BGH,
Beschl. v. 1.4.2008 - 4 StR 56/08
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 56/08
vom
1.4.2008
in der Strafsache
gegen
wegen räuberischen Angriffs auf einen Kraftfahrer u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 1.4.2008
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Traunstein vom 16. Oktober 2007 mit den Feststellungen aufgehoben,
soweit von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer
Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten u.a. wegen schweren Raubes in
Tateinheit mit räuberischem Angriff auf Kraftfahrer und
Freiheitsberaubung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und
sechs Monaten verurteilt. Es hat ferner eine isolierte Sperre
für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von zwei Jahren
angeordnet. Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte die
Verletzung formellen und materiellen Rechts.
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Die Überprüfung des Urteils auf Grund der
Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs.
2 StPO). Das Rechtsmittel hat jedoch insoweit Erfolg, als das
Landgericht davon abgesehen hat, die Unterbringung des Angeklagten in
einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB anzuordnen.
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1. Nach den Feststellungen konsumiert der Angeklagte bereits seit
seinem 16. Lebensjahr in großen Mengen Alkohol. Ab Anfang des
Jahres 2007, mithin auch während des Tatzeitraums, hatte er
zwei- oder dreimal wöchentlich einen Vollrausch. Insbesondere
an den Wochenenden trank er acht bis zehn halbe Liter Bier und bis zu
einer Flasche Wodka täglich. Mit 17 Jahren begann er
zusätzlich Haschisch zu rauchen und ab dem 20. Lebensjahr
zeitweise täglich Kokain zu schnupfen. Bei Begehung
sämtlicher Taten war der Angeklagte alkoholisiert und stand
teilweise zusätzlich unter erheblichem Drogeneinfluss.
Während des ca. 1 ½ Stunden dauernden
Raubgeschehens zum Nachteil der Nebenklägerin trank der
Angeklagte mindestens vier Flaschen Bier. Bei Begehung der letzten Tat,
bei der es anlässlich seiner Festnahme zu Widerstands- und
Körperverletzungshandlungen kam, wies der Angeklagte eine
Blutalkohol-konzentration von über 2 ‰ auf. Der
wegen Körperverletzungsdelikten vorgeahndete Angeklagte
weiß, dass er unter Alkoholeinfluss zu aggressivem Verhalten
neigt. Bei drei der fünf ausgeurteilten Taten hat das
Landgericht nicht auszuschließen vermocht, dass der
Angeklagte infolge einer akuten Alkohol- bzw. Drogenintoxikation im
Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert
steuerungsfähig war.
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Das Landgericht hat in Übereinstimmung mit dem
Sachverständigen einen Hang des Angeklagten, berauschende
Mittel, nämlich Alkohol und Drogen, im
Übermaß zu sich zu nehmen, "noch nicht" anzunehmen
vermocht. Zwar lie-
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ge beim Angeklagten ein problematischer Umgang mit Suchtmitteln vor,
eine erhebliche Beeinträchtigung der Arbeits-, Gesundheits-
und Leistungsfähigkeit im Sinne einer schweren
süchtigen Fehlhaltung könne bei ihm jedoch noch nicht
festgestellt werden.
2. Diese Begründung lässt besorgen, dass das
Landgericht von einem zu engen Verständnis eines Hanges im
Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist.
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Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung
ausreichend eine eingewurzelte, auf psychische Disposition
zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung,
immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch
nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben
muss. Ein übermäßiger Genuss von
Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann
gegeben, wenn der Betroffene auf Grund seiner psychischen
Abhängigkeit sozial gefährdet oder
gefährlich erscheint (vgl. BGH NStZ 2005, 210). Insoweit kann
auch dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum bereits die
Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betroffenen
erheblich beeinträchtigt ist, indizielle Bedeutung
für das Vorliegen eines Hanges zukommen (vgl. BGH NStZ-RR
2006, 103). Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel
mit übermäßigem Rauschmittelkonsum
einhergehen dürften, schließt deren Fehlen nicht
notwendigerweise die Bejahung eines Hanges aus.
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Dies zu Grunde gelegt, drängt sich das Vorliegen eines Hanges
hier schon angesichts der getroffenen Feststellungen zum
Konsumverhalten des Angeklagten auf. Aber auch die festgestellte
Neigung des Angeklagten, unter Alkoholeinfluss Aggressionshandlungen zu
begehen, deutet auf eine abhängigkeitsbedingte soziale
Gefährdung und Gefährlichkeit des Angeklagten hin,
zumal dieser in der Vergangenheit bereits mehrfach wegen
Körperverletzungsde-
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likten verurteilt worden ist. Der Bejahung eines Hanges steht
demgegenüber nicht entgegen, dass der Angeklagte nach seiner
Inhaftierung körperliche Entzugserscheinungen nicht aufwies,
mithin eine körperliche Abhängigkeit (noch) nicht
festgestellt werden konnte. Ebenso wenig ist für die Annahme
eines Hanges - entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts -
erforderlich, dass bei dem Täter infolge der
Rauschmittelabhängigkeit bereits eine
Persönlichkeitsdepravation eingetreten ist (vgl. BGH NStZ
2007, 697; BGH NStZ-RR 2008, 8).
Auch der Symptomwert der festgestellten Taten für den Hang des
Angeklagten liegt - entgegen der Auffassung des Landgerichts - nahe mit
Blick auf dessen Neigung, nach übermäßigem
Rauschmittelkonsum Aggressionshandlungen - wie sie hier mit Ausnahme
der Trunkenheitsfahrt durchweg vorliegen - zu begehen. Anhaltspunkte
dafür, dass eine stationäre Therapie bei dem
vergleichsweise jungen und bislang noch nicht behandelten Angeklagten
keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 64 Satz 2
StGB), oder dass andere Voraussetzungen der Maßregelanordnung
offensichtlich nicht vorliegen, ergeben die bisherigen Feststellungen
nicht.
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Die Frage der Anordnung der Maßregel der Unterbringung in
einer Entziehungsanstalt bedarf deshalb der erneuten Prüfung
und Entscheidung. Der neue Tatrichter wird gegebenenfalls § 67
Abs. 2 StGB n.F. zu beachten haben.
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Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible |