BGH,
Beschl. v. 10.1.2007 - 2 StR 555/06
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 555/06
vom
10.1.2007
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführerin am 10.01.2007
gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Koblenz vom 12. Juli 2006 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als
Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Heimtückemordes zu
einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Ihre Revision hat mit
einer Verfahrensrüge Erfolg.
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1. Die Rüge einer Verletzung des § 265 Abs. 1 StPO
ist begründet.
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a) Die unverändert zugelassene Anklage legte der Angeklagten
eine Tötung aus niedrigen Beweggründen zur Last; die
Tat sollte sie im Verlauf einer gemeinsamen Autofahrt mit dem Tatopfer
außerhalb des Fahrzeugs begangen haben. Die Frage einer
möglichen heimtückischen Tötung
ließ die Anklage ausdrücklich offen, ohne hierzu
Näheres auszuführen.
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In der Hauptverhandlung ließ sich die Angeklagte dahin ein,
sie sei im Fahrzeug von der Geschädigten angegriffen und
geschlagen worden; sodann habe sie auf sie eingestochen.
Außerhalb des Fahrzeugs habe sie auf das Tatopfer nicht mehr
eingestochen bzw. erinnere sie sich hieran nicht. In der
Hauptverhandlung wurde streitig erörtert, ob der von der
Angeklagten geschilderte Tatablauf innerhalb des Fahrzeugs
überhaupt möglich war. Um dies zu beweisen, also nach
ihrem Vorbringen entlastende Tatsachen unter Beweis zu stellen, legte
die Verteidigung Lichtbilder einer in ihrem Auftrag
durchgeführten Rekonstruktion vor, die in Augenschein genommen
wurden. Der Vorsitzende gab in der Folge den rechtlichen Hinweis, es
komme abweichend von Anklage und Eröffnungsbeschluss auch eine
Verurteilung wegen Totschlags oder wegen Heimtückemordes in
Betracht. Einen Hinweis, auf welche tatsächlichen
Umstände sich diese Bewertungen stützen
könnten, erteilte das Landgericht nicht.
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Die Annahme eines heimtückischen Mordes hat das Landgericht
"entscheidend" (UA S. 18) darauf gestützt, dass das Tatopfer
bei den ersten Stichen der Angeklagten angeschnallt auf dem
Beifahrersitz gesessen habe. Dies folge daraus, dass der
Sicherheitsgurt, wie sich aus den genannten Lichtbildern ergeben habe,
in Brusthöhe durchstochen gewesen sei. Die Frage des
Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe ist in den
Urteilsgründen nicht mehr angesprochen.
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b) Bei dieser Sachlage hätte das Landgericht die Angeklagte
darauf hinweisen müssen, aus welchen tatsächlichen
Umständen die Schlussfolgerung heimtückischen
Verhaltens möglicherweise gezogen werden konnte; der
bloße Hinweis auf die gesetzliche Bestimmung reichte nicht
aus. Für die Angeklagte war insbesondere nicht vorhersehbar,
dass aus Neben-Ergebnissen einer Beweiserhebung, welche sie zu ihrer
Entlastung angeregt hatte und deren Ergebnisse ihre eigene Einlassung
zum Tatablauf auch stützen, Schlussfolgerungen
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zu ihren Lasten gezogen werden würden. Entgegen der Ansicht
des Generalbundesanwalts in seiner Zuschrift an den Senat musste sie
hiermit auch nicht schon deshalb rechnen, weil sie selbst bekundet
hatte, die Geschädigte habe den Gurt geöffnet, sei
also zunächst angeschnallt gewesen.
2. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes
hin:
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a) Soweit das Landgericht die Annahme heimtückischen
Verhaltens darauf gestützt hat, dass das Tatopfer beim
Einsteigen in den PKW der Angeklagten arglos gewesen sei (UA S. 18,
20), geht die Begründung von einem unzutreffenden rechtlichen
Ansatzpunkt aus. Das Landgericht hat ausgeführt,
dafür, dass die Geschädigte sich keines Angriffs auf
ihr Leben versah, spreche "entscheidend, dass sie zunächst
freiwillig in das Fahrzeug der Angeklagten einstieg und sich auch den
Sicherheitsgurt anlegte" (UA S. 18). Nach den Feststellungen lag zu
diesem Zeitpunkt aber noch kein Tötungsvorsatz der Angeklagten
vor; sie fasste diesen vielmehr erst im Lauf des während der
Fahrt geführten verbalen Streits. Nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die
Feststellung der die Wehrlosigkeit des Mordopfers begründenden
Arglosigkeit aber auf den Zeitpunkt der ersten mit
Tötungsvorsatz ausgeführten Tathandlung an (vgl.
