BGH,
Beschl. v. 11.8.2004 - 3 StR 202/04
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 202/04
vom
11. August 2004
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Brandstiftung u. a.
- 2 -
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der
Beschwerde-
führer und des Generalbundesanwalts - zu 2. a) und 4. auf
dessen Antr ag - am
11. August 2004 gemäß § 349 Abs. 2 und 4
StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten W. wird das Urteil des
Oberlandesgerichts Naumburg vom 16. Dezember 2003, soweit
es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Auf die Revision des Angeklagten H. wird das vorbe-
zeichnete Urteil, soweit es ihn betrifft,
a) im Schuldspruch dahingehend geändert, daß der
Angeklagte
der tateinheitlichen Brandstiftung in zwei vollendeten und
zwei versuchten Fällen schuldig ist;
b) im Strafausspruch aufgehoben.
3. Im Umfang der Aufhebung wir d die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel,
an einen anderen Strafsenat des Oberlandesgerichts zurück-
ver wiesen.
4. Die weiter gehende Revision des Angeklagten H. wird
ver worfen.
Gründe:
Das Oberlandesgericht hat die Angeklagten der Brandstiftung in zwei
Fällen und der versuchten Brandstiftung in zwei weiteren
Fällen schuldig ge-
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sprochen. Es hat gegen den Angeklagten H. auf eine
Gesamtfreiheits-
strafe von zwei Jahren und sechs Monaten sowie gegen den Angeklagten W.
auf eine Jugendstrafe von zwei Jahren erkannt. Mit ihren
Revisionen bean-
standen beide Angeklagten die Verletzung formellen und materiellen
Rechts.
Das Rechtsmittel des Angeklagten W. hat mit einer
Verfahrensrüge in vol-
lem Umfang Erfolg. Die Revision des Angeklagten H.
führt auf die
Sachrüge zur Änderung des Schuldspruchs und zur
Aufhebung des Strafaus-
spruchs.
1. Zutreffend macht der Angeklagte W. geltend, daß
er während
eines wesentlichen Teils der Hauptverhandlung nicht verteidigt war und
daher
der absolute Revisionsgrund gemäß § 338 Nr.
5 i. V. m. § 140 Abs. 1 Nr. 1
StPO gegeben ist.
Durch die Sitzungsniederschrift ist bewiesen (§ 274 StPO),
daß die
Hauptverhandlung gegen den Angeklagten W. im Termin vom 5. November
2003 zeitweise stattgefunden hat, ohne daß einer der beiden
Verteidiger des
Angeklagten im Sitzungssaal anwesend war. Im Protokoll ist dazu
festgehalten,
daß nach Wiederaufr uf der Sache um 9.55 Uhr die
Rechtsanwälte He. und
P. - die beiden Verteidiger des Angeklagten W. - nicht wieder im Sit-
zungssaal erschienen sind. Es wurde sodann zunächst ein
Widerspruch der
Verteidigung gegen die Verlesung und Verwertung bestimmter Urkunden
durch
Gerichtsbeschluß zurückgewiesen; im
Anschluß daran wurde eine Urkunde
verlesen und in Augenschein genommen. Hiernach ver merkt das Protokoll,
daß
Rechtsanwalt P. wieder im Sitzungssaal erschienen ist. Sodann erhob das
Oberlandesgericht bis zur erneuten Unterbrechung der Verhandlung um
11.05 Uhr weitere Urkundenbeweise und nahm Augenscheine ein. Im
Anschluß
an die Unterbrechung vermerkt das Protokoll, daß Rechtsanwalt
He. auch
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nach Wiederaufruf der Sache um 11.38 Uhr nicht wieder im Sitzungssaal
er-
schienen ist. Es wurden weitere Beweise erhoben, bis laut Protokoll
schließlich
auch Rechtsanwalt He. wieder den Sitzungssaal betrat.
