BGH,
Beschl. v. 11.2.2003 - 4 StR 522/02
4 StR 522/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
11. Februar 2003
in der Strafsache gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat auf Antrag des
Generalbundesanwalts und nach Anhörung des
Beschwerdeführers am 11. Februar 2003 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4, § 357 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten A. wird das Urteil des Landgerichts
Halle vom 29. April 2002 in den Schuldsprüchen dahin
geändert, daß
a) der Angeklagte A. des erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit
mit räuberischer Erpressung, versuchter schwerer
räuberischer Erpressung und gefährlicher
Körperverletzung, der räuberischen Erpressung in
Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung und
Körperverletzung, der schweren räuberischen
Erpressung sowie der räuberischen Erpressung in Tateinheit mit
Körperverletzung,
b) der Angeklagte S. der Beihilfe zum erpresserischen Menschenraub in
Tateinheit mit Beihilfe zur räuberischen Erpressung, zur
versuchten schweren räuberischen Erpressung und zur
gefährlichen Körperverletzung
schuldig sind.
2. Das Urteil wird bezüglich beider Angeklagten im
Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weiter gehende Revision des Angeklagten A. wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten A. als Heranwachsenden wegen
versuchter schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit
gefährlicher Körperverletzung (Fall II.1.), wegen
schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit
räuberischem Angriff auf Kraftfahrer und gefährlicher
Körperverletzung (Fall II.2.), wegen räuberischer
Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung (Fall II.3.), wegen Erpressung (Fall II.4.)
sowie wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit
Körperverletzung (Fall II.5.) unter Einbeziehung zweier
Urteile zu einer Einheitsjugendstrafe von sechs Jahren und sechs
Monaten verurteilt. Es hat außerdem die Unterbringung des
Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt,
daß drei Jahre und drei Monate der Jugendstrafe vor der
Maßregel zu vollziehen sind.
Den Mitangeklagten S. , der keine Revision eingelegt hat, hat es wegen
Beihilfe zur versuchten räuberischen Erpressung und
gefährlichen Körperverletzung (im Fall II.1.) sowie
wegen Beihilfe zum räuberischen Angriff auf Kraftfahrer, zur
räuberischen Erpressung und zur gefährlichen
Körperverletzung (im Fall II.2.) schuldig gesprochen und eine
Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren (Einzelstrafen: 1 Jahr 3 Monate
und 2 Jahre Freiheitsstrafe) verhängt.
Mit seiner Revision rügt der Angeklagte A. allgemein die
Verletzung sachlichen Rechts.
I. Die Revision des Angeklagten führt, soweit es ihn betrifft,
zu der aus der Beschlußformel ersichtlichen Änderung
des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs. Im
übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des
§ 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Jugendkammer hat die festgestellten Sachverhalte rechtlich in
mehrfacher Hinsicht fehlerhaft gewürdigt.
a) Fälle II.1. und 2.:
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 17. Dezember
2002 zutreffend dargelegt, daß die Annahme von Tatmehrheit in
den Fällen II.1. und 2. der Urteilsgründe
durchgreifenden rechtlichen Bedenken unterliegt, weil es sich nach den
Feststellungen bei dem Tatgeschehen zum Nachteil des Sven G. um die
sukzessive Ausführung ein und derselben Erpressung handelte
(vgl. BGHSt 41, 368 f.).
Im Fall II.1. ist darüber hinaus die dem Schuldspruch
zugrundeliegende Annahme einer versuchten schweren
räuberischen Erpressung ebensowenig belegt, wie die Annahme
einer gefährlichen Körperverletzung
gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Die
Herausgabe von Geld versuchte der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt nur
durch Faustschläge durchzusetzen.
