BGH,
Urt. v. 9.11.2005 - 1 StR 234/05
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 234/05
vom
9.11.2005
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung
vom
8.11.2005 in der Sitzung am 9.11.2005, an der teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger
- in der Verhandlung vom 8.11.2005 -,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Stuttgart vom 12.01.2005 aufgehoben
- hinsichtlich der für die Tötung des Kindes K.
verhängten
Einzelstrafe,
- im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels,
an eine andere als Schwurgericht tätige Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Nach den Feststellungen des Landgerichts tötete der Angeklagte
seine
damals 26-jährige ehemalige Lebensgefährtin und das
zwei Jahre und vier
Monate alte gemeinsame Kind K. .
Das Landgericht hat den Angeklagten deshalb wegen Totschlags in zwei
Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt.
Die Staatsanwaltschaft
hat ihre zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision - wirksam -
auf die Verurteilung wegen der Tötung des Kindes
beschränkt. So ist die Revisionsbegründung
in Übereinstimmung mit der Auffassung des Generalbundesanwalts
zu verstehen. Mit ihrer auf die Sachrüge gestützten
Revision beanstandet
die Staatsanwaltschaft, dass der Angeklagte nur wegen Totschlags
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det die Staatsanwaltschaft, dass der Angeklagte nur wegen Totschlags
schuldig
gesprochen wurde, und beantragt insoweit die Aufhebung des Urteils mit
den zugehörigen Feststellungen. Die Revision hat nur
hinsichtlich des Strafausspruchs
Erfolg. Die Erwägungen, mit denen die Strafkammer das Vorliegen
eines besonders schweren Falls des Totschlags bei der Tat zum Nachteil
des
Kindes K. ablehnte, tragen nicht; sie enthalten einen durchgreifenden
Wertungsfehler.
I.
1. Vorgeschichte der Tat:
Der Angeklagte und O. G. lernten sich Ende des Jahres
2000 in einem Wohnheim in H. kennen. Zwischen beiden entwickelte
sich eine engere Beziehung, sie lebten zusammen. Das
Verhältnis war von
vorneherein von Meinungsverschiedenheiten, gegenseitigen
Vorwürfen und
Streitigkeiten geprägt.
Am 30. November 2001 kam - vom Angeklagten unerwünscht - der
gemeinsame
Sohn K. zur Welt. Das Verhältnis des Angeklagten zu dem Kind
blieb oberflächlich, ja ablehnend. In seiner geistigen
Entwicklung blieb K.
stark zurück. Er konnte bis zuletzt nicht sprechen.
Etwa zum Jahreswechsel 2003/2004 trennten sich O. G.
und der Angeklagte. Gleichwohl nahmen sie im Februar 2004 ihre sexuelle
Beziehung
wieder auf. Im März 2004 lernten beide neue Partner kennen. Der
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Kontakt zwischen O. G. und dem Angeklagten riss deshalb nicht
ab; beide wussten von der neuen Partnerschaft des beziehungsweise der
anderen
nichts. Der Angeklagte besuchte O. G. mehrfach und übernachtete
bei ihr, insbesondere noch mindestens zwei Mal, nachdem er bei einem
dieser Besuche in der Nacht vom 29. auf den 30. März 2004 auf
den in
demselben Haus wohnenden neuen Freund von O. G. getroffen
war, diesen angegriffen, erheblich verletzt und damit zur sofortigen
Beendigung
des Verhältnisses zu O. G. veranlasst hatte.
2. Die Tat:
Der Angeklagte besuchte O. G. entweder in der Nacht vom
9. auf den 10. April oder vom 10. auf den 11. April 2004 nach 22.30 Uhr
erneut
in ihrer Wohnung. Sie hatten auf dem Doppelbett im Schlafzimmer
Geschlechtsverkehr.
