BGH,
Beschl. v. 10.9.2003 - 5 StR 373/03
5 StR 373/03
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
10.09.2003
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10.09.2003
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Cottbus vom 18. Dezember 2002 nach
§ 349 Abs. 4 StPO
a) im Schuldspruch dahin abgeändert, daß der
Angeklagte
des Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) schuldig
ist,
b) im Strafausspruch aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO
als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten der
Revision, an eine andere Schwurgerichtskammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger
Freiheitsstrafe verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der
Sachrüge
den aus dem Beschlußtenor ersichtlichen Teilerfolg.
1. Das Opfer der im November 2001 begangenen Tat war die
Lebensgefährtin
und Mutter der Kinder des Angeklagten. Das aus China stammende
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Paar war 1996 nach Deutschland ausgereist, um der repressiven
chinesischen
Familienpolitik zu entfliehen und ein besseres wirtschaftliches Leben
führen zu können. Der Angeklagte tötete die
Frau nach einem Streit in ihrer
Wohnung durch eine Vielzahl gegen Kopf und Hals des Opfers
geführter heftiger
Schläge mit einem Hackmesser und durch einen Messerstich in den
Hals in Gegenwart der fünfjährigen Tochter nach
zwischenzeitlicher Abwehr
hilfsbereiter Nachbarn. Anders als der Angeklagte hatte sich die Frau in
Deutschland gut eingelebt, hatte sich indes von dem zwischenzeitlich
wiederholt
inhaftierten Angeklagten entfremdet und einem Deutschen zugewandt,
den sie heiraten wollte. Da der Angeklagte der Frau die Schuld
für
sein erfolgloses Leben gab, wollte er sie, nachdem sie es bei dem
vorangegangenen
Streit auch noch gewagt hatte, sich gegen ihn aufzulehnen, mit
dem Tode bestrafen.
Der Angeklagte war bei Begehung der Tat in seiner
Steuerungsfähigkeit
nicht erheblich beeinträchtigt. Nach der Begutachtung durch
den psychiatrischen
Sachverständigen begründeten seine geringe geistige
Mobilität
und seine dissozialnarzißtische
Persönlichkeitsstruktur noch keine schwere
seelische Abartigkeit; eine affektive Erregung vom Grade einer
tiefgreifenden
Bewußtseinsstörung, welche die
Hemmungsfähigkeit erheblich herabgesetzt
hätte, hat das Schwurgericht ebenfalls verneint.
2. Die Sachverhaltsfeststellungen des Schwurgerichts und seine
Wertung, daß der Angeklagte seine Partnerin rechtswidrig und
uneingeschränkt
schuldfähig vorsätzlich getötet hat, sind
sachlich-rechtlich nicht zu
beanstanden. Auch die Verfahrensrüge, mit der die Vernehmung
eines weiteren
psychiatrischen Sachverständigen erstrebt wird, ist
unbegründet (§ 349
Abs. 2 StPO).
3. Indes hat die Annahme eines Mordes aus niedrigen
Beweggründen
keinen Bestand.
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Wut und Haß des Angeklagten, die sich besonders
augenfällig darin
niederschlugen, daß er seine Tat, mit der er sich
„in maßloser Selbsterhöhung“
zum Richter über sein Opfer erhob, bis in die Hauptverhandlung
guthieß,
enthielten jedenfalls auch eine Komponente der Verzweiflung des
Angeklagten
über seine Lebenssituation. Der seinerseits
integrationsunfähige
Angeklagte fühlte sich von der Frau im Stich gelassen, nachdem
seine Familie
ihnen beiden mit finanzieller Hilfe die Flucht nach Deutschland
ermöglicht
hatte, wo die Frau nun mit der gemeinsamen Tochter ohne den Angeklagten
mit einem deutschen Partner dauerhaft bleiben wollte. Bei der gegebenen
Sachlage fehlt es jedenfalls an der erforderlichen subjektiven
Komponente
des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe, wonach
unerläßlich ist, daß
dem Täter die Einsicht in die Niedrigkeit seiner
Beweggründe aufgrund seiner
geistig-seelischen Verfassung nicht versperrt ist (vgl. zum Vorstehenden
nur BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 32;
Tröndle/Fischer
StGB 51. Aufl. § 211 Rdn. 10b, 11 bis 12 m. w. N.).
