BGH,
Beschl. v. 1.12.2000 - 2 StR 379/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 379/00
vom
1. Dezember 2000
in der Strafsache gegen
1.
2.
3.
wegen Menschenraubs, Vergewaltigung u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführer am 1. Dezember
2000 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO
einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten B. und W. wird das Urteil des
Landgerichts Marburg vom 5. April 2000
a) im Schuldspruch dahingehend geändert, daß die
Angeklagten B. und W. der versuchten Freiheitsberaubung von
über einer Woche Dauer in Tateinheit mit Freiheitsberaubung
und mit gefährlicher Körperverletzung sowie der
versuchten Förderung sexueller Handlungen
Minderjähriger gegen Entgelt in drei Fällen, der
Angeklagte W. darüber hinaus der versuchten Förderung
sexueller Handlungen Minderjähriger gegen Entgelt in
Tateinheit mit versuchter Förderung sexueller Handlungen einer
anvertrauten Minderjährigen, schuldig sind,
b) hinsichtlich beider Angeklagten in den Strafaussprüchen mit
den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Auf die Revision des Angeklagten S. wird das vorgenannte Urteil mit
den Feststellungen - ausgenommen die Feststellungen von Seite 18 oben
bis einschließlich Seite 22 der Urteilsausfertigung, die
aufrechterhalten bleiben - aufgehoben
a) soweit der Angeklagte im Fall I. 5. der Urteilsgründe
verurteilt worden ist,
b) im Rechtsfolgenausspruch mit Ausnahme der für die Tat zum
Nachteil der I. B. (I.1. der Urteilsgründe)
verhängten Einzelfreiheitsstrafe.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten B. unter Freisprechung im
übrigen wegen Menschenraubs in Tateinheit mit
gefährlicher Körperverletzung sowie wegen
Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger gegen
Entgelt in drei Fällen zu der Jugendstrafe von drei Jahren und
drei Monaten und den Angeklagten W. wegen Menschenraubs in Tateinheit
mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen
Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger gegen
Entgelt in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit
Förderung sexueller Handlungen einer anvertrauten
Minderjährigen und in einem anderen Fall wegen Versuchs, zu
der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt.
Gegen den Angeklagten W. hat es darüber hinaus ein Fahrverbot
von drei Monaten verhängt, welches durch die Anrechnung der
Dauer der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis erledigt
ist. Den im übrigen freigesprochenen Angeklagten S. hat das
Landgericht wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, davon in
einem Fall in Tateinheit mit versuchter Vergewaltigung, und wegen
Anstiftung zum Menschenraub zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zehn
Jahren verurteilt.
Mit ihren auf die Sachrüge und bei den Angeklagten B. und W.
auch auf eine Beanstandung des Verfahrens gestützten
Revisionen wenden sich die Angeklagten gegen ihre Verurteilungen. Die
Rechtsmittel haben in dem aus der Beschlußformel
ersichtlichen Umfang teilweise Erfolg. Im übrigen sind sie
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Verurteilung der Angeklagten B. und W. wegen Menschenraubs hat
keinen Bestand.
Nach den Feststellungen forderte der Angeklagte S. die Mitangeklagten
B. und W. , die sich zuvor schon mehrfach bemüht hatten, S.
auf dessen Geheiß Mädchen angeblich für
pornographische Film- und Videoaufnahmen gegen Entgelt zu vermitteln,
unter Beschimpfungen und Drohungen auf, ihm noch am Abend desselben
Tages ein Mädchen gefesselt und geknebelt in seine am Ufer der
E. gelegene Hütte zu bringen. Dabei spiegelte er den beiden
vor, das Opfer solle verschleppt und im Ausland in einen Harem verkauft
werden, wofür man 500.000 DM erhalte. Tatsächlich
wollte S.
das Opfer selbst sexuell mißbrauchen und es
anschließend freilassen. B. und W. glaubten die
Äußerungen S. s und waren mit dem Tatvorhaben
einverstanden. Nachdem sie von S. Geld zum Tanken erhalten hatten,
fuhren sie mit dem Auto nach Marburg, wo sie die 16-jährige A.