K. lag währenddessen auf der anderen Hälfte des
Doppelbetts
und schlief. Zwischen 00.00 Uhr und 01.00 Uhr gerieten der Angeklagte
und O. G. in einen „irgendwie gearteten
Beziehungsstreit“. Darüber
hinaus vermochte die Strafkammer den Gegenstand dieses Streites nicht
festzustellen.
Der Angeklagte beschloss - aus Wut oder weil ihm die lästige
Streiterei
nun endgültig auf die Nerven ging - spontan, O. G. zu
töten. Er
führte dies sogleich aus und erstickte O. G. , indem er eine
weiche
Bedeckung, vermutlich ein auf dem Bett liegendes Kissen, zwei bis
fünf Minuten
auf das Gesicht von O. oder - umgekehrt - den Kopf mit dem Gesicht in
eine solche drückte, bis sie tot war.
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K. war entweder schon durch den vorangegangnen Streit,
spätestens
aber als der Angeklagte O. G. tötete, wach geworden und
fing an zu heulen. „Dadurch gestört und genervt und
durch die unmittelbar vorangegangene
Tötung von O. G. noch innerlich aufgewühlt, beschloss
der Angeklagte, auch K. zu töten“. Der Angeklagte
erstickte K. ,
der aufgrund seines geringen Alters und seiner verzögerten
geistigen Entwicklung
nicht fähig war, sich des Angriffs des Angeklagten zu versehen.
3. Verhalten nach der Tat:
Der Angeklagte verließ zunächst die Wohnung. Er ging
vor dem Haus
auf und ab und rauchte mehrere Zigaretten. Er stieg in sein Fahrzeug
und fuhr
ein Stück in Richtung H. . Während dieser Fahrt
fasste er dann den
Entschluss, die Leichen - in Spannbetttücher gepackt und mit
Bakenfüßen beschwert
- bei N. im Ne. zu versenken, um so im Zusammenhang
mit entsprechenden Aufräumarbeiten in der Wohnung
vorzutäuschen, dass
O. G. und K. verreist seien. „Dieses Vorhaben führte
er darauf
kaltblütig aus.“ Die Täuschung hatte Erfolg
bis die Leichen am 20. April (O.
G. ) beziehungsweise am 21. Juni 2004 (K. ) wieder auftauchten.
II.
1. Zu den Mordmerkmalen stellte die Strafkammer folgende
Erwägungen
an:
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„Es war zwar in Anbetracht des Nachtatverhaltens des
Angeklagten nicht
fern liegend, dass der Angeklagte, nachdem er O. G. getötet
hatte,
anschließend K. in der Absicht getötet hat, die
Tötung von O. G.
dadurch zu verdecken.“ Dass der Angeklagte in entsprechender
Absicht
handelte, sah die Strafkammer jedoch nicht mit dem erforderlichen
Maß an Sicherheit
als erwiesen an. Der knapp zwei Jahre vier Monate alte K. , der
aufgrund seiner verzögerten Entwicklung nicht sprechen konnte,
wäre kein
tauglicher Zeuge gewesen, sollte er die Tötung von O. G. durch
den Angeklagten mitbekommen haben. Zudem sei nicht
auszuschließen, dass
K. erst während des Tatgeschehens aufwachte und das
eigentliche Geschehen
gar nicht wahrnehmen konnte. Entscheidend für die Strafkammer
sei
aber gewesen, dass es völlig unrealistisch sei anzunehmen, der
Angeklagte
habe direkt im Anschluss an die Tötung von O. G. den Plan
gefasst,
die Tat zu vertuschen, die Leichen verschwinden zu lassen und den
Anschein
zu erwecken, O. G. und K. seien verreist, und deshalb
K. getötet. Zu derartigen Überlegungen sei der
Angeklagte - wie die Strafkammer
dann noch näher begründet - in diesem Moment
überhaupt nicht in der
Lage gewesen.
