BGH,
Beschl. v. 10.5.2000 - 1 StR 109/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 109/00
vom
10. Mai 2000
in der Strafsache gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Mai 2000
gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Stuttgart vom 26. November 1999 mit den zugehörigen
Feststellungen aufgehoben, soweit es den Vorwegvollzug der
Freiheitsstrafe vor der Maßregel (Unterbringung in einer
Entziehungsanstalt) anordnet.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer
räuberischer Erpressung in zwei Fällen sowie wegen
unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit
Betäubungsmitteln zur Gesamtfreiheitsstrafe von fünf
Jahren und sechs Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einer
Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, daß die Strafe
vor der Maßregel zu vollziehen ist. Die allein gegen die
Anordnung des Vorwegvollzuges der Strafe gerichtete Revision des
Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
Die vom Landgericht gemäß § 67 Abs. 2 StGB
angeordnete Vollstreckungsreihenfolge ist rechtsfehlerhaft. Die
gegebene Begründung trägt den angeordneten
Vorwegvollzug der Strafe nicht. Die Auffassung der Strafkammer, der
Therapieerfolg werde auf diese Weise leichter erreicht, ist nicht
hinreichend substantiiert belegt; erhebliche Gesichtspunkte sind nicht
gewürdigt.
1. Richtschnur für die Frage des Vorwegvollzuges der Strafe
ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes
das Rehabilitationsinteresse des Verurteilten (BGHR StGB § 67
Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser 11). Nach der Grundentscheidung des
Gesetzgebers in § 67 Abs. 1 StGB soll möglichst
umgehend mit der Behandlung des süchtigen oder kranken
Rechtsbrechers begonnen werden, weil dies am ehesten einen dauerhaften
Erfolg verspricht (BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug,
teilweiser 4, 12). Gerade bei längerer Strafdauer
muß es darum gehen, den Angeklagten frühzeitig von
seinem Hang zu befreien, damit er im Strafvollzug an der Verwirklichung
des Vollzugszieles arbeiten kann (BGHSt 37, 160, 162; BGHR StGB
§ 67 Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser 12). Eine Abweichung von
der Regelabfolge des Vollzuges bedarf eingehender Begründung
(BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser 10). Steht zu
besorgen, daß der an die Maßregel
anschließende Strafvollzug den Maßregelerfolg
wieder zunichte machen könnte, so müssen
dafür überzeugende Gründe vorliegen (BGH
NStZ 1986, 428; BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug 7,
Vorwegvollzug, teilweiser 13).
2. Diesen Anforderungen wird die hier vom Landgericht bestimmte
Ausnahme nicht gerecht. Die Kammer meint, der Angeklagte müsse
zunächst seine ablehnende Haltung gegen eine Unterbringung in
einer Entziehungsanstalt aufgeben. Dem könnte indes schon die
Feststellung entgegenstehen, daß der Angeklagte Einsicht in
die Notwendigkeit einer Behandlung zeigt und diese selbst - wenn auch
in einer freien Einrichtung - bereits angebahnt hatte. Das Landgericht
hat zudem eingehend die konkrete Aussicht eines Therapieerfolges
dargelegt und hervorgehoben, es lägen keine einer Therapie
entgegenstehende erhebliche
Persönlichkeitsveränderungen oder spezifische
Grunderkrankungen vor; der Angeklagte sei "ohne ausgeprägte
kriminelle Identifika-
tion", intellektuell ausreichend ausgestattet sowie beziehungs- und
gruppenfähig.
Dessen ungeachtet hat sich die Strafkammer gleichwohl der Auffassung
des Sachverständigen angeschlossen, derzufolge die Motivation
des Angeklagten zur Therapie beeinträchtigt sei, wenn hernach
"noch Strafe abzusitzen sei". Ein solcher, späterer Vollzug
sei für den Therapieerfolg kontraproduktiv.
Diese Bewertung des Sachverständigen hätte - wollte
das Landgericht ihr folgen - näherer Darlegung und der
Mitteilung der entsprechenden Anknüpfungstatsachen bedurft.
Daran fehlt es. Konkret nachvollziehbare Gründe, warum ein
anschließender Strafvollzug den Maßregelvollzug
gefährden und wie sich dies auf den Angeklagten auswirken
könnte, sind nicht erkennbar (vgl. zu den Anforderungen BGH
NStZ 1986, 428). Im übrigen ist der Tatrichter unbeschadet der
Auffassung des Sachverständigen an die gesetzliche Regelung
gebunden (BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug 7).
Die Kammer hätte im Rahmen der erforderlichen
Würdigung auch zu bedenken gehabt, daß eine
vorhandene Therapiebereitschaft während des Vorwegvollzuges
der Strafe wieder zerstört werden kann (BGHR StGB §
67 Abs. 2 Zweckerreichung, leichtere 10; Vorwegvollzug, teilweiser 12).
Auch der Umstand, daß sich der Angeklagte schon seit
längerer Zeit in - anzurechnender - Untersuchungshaft
befindet, wäre zu berücksichtigen gewesen.
Schließlich konnte nicht außer acht bleiben,
daß eine vom Landgericht ins Auge gefaßte
spätere Vorgehensweise nach § 35 Abs. 2 Nr. 2 BtMG
auch möglich ist, wenn die Unterbringung in einer
Entziehungsanstalt ohne die Umkehr der vom Gesetzgeber als Regelfall
vorgesehenen Reihenfolge des Vollzuges angeordnet wird (BGH NStZ 1984,
573; BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser 6). Die
Begründung des Landgerichts krankt weiter daran, daß
es auf der Grundlage seiner Auffassung nicht die Möglichkeit
eines lediglich teilweisen Vorwegvollzuges der Strafe geprüft
hat.
Nach allem muß deshalb über die
Vollstreckungsreihenfolge neu entschieden werden.
Schäfer Maul Wahl
Boetticher Schluckebier |