BGH,
Beschl. v. 10.1.2002 - AK 22/01
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
AK 22/01
2 BJs 176/99 - 8
2 StE 8/01 - 6
vom
10. Januar 2002
in dem Strafverfahren gegen
wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Generalbundesanwalts sowie des Angeschuldigten und seines
Verteidigers am 10. Januar 2002 gemäß
§§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den
Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Bayerischen
Obersten Landesgericht übertragen.
Gründe:
Der Angeschuldigte befindet sich seit 25. Juni 2001 aufgrund des
Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes vom 2.
März 2000, neu gefaßt am 26. Juni 2001, in
Untersuchungshaft. Ihm wird vorgeworfen, sich in der Zeit von Oktober
1999 bis Februar 2000 als Mitglied an einer innerhalb der PKK/ERNK aus
den Führungskadern gebildeten kriminellen Vereinigung
beteiligt zu haben. In der Begründung des Haftbefehls wird
davon ausgegangen, daß sich der von § 129 Abs. 1
StGB vorausgesetzte kriminelle Charakter der Vereinigung zum einen aus
der - mit dem Fälschen von Ausweis- und Aufenthaltspapieren
sowie Verstößen gegen das Ausländergesetz
verbundenen - Tätigkeit des "Heimatbüros" und zum
anderen daraus ergebe, daß die Führung der PKK/ERNK
sich vorbehalten habe, vom derzeit friedlichen Kurs zur Anordnung von
Straftaten mit "demonstrativem" Charakter überzugehen. Der
Angeschuldigte sei als Regionsverantwortlicher bereit gewesen, solche
Befehle jederzeit umzusetzen, und habe dafür gesorgt,
daß die "Masse aktionsbereit" geblieben sei. Der
Generalbundesanwalt hat in seinem Antrag auf Haftfortdauer darauf
hingewiesen, daß der Angeschuldigte über den
genannten Zeitraum hinaus auch bereits vorher seit 1997 als
Europaführer der Jugendorganisation "YCK" innerhalb der
Führungszentrale der PKK/ERNK dieser Vereinigung
angehört hatte.
1. a) Der Senat stützt seine Haftfortdauerentscheidung gegen
den Angeschuldigten nur noch auf den Vorwurf der mitgliedschaftlichen
Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, deren Tätigkeit
und Zwecke auf Straftaten im Zusammenhang mit dem "Heimatbüro"
gerichtet sind. Die Ermittlungen belegen den dringenden Verdacht,
daß der Angeschuldigte in der Zeit von Oktober 1999 bis
Februar 2000 Regionsverantwortlicher der Region Bayern war und in
dieser Eigenschaft das ihm untergeordnete "Heimatbüro" nicht
nur als Vorgesetzter geleitet hat, sondern in einzelne, konkrete
Aktionen zur Beschaffung falscher Papiere eingebunden war. Wegen der
Einzelheiten wird auf das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen der
zwischenzeitlich zum Bayerischen Obersten Landesgericht erhobenen
Anklage vom 20. Dezember 2001 (S. 66 f.) verwiesen (vgl. zum
"Heimatbüro" BGHR StGB § 129 Straftaten 1).
b) Da der vorstehend dargelegte Tatverdacht die Anordnung der Fortdauer
der Untersuchungshaft rechtfertigt, kann der Senat im Rahmen dieser
Entscheidung offen lassen, ob die dem Haftbefehl zugrunde gelegte
Auffassung zutrifft, die Führungsebene der PKK/ERNK stelle
derzeit auch deswegen eine kriminelle Vereinigung dar, weil sie zwar
nach dem Frühjahr 1999 "demonstrative" Straftaten wie
Hausfriedensbruch, Landfriedensbruch, Körperverletzung,
Sachbeschädigung, Nötigung und Widerstand gegen
Vollstreckungsbeamte nicht mehr nachweisbar durchgeführt oder
gesteuert hat, sich allerdings vorbehalten habe, "jederzeit mit
sonstigen Gewalttaten auf Situationen und so bezeichnete Provokationen
zu reagieren, die nach ihrer Ansicht Leib und Leben des
Parteiführers Öcalan gefährden oder den
Bestand der Parteistrukturen bedrohen könnten". Hiergegen
könnten Bedenken bestehen, weil die Zwecke oder die
Tätigkeit einer kriminellen Vereinigung im Sinne des
§ 129 StGB in der Weise darauf gerichtet sein müssen,
Straftaten zu begehen, daß diese nicht nur von
untergeordneter Bedeutung, sondern in dem Sinne wesentlich und mit
anderen Zwecken oder Tätigkeiten gleichgeordnet sind,
daß durch das strafrechtswidrige Verhalten das
Erscheinungsbild der Vereinigung aus der Sicht informierter Dritter
mitgeprägt wird (BGHSt 41, 47, 56). Dies bedarf angesichts des
Kurswechsels der PKK, die ihre Ziele nunmehr mit friedlichen und
politischen Mitteln erreichen will, einerseits und des Umstandes
andererseits, wonach die Voraussetzungen einer Rückkehr zu
"demonstrativen" Straftaten nur relativ vage definiert sind und auch
ein zeitlicher Rahmen nicht absehbar ist, einer genaueren
Prüfung in der Hauptverhandlung (vgl. Beschluß des
Senats vom 20. Dezember 2001 - AK 21/01).
c) Der Senat braucht auch nicht zu entscheiden, ob zur
Stützung der Haftfortdauerentscheidung der vorangegangene
Zeitraum der Tätigkeit des Angeschuldigten als
Europaführer der "YCK" herangezogen werden könnte.
Dies erscheint zweifelhaft, da nach dem zur Tatzeit geltenden
Rechtszustand nur inländische kriminelle Vereinigungen, bzw.
im Inland bestehende Teilorganisationen solcher Vereinigungen von
§ 129 StGB erfaßt waren (vgl. BGHSt 30, 328; BayObLG
NStZ-RR 1997, 251 m.w.N.). Da der Angeschuldigte in diesem Zeitraum
eine Kaderfunktion auf europäischer Ebene innehatte
(Europaverantwortlicher der "YCK"), sich überwiegend in Lagern
bei Arnheim/Niederlande aufgehalten und dort die Ausbildung von
Jugendlichen geleitet hatte (S. 56 der Anklage), versteht es sich nicht
von selbst, daß er als Mitglied im Sinne des § 129
StGB der in Deutschland gebildeten und aus den hiesigen
Funktionärskadern gebildeten Teilorganisation
angehört hatte.
2. Wegen des Haftgrundes der Fluchtgefahr wird auf die Gründe
des Haftbefehls Bezug genommen. Ihr kann durch weniger einschneidende
Maßnahmen nach § 116 StPO nicht begegnet werden. Die
Fortdauer der Untersuchungshaft ist auch in Anbetracht des
eingeschränkten Tatvorwurfs derzeit noch nicht
unverhältnismäßig. Bei der zu erwartenden
Strafe wegen der viermonatigen Tätigkeit als
Regionsverantwortlicher in Bayern ist zu berücksichtigen,
daß die militanten Aktionen des Angeschuldigten im Rahmen
seiner Tätigkeit als Europaverantwortlicher der "YCK" im Wege
der Strafzumessung herangezogen werden können. Dem in
Haftsachen geltenden Beschleunigungsgrundsatz nach § 121 Abs.
1 StPO ist Rechnung getragen worden, da zwischenzeitlich Anklage zum
Bayerischen Obersten Landesgericht eingereicht worden ist.
Tolksdorf Becker Winkler |