BGH,
Urt. v. 9.1.2008 - 5 StR 387/07
5 StR 387/07
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
9.1.2008
in der Strafsache
gegen
wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9.
Januar 2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts
Berlin vom 7. Mai 2008 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch
entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
- Von Rechts wegen -
G r ü n d e
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen
bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in 53 Fällen unter Einbeziehung
einer rechtskräftigen dreijährigen Freiheitsstrafe
ebenfalls wegen eines Betäubungsmitteldelikts zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt
(Einzelstrafen: jeweils drei Jahre Freiheitsstrafe) und den Verfall von
5.000 Euro angeordnet. Die auf den Rechtsfolgenausspruch
beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom
Generalbundesanwalt vertreten wird, hat keinen Erfolg.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
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Der Angeklagte wurde bei kriegerischen Auseinandersetzungen im Libanon
schwer verletzt. So verlor er die linke Hand, Fingerkuppen der anderen
Hand, ein Auge und büßte an Sehkraft auf dem anderen
Auge ein. Durch diese Verletzungen war er stets auf fremde Hilfe
angewiesen. Infolge der Kriegserlebnisse entwickelte sich zudem eine
schwere Depression und eine
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chronifizierte posttraumatische Belastungsstörung, die zu
Persönlichkeitsveränderungen führte.
Im September 2003 schloss sich der Angeklagte mit vier weiteren
Personen, wozu auch sein Sohn zählte, zusammen, um
arbeitsteilig täglich Heroin und Kokain gewinnbringend zu
verkaufen. Von diesem Zeitpunkt an bis Ende Januar 2004 setzte der
Angeklagte diesen Entschluss um, indem er an 53 Tagen jeweils 100 Gramm
Kokain und Heroin von eher schlechter Qualität - das
Heroingemisch enthielt etwa acht Gramm Heroinhydrochlorid und das
Kokaingemisch etwa zwei Gramm Kokainhydrochlorid - von anderen
Gruppenmitgliedern oder Dritten entgegennahm. Sofern die
Betäubungsmittel noch nicht portioniert waren,
übernahm dies der Angeklagte. Er gab sie sodann an seinen Sohn
weiter, der sie entweder selbst veräußerte oder an
andere Gruppenmitglieder zum Weiterverkauf übergab.
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Das sachverständig beratene Landgericht hat nicht
ausschließen können, dass der Angeklagte bei den
Taten aufgrund seiner psychischen Konstitution und dadurch
eingeschränkter Gefühlswahrnehmung in seiner
Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert war, und hat deswegen
den Strafrahmen des § 30a Abs. 1 BtMG gemäß
§§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert. Den Verfall des
Wertersatzes hat es auf 5.000 Euro festgesetzt, da der Angeklagte
glaubhaft eingeräumt hat, in dieser Höhe einen
finanziellen Vorteil erlangt zu haben.
2. Die vom Landgericht vorgenommene Bestimmung des Strafrahmens, die
Bemessung der Einzelstrafen und der Gesamtfreiheitsstrafe sind nach
Maßgabe der insoweit eingeschränkten
revisionsgerichtlichen Prüfungskompetenz (vgl. BGH, Urteil vom
12. Mai 2005 - 5 StR 86/05 m.w.N.) nicht zu beanstanden.
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a) Die gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB
erfolgte Strafrahmenverschiebung aufgrund der Annahme erheblich
verminderter Steuerungsfähigkeit be-
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gegnet keinen durchgreifenden Rechtsfehlern. Zwar ist der
Revisionsführerin insoweit zuzustimmen, als die
Begründung für die Annahme der Voraussetzungen des
§ 21 StGB außerordentlich knapp gehalten ist. Aber
dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lässt sich -
zumal vor dem Hintergrund der anderweitigen rechtskräftigen
Verurteilung des Angeklagten, deren Strafe einbezogen worden ist und
der eine entsprechende Beurteilung der Schuldfähigkeit
zugrunde liegt - noch tragfähig entnehmen, dass es bei dem
Angeklagten aufgrund der diagnostizierten psychogenen Reaktionen zu
gravierenden psychischen Veränderungen in seiner
Persönlichkeit gekommen ist, die seine gesamte
Lebensführung nachhaltig beeinträchtigt haben, so
dass das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit
(vgl. zu dieser Einordnung Rasch StV 1991, 126, 127; Schöch in
Handbuch der Forensischen Psychiatrie 2007 Bd. 1 S. 125)
erfüllt ist. Auch dass der Angeklagte aufgrund dieses
geistig-seelischen Zustands - jedenfalls nicht ausschließbar
- in seiner Fähigkeit, den Tatanreizen zu widerstehen,
erheblich vermindert war, ist angesichts des Schweregrads der
Störung noch hinreichend belegt.