Hinsichtlich des Mordmerkmals der Heimtücke hatte die
Strafkammer
wegen des Alters und der verzögerten geistigen Entwicklung
erhebliche, letztlich
nicht auszuräumende Zweifel, dass K. zu Argwohn fähig
war.
Auch sonstige niedrige Beweggründe vermochte die Strafkammer
bei
der Tötung K. s nicht festzustellen, ersichtlich im Hinblick
auf die innere Verfassung
des Angeklagten bei dieser ebenfalls spontan verwirklichten zweiten
Tat, so dass der Angeklagte - entsprechend der Bewertung beim
Mordmerkmal
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der Verdeckungsabsicht - die Umstände, die die Niedrigkeit der
Beweggründe
ausmachen, in ihrer Bedeutung für die Tatausführung
nicht ins Bewusstsein
aufgenommen und erkannt hat.
2. Einen besonders schweren Fall des Totschlags
gemäß § 212 Abs. 2
StGB hat die Strafkammer schließlich ebenfalls verneint. Es
könne auch bei
K. nicht festgestellt werden, dass der Angeklagte besonders brutal und
planmäßig vorgegangen sei. Auch sei das Verschulden
des Angeklagten nicht
derart außergewöhnlich groß, dass es
ebenso schwer wiegt wie das eines Mörders.
Insbesondere sei eine Nähe zu Mordmerkmalen nicht gegeben.
III.
1. Die Feststellung der Strafkammer, der Angeklagte habe - auch - seinen
Sohn K. , wie in den Urteilsgründen im Einzelnen dargestellt,
vorsätzlich
erstickt, beruht auf einer sorgfältigen, widerspruchsfreien
und insgesamt
rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung.
2. Auch die Feststellungen zu den - hier in Betracht kommenden -
Mordmerkmalen
sind revisionsrechtlich letztlich nicht zu beanstanden. Die Beweise
zu würdigen und den tatrelevanten Sachverhalt festzustellen,
ist auch insoweit
Sache des Tatrichters. Der Überprüfung durch das
Revisionsgericht ist das nur
in Grenzen zugänglich. Die Darlegungen, mit denen die
Strafkammer das Vorliegen
von Mordmerkmalen verneinte, sind noch tragfähig, auch
hinsichtlich
des Mordmerkmals der sonstigen niedrigen Beweggründe.
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Zwar liegt es bei der Tötung eines Kindes wie K. , des eigenen
knapp
zweieinhalbjährigen, hilflosen und geistig behinderten Sohnes,
bei den hier
sonst festgestellten Tatumständen auf den ersten Blick nicht
fern, dass der Täter
aus sonstigen niederen Beweggründen handelte. Denn es ist im
Grunde
nichts ersichtlich, das der Tat den Anschein besonderer Verwerflichkeit
(sittlich
auf tiefster Stufe stehend) nehmen könnte. Allerdings setzt
eine Verurteilung
wegen Mordes, begangen aus niedrigen Beweggründen, voraus,
dass ein als
niedrig anzusehender Beweggrund zweifelsfrei positiv festgestellt ist.
Kann das
Gericht insoweit zu keiner eindeutigen Festlegung gelangen, weil es
keinen
von mehreren nach dem Beweisergebnis in Betracht kommenden
Beweggründen
ausschließen kann, so ist eine Verurteilung nur dann
möglich, wenn jeder
dieser Beweggründe als niedrig anzusehen ist (vgl. BGH GA
1980, 21). Wenn
der Angeklagte ohne jeglichen Grund gehandelt hätte, stellt
dies für sich im
Grundsatz noch keinen niedrigen Beweggrund dar (ebenda).