D. unter dem Vorwand, sie auf eine Party mitnehmen zu wollen, abholten.
Während der Rückfahrt teilte B. dem Angeklagten S.
telefonisch mit, daß sie ein Mädchen
hätten. Auf einem abseits gelegenen Parkplatz hielt W. mit dem
Fahrzeug an. Nach dem Aussteigen griff B. wie geplant der
zunächst an einen Scherz glaubenden Geschädigten von
hinten um den Hals, während W. sofort begann, ihre Arme und
Beine mit einem Klebeband zu fesseln und das Klebeband auch
über den Mund und die kinnlangen Haare zu wickeln. Ihnen war
klar, daß die Geschädigte dadurch schwer in ihrer
Atmung behindert war und das spätere Entfernen des Klebebandes
von Gesicht und Haaren sehr schmerzhaft sein würde. Sodann
legten sie die Geschädigte ins Auto und fuhren zu der an der
E. gelegenen Hütte. Nachdem sie das Mädchen ins
Innere der Hütte getragen hatten, klebten sie weiter Klebeband
um Arme, Beine und über den Mund. Sie erkannten, daß
die Fesselung der Geschädigten Angst bereitete und sie in
Gefahr war zu ersticken. W. prüfte deshalb genau den Sitz des
Klebebandes über dem Mund, damit die Nase zum Atmen frei
blieb. Anschließend fesselten sie die Geschädigte
zusätzlich mit einem Strick und verließen die
Hütte. Ehe sie mit dem Auto wegfuhren, kehrte W. noch einmal
zurück, weil er meinte, das Klebeband über dem Mund
sei verrutscht und das Mädchen könne ersticken. B.
und W. hatten die Vorstellung, die Geschädigte völlig
hilflos in einer lebensgefährlichen Situation
zurückzulassen. Kurze Zeit nachdem die beiden davongefahren
waren, begab sich der Angeklagte S. , der nach dem Telefonanruf seiner
Komplizen zur Hütte gekommen war, zur Geschädigten.
Diese Feststellungen tragen die Verurteilung wegen Menschenraubs nicht.
Der subjektive Tatbestand des § 234 Abs. 1 StGB in der hier
allein in Betracht kommenden Alternative setzt voraus, daß
der Täter bei der Tathandlung des Sichbemächtigens in
der Absicht handelt, das Opfer in hilfloser Lage auszusetzen. Dem
Täter muß es im Sinne zielgerichteten Wollens
(Gribbohm in LK 11. Aufl. § 234 Rdn. 34; Eser in
Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 234 Rdn.
6; Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 234 Rdn. 4;
Lackner/Kühl, StGB 23. Aufl. § 234 Rdn. 3) darauf
ankommen, das Opfer in eine Lage zu bringen, in der es - zur
Selbsthilfe unfähig - auf fremde Hilfe angewiesen und konkret
an Leib oder Leben gefährdet ist (Gribbohm aaO. Rdn. 41). Eine
solche nach § 234 Abs. 1 StGB
täterschaftsbegründende Absicht lag bei den
Angeklagten B. und W. nicht vor. Dies gilt im übrigen selbst
dann, wenn man das Erfordernis einer Absicht im engeren Sinne nicht
gleichermaßen auf sämtliche das Aussetzen in
hilfloser Lage charakterisierende Umstände erstreckt, sondern
für die Leibes- oder Lebensgefahr lediglich dolus eventualis
genügen läßt (Horn in SK-StGB §
234 Rdn. 4; Vogler in LK 10. Aufl. § 234 Rdn. 8; a.A. Gribbohm
aaO. Rdn. 42). Denn hinsichtlich einer konkreten Lebensgefahr
für die Geschädigte fehlte es nach den Feststellungen
an einem bedingten Vorsatz der Angeklagten. Daß die
Angeklagten eine solche Gefährdung der Geschädigten
in einer für das voluntative Element des bedingten Vorsatzes
ausreichenden Weise billigten, hat die Strafkammer nicht festgestellt.
