setze es keine Überlastungsanzeige des betroffenen
Spruchkörpers oder die Protokollierung der die Entscheidung
vorbereitenden Beratung in der Präsidiumssitzung voraus. Dass
Grundlage der "Anordnung (1/2007)" die Feststellung einer
Überlastung der Strafkammer 3 gewesen sei, folge aus der
Stellungnahme des Präsidenten vom 8. Februar 2007.
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2. Die Besetzungsrüge ist zulässig erhoben. Sie ist
weder wegen unzureichender Substantiierung des in der Hauptverhandlung
erhobenen Besetzungseinwandes (§ 222 b Abs. 1 Satz 2 StPO)
nach § 338 Nr. 1 Buchst. b StPO präkludiert (s. unten
4. a)) noch hat der Beschwerdeführer die Anforderungen an die
Begründung der Besetzungsrüge in der Revision
(§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) verfehlt (s. unten 4. b)).
7
Die Rüge ist auch begründet. Das Urteil kann schon
deshalb keinen Bestand haben, weil die erforderliche Dokumentation der
Gründe fehlt, die das Präsidium zur Änderung
der Geschäftsverteilung veranlasst haben, und deshalb nicht
beurteilt werden kann, ob die Einrichtung der Hilfsstrafkammer 3 a
gesetzmäßig war oder ob der Angeklagte durch die
Übertragung seines Verfahrens auf diese Strafkammer unter
Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG seinem gesetzlichen
Richter entzogen wurde.
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a) Allerdings darf das Präsidium gemäß
§ 21 e Abs. 3 Satz 1 GVG die nach Abs. 1 Satz 1 dieser
Bestimmung getroffenen Anordnungen im Laufe des
Geschäftsjahres ändern, wenn dies wegen
Überlastung eines Spruchkörpers nötig wird.
Eine solche liegt vor, wenn über einen längeren
Zeitraum ein erheblicher Überhang der Eingänge
über die Erledigungen zu verzeichnen ist, sodass mit einer
Bearbeitung der Sachen innerhalb eines angemessenen Zeitraumes nicht zu
rechnen ist (vgl. Velten in SK-StPO § 21 e Rdn. 26) und sich
die Überlastung daher als so erheblich darstellt, dass der
Ausgleich nicht bis zum Ende des Geschäftsjahres
zurückgestellt werden kann (vgl. Kissel/Mayer, GVG 5. Aufl.
§ 21 e Rdn. 112). Die Rechtsprechungstätigkeit der
Gerichte wird immer wieder mit nicht vorhersehbaren Ereignissen und
Entwicklungen konfrontiert. Derartige Umstände erfordern ein
Eingreifen des Spruchkörpers oder des Präsidiums, um
die Effizienz des Geschäftsablaufes zu erhalten oder
wiederherzu-
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stellen. Eine nachträgliche Änderung der
Geschäftsverteilung kann auch verfassungsrechtlich geboten
sein, wenn nur auf diese Weise die Gewährung von Rechtsschutz
innerhalb angemessener Zeit, insbesondere eine beschleunigte Behandlung
von Strafsachen, erreicht werden kann. Das Beschleunigungsgebot
lässt indes das Recht auf den gesetzlichen Richter nicht
vollständig zurücktreten. Vielmehr besteht Anspruch
auf eine zügige Entscheidung durch diesen. Daher muss in
derartigen Fällen das Recht des Angeklagten auf den
gesetzlichen Richter mit dem rechtsstaatlichen Gebot einer
funktionstüchtigen Strafrechtspflege und dem
verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgrundsatz zu einem angemessenen
Ausgleich gebracht werden (vgl. BVerfG NJW 2005, 2689, 2690 m. w. N.;
Beschl. vom 18. März 2009 - 2 BvR 229/09).
b) Zu den vor diesem Hintergrund zulässigen und unter den
genannten Voraussetzungen auch gebotenen
Änderungsmaßnahmen des Präsidiums im Sinne
von § 21 e Abs. 3 GVG zählt auch die Einrichtung
einer Hilfsstrafkammer. Dieser im Gesetz nicht erwähnte
Spruchkörper darf nach den von der Rechtsprechung entwickelten
Grundsätzen (vgl. BGHSt 21, 260, 261) bei vor
übergehender Überlastung eines ständigen
Spruchkörpers für begrenzte Zeit errichtet werden (h.
M.; aA Velten aaO § 21 e Rdn. 44); er gehört nicht zu
den "institutionellen" Kammern des Landgerichts und vertritt die
ordentliche Strafkammer in solchen Geschäften, die diese
infolge anderweitiger Inanspruchnahme nicht selbst erledigen kann (vgl.
BGHSt 31, 389, 391). Die Regelung der mit der Errichtung einer
Hilfsstrafkammer verbundenen Übertragung von Aufgaben der
ordentlichen Strafkammer hat denselben Grundsätzen zu folgen,
wie sonstige Änderungen im Sinne von § 21 e Abs. 3
GVG; insbesondere ist auch insoweit das Abstraktionsprinzip zu
beachten. Danach muss auch die Änderung des
Geschäftsverteilungsplans die Aufgaben nach allgemeinen,
sachlichobjektiven Merkmalen der Hilfsstrafkammer übertragen.
Eine spezielle Zuwei-
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sung bestimmter einzelner Verfahren ist unzulässig (vgl.
Kissel/Mayer aaO § 21 e Rdn. 99, 111). Nach diesen
Maßstäben steht Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG einer
Änderung der (funktionellen) Zuständigkeit auch
für bereits anhängige Verfahren jedenfalls dann nicht
entgegen, wenn die Neuregelung generell gilt, also etwa außer
mehreren anhängigen Verfahren auch eine unbestimmte Vielzahl
künftiger, gleichartiger Fälle erfasst, und nicht aus
sachwidrigen Gründen geschieht (BVerfGE 24, 33, 54 f.; BVerfG
NJW 2003, 345; 2005, 2689, 2690 m. w. N.). In Ausnahmefällen
kann aber auch eine Änderung der Geschäftsverteilung
zulässig sein, die der Hilfsstrafkammer
ausschließlich bereits anhängige Verfahren
überträgt, wenn nur so dem verfassungs- und
konventionsrechtlichen Beschleunigungsgebot insbesondere in Haftsachen
(s. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) angemessen
Rechnung getragen werden kann (vgl. BGHSt 44, 161, 165 ff.; BVerfG
Beschl. vom 29. März 2007 - 2 BvR 188/07 und vom 18.
März 2009 - 2 BvR 229/09; noch offen gelassen in BVerfG NJW
2005, 2689, 2690). Gleichgültig, ob der Hilfsstrafkammer
ausschließlich anhängige Verfahren oder daneben auch
zukünftig eingehende Verfahren zugewiesen werden, muss jedoch
jede Umverteilung während des laufenden
Geschäftsjahres, die bereits anhängige Verfahren
erfasst, geeignet sein, die Effizienz des Geschäftsablaufs zu
erhalten oder wiederherzustellen. Denn Änderungen der
Geschäftsverteilung, die diesen Anforderungen nicht
genügen, sind nicht im Sinne des § 21 e Abs. 3 Satz 1
GVG nötig und können vor allem vor Art. 101 Abs. 1
Satz 2 GG keinen Bestand haben (BVerfG NJW 2005, 2689, 2690).
c) Obwohl die Umverteilung von Geschäftsaufgaben auf eine
Hilfsstrafkammer nach diesen Maßstäben
grundsätzlich zulässig ist, birgt sie doch stets
erhebliche Gefahren für das verfassungsrechtliche Gebot der
Gewährleistung des gesetzlichen Richters in sich. Dies gilt in
besonderem Maße bei Überleitung
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bereits bei der überlasteten ordentlichen Strafkammer
anhängiger Verfahren in die Zuständigkeit der
Hilfsstrafkammer, weil dann schon eine anderweitige
Zuständigkeit konkretisiert und begründet worden war.
Daher ist es in solchen Fällen geboten, die Gründe,
die eine derartige Umverteilung erfordern, zu dokumentieren und den
Verfahrensbeteiligten - jedenfalls auf Verlangen - zur Kenntnis zu
geben, um "dem Anschein einer willkürlichen
Zuständigkeitsverschiebung" entgegen zu wirken (vgl. BVerfG
NJW 2005, 2689, 2690; Beschl. vom 18. März 2009 - 2 BvR
229/09). Eine solche Pflicht zur umfassenden, nachvollziehbaren
Dokumentation und Darlegung der Gründe besteht auch dann, wenn
neben der Umverteilung bereits anhängiger Verfahren auch
zukünftig eingehende Sachen auf die Hilfsstrafkammer
übertragen werden (vgl. hierzu einschränkend - nicht
tragend - BGH - 2. Strafsenat - NStZ 2007, 537; vgl. auch 5. Strafsenat
in BGHR GVG § 21 e Abs. 3 Änderung 7; zur
Begründungspflicht vgl. Kissel/Mayer aaO § 21 e Rdn.
