BGH,
Beschl. v. 10.1.2002 - 5 StR 452/01
AO § 370; § 393 Abs. 1 Sätze 2 und 3
Ist gegen einen Steuerpflichtigen wegen der Abgabe unrichtiger
Steuererklärungen ein Steuerstrafverfahren anhängig,
rechtfertigt das in § 393 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AO
normierte Zwangsmittelverbot ("nemo tenetur se ipsum accusare")
für nachfolgende Besteuerungszeiträume weder die
Nichtabgabe zutreffender noch die Abgabe unrichtiger
Steuererklärungen (im Anschluß an BGHSt 37, 8).
BGH, Beschl. vom 10. Januar 2002 - 5 StR 452/01
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
5 StR 452/01
vom
10. Januar 2002
in der Strafsache gegen
wegen Steuerhinterziehung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat am 10. Januar 2002
beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg
vom 31. Mai 2001 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu
tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in
zwölf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem
Jahr und acht Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur
Bewährung ausgesetzt. Die auf die Sachrüge
gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg. Der
Erörterung bedarf lediglich folgendes:
1. Das angefochtene Urteil weist auch insoweit keinen Rechtsfehler auf,
als der Angeklagte wegen Hinterziehung von Einkommensteuer für
die Jahre 1997 und 1998 verurteilt worden ist.
Der Angeklagte hatte in den Einkommensteuererklärungen
für die Jahre 1991 bis 1996 wesentliche Teile seiner
Einkünfte aus freiberuflicher Gutachter- und
Referententätigkeit nicht angegeben und daneben die
Kapitalerträge seiner Geldanlagen in Luxemburg
gänzlich verschwiegen. Hierfür wurde der
geständige Angeklagte zurecht wegen Hinterziehung von
Einkommensteuer in sechs Fällen verurteilt. Obwohl ihm die
Einleitung des Ermittlungsverfahrens bereits im November 1998
bekanntgegeben worden war, machte er auch noch danach in den
Einkommensteuererklärungen für 1997 und 1998, die er
im Dezember 1998 bzw. März 2000 beim Finanzamt einreichte, in
gleicher Weise wie in den Vorjahren falsche Angaben. Das Landgericht
verurteilte den Angeklagten auch insoweit wegen Hinterziehung von
Einkommensteuer und berücksichtigte dabei
strafschärfend, daß er unter dem Eindruck eines
Ermittlungsverfahrens weiterhin unvollständige Angaben gemacht
habe. Dies begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
a) Zwar befand sich der Angeklagte in einer Konfliktsituation, weil er
nach Einleitung des Ermittlungsverfahrens bei
wahrheitsgemäßer Angabe der
Größenordnung seiner freiberuflichen
Einkünfte und seiner Kapitalerträge in
zukünftigen Steuererklärungen wegen des sprunghaften
Anstiegs der zu erklärenden Einkünfte weitere
Anhaltspunkte für die ihm zur Last gelegten
Einkommensteuerhinterziehungen liefern würde. Dies gestattete
ihm indes nicht, für die nachfolgenden
Besteuerungszeiträume unrichtige Steuererklärungen
einzureichen.
aa) Allerdings ist anerkannt, daß das in § 393 Abs.
1 Sätze 2 und 3 AO normierte Zwangsmittelverbot ("nemo tenetur
se ipsum accussare") zu einer Suspendierung der Strafbewehrung der
Verletzung von steuerlichen Erklärungspflichten
führen kann, wenn sich der Steuerpflichtige hinsichtlich
seiner Erklärungspflichten in einer unauflöslichen
Konfliktlage befindet, aus der er sich durch eine (strafbefreiende)
Selbstanzeige (§ 371 AO) nicht mehr befreien kann (vgl. BGHSt
47, 8, 12 ff.). So sieht der Bundesgerichtshof z. B. die Strafbewehrung
der Verletzung der Pflicht zur Abgabe einer
Umsatzsteuerjahreserklärung bis zum 31. Mai des Folgejahres
(§ 149 Abs. 2 AO) jedenfalls solange für ausgesetzt
an, wie gegen den Steuerpflichtigen ein Strafverfahren wegen
Steuerhinterziehung durch Abgabe unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen
für dieselben Besteuerungszeiträume geführt
wird (BGH aaO S. 14).