Ihre Bemühungen, die von ihnen erkannte Gefahr eines
Erstickens durch das Freilassen der Nase und die wiederholte Kontrolle
des über den Mund geklebten Klebebandes zu vermeiden, legen
vielmehr nahe, daß sich die Angeklagten mit einer
Lebensgefährdung gerade nicht willensmäßig
abfanden, sondern auf das Ausbleiben einer Gefahrenlage vertrauten. Der
Senat schließt aus, daß in einer neuerlichen
Hauptverhandlung noch Feststellungen getroffen werden können,
welche die Annahme einer tatbestandsmäßigen Absicht
bezogen auf eine konkrete Lebensgefährdung der
Geschädigten rechtfertigen könnten.
Nach den Feststellungen haben die Angeklagten jedoch - tateinheitlich
zu der verwirklichten gefährlichen Körperverletzung -
eine Freiheitsberaubung nach § 239 Abs. 1 StGB und, da ihr Tun
auf die Verschleppung der Geschädigten in einen Harem im
Ausland abzielte, den Versuch einer Freiheitsberaubung von
über einer Woche Dauer gemäß den
§§ 239 Abs. 3 Nr. 1, 22 StGB begangen. Das vollendete
Grunddelikt wird durch die versuchte qualifizierte Freiheitsberaubung
nach § 239 Abs. 3 Nr. 1 StGB nicht verdrängt. Durch
die Annahme von Tateinheit ist, um den Unrechtsgehalt der Tat
erschöpfend zu erfassen, vielmehr auch im Schuldspruch zum
Ausdruck zu bringen, daß der Versuch der Qualifikation
bereits zu einer vollendeten Freiheitsberaubung
gemäß § 239 Abs. 1 StGB geführt
hat (zur Klarstellungsfunktion der Idealkonkurrenz vgl. BGHSt 44, 196;
39, 100, 109; Stree in Schönke/Schröder, StGB 25.
Aufl. § 52 Rdn. 2).
Soweit die Angeklagten B. und W. in den Fällen I.1., 3. und 4.
der Urteilsgründe wegen Förderung sexueller
Handlungen Minderjähriger nach § 180 Abs. 2 StGB und
der Angeklagte W. in dem Fall I.4. tateinheitlich hierzu wegen
Förderung sexueller Handlungen einer anvertrauten
Minderjährigen gemäß § 180 Abs. 3
StGB verurteilt worden sind, ist das Landgericht unzutreffenderweise
jeweils von vollendeten Taten ausgegangen, obwohl es in keinem Fall zu
sexuellen Handlungen der in § 180 Abs. 2 und Abs. 3 StGB
vorausgesetzten Art kam. Dies gilt auch für die Tat zum
Nachteil B. , da die pornographischen Videoaufnahmen nach den
Feststellungen jedenfalls nicht entgeltlich erfolgten. Für die
Tatvollendung bedarf es jedoch sowohl bei § 180 Abs. 3 StGB
als auch bei allen Begehungsalternativen des § 180 Abs. 2 StGB
der Vornahme der tatbestandlich beschriebenen sexuellen Handlungen
(BGHR StGB § 180 Abs. 2 Vorschubleisten 1). Dies hat zur
Folge, daß die Taten der Angeklagten noch im Versuchsstadium
fehlgeschlagen sind.
Der Senat hat die Schuldsprüche gegen die Angeklagten B. und
W. entsprechend geändert. § 265 StPO steht dem nicht
entgegen, da sich die in vollem Umfange geständigen
Angeklagten nicht wirksamer als geschehen hätten verteidigen
können. Die Schuldspruchänderungen führen
zur Aufhebung der Strafaussprüche. Hierbei hat der Senat die
an sich von der Änderung des Schuldspruchs nicht betroffene
Einzelgeldstrafe gegen den Angeklagten W. für die Tat zum
Nachteil H. M. (I.2. der Urteilsgründe), für welche
der Tatrichter keine Tagessatzhöhe bestimmt hat, mitaufgehoben.