73 aE; Velten aaO § 21 e Rdn. 30); denn auch bei einer
derartigen Änderung der Geschäftsverteilung bedarf
die Überleitung schon anhängiger Verfahren in eine
neue Zuständigkeit besonderer Rechtfertigung.
Den sich danach ergebenden Anforderungen an die Begründung
einer Änderung der Geschäftsverteilung nach
§ 21 e Abs. 3 GVG, durch die eine Hilfsstrafkammer errichtet
wird und dieser bereits bei einer ordentlichen Strafkammer
anhängige Verfahren zugewiesen werden, genügt die
hier beanstandete Entscheidung des Präsidiums nicht. Dieses
hat eine rechtzeitige Dokumentation der für die "Anordnung
(1/2007)" maßgeblichen Gründe und
Erwägungen völlig unterlassen. Deren
revisionsrechtliche Überprüfung ist dem Senat daher
nicht möglich.
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3. Die Anforderungen an Inhalt und Umfang der gebotenen Dokumentation
richten sich nach den Maßstäben, die für
die revisionsgerichtliche Kontrolle der
Rechtmäßigkeit eines derartigen
Präsidiumsbeschlusses bestehen. Hierfür gilt:
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a) Die revisionsrechtliche Überprüfung der
Gesetzmäßigkeit einer Abänderung der
Geschäftsverteilung im Laufe des Geschäftsjahres ist
nicht ausgeschlossen, sondern grundsätzlich möglich
(st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 3, 353 ff.; 44, 161, 165, 170; Kissel/Mayer
§ 16 Rdn. 50 ff., § 21 e Rdn. 120). Sie
beschränkt sich bei Errichtung einer Hilfsstrafkammer nach der
bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs allerdings darauf, ob
der neue Spruchkörper in gesetzmäßiger
Weise vom Präsidium errichtet worden ist und ob die
für die Bildung der Hilfsstrafkammer als Grund angegebenen
Tatsachen den Rechtsbegriff der (vorübergehenden)
Überlastung erfüllen (vgl. Kuckein in KK 6. Aufl.
§ 338 Rdn. 30 m. w. N.). Auf die Tatsachen, die zu der
Änderung geführt haben, sowie darauf, ob die
ordentliche Strafkammer tatsächlich überlastet war,
erstreckt sich die Prüfung hingegen nicht (vgl. BGHR GVG
§ 21 e Abs. 3 Änderung 4; Hanack in
Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 338 Rdn. 22). Der
Nachprüfung durch das Revisionsgericht sind danach enge
Grenzen gesetzt (vgl. BGHR GVG § 21 e Hilfsstrafkammer 1 m. w.
N.). Dies wird aus der eigenverantwortlichen Stellung des
Präsidiums als Gremium verwaltungsunabhängiger
Selbstorganisation der Gerichte und aus der Besonderheit der ihm
übertragenen Aufgaben hergeleitet. Daraus folge, dass der
Beurteilung durch das Präsidium wegen der Notwendigkeit
flexibler, an die konkrete Situation angepasster und auf wesentliche
Veränderungen zeitnah reagierender Entscheidungen schon
deshalb ein gewisser Vorrang zukommen müsse, weil es
über Entscheidungsgrundlagen verfüge, die dem
sachverhaltsferneren Revisionsgericht durch dienstliche
Äußerungen und andere Mittel des Beweises nur
unvollkom-
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men vermittelt werden könnten. Hinzu komme, dass die
Entscheidungen über die Geschäftsverteilung
wesentlich von der Bewertung zukünftiger Entwicklungen
insbesondere im Geschäftsanfall bestimmt seien und solche
vorausschauenden Beurteilungen ihrer Natur nach eine ins Einzelne
gehende Richtigkeitskontrolle nicht zuließen. Aus diesen
Gründen sei die Regelung der Geschäftsverteilung,
soweit es an bindenden rechtlichen Vorgaben fehle, dem
pflichtgemäßen Ermessen des Präsidiums zu
überlassen. Im Bereich rechtlicher Einzelnormierung
müsse den dargelegten Besonderheiten dadurch Rechnung getragen
werden, dass dem Präsidium bei der Anwendung unbestimmter
Rechtsbegriffe ein weiter Beurteilungsspielraum zugebilligt werde. Um
einen solchen unbestimmten Rechtsbegriff handele es sich bei der
Voraussetzung vorübergehender Überlastung der
ordentlichen Strafkammer, von der die Einrichtung einer
Hilfsstrafkammer abhänge. Ein durchgreifender Rechtsmangel sei
daher erst dann begründet, wenn offen zu Tage liege, dass die
Entscheidung über die Bildung der Hilfsstrafkammer und/oder
die damit verbundene Zuweisung von Geschäften an diese als
objektiv willkürlich zu bewerten sei (vgl. Breidling in
Löwe/Rosenberg aaO § 21 e GVG Rdn. 45).
b) Demgegenüber hat das Bundesverfassungsgericht in seinem
Beschluss vom 16. Februar 2005 (NJW 2005, 2689, 2690)
ausgeführt, dass es bei der Prüfung, ob in einem
bestimmten Verfahren dem grundrechtsgleichen Anspruch des Betroffenen
auf Gewährleistung des gesetzlichen Richters genügt
worden sei, zwar die Auslegung und Anwendung von
Zuständigkeitsnormen grundsätzlich nur beanstande,
wenn sie bei verständiger Würdigung der das
Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich
erschienen und offensichtlich unhaltbar - mithin willkürlich -
seien. Jedoch sei dies anders, wenn nicht die fehlerhafte Auslegung
oder Anwendung einer Zuständigkeitsregel (etwa eines
Geschäftsverteilungsplans oder der Voraussetzungen des
§ 21 e Abs.
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3 GVG) durch das Gericht, sondern die
Verfassungsmäßigkeit der Regelung im
Geschäftsverteilungsplan, die der Rechtsanwendung zugrunde
liege, betroffen sei. An die verfassungsrechtliche
Überprüfung der Umverteilung von bereits
anhängigen Verfahren durch das Präsidium
müsse vielmehr ein Kontrollmaßstab angelegt werden,
der über eine reine Willkürprüfung
hinausgehe und in den Fällen der nachträglichen
Zuständigkeitsänderung jede Rechtswidrigkeit einer
solchen durch das Präsidium getroffenen Regelung im
Geschäftsverteilungsplan erfasse.
c) Es liegt auf der Hand, dass der Maßstab der Fachgerichte
bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer
Änderung der Geschäftsverteilung nach § 21 e
Abs. 3 GVG und hier damit derjenige des Senats bei der
revisionsrechtlichen Beurteilung der Einrichtung der Hilfsstrafkammer 3
a sowie der Umverteilung von Strafverfahren an diese aufgrund der
Besetzungsrüge kein abweichender sein kann. Denn ansonsten
fände die Überprüfung der
Präsidiumsentscheidung nach den verfassungsrechtlich
vorgegebenen Beurteilungskriterien erst in einem vom Angeklagten
eventuell angestrengten Verfassungsbeschwerdeverfahren statt. An dem
eingeschränkten Maßstab einer reinen
Willkürprüfung kann daher insoweit nicht festgehalten
werden.
16
Dies wirkt jedoch zurück auf die Anforderungen an den Inhalt
der Dokumentation eines Präsidiumsbeschlusses über
die Errichtung einer Hilfsstrafkammer und die Übertragung
(auch) bereits anderweitig anhängiger Sachen auf diese. Der
Beschluss muss so detailliert begründet sein, dass eine
Prüfung seiner Rechtmäßigkeit nach den
aufgezeigten verfassungsrechtlichen Maßstäben
möglich ist (s. näher BVerfG NJW 2005, 2689, 2690 f.).
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- 14 -
d) Diese Dokumentation muss im erforderlichen Umfang
grundsätzlich schon zum Zeitpunkt der
Präsidiumsentscheidung vorliegen. Denn sie dient nicht nur der
notwendigen Unterrichtung der Präsidiumsmitglieder
über die Gründe für die geplante
Änderung des Geschäftsverteilungsplans, sondern
bildet für diese auch die erforderliche umfassende
Entscheidungsgrundlage. Die Ermittlung und Niederlegung aller
bedeutsamen Umstände zu diesem Zeitpunkt stellt sicher, dass
die Entscheidung des Präsidiums auf dem aktuellen Stand der
Belastungssituation der ordentlichen Strafkammer und der
übrigen bedeutsamen Umstände beruht. Ferner ist die
Dokumentation der Gründe der Umverteilung von Verfahren zu
diesem Zeitpunkt am besten geeignet, gegenüber allen
Verfahrensbeteiligten dem "Anschein der Willkürlichkeit"
entgegenzuwirken. Schließlich können die zur
Erhebung des Besetzungseinwands nach § 222 b Abs. 1 StPO
Berechtigten nur bei Vorliegen der Änderungsgründe
auf tragfähiger sachlicher Grundlage sowie rechtzeitig
entscheiden, ob die Besetzung des erkennenden Gerichts
ordnungsgemäß ist oder ob es Umstände gibt,
die einen Besetzungseinwand rechtfertigen (s. näher unten 4.
a)).