“Hierbei ist zu
berücksichtigen, dass der rechtswidrigen Tat nach §
212 StGB schon an sich
ein unerträgliches Missverhältnis innewohnt; daher
wäre es, auch im Hinblick
auf § 103 Abs. 2 GG und die absolute Rechtsfolge des
§ 211 StGB verfehlt,
jede vorsätzliche Tötung, für welche sich
kein ‚nachvollziehbarer’ oder nahe
liegender Grund finden lässt, als Mord aus niedrigen
Beweggründen anzusehen“
(Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. § 211 Rdn. 9). Auch
in der Entscheidung
BGHSt 47, 128 wird darauf abgestellt, dass die subjektive Bereitschaft
zum
absolut grundlosen Töten definitiv festgestellt wird. Auch
dass der Angeklagte
spontan handelte und sich in einer emotional aufgewühlten Lage
befand,
schließt sonstige niedrige Beweggründe zwar nicht
aus. Dies bedarf dann aber
besonderer Prüfung (vgl. Tröndle/Fischer StGB 52.
Aufl. § 211 Rdn. 12
m.w.N.). Die Tötung eines Menschen in der Erregung, in einer
aufgewühlten
Situation, genervt, wovon die Strafkammer ausgeht, steht für
sich genommen
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nicht von vorneherein auf der sittlich niedrigsten Stufe.
Gefühlsregungen wie
Wut, Ärger, Hass und Rache kommen in der Regel nur dann als
niedrige Beweggründe
in Betracht, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen
beruhen
(vgl. BGH NStZ 2004, 34 m.w.N.). Zu all dem verhält sich das
Urteil zwar
kaum. Feststellungen hierzu zu treffen, sah sich die Strafkammer trotz
Ausschöpfung
aller Erkenntnismöglichkeiten offensichtlich nicht in der
Lage. Ein
durchgreifender Mangel ist darin in diesem Fall jedoch nicht zu sehen.
Denn es
bedarf zudem - und das ist hier entscheidend - zweifelsfreier
Feststellung, dass
sich der Angeklagte bei Begehung der Tat der besonderen Verwerflichkeit
seines
Tuns bewusst war (vgl. BGH NStZ 2005, 331). Davon kann aber - selbst
wenn von besonderer Verwerflichkeit in objektiver Hinsicht auszugehen
wäre -
im vorliegenden Fall nach den Feststellungen der Strafkammer zur
subjektiven
Seite der Mordmerkmale der Verdeckungsabsicht und der sonstigen
niedrigen
Beweggründe beim Angeklagten gerade nicht ausgegangen werden.
3. Allerdings ist der Strafkammer vor dem Hintergrund der Feststellungen
zu den Mordmerkmalen bei der Strafzumessung, ausgehend vom Tatbestand
des Totschlags, ein Wertungsfehler unterlaufen. Die Strafkammer hat die
Ablehnung der Einstufung der Tötung K. s als besonders
schweren Fall des
Totschlags gemäß § 212 Abs. 2 StGB
insbesondere darauf gestützt, dass eine
Nähe zu Mordmerkmalen nicht gegeben sei. Tatsächlich
lagen aber - so die
Strafkammer - Mordmerkmale gerade nicht fern. Insbesondere das
Mordmerkmal
der sonstigen niedrigen Beweggründe war letztlich objektiv
gegeben. Seine
Annahme scheiterte im Ergebnis nur daran, dass die Strafkammer die
subjektive
Tatseite verneint hat. Hinzu kommt, dass der Angeklagte zwei Menschen
getötet hat, ein Umstand, den das Landgericht in diesem
Zusammenhang als
Strafschärfungsgrund mit hätte bedenken
müssen.
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Die Strafzumessung bedarf daher hinsichtlich der Tat zum Nachteil des
Kindes K. - insbesondere im Hinblick auf § 212 Abs. 2 StGB -
sowie zur
Gesamtstrafe neuer Verhandlung und Entscheidung. Die bisher getroffenen
Feststellungen sind von diesem Wertungsversehen nicht betroffen und
können
bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen, die den bislang
getroffenen
nicht widersprechen, sind möglich.
Nack Kolz Hebenstreit
Elf Graf |