BGH,
Beschl. v. 10.10.2007 - 5 StR 376/07
5 StR 376/07
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
10.10.2007
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10.10.2007
beschlossen:
1. Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Landgerichts
Dresden vom 23. April 2007 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den
Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
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Das Landgericht hat die nachträgliche Unterbringung des
Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gemäß
§ 66b Abs. 2 StGB angeordnet. Hiergegen richtet sich die
Revision des Verurteilten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts
beanstandet. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Das Landgericht ist bereits rechtsfehlerhaft vom Vorliegen der
formellen Voraussetzungen des § 66b Abs. 2 StGB ausgegangen.
Der Verurteilte ist vom Landgericht Dresden am 27. August 1999 wegen
vierer Verbrechen (jeweils schwerer sexueller Missbrauch von Kindern in
Tateinheit mit einem Vergehen) und wegen 21 Vergehen (jeweils sexueller
Missbrauch von Kindern teilweise in Tateinheit mit einem weiteren
Vergehen) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt
worden. Die hypothetische Gesamtstrafe (vgl. BGHSt 48, 100, 103;
Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 66b Rdn. 11a) von
fünf Jahren wegen Katalogtaten nach § 66b Abs. 2 Satz
1 StGB hat das Landgericht nunmehr aber nicht nur aufgrund der
Einzelstrafen für die Verbrechen gebildet, sondern auch die
Einzelstrafen für fünf Taten des sexuellen
Missbrauchs von Kindern im besonders schweren Fall (§ 176
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Abs. 3 StGB a. F.) einbezogen, dabei freilich nicht beachtet, dass
gemäß § 12 Abs. 3 StGB das Vorliegen eines
Regelbeispiels und die damit mögliche Strafrahmenverschiebung
die Einordnung als Vergehen unberührt lässt.
Angesichts der für die Verbrechen verhängten
Einzelfreiheitsstrafen von nicht mehr als zwei Jahren und neun Monaten
und der gebotenen restriktiven Auslegung versteht es sich nicht von
selbst, dass bei Wegfall der Einzelstrafen für
Nicht-Katalogtaten die Gesamtfreiheitsstrafe jedenfalls fünf
Jahre betragen hätte.
2. Zudem sind neue Tatsachen, die erst nach der Verurteilung erkennbar
geworden sind und auf eine erhebliche Gefährlichkeit
hinweisen, nicht tragfähig festgestellt.
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a) Soweit die Strafkammer die nunmehr gestellte Diagnose einer
gefestigten und genuinen Pädophilie, die prognostisch
ungünstig mit einer dissozialnarzistischen
Persönlichkeit kombiniert sei, als neue Tatsache im Sinne des
§ 66b StGB wertet, legt sie nicht hinreichend dar, wieso diese
Eigenschaften des Verurteilten und die hieraus resultierende
Gefährlichkeit nicht schon bei der Anlassverurteilung
erkennbar waren. Denn auch solche neu hervorgetretenen
Umstände, die schon für den früheren
Tatrichter bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt mit Blick auf
§ 244 Abs. 2 StPO erkennbar waren, sind nicht neu im Sinne des
§ 66b StGB (BGHSt 50, 275, 278; 373, 379).
Bei der Anlassverurteilung ist festgestellt worden, dass sich der
Verurteilte bereits seit seinem 21. Lebensjahr vom Anblick nackt
badender junger Mädchen im
„frühpubertären Alter“ sexuell
stimulieren ließ, er sein „pädophiles
Interesse an kinderpornographischen Schriften“ seit 1989 bzw.
1990 verfolgte, seit 1992 an FKK-Stränden heimliche Aufnahmen
von Kindern machte und seit 1994 Fahrten nach Tschechien unternahm, um
dort pornographische Darstellungen von Kindern herstellen zu
können, wobei es zwischen 1995 und 1998 zu den abgeurteilten,
sich in ihrer Intensität steigernden Straf-
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taten kam. Trotz dieser zahlreichen Anknüpfungstatsachen ist
der Verurteilte nicht psychiatrisch untersucht worden. Angesichts der
Auffälligkeiten wäre indes die Hinzuziehung eines
Sachverständigen zur Aufklärung, ob eine
Maßregel nach §§ 66, 66a StGB anzuordnen
ist, geboten gewesen. Dass ein damals bestellter
Sachverständiger - wie das Landgericht meint - die
Pädo-philie und die Persönlichkeitsakzentuierung
nicht festgestellt haben würde, ist nicht nachvollziehbar
belegt. Der Umstand, dass die Anstaltspsychologen während des
Vollzuges der Freiheitsstrafe nicht davon ausgingen, der Verurteilte
sei „kernpädophil“, lässt keine
Rückschlüsse auf die Erkenntnismöglichkeiten
eines psychiatrischen Sachverständigen zu. Dies gilt vor
allem, da die Diagnosemethoden eines forensisch tätigen
Psychiaters (vgl. insoweit Boetticher/Nedopil/Bosinski/Saß
NStZ 2005, 57) der vom Landgericht festgestellten Arbeitsweise der
Anstaltspsychologen (UA S. 49) nicht ähnlich erscheinen. Zudem
hat auch das frühere Tatgericht ohne sachverständige
Beratung immerhin feststellen können, dass der Angeklagte von
„vorherrschenden pädophilen Neigungen in der Tatzeit
zunehmend vereinnahmt“ wurde. Dass einem psychiatrischen
Sachverständigen auf dieser Tatsachengrundlage eine
sachverständige Diagnose der Pädophilie und der
Persönlichkeitsakzentuierung nicht möglich gewesen
wäre, ist danach eher fernliegend. Denn auch die für
die aktuelle Diagnose mitgeteilten maßgeblichen
Anknüpfungstatsachen waren damals schon bekannt. Dass diese
erstmals im Verfahren nach § 66b StGB der
sachverständigen Bewertung unterbreitet wurden, ist
demgegenüber ohne Belang (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 302; NStZ
2006, 276, 278).