18
e) Die Dokumentation der Änderungs- und
Umverteilungsgründe muss jedenfalls spätestens in dem
Zeitpunkt vorhanden sein, in dem in einer der in die
Zuständigkeit der Hilfsstrafkammer fallenden Sachen
über einen (zulässig erhobenen) Besetzungseinwand
nach § 222 b Abs. 2 StPO sachlich zu entscheiden ist.
Unabhängig davon, dass bei Fehlen einer Begründung
der Änderung zum Zeitpunkt des Präsidiumsbeschlusses
eine verlässliche Rekonstruktion der tatsächlichen
Gründe für die Errichtung der Hilfsstrafkammer mit
zunehmendem Zeitablauf immer schwieriger wird, ergibt sich dies aus dem
Sinn und Zweck der für die erstinstanzlichen Verfahren vor dem
Landgericht und Oberlandesgericht bestehenden
Rügepräklusion; denn mit den durch das
Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 vom 5. Oktober 1978 (BGBl
I S. 1645) einge-
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führten Präklusionsvorschriften der § 222 b
Abs. 1, § 338 Nr. 1 StPO wollte der Gesetzgeber erreichen,
dass Besetzungsfehler bereits in einem frühen
Verfahrensstadium erkannt und geheilt werden, um zu vermeiden, dass ein
möglicherweise mit großem justiziellem Aufwand
zustande gekommenes Urteil allein wegen eines derartigen
Besetzungsfehlers im Revisionsverfahren aufgehoben und in der Folge die
gesamte Hauptverhandlung - mit erheblichen Mehrbelastungen sowohl
für die Strafjustiz als auch für den Angeklagten -
wiederholt werden muss (vgl. BGH NJW 2003, 2545, 2546 unter Hinweis auf
die Begründung des Entwurfs BTDrucks. 8/976 S. 25 ff.).
Deshalb wurde ein Zwischenverfahren über die gegen die
Besetzung erhobenen Beanstandungen geschaffen, um der Gefahr einer
Ausuferung der Besetzungsrügen entgegenzuwirken und sie auf
das verfassungsrechtlich gebotene Maß
zurückzuführen (vgl. Kissel/Mayer aaO § 16
Rdn. 60; Schlüchter in SK-StPO § 222 b Rdn. 1). Soll
dieses Zwischenverfahren effektiv sein und seinen vom Gesetzgeber
bestimmten Sinn und Zweck erfüllen, bereits zu Beginn der
erstinstanzlichen Hauptverhandlung und nicht erst in der
Revisionsinstanz zu klären, ob das erkennende Gericht
vorschriftsmäßig besetzt ist, so müssen die
Rügeberechtigten, die hinsichtlich des Einwands besonderen
Begründungspflichten unterworfen sind, wie auch das nach
§ 222 b Abs. 2 StPO über den Einwand entscheidende
Gericht in der Lage sein, anhand der maßgeblichen Tatsachen
zu beurteilen, ob Besetzungsmängel vorhanden sind (vgl.
Gollwitzer in Löwe/Rosenberg aaO § 222 b Rdn. 25).
All dies erfordert im Falle der Änderung der
Geschäftsverteilung wegen Überlastung eines
Spruchkörpers im Sinne des § 21 e Abs. 3 StPO,
insbesondere bei Umverteilung (auch) bereits anhängiger
Verfahren eine Begründung der Anordnung zugleich mit dem
maßgeblichen Beschluss des Präsidiums. Etwaige
Begründungsmängel können spätestens
bis zur Entscheidung über einen erhobenen Besetzungseinwand
gemäß § 222 b StPO behoben werden, sofern
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der zunächst einer umfassenden Begründung ermangelnde
Änderungsbeschluss des Präsidiums durch eine
ausführliche, alle Gründe für die
Umverteilung dokumentierende Begründung in einem
ergänzenden Beschluss des Präsidiums
bestätigt wird, so dass der Beschwerdeführer zu
keinem Zeitpunkt einen berechtigten Anlass zu der Annahme hatte, die
Gerichtszuständigkeit sei zu seinen Lasten manipuliert worden
(vgl. BVerfG, Beschl. vom 18. März 2009 - 2 BvR 229/09).