Damit ist gemäß §§ 274, 272 Nr. 4
StPO belegt (vgl. Schlüchter in SK-
StPO - Stand Mai 1995 - § 274 Rdn. 6 m. w. N.), daß
der Angeklagte W.
nach Wiederaufruf der Sache um 9.55 Uhr bis zum Wiedererscheinen von
Rechtsanwalt P. nicht verteidigt war und während dieses
Zeitraums mit der
Fortsetzung der Beweisaufnahme ein wesentlicher Teil der
Hauptverhandlung
stattfand. Die Sitzungsniederschrift ist zu diesem Punkt weder
lückenhaft noch
widersprüchlich oder unklar. Der protokollierte
Verfahrensablauf unterscheidet
sich wesentlich von demjenigen, den der 2. Str afsenat des Bundesger
ichtshofs
in seinem Urteil vom 8. August 2001 - 2 StR 504/00 (= NStZ 2002, 270 m.
krit.
Anm. Fezer) zu beurteilen hatte. Der Senat kann daher offen lassen, ob
er der
Ansicht des 2. Strafsenats beitreten könnte, daß bei
dem dortigen Protokollin-
halt der Sitzungsniederschrift keine Beweiskraft für die
Abwesenheit des not-
wendigen Verteidigers zukomme.
Da die zeitweilige Abwesenheit der beiden Verteidiger des Angeklagten
W. aber durch die gesetzlich festgelegte Beweiskraft des
Protokolls bestä-
tigt wird, können die das Gegenteil bezeugenden dienstlichen
Erklärungen der
erkennenden Richter, der Protokollführerin und der
Sitzungsvertreter des Ge-
ner albundesanwalts keine Berücksichtigung finden (vgl. BGH
NStZ 1983, 373;
StV 1986, 287, 288). Zwar haben sich damit auch die für den
Inhalt des Proto-
kolls verantwortlichen Urkundspersonen - der Vorsitzende Richter am
Oberlan-
desgericht sowie die Protokollführerin - von dem Inhalt der
von ihnen unter-
zeichneten Sitzungsniederschrift distanziert. Damit konnte -
unbeschadet des
Umstands, daß eine formelle Ber ichtigung der
Sitzungsniederschrift bisher oh-
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nehin nicht vorgenommen worden ist - dem ursprünglichen
Protokoll indessen
nicht mehr zu Lasten des Angeklagten die Beweiskraft entzogen werden,
nach-
dem dieser die Rüge nach § 338 Nr. 5 StPO erhoben
hatte (vgl. BGHSt 2, 125;
34, 11; BGHR StPO § 274 Beweiskraft 8; BGH NStZ 1992, 49). Den
dies in
Fr age stellenden - nicht entscheidungstragenden - Er wägungen
im Urteil des
2. Strafsenats vom 8. August 2001 ( NStZ 2002, 270, 272; vgl. auch BGHR
StPO § 274 Beweiskraft 22 - 5. Strafsenat) vermag sich der
Senat nicht anzu-
schließen. Sie würden zu einer weitgehenden
Relativierung der Beweiskraft
des Pr otokolls führen und damit dem Zweck des § 274
StPO widerstreiten, die
Prüfung der wesentlichen Förmlichkeiten des
Verfahrensgangs der Tatsachen-
instanz durch das Revisionsgericht zu formalisieren und daher auf die
aus der
Sitzungsniederschrift ersichtlichen Verfahrensvorgänge zu
beschränken.
Die Verurteilung des Angeklagten W. kann daher keinen Bestand
haben.
2. Mit Recht beanstandet der Angeklagte H. , daß
das Oberlan-
desgericht das Konkurrenzverhältnis zwischen den abgeurteilten
vier Brandstif-
tungsdelikten rechtsfehlerhaft beurteilt hat.
Das Oberlandesgericht hat sich davon überzeugt, daß
der Angeklagte
die vier Brandstiftungsdelikte als Mitglied und
Rädelsführer einer terroristi-
schen Ver einigung begangen hat. Es hat eine Verurteilung nach
§ 129 a Abs. 1
Nr. 3 und Abs. 2 StGB i. d. F. des 6. Strafrechtsr eformgesetzes jedoch
deswe-
gen nicht für möglich gehalten, weil dem Angeklagten
der persönliche Strafauf-
hebungsgrund nach § 129 a Abs. 5, § 129 Abs. 6 Halbs.