b) Auch die mangelhafte Mitarbeit in der sozial-therapeutischen
Einrichtung stellt keine neue Tatsache im Sinne des § 66b Abs.
1 StGB dar. Zwar kann in der Verweigerung oder dem Abbruch einer
Therapie eine solche Tatsache liegen, wenn auch dieser Umstand allein
für die Anordnung einer nachträglichen
Sicherungsverwahrung grundsätzlich nicht genügt
(BGHSt 50, 121, 126; BGH NStZ 2005, 561, 562). Die Therapieverweigerung
kann allerdings nur dann als berücksichtigungsfähige
neue Tatsache ange-
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sehen werden, wenn das früher zuständige Tatgericht
zum Zeitpunkt seiner Verurteilung begründet annehmen konnte,
der Verurteilte werde sich einer Therapie unterziehen (BGHSt 50, 275,
281; BGH NStZ-RR 2006, 302). Daran fehlt es hier. Denn bei der
Anlassverurteilung ist das Tatgericht zwar von einem Ansatz zur
Therapiebereitschaft ausgegangen. Dies hat sich allerdings allein auf
der Darstellung des Angeklagten gegründet, er sei eine
„rati-onal bestimmte Persönlichkeit mit einem
starken Willen“ und er sei überzeugt, durch seinen
starken Willen die pädophilen Neigungen überwinden zu
können, er bitte aber um psychologische
Unterstützung. Das frühere Tatgericht durfte nicht
aufgrund dieser Tatsachen von einer erfolgversprechenden
Therapiemöglichkeit ausgehen und etwa deshalb keine
Sicherungsverwahrung anordnen.
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c) Schließlich stellen auch die Äußerungen
des Verurteilten, er werde in Zukunft von
„Zigeunermädchen“ in Rumänien
pornographische Aufnahmen fertigen, keine neuen Tatsachen dar, da sich
hierin nur die schon damals erkennbare Wiederholungsgefahr
manifestiert. Soweit das Landgericht eine Steigerung gegenüber
seiner bisherigen Taten durch sadistische Gewalt befürchtet,
handelt es sich um eine bislang durch nichts belegte Vermutung und
damit um keinen Umstand, dem die erforderliche erhebliche Indizwirkung
für eine solche Bereitschaft und damit für die
Gefährlichkeit des Verurteilten zukommt.
3. Der Senat sieht davon ab, in der Sache selbst zu entscheiden, da er
es zwar für fernliegend, aber nicht sicher
ausschließbar erachtet, dass die aktuelle psychiatrische
Beurteilung etwa doch auf früher nicht erkennbaren erheblichen
neuen Anknüpfungstatsachen beruht. Das Landgericht ist bisher
dieser Frage bezogen auf einzelne Anknüpfungstatsachen nicht
vertieft unter Darlegung der sachverständigen Bewertung
nachgegangen.
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Der neue Tatrichter wird das Verfahren angesichts der andauernden
vorläufigen Unterbringung besonders zügig zu
bearbeiten haben. Es wird zu beachten sein, dass § 66b StGB
nicht der Korrektur rechtsfehlerhafter früherer Entscheidungen
dient (BVerfG - Kammer - NJW 2006, 3483; BGHSt 50, 373, 379), mithin
die damals wie auch heute vorliegende außerordentlich hohe
Wahrscheinlichkeit für die Begehung durchaus erheblicher neuer
Sexualdelikte zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen nicht alleinige
Grundlage für die nachträgliche Sicherungsverwahrung
sein kann. Ein auch von der Staatsanwaltschaft rechtsfehlerhaft
vorschnell akzeptiertes Absehen von der Anordnung der
Sicherungsverwahrung bei der Anlassverurteilung kann nicht durch die
Anwendung von § 66b StGB revidiert werden.
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Basdorf Häger Gerhardt
Brause Jäger |