Daran gemessen war die vom Präsidenten des Landgerichts in
seinem Schreiben an den Verteidiger vom 8. Februar 2007 vor Beginn der
Hauptverhandlung erteilte Auskunft zwar noch rechtzeitig; indes war sie
nach ihrem sachlichen Gehalt nicht geeignet, die Prüfung der
Änderung der Geschäftsverteilung
nachträglich zu ermöglichen. Das Schreiben enthielt
lediglich die Behauptung einer - nur innerhalb der Justiz bekannten -
Überlastung der Strafkammer 3 zum Zeitpunkt des
Präsidiumsbeschlusses, belegte diese jedoch nicht mit
Tatsachen. Gleiches gilt für die Mitteilung des
Landgerichtspräsidenten, dass er vor der Einrichtung der
Hilfsstrafkammer 3 a mit dem Vorsitzenden und dem stellvertretenden
Vorsitzenden der ordentlichen Strafkammer 3 Gespräche
geführt habe, in denen die Überlastung der Kammer
nochmals dargelegt und erörtert worden sei. Die erforderliche
Dokumentation der Gründe des Präsidiumsbeschlusses
wurde somit auch nicht rechtzeitig nachgeholt.
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4. Aus all dem folgt für die Entscheidung über die
Besetzungsrüge:
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a) Da der Angeklagte mit seinem in der Hauptverhandlung rechtzeitig
erhobenen Besetzungseinwand alle Tatsachen vorgebracht hat, die ihm zu
den Hintergründen der Errichtung der Hilfsstrafkammer 3 a
zugänglich waren, hat er die ihm gemäß
§ 222 b Abs. 1 Satz 2 StPO insoweit obliegende Vortragslast
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erfüllt und ist daher mit der Besetzungsrüge nicht
nach § 338 Nr. 1 Buchst. b StPO präkludiert. Weiteres
musste er nicht darlegen; insbesondere war er mangels jeder
Dokumentation der für die "Anordnung (1/2007)"
maßgeblichen Gründe nicht gehalten, seinerseits die
Tatsachen vorzutragen, die die Hilfsstrafkammer benötigte, um
die Rechtmäßigkeit dieser Anordnung und damit ihre
eigene Zuständigkeit sowie die Berechtigung des
Besetzungseinwands inhaltlich prüfen zu können.
Das auf den Besetzungseinwand in den erstinstanzlichen Verfahren vor
den Landgerichten und Oberlandesgerichten eröffnete
Zwischenverfahren dient dazu, die Prüfung und Beanstandung der
Gerichtsbesetzung auf den von § 222 b Abs. 1 Satz 1 StPO
beschriebenen Zeitpunkt vorzuverlegen, damit ein Fehler rechtzeitig
aufgedeckt und gegebenenfalls geheilt wird. Damit wird auch dem Recht
des Angeklagten, sich nur vor seinem gesetzlichen Richter verantworten
zu müssen, besser Rechnung getragen, als wenn er darauf
verwiesen würde, dieses Recht erst mit der Revision geltend zu
machen. Ist jedoch der Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung zur
Wahrung der entsprechenden Revisionsrüge zu Beginn der
Hauptverhandlung zu erheben, so muss rechtlich und faktisch auch die
Möglichkeit zur Prüfung der Besetzung vor der
Verhandlung bestehen, da andernfalls die Rechte der Prozessbeteiligten
und insbesondere des Angeklagten in nicht hinnehmbarer Weise
verkürzt würden. Ihm ist daher - jedenfalls auf sein
Verlangen - die insoweit erforderliche Tatsachenkenntnis zu
verschaffen, nicht etwa muss er diese Tatsachen selbst ermitteln. Denn
aus dem Grundsatz einer rechtsstaatlichen, fairen
Verfahrensführung folgt, dass ihm eine effektive
Überprüfung der Besetzung ermöglicht werden
muss, und dass die Präklusionswirkung des nicht
vollständig erhobenen Einwandes für das
Revisionsverfahren nur so weit reichen darf, wie diese
Möglichkeit gewährt worden ist. Hieraus ergibt sich,
dass in den in Betracht kommen-
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- 18 -
den Fällen eine Pflicht zur Mitteilung der Gerichtsbesetzung
und zur Information über die hierfür
maßgebenden Gründe besteht sowie ein ausreichend
bemessener Zeitraum gewährt werden muss (vgl.
Begründung des Gesetzesentwurfs BTDrucks. 8/976 S. 26).
Da hier die Gründe, die für die Einrichtung der
Hilfsstrafkammer 3 a bestimmend waren, nicht dokumentiert worden sind,
war es dem Angeklagten unmöglich, die
Ordnungsmäßigkeit der Besetzung des erkennenden
Gerichts auch nur im Ansatz zu überprüfen. Damit
konnte er nicht beurteilen, ob ein Besetzungseinwand berechtigt war
oder für seine Erhebung kein Anlass bestand.
