BGH,
Beschl. v. 10.7.2008 - 5 StR 253/08
5 StR 253/08
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 10. Juli 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Juli 2008
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Frankfurt (Oder) vom 20. Dezember 2007 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben, soweit er
verurteilt worden ist. Ausgenommen hiervon sind die Feststellungen zum
objektiven Tatgeschehen, die bestehen bleiben; insoweit wird die
weitergehende Revision nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit
mit schwerem sexuellem Missbrauch eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe
von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihn im
Übrigen freigesprochen. Außerdem hat es seine
Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß
§ 66 Abs. 3 Satz 2 StGB angeordnet. Die Revision des
Angeklagten hat mit der Sachrüge weitgehend Erfolg.
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1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
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Der Angeklagte zeigte bereits im Kindesalter hirnorganisch bedingte
Verhaltensauffälligkeiten. Der Versuch, ihn eine Sonderschule
absolvieren zu lassen, scheiterte nach zwei Jahren. Nachdem er seine
Jugend in Heimen
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und psychiatrischen Krankenhäusern verbracht hatte, gewann er
als Erwachsener zunehmend an Selbstständigkeit. Er erwarb
einfache Kompetenzen in der Lebensgestaltung. Durch Urteil des
Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 3. November 2004 wurde er wegen
sexueller Nötigung in Tateinheit mit Diebstahl zu einer
Freiheitsstrafe von zwei Jahren mit Strafaussetzung zur
Bewährung verurteilt.
Am 12. Januar 2007 bot der Angeklagte dem 13 Jahre alten D. L. an, bei
ihm bleiben zu können, statt in das von dem Jungen bewohnte
Heim zurückzukehren. D. ließ sich gerne hierauf ein.
Als der Angeklagte ihn abends umarmte und streichelte, fand er dies
zwar ungewöhnlich, sagte aber nichts. Am darauffolgenden Abend
massierte er dem Angeklagten auf dessen Bitte den Rücken. Der
Angeklagte entkleidete ihn, drehte ihn auf den Bauch und setzte sich
mit den Knien auf die Handflächen des Jungen. In dieser
Stellung vollzog er mit ihm den Analverkehr. D. L. hatte versucht, sich
gegen den Angeklagten zu stemmen, dies allerdings aufgegeben, als er
die Nutzlosigkeit der Gegenwehr erkannte. Einen Tag darauf kehrte der
Junge in sein Heim zurück.
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Das Landgericht ist mit sachverständiger Beratung von einer
leichten Intelligenzminderung in Verbindung mit „unzureichend
entwickelten sittlichen und sozialen Kompetenzen“ des
Angeklagten ausgegangen, was seine Schuldfähigkeit jedoch
unberührt lasse. Er kenne das Verbot sexueller Handlungen an
Kindern und wisse, dass er sexuelle Bedürfnisse nicht mit
Gewalt durchsetzen dürfe. Er sei „in der Lage, bei
klar ersichtlicher Abwehr des Betroffenen sich hinsichtlich seines
Sexualverhaltens zu steuern“ (UA S. 29).
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Zu einem weiteren angeklagten Tatvorwurf hat das Landgericht
festgestellt, dass der Angeklagte im Frühjahr 2005 den 19
Jahre alten T. N. , der sich auf sein Geheiß ausgezogen
hatte, mit der Hand gegen die Rückenlehne der Couch
drückte und diese Stellung zum Analverkehr ausnutzte. Als T.
N. sagte, dass er dies nicht wolle und Schmerzen
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habe, entgegnete der Angeklagte, es sei gleich vorbei. Im Anschluss an
die Sachverständige konnte das Landgericht in diesem Fall
jedoch nicht ausschließen, dass „die
Hemmungsfähigkeit des Angeklagten in der Tatsituation
gemindert“ war, da er „vor dem Hintergrund seiner
sozialsexuellen Fehlentwicklung und Minderbegabung in
Abfälschung der realen Situation das Verhalten des Zeugen
fehlgedeutet haben könnte“ (UA S. 29). Unter
Beachtung der Biographie des Angeklagten, des Grades seiner erworbenen
sozialen Kompetenzen und der bei ihm vorhandenen leichten
Intelligenzminderung könne nicht ausgeschlossen werden, dass
der Angeklagte die von dem Zeugen N. geäußerte
Ablehnung seiner Handlung nicht als solche erkannt habe. Um die
Rechtswidrigkeit seiner Handlung zu erkennen, benötige er
„klare Ansagen“ seines Gegenübers (UA S.
30 f.). Das Landgericht hat ihn deswegen insoweit „mangels
Vorsatzes“ freigesprochen.
