BGH,
Beschl. v. 10.1.2001 - 2 StR 500/00
StPO §§ 302, 344 Abs. 1
StGB §§ 20, 21
1. Der Rechtsmittelverzicht eines Angeklagten ist unwirksam, wenn er
lediglich aufgrund einer - auch irrtümlich - objektiv
unrichtigen Erklärung oder Auskunft des Gerichts (hier: zu
beamtenrechtlichen Nebenfolgen des Urteils) zustandegekommen ist.
2. Die Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch ist
unwirksam, wenn eine erhebliche Verminderung der
Schuldfähigkeit nicht rechtsfehlerfrei begründet
wurde und Schuldunfähigkeit nicht auszuschließen ist.
BGH, Beschluß vom 10. Januar 2001 - 2 StR 500/00 - LG
Darmstadt -
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 500/00
vom
10. Januar 2001
in der Strafsache gegen
wegen versuchter Erpressung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 10. Januar
2001 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Darmstadt vom 11. August 2000 mit den Feststellungen
- mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren
Tatgeschehen - aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter Erpressung zu der
Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und seine Unterbringung in
einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Strafe und
Maßregel wurden zur Bewährung ausgesetzt. Mit seiner
auf den Strafausspruch beschränkten Revision rügt der
Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Er erstrebt
eine Freiheitsstrafe von weniger als einem Jahr mit Bewährung.
Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg und
führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils in dem aus der
Beschlußformel ersichtlichen Umfang.
II.
1. Das Rechtsmittel ist zulässig. Der in der Hauptverhandlung
erklärte Rechtsmittelverzicht des Angeklagten ist unwirksam.
Die Strafkammer ging in der Hauptverhandlung - ebenso wie die
übrigen Verfahrensbeteiligten - versehentlich davon aus, der
Status des Angeklagten als Kommunalbeamter werde nach § 24
Abs. 1 Nr. 1 BRRG nicht tangiert, wenn er wegen versuchter Erpressung
zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr verurteilt
werde. Diese Auffassung äußerte der Vorsitzende auch
in der mündlichen Urteilsbegründung. Lediglich
aufgrund dieser Umstände erklärte der Angeklagte im
Anschluß an die Urteilsverkündung nach
Rücksprache mit seinem Verteidiger, er verzichte auf
Rechtsmittel und nehme das Urteil an. Der Verzicht wurde protokolliert,
verlesen und genehmigt. Auch der Staatsanwalt verzichtete auf
Rechtsmittel. Dieser Verfahrensgang ergibt sich aus den
übereinstimmenden dienstlichen und anwaltlichen
Erklärungen der richterlichen Mitglieder der Strafkammer und
des Verteidigers sowie dem Hauptverhandlungsprotokoll. In Wirklichkeit
entsprach die Rechtsauffassung der Strafkammer jedoch nicht §
24 Abs. 1 Nr. 1 BRRG. Nach dieser Vorschrift endet das
Beamtenverhältnis mit Rechtskraft der Verurteilung eines
Beamten wegen einer vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe
von mindestens einem Jahr.
Ein Rechtsmittelverzicht ist als Prozeßerklärung
grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar (st. Rspr., vgl.
u.a. BGHSt 45, 51, 53). Die Rechtsprechung erkennt allerdings in eng
begrenztem Umfang Ausnahmen an. In Betracht kommen insbesondere die
Fälle schwerwiegender Willensmängel. Auch vom Gericht
zu verantwortende Umstände der Art und Weise des
Zustandekommens können einen Rechtsmittelverzicht unwirksam
machen (BGHSt 45, 51, 53, 55). Deshalb kann ein Rechtsmittelverzicht
ausnahmsweise unwirksam sein, wenn er lediglich aufgrund einer - sei es
auch irrtümlich - objektiv unrichtigen Erklärung oder
Auskunft des Gerichts zustandegekommen ist (vgl.
Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 302 Rdn.
10, 22; Gollwitzer in Löwe/ Rosenberg, StPO 25. Aufl.
§ 302 Rdn. 52; Ruß in KK 4. Aufl. § 302
Rdn. 13; OLG Koblenz NStZ-RR 1996, 306 jeweils m.w.N.). Diese
Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Strafkammer hat durch ihre
objektiv unzutreffenden Erklärungen zu den beamtenrechtlichen
Nebenfolgen des Urteils dem Angeklagten die Vorstellung vermittelt,
sein Status als Beamter werde durch das Urteil nicht berührt.
Nur deshalb hat der Angeklagte auf Rechtsmittel verzichtet. Daran,
daß der Angeklagte auf die wiederholt
geäußerte Beurteilung des Landgerichts vertraut hat,
trifft ihn kein Verschulden. Wegen der dargelegten Umstände
seines Zustandekommens war der Rechtsmittelverzicht des Angeklagten
hier von Anfang an unwirksam. Auf eine Anfechtung wegen Irrtums kommt
es daher nicht an.
2. Die Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch ist
unwirksam. Der Schuldspruch und die Strafzumessung sind hier so
miteinander verknüpft, daß eine getrennte
Überprüfung der Strafzumessung nicht möglich
wäre, ohne den nicht angefochtenen Schuldspruch mit zu
berühren (vgl. BGH NJW 1996, 2663, 2664 m.w.N.).