Den festgestellten Tathandlungen des Angeklagten - Entgegennahme,
Portionierung und Weitergabe der Betäubungsmittel - kommt
für die Beurteilung der Schuldfähigkeit des
Angeklagten keine der Würdigung des Landgerichts
entgegenstehende Relevanz zu. Soweit die Revisionsführerin auf
eine Führungsfunktion in der Bande und damit verbundene
Aufgaben des Angeklagten abhebt, liegt darin eine
Überinterpretation des angefochtenen Urteils.
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b) Die Gesamtstrafenbildung ist nicht zu beanstanden. Zutreffend hat
das Landgericht innerhalb des durch §§ 54, 55 StGB
vorgegebenen Rahmens nicht die Anzahl der Taten und die Summe der
Einzelstrafen in den Vordergrund gestellt, sondern die
Gesamtwürdigung der Person des Täters und seiner
Taten (BGHR StGB § 54 Abs. 1 Bemessung 5, 7, 10). Die
maßvolle Erhöhung der Einsatzstrafe aufgrund des
Seriencharakters der Taten
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(vgl. BGHR aaO 2, 8, 12), wobei auch die Tat, deretwegen der Angeklagte
zu der einzubeziehenden Strafe verurteilt worden ist, zu dieser Serie
zählt, trägt ungeachtet der sehr milde bemessenen
Gesamtstrafe dem Unrechts- und Schuldgehalt der Taten noch ausreichend
Rechnung. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf den überaus
engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang der
serienmäßig begangenen Taten sowie die besonderen
persönlichen Umstände in der Person des Angeklagten.
3. Auch die Anordnung des Verfalls des Wertersatzes in Höhe
von 5.000 Euro hält sachlich-rechtlicher
Überprüfung stand.
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Das Landgericht hat die Höhe des anzuordnenden Verfalls auf
der Grundlage der Summe festgesetzt, die der Angeklagte nach den
Feststellungen als „finanziellen Vorteil“ bzw.
„Gewinn aus den
Betäubungsmittelgeschäften“ erlangt hat (UA
S. 7, 11). Die weiteren Ausführungen der
Revisi-onsführerin sind urteilsfremd. Denn das Urteil
enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass der
Angeklagte über diesen finanziellen Vorteil hinaus etwas im
Sinne des § 73 StGB erlangt hat. Es ist lediglich
festgestellt, dass der Angeklagte die Betäubungsmittel
erhalten hat, unmittelbare Verkaufsverhandlungen wurden von ihm nicht
geführt. Auch eine anderweitige Einbindung in den
Zahlungsverkehr und damit Kontakt zu Zahlungsmitteln innerhalb der
Bande, im Verhältnis zu Drogenlieferanten oder
Käufern ist nicht festgestellt.
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Da sich das Landgericht aufgrund des für glaubhaft erachteten
Geständnisses des Angeklagten davon überzeugt hat,
dass er nur 5.000 Euro aus den festgestellten Taten erlangt hat - was
offensichtlich auch der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft nicht
anders beurteilt hat, da er in seinem Schlussantrag nur den Verfall in
Höhe von 5.000 Euro beantragt hat - war für die vom
Generalbundesanwalt vermisste Schätzung nach § 73b
StGB kein Raum mehr. Abgesehen von alldem wäre die
Verfallsentschei-
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dung auch bei abweichender Bewertung unter Heranziehung des §
73c StGB angemessen.
Basdorf Gerhardt Raum
Brause Schaal |