BGH,
Beschl. v. 1.7.2003 - 4 StR 75/03
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 75/03
vom
1.7.2003
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 1.7.2003 gemäß
§§ 206 a
Abs. 1, 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Angeklagte in
den Fällen II 1 bis 15 der Urteilsgründe verurteilt
worden
ist; insoweit werden die Kosten des Verfahrens und die
dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen
der Staatskasse auferlegt.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Stralsund vom 24. Oktober 2002
a) im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte
des sexuellen Mißbrauchs von Kindern in
sieben Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit sexueller
Nötigung, sowie der sexuellen Nötigung in
Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch einer Schutzbefohlenen
schuldig ist;
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe mit
den Feststellungen aufgehoben.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
4. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
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Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im
übrigen
wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in 22 Fällen,
in einem Fall in Tateinheit
mit sexueller Nötigung, sowie wegen sexueller
Nötigung in Tateinheit mit
sexuellem Mißbrauch einer Schutzbefohlenen zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe
von acht Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der
Angeklagte mit
seiner Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts
rügt. Das
Rechtsmittel hat den aus dem Beschlußtenor ersichtlichen
Teilerfolg; im übrigen
ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Der Senat stellt das Verfahren in den Fällen II 1 bis 15
der Urteilsgründe
gemäß § 206 a Abs. 1 StPO ein, weil
insoweit Strafverfolgungsverjährung
eingetreten ist.
Nach den Feststellungen hat der Angeklagte die jeweils als sexuellen
Mißbrauch eines Kindes zum Nachteil seiner am 20. Februar
1979 geborenen
Stieftochter Manuela gemäß § 148 Abs. 1
StGB-DDR abgeurteilten Taten in
der Zeit von November 1982 bis zum Jahre 1989/1990 in der ehemaligen DDR
begangen.
Die für diese Taten geltende achtjährige
Strafverfolgungsverjährungsfrist
(§ 82 Abs. 1 Nr. 3 StGB-DDR) wurde am Tag des Wirksamwerdens
des Beitritts
der DDR zur Bundesrepublik Deutschland (3. Oktober 1990) unterbrochen
(Art. 315 a Abs. 1 Satz 3 EGStGB). Ab diesem Zeitpunkt sind die
Verjährungsvorschriften
der §§ 78 ff. StGB anzuwenden (vgl. BGH NStZ 1998,
36). Da sich
die Verjährungsfrist nach der Strafdrohung des Gesetzes
richtet, dessen Tat-
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bestand die Tat verwirklicht (§ 78 Abs. 4 Satz 1 StGB), gilt
für § 148 Abs. 1
StGB-DDR, der eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren
androht, eine Verjährungsfrist
von fünf Jahren (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB; vgl. BGH
NStZ 1998, 36;
2003, 84).
a) Für die im November/Dezember 1982 begangenen Fälle
II 1 bis 3 der
Urteilsgründe trat im November/Dezember 1992 - also vor
Inkrafttreten des
2. Verjährungsgesetzes am 30. September 1993 und des 30.
Strafrechtsänderungsgesetzes
am 30. Juni 1994 - absolute Verjährung ein (Art. 315a
Abs. 1 Satz 3 2. Halbs. EGStGB, §§ 78 Abs. 3 Nr. 4,
78 a, 78 c Abs. 3 Satz 2
StGB; vgl. hierzu BGHSt 47, 245 ff.).
b) Für die Fälle II 4 bis 15 der
Urteilsgründe, die nach den Feststellungen
im Zeitraum von November 1983 bis zum Jahre 1989/1990 begangen wurden,
gilt folgendes:
Das Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten wurde am 17. April
2002 eingeleitet; erste verjährungsunterbrechende
Maßnahme (§ 78 c Abs. 1
Nr. 1 StGB) war die Vernehmung des Angeklagten als Beschuldigter am 2.
Mai
2002 (Bd. I Bl. 59 d.A.).
Selbst wenn davon auszugehen ist, daß die
Verfolgungsverjährung
durch Art. 1 des 2. Verjährungsgesetzes vom 27. September 1993
(BGBl I
S. 1657) bis zum 31. Dezember 1997 hinausgeschoben wurde (vgl. BGH
NStZRR
2001, 328) und aufgrund der Regelung in § 78 b Abs. 1 Nr. 1
StGB durch
das am 30. Juni 1994 in Kraft getretene 30.
Strafrechtsänderungsgesetz vom
23. Juni 1994 (BGBl I S. 1310) die Verjährung bis zur
Vollendung des
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18. Lebensjahres des Tatopfers ruhte (vgl. BGHSt 47, 245, 247 f.), ist
Strafverfolgungsverjährung
eingetreten: denn die Geschädigte wurde am
20. Februar 1997 18 Jahre alt und die erste
verjährungsunterbrechende Maßnahme
erfolgte erst am 2. Mai 2002, somit später als fünf
Jahre nach dem
18. Geburtstag des Tatopfers.
Für Fall II 22 der Urteilsgründe (Tatzeit: 1989/1990)
ist keine Strafverfolgungsverjährung
eingetreten, weil die hier geschädigte Tochter Anja erst am
9. November 2001 18 Jahre alt geworden ist und die
fünfjährige Verjährungsfrist
ab diesem Zeitpunkt zu laufen begann. Keine
Strafverfolgungsverjährung
ist auch im Fall II 23 der Urteilsgründe eingetreten, weil
sich der Angeklagte
hier nach § 176 StGB strafbar gemacht hat (UA 36, 41) ,
für den eine Verjährungsfrist
von zehn Jahren gilt (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB).
c) Zwar hat der Angeklagte angegeben, er habe von 1969 bis 1972 eine
Jugendstrafe wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes und
wegen Vergewaltigung
verbüßt (UA 3/13), so daß - wie der
Generalbundesanwalt meint - eine
Bestrafung nach § 148 Abs. 2 StGB-DDR (Freiheitsstrafe von bis
zu acht Jahren
bei einschlägiger Vorstrafe) und eine
Verfolgungsverjährungsfrist nach dem
Recht der DDR von 15 Jahren (§ 82 Abs. 1 Nr. 4 StGB-DDR) und
nach § 78
Abs. 1 Nr. 3 StGB von zehn Jahren in Betracht käme. Da diese
Verurteilung
aber aus dem Strafregister getilgt worden ist, darf sie nicht zum
Nachteil des
Angeklagten verwertet werden (vgl. BGH NStZ 1983, 30; 1997, 285 und zum
Recht der DDR: Urteil des Stadtgerichts von Groß-Berlin NJ
1973, 272; Strafrecht
der DDR, Kommentar zum StGB, 1981, § 44 Anm. 5). Eine Anwendung
des § 148 Abs. 2 StGB-DDR scheidet daher aus.
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2. Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend der
Teileinstellung
ab. Mit der teilweisen Einstellung des Verfahrens entfallen die
für die Fälle II 1
bis 15 der Urteilsgründe festgesetzte Hauptstrafe und die
für diese Taten "fiktiv"
bestimmten Einzelstrafen (UA 44 f., 46; vgl. hierzu BGH NStZ 1999, 82
f.),
ohne daß es der ausdrücklichen Aufhebung dieser
Strafen bedarf. Aus den für
die Fälle II 16 bis 23 der Urteilsgründe
rechtsfehlerfrei verhängten Einzelstrafen
wird eine neue Gesamtstrafe zu bilden sein.
Tepperwien Kuckein Athing
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