Demgemäß war er entweder darauf verwiesen, die
Wahrung seines Rechts auf den gesetzlichen Richter in der ersten
Instanz ungeprüft zu lassen - was die Präklusion
seiner erst im Revisionsverfahren geltend gemachten
Besetzungsrüge zur Folge gehabt hätte - oder den
Besetzungseinwand - wie geschehen - vorsorglich und "ins Blaue hinein"
zu erheben. Zwar war er dabei nicht in der Lage, diesen Einwand in der
vorgeschriebenen Art und Weise zu begründen; denn hierzu
hätte er die Fehlerhaftigkeit der Besetzung substantiiert
behaupten, also anhand von Tatsachen schlüssig darlegen
(§ 222 b Abs. 1 Satz 2 StPO), sowie alle Beanstandungen
gleichzeitig vorbringen müssen (§ 222 b Abs. 1 Satz 3
StPO; vgl. Gollwitzer aaO § 222 b Rdn. 17, 18;
Schlüchter aaO § 222 a Rdn. 1). Dies kann jedoch aus
den dargelegten Gründen nicht zu seinen Lasten gehen. Da ihm
keine Dokumentation über die Gründe für die
Änderung der Geschäftsverteilung zur
Verfügung stand, durfte er sich zur Begründung des
Besetzungseinwands daher auf die Beanstandung beschränken,
dass mangels vorhandener Unterlagen nicht nachzuvollziehen sei,
aufgrund welcher Tatsachen das Präsidium die Hilfsstrafkammer
eingerichtet hat. Das aus § 222 a Abs. 3 StPO folgende Recht
auf Einsicht in die Besetzungsunterlagen änderte hieran
nichts, weil es - worauf der Präsident in seinem Schreiben an
den Verteidiger
25
- 19 -
hingewiesen hatte - eine Niederlegung der Gründe für
die Umverteilung der Geschäfte nicht gab.
Demgegenüber kann vom Angeklagten nicht verlangt werden, dass
er über die eingeholten Mitteilungen der Justizverwaltung
hinaus selbst ermitteln müsse, ob die Errichtung einer
Hilfsstrafkammer und die Zuweisung der Geschäfte an diese
ordnungsgemäß waren. Das gilt jedenfalls dann, wenn
- wie hier - jede Dokumentation zu der entsprechenden Entscheidung des
Präsidiums fehlt. Denn dies würde bedeuten, dass dem
Angeklagten die Pflicht auferlegt würde, selbst die gesamte
Belastungssituation der ordentlichen Strafkammer in allen Einzelheiten
zu erforschen und die insoweit maßgeblichen Tatsachen
festzustellen. Dies wäre - falls es überhaupt
gelingen könnte - mit einem enormen Aufwand verbunden und
würde etwa auch die Einsicht in verfahrensfremde Akten sowie
alle sonstige interne Unterlagen der als überlastet
angesehenen Strafkammer, wie zum Beispiel Verhandlungskalender und
Terminierungspläne erfordern. Solch umfangreiche Ermittlungen
sind einem Angeklagten - zumal innerhalb der
regelmäßig kurzen Zeit zwischen der Mitteilung der
Gerichtsbesetzung und dem Beginn der Hauptverhandlung sowie ungeachtet
der Frage, ob entsprechende Einsichtsrechte überhaupt
bestünden - jedenfalls nicht zuzumuten und in der Regel
tatsächlich auch gar nicht möglich. Ob dies anders zu
beurteilen ist, wenn eine Begründung der Änderung der
Geschäftsverteilung vorliegt und zusätzlich nur
wenige einzelne Umstände ermittelt und vorgetragen werden
müssen (vgl. BGHSt 44, 161, 163 f.), braucht hier nicht
entschieden zu werden.
26
b) Für die aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO folgende
Vortragslast des Angeklagten zur Begründung der
Besetzungsrüge in der Revision gilt das Entsprechende. Ist
eine Dokumentation der Gründe für die
Änderung der Ge-
27
- 20 -
schäftsverteilung nicht vorhanden und hat der Angeklagte auf
seinen Besetzungseinwand keine weitergehenden Informationen erhalten,
so kann er auch die im Revisionsverfahren erhobene (nicht
präkludierte) Besetzungsrüge nur ebenso pauschal
ausführen, wie seinen Besetzungseinwand. Vom Angeklagten zu
verlangen, dass er für das Revisionsverfahren darüber
hinaus alle Tatsachen ermitteln (und vortragen) müsse, die
eine nicht ordnungsgemäße Besetzung der
Hilfsstrafkammer belegen, würde die aus § 344 Abs. 2
Satz 2 StPO folgenden Pflichten überspannen (vgl. BVerfG StV
2006, 57; StraFo 2005, 512 m. w. N.; Beschl. vom 10. März 2009
- 2 BvR 49/09).