bb) Inhaltlich findet das Zwangsmittelverbot jedoch dort seine Grenze,
wo es nicht mehr um ein bereits begangenes steuerliches Fehlverhalten
geht, für das ein Steuerstrafverfahren bereits eingeleitet
ist. Selbst wenn die Abgabe zutreffender Steuererklärungen
für nachfolgende Besteuerungszeiträume mittelbare
Auswirkungen auf das laufende Steuerstrafverfahren haben sollte,
könnte das ihre Unterlassung nicht rechtfertigen, weil
andernfalls neues Unrecht geschaffen (vgl. BGH aaO S. 15 m.w.N.) und
dem Täter zudem gegenüber anderen Steuerpflichtigen
eine ungerechtfertigte Besserstellung eingeräumt
würde (vgl. Hellmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler AO
und FGO § 393 AO Rdn. 29). Die Rechtsordnung kennt kein
ausnahmsloses Gebot dahingehend, daß niemand zu
Auskünften gezwungen werden darf, durch die er eine von ihm
begangene strafbare Handlung offenbaren muß (BVerfGE 56, 37,
42). Im Hinblick auf die Steuergerechtigkeit und die Notwendigkeit
eines gesicherten Steueraufkommens für den Staat ist es
vielmehr sachlich gerechtfertigt, daß die Steuerpflichtigen
grundsätzlich zur Auskunft verpflichtet sind, ohne
Rücksicht darauf, ob hierdurch Straftaten oder
Ordnungswidrigkeiten aufgedeckt werden (vgl. BVerfG - Kammer - wistra
1988, 302). Eine Ausnahme ist nur anzuerkennen, wenn hinsichtlich
derselben Steuer und desselben Besteuerungszeitraums, für den
bereits ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, weitere
Erklärungspflichten bestehen, wie dies z. B. bei
Umsatzsteuerhinterziehung der Fall sein kann. In einem solchen Fall
muß bei der gebotenen Abwägung das gesetzlich mit
Steuererklärungspflichten gesicherte Informationsinteresse des
Staates gegenüber dem Interesse des Steuerpflichtigen, sich
nicht selbst belasten zu müssen, zurücktreten.
Für weitere als die von dem Ermittlungsverfahren
erfaßten Steuern gilt dies nicht, weil sonst neues Unrecht
geschaffen würde, zu dem das Recht auf Selbstschutz nicht
berechtigt (vgl. BGH aaO S. 15).
cc) Ist aber bereits die Nichtabgabe von Steuererklärungen
für zukünftige Besteuerungszeiträume
derselben Steuer weiterhin strafbar, dann gilt dies erst recht
für die Abgabe inhaltlich unrichtiger
Steuererklärungen.
b) Auf die von der Verteidigung aufgeworfene Frage, ob steuerliche
Erklärungspflichten, die lediglich mittelbar zu einer
Selbstbelastung des Steuerpflichtigen in einem Steuerstrafverfahren
führen, ein strafrechtliches Verwertungsverbot
auslösen können (vgl. hierzu BGH aaO S. 16; Hellmann
aaO Rdn. 30; Rüping/Kopp NStZ 1997, 530, 533 f.), kommt es im
vorliegenden Fall nicht an. Diese Frage kann sich nur dann stellen,
wenn neue (zutreffende) Angaben des Steuerpflichtigen in
Steuererklärungen zu seiner Überführung
hinsichtlich früherer Taten verwertet werden. Hier hat der
Angeklagte aber zum einen weiterhin unrichtige Angaben gemacht und
damit gerade keine zutreffenden Erklärungen abgegeben, die zu
seiner Überführung bezüglich der von ihm in
den vorangegangenen Jahren begangenen Taten hätten
herangezogen werden können. Zum anderen hat das Landgericht
die Verurteilung auf dessen Geständnis und nicht auf seine
Angaben in nachfolgenden Steuererklärungen gestützt.
2. Schließlich begegnet es keinen rechtlichen Bedenken,
daß das Landgericht im Rahmen der Strafzumessung nicht
zugunsten des Angeklagten die Möglichkeit eines Realsplittings
(§ 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG) berücksichtigt hat. Der
Angeklagte hatte bei der Einreichung seiner
Einkommensteuererklärungen 1993 bis 1997 zu Unrecht eine
Zusammenveranlagung mit seiner von ihm dauernd getrennt lebenden
Ehefrau beantragt (vgl. § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG) und dadurch
unberechtigt die für ihn steuerlich günstige
Möglichkeit des Splitting-Verfahrens bei Anwendung des
Einkommensteuertarifes (§ 32a EStG) herbeigeführt.
Einer Berücksichtigung von Unterhaltszahlungen an die getrennt
lebende Ehefrau stand zwar für den Bereich der Strafzumessung
das Kompensationsverbot nicht entgegen (§ 370 Abs. 4 Satz 3
AO; vgl. BGHR AO § 370 Abs. 4 Satz 3 Einkommensteuer 1). Es
lagen indes die Voraussetzungen für eine Durchführung
des grundsätzlich möglichen, aber als Wahlrecht des
materiellen Steuerrechts vom Willen beider Ehegatten
abhängigen Realsplittings nicht vor. Dieses ist
nämlich nicht automatische Folge einer Getrenntveranlagung von
Ehegatten. Der Sonderausgabenabzug für Unterhaltszahlungen
setzt vielmehr neben einem Antrag beim Finanzamt auch die Zustimmung
des Empfängers dieser Zahlungen voraus (vgl. § 10
Abs. 1 Nr. 1 EStG), weil dieser dann seinerseits die erhaltenen
Leistungen einer Besteuerung unterwerfen muß (§ 22
Nr. 1a EStG). Hieran fehlt es im vorliegenden Fall.
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