BGH,
Beschl. v. 1.3.2001 - 4 StR 36/01
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 36/01
vom
1. März 2001
in der Strafsache gegen
wegen versuchten schweren Raubes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 1.
März 2001 gemäß § 349 Abs. 2 und 4
StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Dortmund vom 28. September 2000 im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit
den Feststellungen aufgehoben.
2. Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten schweren Raubes in
zwei Fällen und wegen Diebstahls mit Waffen unter Einbeziehung
der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Dortmund vom 3. April
2000 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten
verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer
Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, daß zwei Jahre
der Freiheitsstrafe vor der Unterbringung zu vollstrecken sind. Die
Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und
sachlichen Rechts rügt, hat teilweise Erfolg; im
übrigen ist sie unbegründet im Sinne des §
349 Abs. 2 StPO.
1. Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist nicht
ausgeführt und damit gemäß § 344
Abs. 2 Satz 2 StPO unzulässig.
2. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der
allgemeinen Sachrüge hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler
zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Dagegen hält der
Rechtsfolgenausspruch insgesamt rechtlicher Nachprüfung nicht
stand.
a) Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben, weil die
Strafrahmenwahl in den Fällen II 1 und 2 der
Urteilsgründe und die Strafzumessungserwägungen im
engeren Sinne durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnen.
Das Landgericht hat in den Fällen II 1 und 2 die wegen
versuchten schweren Raubes verhängten Einzelstrafen von
jeweils drei Jahren Freiheitsstrafe dem Strafrahmen für minder
schwere Fälle nach § 250 Abs. 3 StGB entnommen. Eine
weitere Milderung gemäß § 49 StGB hat es
abgelehnt, "weil ohne die Heranziehung der verminderten
Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) und des Versuchs ein
minder schwerer Fall nicht hätte begründet werden
können" (UA 29). Dabei hat es übersehen,
daß die zweifache Milderung des Regelstrafrahmens des
§ 250 Abs. 1 StGB gemäß
§§ 21, 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB einen von einem
Monat bis zu acht Jahren fünf Monaten Freiheitsstrafe
reichenden Strafrahmen eröffnet, der mithin günstiger
als der des minder schweren Falles ist. Der Senat kann nicht
ausschließen, daß die Wahl des (doppelt)
gemilderten Regelstrafrahmens sich auch günstig auf die
Strafbemessung im engeren Sinne ausgewirkt hätte, zumal das
Landgericht die Strafen jeweils dem unteren Bereich des angewandten
Strafrahmens entnommen hat (vgl. BGH NStZ-RR 2000, 43).
Im übrigen weist die Strafbemessung im engeren Sinne
durchgreifende Rechtsfehler auf, soweit das Landgericht zu Lasten des
Angeklagten "seine Lebensumstände" wertet: er habe "sich zu
einer dissozialen Persönlichkeit entwickelt, ohne
daß dafür ein Auslöser erkennbar" sei; er
sei "nicht ernsthaft gewillt, seine Fähigkeiten sinnvoll
einzusetzen", und lebe "viel lieber auf Kosten anderer in den Tag
hinein" (UA 28). Nach der Rechtsprechung dürfen
Umstände der allgemeinen Lebensführung bei der
Strafzumessung nur berücksichtigt werden, wenn sie wegen ihrer
engen Beziehung zur Tat Schlüsse auf den Unrechtsgehalt
zulassen oder Einblicke in die innere Einstellung des Täters
zur Tat gewähren (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 3,
8, 9, 10, 12, 23; BGH StV 1984, 21). Das ist hier nicht dargetan.
In den Fällen II 2 und 3 der Urteilsgründe hat das
Landgericht dem Angeklagten zudem rechtsfehlerhaft
strafschärfend angelastet, daß er sich "von den
jeweils vorangegangenen Fehlschlägen nicht abhalten
ließ, weitere Straftaten zu begehen. Dies spricht
für eine erhebliche kriminelle Energie" (UA 28). Damit wertet
es zu Lasten des Angeklagten, daß er die (weiteren) Taten
überhaupt begangen hat, anstatt von deren Begehung Abstand zu
nehmen. Dies verstößt gegen das
Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB (vgl. BGH StV
1997, 129). Der Umstand, daß die Absicht des Angeklagten,
"sich durch einen Überfall Geld für den Ankauf von
Drogen zu beschaffen" (UA 11), zunächst scheiterte,
könnte die in "enge(m) räumlichen, zeitlichen und
situativen Zusammenhang" (UA 30) stehende weitere Tatbegehung sogar
eher in einem milderen Lichte erscheinen lassen.