Wird der Strafausspruch angefochten, ist auch die Frage einer
erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit Gegenstand der
revisionsrechtlichen Prüfung. Diese ergibt hier, daß
das Urteil keine rechtsfehlerfreie Begründung für die
Annahme einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit
des Angeklagten zur Tatzeit enthält. Auf der Grundlage des
angefochtenen Urteils läßt sich auch nicht
völlig ausschließen, daß der Angeklagte
zur Tatzeit steuerungsunfähig war.
Das Landgericht teilt zwar die Entwicklung der psychischen Erkrankung
des Angeklagten mit dem wiederholten Wechsel von manischen und
depressiven Phasen näher mit. Die Beurteilung dieser
Erkrankung durch das sachverständig beratene Landgericht ist
jedoch unklar und widersprüchlich. Im Anschluß an
den Sachverständigen meint das Landgericht, der Angeklagte sei
zur Tatzeit an einer "aktuellen seelischen Störung" erkrankt
gewesen, durch die seine Fähigkeit zur Willensbildung, seine
Steuerungskontrolle und seine gesamte Reflexionsfähigkeit
erheblich gestört gewesen seien. Die
Steuerungsfähigkeit sei insbesondere auch deshalb erheblich
vermindert gewesen, weil die manische Symptomatik durch die
fortgeführte Einnahme von Antidepressiva verstärkt
worden sei. Welche psychische Erkrankung der Sachverständige
konkret festgestellt hat, wird aber nicht näher mitgeteilt.
Nach den vom Landgericht beschriebenen Krankheitssymptomen kommen hier
eine manische Episode zur Tatzeit, aber auch eine bipolare affektive
Störung in Betracht, die früher nach Kurt Schneider
als "Zyklothymie" bezeichnet wurde (vgl. hierzu Nedopil, Forensische
Psychiatrie S. 113 ff.). Einer dahingehenden Beurteilung widerspricht
aber, daß das Landgericht Schuldunfähigkeit
ausschließt, weil der Angeklagte "nicht an einer Manie im
Sinne einer Psychose" gelitten habe. Gerade bei den in Betracht
kommenden affektiven Störungen handelt es sich aber um
Psychosen. Sollte es zutreffen, daß der Angeklagte bei der
Tat nicht an einer Psychose litt, fehlte schon die Grundlage
für die Annahme einer erheblichen Verminderung seiner
Steuerungsfähigkeit. Hinzu kommt: Bei mittelgradigen
Depressionen oder Manien kann die Willensbildung aufgehoben sein, wenn
Motivation und Verhalten auf die affektive Störung
zurückzuführen sind. Bei schweren manischen (oder
depressiven) Episoden liegt daher eine Aufhebung der
Steuerungsfähigkeit jedenfalls nicht fern (vgl. hierzu Nedopil
aaO S. 117). Das Landgericht hätte daher die diagnostische
Einordnung der Erkrankung und die Gewichtung ihrer Auswirkungen auf die
Steuerungsfähigkeit des Angeklagten näher darlegen
müssen. Nach der bisherigen Erörterung dieser Fragen
ist nicht auszuschließen, daß die
Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit nicht nur
erheblich vermindert, sondern aufgehoben war. Da hierdurch nicht nur
der Straf-, sondern auch der Schuldspruch betroffen ist und die Frage
der Schuldfähigkeit nur einheitlich beurteilt werden kann, ist
eine Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch
unzulässig. Ebensowenig kann unter diesen Umständen
die Maßregelanordnung von der Anfechtung ausgenommen werden.
3. Die Sachrüge führt zur Aufhebung des Schuld- und
Rechtsfolgenausspruchs. Der Schuldspruch hält der
sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand, weil das Landgericht
- wie bereits dargelegt - Schuldunfähigkeit des Angeklagten
zur Tatzeit nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen hat. Daneben ist auch
die Strafzumessung rechtsfehlerhaft. Das Landgericht war der in den
Urteilsgründen mitgeteilten Ansicht, daß die
Beendigung des Beamtenverhältnisses als Nebenfolge der
strafrechtlichen Verurteilung unangemessen wäre und der Tat
und der Persönlichkeit des Angeklagten nicht gerecht
würde. Die Strafkammer ging jedoch - wie bereits
ausgeführt - unter Verkennung von § 24 BRRG
irrtümlich davon aus, daß bei einer Verurteilung zu
einer Freiheitsstrafe von einem Jahr diese Folge nicht eintreten werde.
Daher wurde bei der Bemessung der Strafe auch die beamtenrechtliche
Nebenfolge nicht zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt.
Die Maßregelanordnung hat ebenfalls keinen Bestand, weil die
Schuldfähigkeit des Angeklagten bisher nicht rechtsfehlerfrei
geprüft wurde.
Die Feststellungen zum äußeren Tathergang
können jedoch bestehen bleiben, weil sie von den dargelegten
Rechtsfehlern nicht berührt werden.
Jähnke Detter Bode
Otten Elf |