Da der Angeklagte im Fall II.2. die Übergabe der Jacke von
Sven G. nur durch die Verabreichung von Schlägen erzwang, hat
er sich lediglich der räuberischen Erpressung
gemäß §§ 253 Abs. 1, 255 StGB,
hingegen nicht der schweren räuberischen Erpressung schuldig
gemacht. Soweit er allerdings später - während des
Aufenthalts in der Kiesgrube - Sven G. einen Messerstich in die
Schulter versetzte, um seiner Forderung auf baldmögliche
Zahlung eines Geldbetrages weiteren Nachdruck zu verleihen, stellt dies
im Rahmen des einheitlichen Tatgeschehens zum Nachteil des Sven G. eine
versuchte schwere räuberische Erpressung
gemäß § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB mit
eigenständigem Unwertgehalt gegenüber der
vorangegangenen räuberischen Erpressung dar (BGH NStZ 1999,
406, 407). Tateinheitlich hiermit hat sich der Angeklagte zugleich der
gefährlichen Körperverletzung
gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB schuldig
gemacht.
Wie der Generalbundesanwalt weiterhin zutreffend ausführt,
tragen die Feststellungen im Fall II.2. nicht den Schuldspruch wegen -
tateinheitlich begangenen - räuberischen Angriffs auf
Kraftfahrer gemäß § 316 a Abs. 1 StGB. Das
Landgericht sieht diesen Tatbestand als erfüllt an, weil der
Angeklagte den Sven G. auch während der Fahrt zur Kiesgrube im
Fahrzeug des Mitangeklagten S. "ungestört und sicher vor dem
Eingreifen Dritter" mißhandelt habe, um ihn zu veranlassen,
Geld zu beschaffen, welches er dem Angeklagten geben sollte (UA 8, 14).
Damit ist nicht belegt, daß der Angeklagte die Erpressung zum
Nachteil des Geschädigten unter "Ausnutzung der besonderen
Verhältnisse des Straßenverkehrs" begangen hat.
Dieses Tatbestandsmerkmal verlangt, daß der Täter
eine Gefahrenlage ausnutzt, die dem fließenden
Straßenverkehr eigentümlich ist (BGH NStZ 2000,
144). Macht sich, wie hier, der Täter lediglich die
eingeschränkten Abwehrmöglichkeiten des Tatopfers
durch die Enge des Fahrzeugs zu Nutze, genügt dies zur
Erfüllung des Tatbestands des § 316 a Abs. 1 StGB
nicht (vgl. BGH NStZ aaO m.w.N.).
Den Ausführungen des Generalbundesanwalts ist allerdings auch
insoweit zu folgen, als die Feststellungen zu dem gewaltsamen
Verbringen des Angeklagten zu der Kiesgrube die Voraussetzungen eines
erpresserischen Menschenraubs gemäß § 239 a
Abs. 1 Halbs. 1 StGB erfüllen.
Zu Fall II.1. und 2. hat sich der Angeklagte deshalb des
erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit räuberischer
Erpressung, versuchter schwerer räuberischer Erpressung und
gefährlicher Körperverletzung schuldig gemacht.
b) Fall II.3.
Im Fall II.3. ergeben die Feststellungen, daß sich der
Angeklagte im Rahmen eines einheitlichen Tatgeschehens neben der
räuberischen Erpressung (durch Schläge erzwungene
Herausgabe des Mobiltelefons) wegen versuchter schwerer
räuberischer Erpressung (§§ 250 Abs. 2 Nr.
1, 22, 23 StGB) strafbar gemacht hat, als er Ronny St. unter Vorhalt
eines Messers oder eines Schraubendrehers zu zwingen versuchte,
Gegenstände aus seiner Wohnung zu holen und diese ihm zu
übergeben, was am Eingreifen Dritter scheiterte. Daß
Ronny St. mit dem Messer oder dem Schraubenzieher verletzt wurde, der
Angeklagte also, wovon die Jugendkammer ausgeht, eine
gefährliche Körperverletzung gemäß
§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB begangen hat, ergeben die
Feststellungen hingegen nicht. Der Angeklagte ist deshalb in diesem
Fall der räuberischen Erpressung in Tateinheit mit versuchter
schwerer räuberischer Erpressung und Körperverletzung
schuldig.
c) Fall II.4.
Im Fall II.4. hat der Angeklagte nach den Feststellungen nicht nur eine
Erpressung sondern eine schwere räuberische Erpressung
gemäß § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB begangen,
weil Roberto Sp. unter dem Eindruck der Drohung mit Schlägen
mit einer "großen Zange" den Forderungen des Angeklagten auf
Herausgabe von Geld u.a. nachkam.
d) Fall II.5.