3. Der Maßregelausspruch hält ebenfalls rechtlicher
Prüfung nicht stand. Die Anordnung der Unterbringung in einer
Entziehungsanstalt (§ 64 Abs. 1 StGB) setzt voraus,
daß der Täter den Hang hat, berauschende Mittel im
Übermaß zu sich zu nehmen, er wegen einer auf den
Hang zurückzuführenden rechtswidrigen Tat verurteilt
wird und die Gefahr besteht, daß er infolge seines Hanges mit
Wahrscheinlichkeit erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird (std.
Rspr.; BGHR StGB § 64 Abs. 1 Gefährlichkeit 1, 3).
Die Urteilsgründe belegen aber schon nicht die positive
Feststellung der tatsächlichen Voraussetzungen des "Hanges".
Einerseits bejaht das Landgericht mit dem Sachverständigen
zwar einen Hang des Angeklagten zum
Betäubungsmittelmißbrauch. Andererseits meint das
Landgericht abschließend, es könne "letztlich nicht
ausschließen, daß ein solcher Hang im Sinne des
§ 64 StGB vorliegt" (UA 31). Damit bleibt offen, ob sich der
Tatrichter zweifelsfrei vom Vorliegen eines "Hanges" im für
die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der Hauptverhandlung
(vgl. Lackner/Kühl StGB 23. Aufl. § 64 Rdn. 5 m.N.)
überzeugt hat, zumal auch der Sachverständige
"zunächst erhebliche Zweifel geäußert
(hatte), ob bei dem Angeklagten tatsächlich ein solcher Hang
... vorliegt" (UA 30). Verbleibende Zweifel sind aber zugunsten des
Angeklagten zu lösen und stehen deshalb der ihn belastenden
(vgl. BGHSt 38, 4, 7 m.w.N.) Maßregelanordnung entgegen. Zwar
sind den Urteilsgründen Anhaltspunkte zu entnehmen, die eine
jedenfalls psychische Rauschmittelabhängigkeit beim
Angeklagten (vgl. zuletzt BGH, Beschluß vom 30. Januar 2001
-1 StR 568/00) nahelegen; doch erlauben sie dem Senat nicht, die dem
Tatrichter vorbehaltene Entscheidung zu bestätigen.
Der Senat weist für das weitere Verfahren vorsorglich darauf
hin, daß der neue Tatrichter - sollte er erneut die
Unterbringung des Angeklagten in eine Entziehungsanstalt anordnen - die
besonderen Anforderungen zu beachten hätte, die bei einem
Abweichen von der gesetzlich vorgesehenen Vollstreckungsreihenfolge
gelten (vgl. BGH StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser,
4, 9 bis 13). Nach der Grundentscheidung des Gesetzgebers in §
67 Abs. 1 StGB soll möglichst umgehend mit der Behandlung des
süchtigen oder kranken Täters begonnen werden, weil
dies am ehesten einen dauerhaften Erfolg verspricht (std. Rspr.). Die -
wie das Landgericht meint - beim Angeklagten "zur Zeit" fehlende
"erforderliche selbstkritische Einstellung" (UA 32) vermag eine
Änderung der Vollstreckungsreihenfolge ebensowenig zu
rechtfertigen wie die Erwartung, "eine solche
Einstellungsänderung (könne) in der Haft erreicht
werden" (BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser 9 und
Zweckerreichung, leichtere 11, 12). Soweit das Landgericht
schließlich darauf abstellt, daß es
günstiger wäre, wenn der Angeklagte "nach
erfolgreichem Abschluß der Therapie ... seine
Bewährung in der Freiheit erprob(en) kann" (UA 33), fehlt die
Darlegung, welche konkreten Anhaltspunkte dafür gegeben sind,
daß der anschließende Strafvollzug den
Maßregelerfolg gefährden und wie sich dies bei
diesem Angeklagten auswirken könnte (BGHR StGB § 67
Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser 9; BGH NStZ 1986, 428; BGH,
Beschluß vom 30. Januar 2001 - 1 StR 481/00).
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