BGH,
Beschl. v. 10.12.2009 - 4 StR 437/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 437/09
vom
10. Dezember 2009
in der Strafsache
gegen
wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung
u.a.
- 2 -
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 10. Dezember
2009 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der Strafkammer des
Landgerichts Bochum bei dem Amtsgericht Recklinghausen vom 26. Mai 2009
mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren
Tatgeschehen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten von den Vorwürfen der
gefährlichen Körperverletzung sowie der Nachstellung
in Tateinheit mit Beleidigung in vier Fällen, mit
vorsätzlicher Körperverletzung, mit
gefährlicher Körperverletzung, mit Bedrohung in sechs
Fällen und mit Diebstahl freigesprochen und seine
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die
hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die
Verletzung materiellen Rechts rügt, hat zum
Maßregelausspruch Erfolg; hinsichtlich der Feststellungen zum
äußeren Tatgeschehen hat die Nachprüfung
des Urteils keinen den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler
ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
1
- 3 -
1. Die Anordnung der Unterbringung kann keinen Bestand haben, weil die
Voraussetzungen des § 20 StGB oder § 21 StGB nicht,
wie für die Maßregel nach § 63 StGB
erforderlich, zweifelsfrei festgestellt sind.
2
Das Landgericht hat - sachverständig beraten - die
Überzeugung gewonnen, dass der Angeklagte an einer schweren
kombinierten Persönlichkeitsstörung mit
hypomanischen, paranoiden, narzisstischen, schizothymen und
histrionischen Anteilen leidet. Infolge dieser Erkrankung unterliegt
der Angeklagte periodisch Realitätsverzerrungen,
Identitätsverkennungen, dem Verlust der affektiven
Verhaltenskontrolle, Impulskontrollstörungen, sozialen
Anpassungsstörungen und überwertigen
wahnähnlichen Kognitionen [UA 7]. Davon ausgehend hat das
Landgericht - auch insoweit den Sachverständigen folgend -
angenommen, dass dem Angeklagten zum Zeitpunkt der sämtlich
gegen seine Ehefrau gerichteten Taten die Fähigkeit zur
Unrechtseinsicht nicht ausschließbar gefehlt habe [UA 7, 12].
3
Danach ist nicht festgestellt, dass die
Unrechtseinsichtsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der
Taten sicher aufgehoben war. Dass - wie sich dem Gesamtzusammenhang der
Urteilsgründe entnehmen lässt - diese
Fähigkeit jedenfalls erheblich vermindert war, genügt
für die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB
nicht, weil damit die Voraussetzungen des § 21 StGB nicht
festgestellt sind. Eine verminderte Einsichtsfähigkeit ist
strafrechtlich erst dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der
Einsicht zur Folge hat (vgl. BGHSt 21, 27; 34, 22, 25; vgl. auch
Fischer StGB 57. Aufl. § 63 Rdn. 11 m.w.N.). Ein
Täter, der trotz erheblich verminderter
Einsichtsfähigkeit im konkreten Fall die Einsicht in das
Unrecht seiner Tat gehabt hat, ist - sofern nicht seine
Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war -
voll schuldfähig. In ei-
4
- 4 -
nem solchen Fall ist auch die Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus nicht zulässig.
2. Der aufgezeigte Mangel zwingt zur Aufhebung des
Maßregelausspruchs, so dass die Sache insoweit erneuter
umfassender Prüfung bedarf. Für den Fall, dass der
neue Tatrichter eine Unterbringung nach § 63 StGB ablehnen
sollte, weist der Senat auf § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO n.F. hin
(vgl. hierzu auch Kuckein in KK StPO 6. Aufl. § 358 Rdn. 24 a).
5
Auch wenn es für die Gefährlichkeitsprognose
ausreicht, wenn von einem Täter erhebliche rechtswidrige Taten
nur gegen bestimmte Einzelpersonen zu erwarten sind (vgl. BGHSt 26, 321
f.; BGH, Urteil vom 7. Juni 1995 - 2 StR 206/95 = BGHR StGB §
63 Gefährlichkeit 21), wird es sich in der neuen
Hauptverhandlung empfehlen, im Rahmen der Bewertung der
Persönlichkeitsstörung auch das Verhalten des
Angeklagten in seinen sonstigen Lebensbereichen zu
berücksichtigen.
6
Tepperwien Solin-Stojanović Ernemann
Franke Mutzbauer |