2. Die Verurteilung des Angeklagten S. wegen Anstiftung zum
Menschenraub scheitert - abgesehen vom Fehlen einer Haupttat - auch an
fehlenden Feststellungen zur inneren Tatseite. Denn das Landgericht hat
nicht festgestellt, daß der Vorsatz des Angeklagten S.
dahinging, die Mitangeklagten würden bei der
Begründung der physischen Herrschaft über die
Geschädigte in der für § 234 Abs. 1 StGB
erforderlichen Absicht handeln, das Opfer in einer hilflosen mit
konkreter Leibes- oder Lebensgefahr verbundenen Lage auszusetzen.
Die tatrichterlichen Feststellungen ergeben aber, daß sich
der Angeklagte S. gemeinsam mit den Mitangeklagten B. und W. einer
mittäterschaftlich begangenen Freiheitsberaubung nach
§ 239 Abs. 1 StGB schuldig gemacht hat. S. , der an der
Entführung der Geschädigten ein sexuell motiviertes
Eigeninteresse hatte, war Initiator des gemeinsamen Tatentschlusses und
leistete, in dem er das zum Tanken erforderliche Geld und seine an der
E. gelegene Hütte als Verbringungsort zur Verfügung
stellte, wesentliche die Tatbestandsverwirklichung objektiv
fördernde Tatbeiträge. Daß er seine
Tatgenossen über die mit der Freiheitsberaubung verfolgten
weiteren Ziele täuschte, steht einer
mittäterschaftlichen Zurechnung der Tat ebensowenig entgegen,
wie der Umstand, daß seine Tatbeiträge im
Vorbereitungsstadium erbracht wurden (BGHSt 37, 289, 292, BGH NStZ
1995, 285). Da der Angeklagte S. die durch die ihm
mittäterschaftlich zuzurechnende Entführung
geschaffene Lage des Opfers (Eser in
Schönke/Schröder, 25. Aufl. § 239 a Rdn. 21)
zu einer mittels konkludenter Todesdrohung begangenen Nötigung
zu sexuellen Handlungen ausnutzte, ist er des weiteren der Geiselnahme
nach § 239 b Abs. 1 2. Altern. StGB schuldig. Das Verbrechen
der Geiselnahme verdrängt auf der Konkurrenzebene die
Freiheitsberaubung und steht zu der zum Nachteil der
Geschädigten verwirklichten Vergewaltigung in Tateinheit, mit
versuchter Vergewaltigung seinerseits in Idealkonkurrenz (BGHR StGB
§ 239 b Entführen 3).
Der Senat sieht sich durch § 265 StPO gehindert, den
Schuldspruch entsprechend zu ändern. Er hat daher die
Verurteilung wegen Anstiftung zum Menschenraub und - wegen des
tateinheitlichen Zusammenhangs - auch die an sich rechtlich nicht zu
beanstandende Verurteilung wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit
versuchter Vergewaltigung (I.5. der Urteilsgründe) aufgehoben.
Die Feststellungen zu der Vergewaltigung und der versuchten
Vergewaltigung der Geschädigten beginnend mit dem Betreten der
Hütte durch den Angeklagten (UA S. 18 oben) können
jedoch aufrechterhalten werden. Die Teilaufhebung des Schuldspruchs hat
mit Ausnahme der für die Tat zum Nachteil B. (I.1. der
Urteilsgründe) verhängten Einzelfreiheitsstrafe,
welche bestehen bleibt, die Aufhebung des sonstigen
Rechtsfolgenausspruchs zur Folge.
Jähnke Detter Bode
Rothfuß Fischer |