Im Fall II. 5. hat die Jugendkammer ohne Rechtsfehler angenommen,
daß sich der Angeklagte wegen vollendeter
räuberischer Erpressung in Tateinheit mit
vorsätzlicher Körperverletzung schuldig gemacht hat.
2. Der Schuldspruch des Urteils ist deshalb wie geschehen zu
ändern. Das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2
Satz 1 StPO) steht dem nicht entgegen (vgl. Kuckein in KK 4. Aufl.
§ 358 Rdn. 18). Der Angeklagte hatte aufgrund des Inhalts der
Anklageschrift auch von den in Frage kommenden Strafvorschriften
Kenntnis. Der Senat kann ausschließen, daß sich der
im wesentlichen geständige Angeklagte anders als geschehen
hätte verteidigen können.
3. Die Änderung des Schuldspruchs hat die Aufhebung des
gesamten Rechtsfolgenausspruchs zur Folge. Es ist nicht
auszuschließen, daß sich die fehlerhafte
Rechtsanwendung zu Lasten des Angeklagten auf die Bemessung der
verhängten Jugendstrafe ausgewirkt hat. Die Aufhebung des
Strafausspruchs zieht auch die Aufhebung der Anordnung der
Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach sich.
4. Der Senat weist darauf hin, daß sowohl die
Begründung der Maßregelanordnung als auch des
Vorwegvollzugs für sich genommen durchgreifenden rechtlichen
Bedenken begegnet. Die Jugendkammer hat lediglich nicht
"ausschließen" können, daß der
amphetaminabhängige Angeklagte die Taten (auch) beging, um
sich "Drogen bzw. die dafür benötigten Mittel" zu
besorgen. Für die Anordnung der Maßregel nach
§ 64 StGB muß jedoch feststehen, daß ein
symptomatischer Zusammenhang zwischen Hang zum Konsum von Drogen und
den ausgeurteilten Taten sowie der zukünftigen
Gefährlichkeit besteht (vgl. BGHR StGB § 64
Zusammenhang, symptomatischer 1; § 64 Abs. 1 Hang 2). Soweit
die Jugendkammer die Anordnung des Vorwegvollzugs der Jugendstrafe
damit begründet, daß "angesichts der allgemein
bekannten Zustände im Vollzug, wo Drogengenuß
jederzeit möglich ist, die Erfolglosigkeit der
Therapiemaßnahme vorgezeichnet" sei, wenn der Angeklagte die
Strafe nach der Therapie zu verbüßen habe,
widerspricht dies der Grundentscheidung des Gesetzgebers in §
67 Abs. 1 StGB. Danach soll möglichst umgehend mit der
Behandlung des süchtigen oder kranken Rechtsbrechers begonnen
werden, weil dies am ehesten einen dauerhaften Erfolg verspricht (vgl.
st. Rspr. zusammenfassend bei Detter NStZ 2002, 415, 419; weitere
Nachweise bei Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 67
Rdn. 6 f.).
II. Gemäß § 357 StPO ist die
Schuldspruchänderung zu den Fällen II.1. und 2. auf
den Mitangeklagten S. , der sich nach den Urteilsfeststellungen
insoweit der Beihilfe zu dem einheitlichen Tatgeschehen schuldig
gemacht hat, zu erstrecken (vgl. bei einer teilweise zu Lasten des
Nichtrevidenten erfolgten Schuldspruchänderung:
Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl. § 357 Rdn. 6 m.N.). Die
Änderung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung des den
Mitangeklagten betreffenden Strafausspruchs nach sich. Der Senat kann
nicht ausschließen, daß sich die fehlerhafte
Annahme rechtlich selbständiger Taten bei der Zumessung der
Strafe zum Nachteil des Mitangeklagten ausgewirkt hat. Die
Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren kann deshalb nicht als
Einzelstrafe bestehen bleiben.
Tepperwien Athing Solin-Stojanovic Ernemann Sost-Scheible |