BGH,
Beschl. v. 10.1.2006 - 4 StR 545/05
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 545/05
vom 10.1.2006
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des
Generalbundesanwalts und nach Anhörung des
Beschwerdeführers am 10.01.2006 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Arnsberg vom 25. August 2005 im Strafausspruch mit den Feststellungen
aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer
Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird
verworfen. Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten wegen
gefährlicher Körperverletzung zu einer
Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Hiergegen
wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das
Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts
rügt. Das Rechtsmittel hat zum Strafausspruch Erfolg; im
Übrigen ist es unbegründet im Sinne des §
349 Abs. 2 StPO. 1 1. Die Überprüfung des Urteils auf
Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch keinen den
Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler ergeben. Insoweit verweist
der Senat auf die zutreffenden Ausführungen in der
Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 30. November 2005. 2
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2. Dagegen hält der Strafausspruch der rechtlichen
Nachprüfung nicht stand. 3 Hintergrund der der Verurteilung zu
Grunde liegenden Tat, bei der der bislang strafrechtlich nicht in
Erscheinung getretene Angeklagte dem Zahnarzt F. in dessen Praxis einen
Stich mit einem Messer in den Oberschenkel versetzte, war: Die
älteste Tochter des Angeklagten hatte mit dem
Geschädigten, in dessen Praxis sie eine Ausbildung
absolvierte, ein intimes Verhältnis, welches der
Geschädigte, um seine eigene Ehe zu retten, beendet hatte,
nachdem seine Ehefrau zwei Tage vor der Tat von der
außerehelichen Beziehung Kenntnis erhalten hatte. Dies hatte
die Tochter dem noch dem traditionellen türkischmuslimischen
Kulturkreis verhafteten Angeklagten erst am Vortag der Tat im
Krankenhaus offenbart, in das sie nach einem Selbstmordversuch
eingeliefert worden war. Der Angeklagte war "schockiert und reagierte
zunächst verwirrt. (...) Er war sehr in Sorge um seine Tochter
und fühlte zudem die Ehre der Tochter, der Familie und seine
eigene beschmutzt". Am Tattage suchte er die Praxis des
Geschädigten auf, "um die Angelegenheit zu klären".
Bei dem Gespräch mit dem Geschädigten leugnete
dieser, mit der Tochter des Angeklagten intim geworden zu sein.
Darüber geriet der "ohnehin nervlich angespannt(e)" Angeklagte
zusätzlich in Wut und beschloss deshalb, den
Geschädigten "zur Bestrafung" mit dem Messer anzugreifen. 4
Trotz dieses besonderen Tathintergrundes hat die Schwurgerichtskammer
das Vorliegen eines minder schweren Falles der gefährlichen
Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Halbs. 2 StGB)
verneint und die Strafe dem Regelstrafrahmen entnommen. Dies begegnet
hier durchgreifenden rechtlichen Bedenken. 5 Der Generalbundesanwalt
hat hierzu ausgeführt: 6
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"Grundsätzlich ist die Strafzumessung - und damit auch die
Bestimmung des Strafrahmens - Sache des Tatrichters, dessen Entscheiden
das Revisionsgericht auch dann hinzunehmen hat, wenn eine andere
Entscheidung ebenso möglich gewesen wäre oder sogar
näher gelegen hätte. Unter Berücksichtigung
aller Gesichtspunkte, insbesondere auch der Vorgeschichte der Tat und
des Verhaltens des Geschädigten der Tochter des Angeklagten
gegenüber nach der Aufdeckung ihres Verhältnisses,
sowie der Täterpersönlichkeit ergibt die
Gesamtwürdigung jedoch ein derart eindeutiges
Überwiegen der mildernden Faktoren, dass die Entscheidung der
Kammer hinsichtlich des Strafrahmens als nicht mehr nachvollziehbar
anzusehen ist. Die Kammer selbst hat zahlreiche strafmildernde
Umstände aufgelistet (UA S. 23). Die etwas stilfremde
Formulierung 'aufgrund der wenig erfreulichen Vorgeschichte' (UA S. 23)
lässt indes besorgen, dass die Kammer die Mitverantwortung des
Geschädigten für die eingetretene Eskalation in ihren
Überlegungen nicht hinreichend gewichtet hat. Bei dem gegen
eine Strafrahmenverschiebung gewerteten griffbereiten
Mitsichführen des Messers beim Betreten der Praxis des
Geschädigten ist zudem zu berücksichtigen, dass der
Angeklagte das Messer nach seiner unwiderlegten Einlassung nicht im
Hinblick auf die Begegnung mit dem Geschädigten eingesteckt
hatte (UA S. 7, 14), wofür auch die Feststellung spricht, dass
der Angeklagte mit seiner Frau ursprünglich zum Krankenhaus
fahren wollte, um die Tochter abzuholen, er sich jedoch bei
Fahrtantritt spontan entschlossen hatte, den Geschädigten zur
Rede zu stellen (UA S. 7). Für die Beibehaltung des normalen
Strafrahmens sprechen nach den Strafzumessungserwägungen
letztlich die Angst des Geschädigten bei der Tat und das
posttraumatische Belastungssyndrom, unter dem er leidet (UA S. 13, 23).