BGHSt 32, 382, 384; BGH NJW 1996, 471; NStZ 2006, 96; 2006, 503 f.;
NStZ-RR 2005, 201 f.; Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl.
§ 211 Rdn. 17 m.w.N.). Die bloße Ausnutzung von
Wehrlosigkeit, die nicht auf Arglosigkeit beruht, reicht für
die Annahme von Heimtücke nicht aus (vgl.
Tröndle/Fischer aaO Rdn. 18 a m.w.N.). Eine Ausnahme von
diesem Grundsatz kann namentlich dann gegeben sein, wenn das Opfer bei
Beginn der Tötungshandlung zwar nicht mehr arglos ist, ihm
nach Erkenntnis der Gefahr aber aufgrund der kurzen bis zum Angriff
verbleibenden Zeitspanne und der örtlichen Gegebenheiten eine
Möglichkeit der Abwehr nicht mehr gegeben ist (vgl. BGH NStZ
2002, 368 f.; 2006, 502, 503).
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Der neue Tatrichter wird sich bei der Prüfung des Merkmals der
Heimtücke daher nicht mit der bloßen Feststellung
begnügen können, das Tatopfer sei zu einem Zeitpunkt,
als die Angeklagte noch keinen Tatvorsatz hatte, arglos gewesen. Er
wird vielmehr der Feststellung des der Tat vorausgehenden
Streitgeschehens im Fahrzeug höhere Aufmerksamkeit zuzuwenden
haben. Hierbei mag unter anderem auch die Frage näher
erörtert werden, aus welchem Grunde der Angeklagten in dem PKW
ein Messer zur Verfügung stand. Andererseits wird der neue
Tatrichter unter Umständen genauere Feststellungen
hinsichtlich der von der Geschädigten mit einer Taschenlampe
verursachten Verletzung der Angeklagten zu treffen haben. Dass eine nur
"leicht streifende Berührung", welche die Kammer - entgegen
der Einlassung der Angeklagten, die Geschädigte habe sie mit
einem heftigen Schlag angegriffen - angenommen hat, zu den
festgestellten Einblutungen an der Nase der Angeklagten
geführt hat, in denen sich die "Riffelung des Lampenkopfs"
abzeichnete (UA S. 17), liegt, wie die Revision insoweit zutreffend
ausgeführt hat, nicht nahe. Worauf die Feststellung des
Landgerichts beruht, diese Verletzung sei erst außerhalb des
PKW, also nach den ersten mit Tötungsvorsatz
ausgeführten Stichen, bei Abwehrbewegungen des Tatopfers
entstanden, ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht mit
hinreichender Deutlichkeit. Das gilt im Übrigen auch
für die Feststellung, die Geschädigte habe, als sie
nach den ersten Stichen in Todesangst aus dem PKW floh, ihre
Taschenlampe eingeschaltet. Insgesamt würde die - nicht fern
liegende - Annahme von Heimtücke somit genauere Feststellungen
zum Tatablauf sowie zum Vorstellungsbild des Tatopfers und der
Angeklagten voraussetzen.
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b) Das Landgericht hat bei der Prüfung einer
möglichen Einschränkung der
Steuerungsfähigkeit der Angeklagten ausgeführt,
"entscheidend" gegen das Vorliegen eines Affekts spreche, dass es sich
"vorliegend nicht um einen abrupten Tatablauf handelt, da die
Angeklagte (der Geschädigten) gezielt nach-
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setzte und sie auch erreichte" (UA S. 22). Auf diese Erwägung
konnte der Ausschluss eines Affekts (im Sinne einer tiefgreifenden
Bewusstseinsstörung) nicht gestützt werden, denn
für dessen Feststellung käme es allenfalls auf die
Abruptheit des Tatbeginns, nicht aber auf einen "abrupten Ablauf" an;
überdies macht der Umstand, dass der Täter seinem
Opfer nach Beginn des Tötungsgeschehens wenige Meter
nachsetzt, um im unmittelbaren Fortgang mit demselben Tatmittel die Tat
zu vollenden, diese ersichtlich nicht zu einem "mehraktigen" Geschehen,
dessen Komplexität der Annahme eines Affektdurchbruchs
entgegenstehen könnte. Der neue Tatrichter wird sein Augenmerk
insoweit gegebenenfalls auf andere Umstände, insbesondere auch
das Nachtatverhalten der Angeklagten zu richten haben.
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