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2. Der Schuldspruch, vor allem die Beurteilung der
Schuldfähigkeit durch das Landgericht, begegnet
durchgreifenden Bedenken.
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a) So lässt sich den Urteilsfeststellungen - insbesondere vor
dem Hintergrund der Feststellungen der Strafkammer zu den
Gründen eines Fehlens des Vorsatzes des Angeklagten im Fall N.
- schon nicht hinreichend sicher entnehmen, dass der Angeklagte die
Tatbestandsmerkmale des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB im Fall L.
vorsätzlich verwirklicht hat. Denn ob er die geleistete
Gegenwehr und damit den entgegenstehenden Willen des D. L. erkannt hat,
bleibt gerade auch im Hinblick auf das Tatvorgeschehen zweifelhaft. Das
Maß der Widerstandshandlung ist zudem so unbestimmt, dass
hieraus nicht ohne weiteres auf ein Erkennen des entgegenstehenden
Willens des Jungen und damit auf ein bewusst gewaltsames
Überwinden von dessen Widerstand durch den Angeklagten
geschlossen werden kann.
b) Die Darlegungen zur uneingeschränkten
Schuldfähigkeit des Angeklagten sind lückenhaft und
stehen in Widerspruch zu der Beurteilung der
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subjektiven Strafbarkeitsvoraussetzungen für das Geschehen,
weswegen der Angeklagte freigesprochen worden ist.
Soweit das Landgericht insoweit aus einer verminderten
Steuerungsfähigkeit auf eine eingeschränkte
Wahrnehmung des realen Sachverhalts und damit auf den fehlenden
subjektiven Tatbestand schließt, ist dies im Hinblick auf die
Vermengung von Kriterien des Vorsatzes und der Schuld einerseits sowie
der Schuldelemente Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit
andererseits kaum nachvollziehbar, beschwert den Angeklagten hingegen
nicht. Aus den Darlegungen zu diesem Tatkomplex ergeben sich aber
Anhaltspunkte hinsichtlich der geistig-seelischen Verfassung des
Angeklagten, die zu einer besonders sorgfältigen
Erörterung der Schuldfähigkeit bei dem Geschehen,
weswegen er verurteilt worden ist, gedrängt hätten.
Dies gilt gerade auch vor dem Hintergrund der zahlreichen
Auffälligkeiten im Werdegang des Angeklagten, die sich mit der
vom Landgericht festgestellten Störungsintensität
ohne weitere Darlegungen nur unzureichend erklären lassen.
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So hätte es näherer Erörterung bedurft,
wieso der Angeklagte bei der Tat zum Nachteil des D. L.
uneingeschränkt schuldfähig gewesen sein soll, jedoch
bei dem Geschehen zum Nachteil des T. N. in seiner
„Hemmungsfähigkeit“ eingeschränkt
war. Konstellative Faktoren, die diese abweichende Beurteilung der
Schuldfähigkeit hätten erklären
können, sind nicht ersichtlich. Der Umstand, dass der
Angeklagte aufgrund seines psychischen Zustands die
ausdrücklich geäußerte Ablehnung T. N. s
nicht als solche erkennen konnte, hätte aber schon die Pflicht
zu einer eingehenderen Prüfung der Einsichtsfähigkeit
bei der Tat zu Lasten D. L. - auch soweit der vom Willen des
Geschädigten unabhängige Tatbestand des §
176a Abs. 2 Nr. 1 StGB betroffen ist - begründet. Denn die
insoweit differierende Würdigung beider Taten wird von den
jeweils mitgeteilten Sachverhaltsumständen nicht getragen.
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Die Aufhebung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung des gesamten
Rechtsfolgenausspruchs nach sich.
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3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin,
dass auch die Anordnung der Maßregel revisionsgerichtlicher
Prüfung nicht standgehalten hätte.
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a) Schon die Ausführungen zum Vorliegen eines Hanges im Sinne
des § 66 StGB sind nicht bedenkenfrei. Das Landgericht
stützt sich bei der Annahme eines fest eingeschliffenen
Zustands des Angeklagten, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen
lässt, auch auf das Geschehen, weswegen es ihn freigesprochen
hat. Wenn das Landgericht aber von einem vorsatzlosen Handeln des
Angeklagten insoweit ausgeht, so ist es widersprüchlich,
dieses Geschehen als „Indikator des Hanges“
anzusehen, da es die „Bereitschaft des Angeklagten“
zur „gewaltsamen Durchsetzung seiner sexuellen
Bedürfnisse“ zeige. Denn wenn der Angeklagte von der
Einverständlichkeit sexueller Handlungen ausgegangen ist, so
hatte er keinen Anlass, diese gewaltsam durchzusetzen.