Hierzu verhält sich das Landgericht, das lediglich -
zutreffend - eine
Einschränkung des angenommenen Mordmerkmals mit
Rücksicht auf den
anderen Kulturkreis, aus dem der Angeklagte stammt, ablehnt, nicht
näher.
Dies wäre indes angesichts der Feststellungen zur
geistig-seelischen Befindlichkeit
des Angeklagten bei Begehung der Tat unerläßlich
gewesen. Wenngleich
hierdurch die Voraussetzungen des § 21 StGB noch nicht
begründet
waren, schließt dies die Möglichkeit einer
Einschränkung der subjektiven
Komponente der niedrigen Beweggründe nicht aus.
Deutliche Anhaltspunkte für Zweifel an den erforderlichen
subjektiven
Voraussetzungen des angenommenen Mordmerkmals ergeben sich aus dem
angefochtenen Urteil selbst nicht allein im Zusammenhang mit der
Erörterung
der Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen
über die Persönlichkeitsstruktur
des Angeklagten und seinen Geisteszustand bei Begehung
der Tat. Das Landgericht hat auch das Mordmerkmal der Grausamkeit
mit Rücksicht auf die „emotional
aufgewühlte Gemütsverfassung“ des Ange-
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klagten bei Tatbegehung verneint, die an seinem Bewußtsein
über das Ausmaß
der dem Opfer zugefügten Schmerzen und an der dieses
Mordmerkmal
prägenden unbarmherzigen Gesinnung zweifeln lasse. Zudem
verneint das
Landgericht die Voraussetzungen besonders schwerer Schuld des
Angeklagten
gemäß § 57a StGB ungeachtet der
Tatintensität mit Rücksicht auf die
spontane Auslösung der Tat durch einen Streit und die
begleitende „emotional
aufgewühlte Stimmung“ des Angeklagten.
4. Bei der gegebenen Sachlage schließt der Senat aus,
daß ein neuer
Tatrichter unter gebührender Beachtung der subjektiven
Anforderungen noch
zur Annahme des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe gelangen
könnte. Da auch kein anderes Mordmerkmal in Betracht kommt,
kann der
Senat zum Schuldspruch auf Totschlag durchentscheiden. Ein entsprechend
unterbliebener rechtlicher Hinweis hindert daran nicht; die
Verteidigung ist
bislang durchgehend auch mit dem Ziel geführt worden, eine
Verurteilung nur
wegen Totschlags zu erreichen.
Sämtliche Feststellungen des Schwurgerichts sind
rechtsfehlerfrei zustande
gekommen; ihrer Aufhebung bedarf es nicht. Das neue Tatgericht hat
danach
lediglich die Strafe auf der Grundlage aller bislang getroffenen
Feststellungen,
auch zu den persönlichen Verhältnissen des
Angeklagten, neu zuzumessen.
Es darf dafür allenfalls noch ergänzende
Feststellungen treffen, die
den bisherigen nicht widersprechen. Es hat insbesondere von der
uneingeschränkten
Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Tatbegehung auszugehen
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und wird die neue Strafe dem Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB
zu entnehmen
haben. Denn ungeachtet der Feststellungen zu der die Tat
auslösenden
Streitigkeit liegen die Voraussetzungen der ersten Alternative des
§ 213 StGB jedenfalls deshalb nicht vor, weil der Angeklagte,
wie die Urteilsfeststellungen
in ihrem Zusammenhang eindeutig ergeben, nicht frei von
eigener Schuld an dieser Streitigkeit war.
Harms Häger Basdorf
Gerhardt Schaal |