Dies trägt angesichts der gesamten Umstände die
Entscheidung der Kammer nicht." Dem schließt sich der Senat
an. 7 3. Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts
und vorsorglich für das weitere Verfahren bemerkt der Senat:
Die Schwurgerichtskammer hat eine vollständige Aufhebung der
Schuldfähigkeit des Angeklagten (§ 20 8
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StGB) zu Recht ausgeschlossen. Der Senat kann angesichts der ohnehin
gebotenen Aufhebung des Strafausspruchs auch dahingestellt sein lassen,
ob das Landgericht - wie die Revision mit einer Verfahrensbeschwerde
rügt - die von der Verteidigung beantragte Einholung eines
medizinisch-psychiatrischen Schuldfähigkeitsgutachtens mit
Blick auf § 21 StGB im Ergebnis zu Recht abgelehnt hat.
Jedenfalls begegnet die Begründung des ablehnenden Beschlusses
rechtlichen Bedenken. So ist bereits nicht nachvollziehbar, dass das
beantragte Sachverständigengutachten als Beweismittel
"völlig ungeeignet" gewesen sei (§ 244 Abs. 3 Satz 2
StPO), denn die von der Schwurgerichtskammer vermissten
Anknüpfungstatsachen für die Tatzeitverfassung des
Angeklagten waren in dem Beweisantrag hinreichend konkret beschrieben
und sind vom Landgericht im Übrigen auch im Urteil
festgestellt. Zwar handelt es sich bei der Frage, ob eine Verminderung
der Steuerungsfähigkeit "erheblich" im Sinne des § 21
StGB, um eine Rechtsfrage, die vom Gericht ohne Bindung an die
Auffassung des Sachverständigen zu beantworten ist (st. Rspr.;
BGHSt 43, 66, 77); doch machte auch dies das beantragte
Schuldfähigkeitsgutachten nicht zu einem "völlig
ungeeigneten" Beweismittel. Soweit das Landgericht im Übrigen
die Ablehnung auch auf § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO
gestützt hat mit der Erwägung, es könne "die
Frage der Schuldfähigkeit ... auf Grund der Beobachtung in der
Hauptverhandlung mit seinem medizinischen Allgemeinwissen beurteilen",
kann es sich nicht auf die dort zitierte Entscheidung des
Bundesgerichtshofs VRS 39, 101 stützen. In jener Sache hat der
Senat vielmehr im Gegenteil entschieden, dass, wenn Anzeichen vorliegen
oder unter Beweis gestellt werden, die auch nur eine gewisse
Möglichkeit dafür geben, dass der Angeklagte in
geistiger Hinsicht von der Norm abweichen könnte, ein
Beweisantrag auf eine psychiatrische Untersuchung auch dann nicht
abgelehnt werden darf, wenn der Angeklagte selbst in der
Hauptverhandlung sich auf einen solchen Zustand nicht beruft.
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4. Da Gegenstand des Verfahrens nur noch ein nicht die
Zuständigkeit der Schwurgerichtskammer begründendes
Delikt ist, verweist der Senat die Sache an eine allgemeine Strafkammer
des Landgerichts zurück. 9
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