BGH,
Beschl. v. 10.7.2002 - 1 StR 140/02
1 StR 140/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
10. Juli 2002
in der Strafsache gegen
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat am 10. Juli 2002
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Nürnberg-Fürth vom 8. Oktober 2001 mit Ausnahme der
Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger
Freiheitsstrafe verurteilt und festgestellt, daß seine Schuld
besonders schwer wiegt. Die hiergegen gerichtete Revision des
Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts
geltend macht, hat mit der Sachrüge teilweise Erfolg, weil das
Schwurgericht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB
nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen hat. Im übrigen ist das
Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2
StPO.
II.
Der Angeklagte tötete seine frühere, zur Tatzeit
neunzehnjährige Freundin, die sich von ihm getrennt hatte,
heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen mit
mindestens 95 Messerstichen, nachdem er sie mit dem Versprechen, nun
endlich seine Schulden bei ihr zu begleichen, nochmals in seine Wohnung
gelockt hatte.
1. Die Begründung, mit der das Landgericht das Vorliegen
erheblich verminderter Schuldfähigkeit verneint hat, begegnet
durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sie leidet an
Erörterungsmängeln.
Die sachverständig beratene Strafkammer setzt sich bei der
Prüfung der Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht
vertieft mit der Persönlichkeit des Angeklagten und dessen
Werdegang auseinander. Zusammenfassend beurteilt sie den
hochintelligenten, aber leistungsunwilligen, zum Zeitpunkt der Tat
fünfundzwanzigjährigen Angeklagten wie folgt:
Insgesamt habe sich die Persönlichkeit des Angeklagten bei den
psychologischen Testversuchen durch unreife Züge
ausgezeichnet, die in Richtung einer
Persönlichkeitsstörung gehen könnten. Die
vorhandene Affekt- und Antriebslage bringe Mißstimmungen und
Unbehagen mit sich, weshalb eine Affinität bestehen
könne, Abhilfe in toxischer Erleichterung zu suchen. ..." Eine
erhebliche Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens des
Angeklagten komme letztlich nur beim Hinzutreten einer enthemmend
wirkenden Substanz in Betracht....". Letzteres sowie eine
Affekthandlung schließt die Strafkammer für den
Zeitpunkt des Beginns der Tat aus. Erst im Zuge der Tatbegehung
könne es zu einer Affektentladung gekommen sein.
Ob eine schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne der
§§ 20, 21 StGB vorliegt, hat der Tatrichter auf der
Grundlage einer Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des
Angeklagten, seiner Entwicklung sowie der Tat und dem Nachtatgeschehen
zu beurteilen (vgl. BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 26
und 37; BGH NStZ 1994, 75; BGH NStZ 2001, 243; BGH, Urteil vom 27. Juni
2001, 1 StR 179/01; BGH, Beschluß vom 28. November 2001, 5
StR 434/01). Die Darlegungen der Strafkammer zu der Frage, ob der
Angeklagte unter einer Persönlichkeitsstörung mit dem
Gewicht einer schweren anderen seelischen Abartigkeit leidet, lassen
schon diese gebotene Gesamtschau von
Täterpersönlichkeit und Tat vermissen. Vor allem aber
bleibt die Affinität des Angeklagten zu Gewalt und Tod, wie
sie in Handlungen und Äußerungen zu Tage tritt,
völlig außer Betracht. An verschiedenen Stellen des
Urteils finden sich hierzu folgende Feststellungen:
Im Jahre 1994 ließ sich der Angeklagte ein Kätzchen
schenken und tötete es, nach Meinung einer Freundin, weil ihm
das Spaß machte. Später habe er, so eine andere
Zeugin, seinen Vogel ohne Grund getötet. Außerdem
liebe er Horrorfilme und realistische Darstellungen von
Sterbevorgängen. Weiter brüstete er sich Zeugen
gegenüber - wohl weitgehend ohne realen Hintergrund - damit,
er habe während eines Urlaubs in der Türkei einen
Menschen die Treppe hinabgestürzt und getötet, im
Bestattungsunternehmen seines Großvaters in Amerika mit
Leichen gearbeitet, im Kreiskrankenhaus in A. an Sektionen teilgenommen
und von 1994 bis 1997 in P. als Obduktionshelfer gearbeitet. Von der
US-Army sei er nicht als Wachmann angenommen worden, da er als extrem
gewalttätig eingestuft worden sei. Schließlich hat
der Angeklagte während seiner Tätigkeit in einer
Videothek dort Mäuse gefangen, mit einem Teppichmesser
aufgeschnitten, gehäutet und zuletzt vielfach mit dem Auto
überfahren.
Eine umfassende, vertiefte Auseinandersetzung mit der
Persönlichkeit des Angeklagten hätte
möglicherweise zu einer anderen Beurteilung der
Schuldfähigkeit des Angeklagten geführt. Dies zwingt
zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs mit den Feststellungen hierzu.
Da zudem nicht völlig auszuschließen ist,
daß neue Erkenntnisse zur inneren Verfassung des Angeklagten
auch die Bewertung der subjektiven Tatseite des Angeklagten
bezüglich der Mordmerkmale "heimtückisch" und "aus
niedrigen Beweggründen" beeinflussen können, hat auch
der Schuldspruch keinen Bestand. Die rechtsfehlerfrei getroffenen
Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bleiben
dagegen aufrecht erhalten.
Sollte die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer aufgrund der
neuen Verhandlung - unter Heranziehung eines anderen
Sachverständigen - das sichere Vorliegen einer erheblich
verminderten Schuldfähigkeit für feststellbar
erachten, so steht das Verschlechterungsverbot der Unterbringung des
Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) -
sollten die Voraussetzungen im übrigen gegeben sein - nicht
entgegen (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO).
2. Auf die Rüge der Verletzung des § 265 StPO bzw.
eines Verstoßes gegen das Gebot eines fairen Verfahrens durch
ein "Überraschungsurteil" mangels tatsächlichen und
rechtlichen Hinweises seitens des Gerichts auf die Möglichkeit
eines Ausspruchs zur besonderen Schuldschwere im Sinne von §
57a Abs. 1 Nr. 2 StGB kommt es nicht mehr an.
Der Senat neigt aber dazu, daß dem Angeklagten mindestens aus
dem Gang der Hauptverhandlung klar werden muß, daß
das Gericht die Annahme besonders schwerer Schuld erwägt
(anders Senat in BGH NJW 1996, 3285).
III.
Im übrigen hat die Überprüfung des Urteils
auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil
des Angeklagten ergeben.
Schäfer Nack Boetticher Schluckebier Hebenstreit
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