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b) Zudem entbehrt die Ermessensentscheidung aus § 66 Abs. 3
Satz 2 StGB einer tragfähigen Begründung. Ordnet das
Tatgericht die Unterbringung nach § 66 Abs. 3 StGB an, so
müssen die Urteilsgründe nicht nur erkennen lassen,
dass es sich seiner Entscheidungsbefugnis bewusst war, sie
müssen auch darlegen, aus welchen Gründen es von ihr
in einer bestimmten Weise Gebrauch gemacht hat (BGHR StGB § 66
Abs. 2 Ermessensentscheidung 4 und 5; BGH NStZ-RR 2004, 12). Nur so ist
dem Revisi-onsgericht die - eingeschränkte (vgl. BGH NStZ
1999, 473) - Nachprüfung der tatrichterlichen
Ermessensentscheidung möglich. An solchen Darlegungen fehlt es
hier.
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So lassen die Urteilsgründe schon nicht erkennen, dass sich
das Landgericht seines Ermessens hinsichtlich der Anordnung der
Maßregel be-
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wusst war. Es beschränkt sich vielmehr auf die Feststellung
eines Hanges und die zum Zeitpunkt des Urteils ungünstige
Prognose. Die Wirkungen eines mehrjährigen Strafvollzugs sowie
die mit dem Fortschreiten des Lebensalters
erfahrungsgemäß eintretenden
Haltungsänderungen - wichtige Kriterien, die bei einer
Ermessensentscheidung zu berücksichtigen gewesen
wären (BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 3
und 6; BGH StV 2005, 129) - bezieht es in die gebotene
Gesamtwürdigung nicht mit ein, sondern überantwortet
dies ausdrücklich allein der für die
Nachtragsentscheidungen zuständigen Strafvollstreckungskammer.
Auch lassen die Urteilsgründe eine hinreichende
Auseinandersetzung mit solchen Umständen vermissen, die
geeignet sind, die vom Angeklagten ausgehende Gefährlichkeit
in einem milderen Licht erscheinen zu lassen. So wäre zu
erörtern gewesen, dass die im Sinne des § 66 Abs. 3
Satz 2 StGB verwirkte Strafe aus der Vorverurteilung (vgl. BGHR StGB
§ 66 Abs. 3 Katalogtat 1; BGH NStZ 2007, 212; BGH NStZ 2006,
156, 158) - deren Höhe die Anordnungsvoraussetzungen des
§ 66 Abs. 3 Satz 2 StGB erreicht, aber nicht
überschreitet - aufgrund besonderer Umstände im Sinne
des § 56 Abs. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt worden
ist. Zudem hätte auch der Umstand, dass diese Vorverurteilung
wegen einer tateinheitlichen Verwirklichung einer Katalogtat und einer
Nichtkatalogtat erfolgte (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 3
Katalogtat 1), zu einer besonders sorgfältigen
Prüfung und Darlegung der Anordnungsvoraussetzungen
gedrängt.
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4. Sollte das neue Tatgericht - naheliegend unter Heranziehung eines
weiteren Sachverständigen - abermals einen Hang im Sinne des
§ 66 StGB annehmen, so wird es zu prüfen haben, ob
dieser auf Umstände zurückgeht, die zumindest die
Voraussetzungen des § 21 StGB bei der Tat sicher
begründen. In diesem Falle wäre die Unterbringung
nach § 63 StGB vorrangig und deren alleinige Anordnung im
Regelfall ausreichend (BGHR StGB § 72 Sicherungszweck 6; BGH
NStZ 2003, 310).
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Sollten sich Anhaltspunkte für eine erhebliche Verminderung
der Einsichtsfähigkeit ergeben, so wird zu beachten sein, dass
es darauf ankommt, ob der Angeklagte das Unerlaubte seines Tuns dennoch
erkannt hat, so dass die Anwendung des § 21 StGB
ausgeschlossen ist. Denn die Schuld des Täters wird nicht
gemindert, wenn er trotz erheblich verminderter
Einsichtsfähigkeit das Unrecht tatsächlich eingesehen
hat (BGHSt 40, 341, 349; 34, 22, 25 ff.; BGHR StGB § 21
Einsichtsfähigkeit 1). Auch eine Unterbringung nach §
63 StGB scheidet dann aus. Fehlt dem Täter dagegen die
Einsicht aus einem in § 20 StGB bezeichneten Grund, ohne dass
ihm dies zum Vorwurf gemacht werden kann, so ist § 20 StGB
anwendbar (BGHSt 40, 341, 349; BGHR StGB § 21
Einsichtsfähigkeit 2 bis 5; BGH, Beschluss vom 15. Februar
2008 - 2 StR 22/08; zur Vorwerfbarkeit vgl. BGHSt 40, 341, 349).
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