c) Die vom Senat zu den Gründen der Errichtung der
Hilfsstrafkammer eingeholten dienstlichen Stellungnahmen des
Präsidenten des Landgerichts und des damaligen Vorsitzenden
der ordentlichen Strafkammer 3 können nicht herangezogen
werden, um die vorschriftsmäßige Besetzung des
erkennenden Gerichts nachträglich zu belegen. Denn aus dem
dargelegten Sinn und Zweck der Rügepräklusion nach
§ 222 b Abs. 1, § 338 Nr. 1 StPO folgt, dass
jedenfalls dann, wenn jede Dokumentation der Gründe
für die Errichtung einer Hilfsstrafkammer und die
Übertragung bereits anderweit anhängiger Verfahren in
deren Zuständigkeit unterblieben ist, ein Nachschieben von
Gründen nach der Entscheidung über den
Besetzungseinwand unbeachtlich ist und insbesondere einer mit der
Revision erhobenen Besetzungsrüge nicht mehr den Boden
entziehen kann. Vielmehr greift diese ohne weiteres durch. Denn in
diesem Fall muss auch der im Revisionsverfahren herrschende Grundsatz
zurückstehen, dass nur ein bewiesener Verfahrensmangel zur
Aufhebung eines Urteils führen kann (vgl.
Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 337 Rdn. 10). Hierzu
gilt:
28
- 21 -
Im Allgemeinen sind die zu einer Besetzungsrüge vorgebrachten
Tatsachenbehauptungen, die nicht durch den Inhalt des Protokolls
bewiesen werden können (§ 274 StPO), zwar der
Überprüfung durch das Revisionsgericht im Wege des
Freibeweises zugänglich (vgl. Sarstedt/Hamm, Die Revision in
Strafsachen, 6. Aufl. Rdn. 295 ff., 298). Eine abweichende Beurteilung
ist aber dann geboten, wenn im Revisionsverfahren erstmals die auch dem
Revisionsführer bisher unbekannten Tatsachen in vollem Umfang
ermittelt werden müssten, die für die Beurteilung der
Zuständigkeit des erstinstanzlich erkennenden
Spruchkörpers maßgeblich sind, und dadurch der
Regelungszweck der § 222 b Abs. 1, § 338 Nr. 1 StPO
konterkariert würde. Hierfür ist auch von Belang,
dass das Revisionsverfahren zur Ermittlung der Hintergründe
der regelmäßig schon länger
zurückliegenden Präsidiumsentscheidungen denkbar
ungeeignet ist, weil eine exakte Aufklärung der entsprechenden
Umstände wegen des erheblichen Zeitablaufs kaum geleistet
werden kann. Aus diesem Grund könnten die
Durchführung des Freibeweisverfahrens und die Heranziehung
seiner Erkenntnisse im Übrigen darauf hinauslaufen, dass sich
die Nachlässigkeit des Präsidiums im Ergebnis zu
Lasten des Beschwerdeführers auswirkt. Denn führten
die freibeweislichen Erhebungen nicht zu einem eindeutigen Ergebnis, so
bliebe der gerügte Besetzungsmangel unbewiesen mit der Folge,
dass - verfassungsrechtlich unbedenklich - von einer
ordnungsgemäßen Besetzung auszugehen wäre
(vgl. Meyer-Goßner aaO § 337 Rdn. 12). Danach ist es
im vorliegenden Fall letztlich ohne Belang, ob die Besetzung des
erkennenden Gerichts tatsächlich nicht
vorschriftsmäßig im Sinne von § 338 Nr. 1
StPO war. Der Senat weist daher nur ergänzend darauf hin, dass
auch der Inhalt der von ihm eingeholten dienstlichen
Erklärungen nach den aufgezeigten Maßstäben
die Rechtmäßigkeit der "Anordnung (1/2007)" zur
Errichtung der Hilfsstrafkammer und Umverteilung von Strafverfahren
nicht belegt.
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Ob das Freibeweisverfahren in der Revision durchzuführen ist
und dadurch erlangte Erkenntnisse heranzuziehen sind, wenn eine
vorhandene Dokumentation nur punktuell zu ergänzen ist (vgl.
BGHSt 44, 161), kann der Senat wiederum offen lassen.
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d) Die Sache bedarf somit neuer Verhandlung und Entscheidung.
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Becker Pfister von Lienen
Hubert Schäfer |