2 StGB aF zugute zu
halten sei. Dies führt indessen nicht dazu, daß die
klammernde Wirkung des
Organisationsdelikts nach § 129 a Abs. 1 StGB entfiele, durch
welche die vom
Angeklagten in Umsetzung der terroristischen Ziele begangenen, nach der
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Strafandrohung gleichgewichtigen Brandstiftungsdelikte zu Tateinheit
verbun-
den werden (vgl. BGHSt 29, 288, 291 f. m. w. N.). Es gilt hier im
Ergebnis das-
selbe wie in den Fällen, in denen das die anderen Straftaten
zu Tateinheit ver-
klammernde Delikt wegen Fehlens des erforderlichen Str afantrages (vgl.
BGHR StGB § 52 Abs. 1 Klammerwirkung 1 und 2) oder aufgrund
einer Verfah-
rensbeschränkung nach § 154 a StPO (vgl. BGH NStZ
1984, 135; BGHR StPO
§ 52 Abs. 1 Klammerwirkung 3) nicht abgeurteilt werden kann.
Denn der Um-
stand, daß das tatbestandsmäßige, r
echtswidrige und schuldhafte Handeln des
Angeklagten wegen seines später en Ver haltens
gemäß § 129 a Abs. 5, § 129
Abs. 6 Halbs. 2 StGB nicht mehr unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der
Mit-
gliedschaft in einer terroristischen Vereinigung abgeurteilt werden
darf, ändert
nichts dar an, daß die Brandstiftungsdelikte im jeweiligen
Tatzeitpunkt zugleich
mitgliedschaftliche Betätigungsakte nach § 129 a Abs.
1 StGB darstellten und
daher im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB durch dieselbe Handlung
jeweils mehrere
Strafgesetze verwirklicht wurden. Zutreffend weist der
Generalbundesanwalt in
seiner Zuschrift vom 22. Juni 2004 darauf hin, daß
demgegenüber eine nach-
trägliche abweichende Beurteilung des
Konkurrenzverhältnisses dogmatisch
kaum begründbar wäre und bei einer Mehrheit von
Beschuldigten zu schwer
erklär baren Wertungswidersprüchen führen
würde.
Die somit gebotene Änderung des Schuldspruchs führt
zur Aufhebung
des Strafausspruchs. Der Senat vermag nicht sicher
auszuschließen, daß das
Oberlandesgericht bei zutr effender Würdigung des
Konkurrenzverhältnisses
auf eine einheitliche Strafe (§ 52 Abs. 2 Satz 1 StGB) er
kannt hätte, die hinter
der ausgespr ochenen Gesamtfreiheitsstrafe zurückgeblieben
wäre. Insbeson-
der e kann der Senat letztere - entgegen der Auffassung des
Generalbundes-
anwalts - nicht mit der Erwägung als selbständige Fr
eiheitsstrafe aufrechterhal-
ten, die klammernde Wirkung des Organisationsdelikts beruhe auf dem
Hinzu-
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treten zusätzlichen Unrechts und dürfe den
Angeklagten H. daher nicht
privilegieren. Eine derartige Würdigung wär e nicht
damit vereinbar, daß dem
Angeklagten der persönliche Strafaufhebungsgrund des
§ 129 a Abs. 5, § 129
Abs. 6 Halbs. 2 StGB aF zugute zu halten ist und ihm daher seine
Mitglied-
schaft und Rädelsführerschaft in der terroristischen
Vereinigung nicht mehr
strafschärfend angelastet werden darf.
Die bisher bezüglich des Angeklagten H. zum
Strafausspruch ge-
troffenen Feststellungen wer den von dem aufgezeigten Rechtsfehler und
der
Änderung des Schuldspruchs nicht berührt. Sie
können daher bestehen blei-
ben. Der nunmehr zur Entscheidung berufene Strafsenat ist nicht
gehindert,
weitere, hierzu nicht in Wider spruch stehende Feststellungen zu
treffen.
Tolksdorf
Miebach von Lienen
Becker Hubert
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