BGH,
Beschl. v. 11.2.2003 - 5 StR 573/02
5 StR 573/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 11. Februar 2003
in der Strafsache gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat am 11. Februar 2003
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Bremen vom 5. Juli 2002 nach § 349 Abs. 4 StPO im
Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu elf Jahren
Freiheitsstrafe verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat einen
Teilerfolg.
1. Zum Schuldspruch ist das Rechtsmittel unbegründet
(§ 349 Abs. 2 StPO). Lediglich zur ersten
Verfahrensrüge merkt der Senat ergänzend zur
Antragsschrift des Generalbundesanwalts folgendes an: Ob das
Schwurgericht mit seinen Erwägungen zur wahrscheinlichen
Tatzeit zwischen 22.30 Uhr und 23.00 Uhr, als eine Mitbewohnerin
Geräusche aus der Richtung der Tatwohnung hörte (UA
S. 27 f.), eine Zusage nicht eingehalten hat, hinsichtlich der Ursache
der Geräusche keine Schlußfolgerungen zu ziehen,
kann dahinstehen. Im Ergebnis liegt eine Verfahrensverletzung, auf
welcher das Urteil beruhen kann, nicht vor. Der Senat kann angesichts
der in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts zutreffend belegten
erdrückenden Beweislage sicher ausschließen,
daß die Überzeugung des Schwurgerichts von der
Täterschaft des Angeklagten im Ergebnis in irgendeiner Weise
von jenen vagen Erwägungen beeinflußt sein kann, die
letztlich nicht mehr sind als - überflüssige -
Überlegungen zu einer wahrscheinlichen Einengung des in
Betracht kommenden Gesamttatzeitraums.
2. Der Rechtsfolgenausspruch ist hingegen aufzuheben, da die
Beweiswürdigung des Schwurgerichts zur
uneingeschränkten Schuldfähigkeit des Angeklagten
sachlich-rechtlicher Prüfung nicht standhält. Es
kommt demnach nicht auf die Aufklärungsrüge an, mit
der die Nichtanhörung eines psychiatrischen
Sachverständigen hierzu beanstandet wird; über deren
Zulässigkeit - die hinsichtlich der Einhaltung der
Vortragspflicht (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) und angesichts des
Umstandes, daß die Verteidigerin einen entsprechenden
Beweisantrag in der Hauptverhandlung zurückgenommen hat,
durchaus zweifelhaft ist - muß daher nicht befunden werden.
Zwar ist die Ausgangsüberlegung des Schwurgerichts zutreffend,
daß die Rauschgiftsucht des Angeklagten für sich die
Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB noch nicht
rechtfertige (vgl. BGHR StGB § 21
BtM-Auswirkungen 12 und 13, jeweils m.w.N.). Indes hat das
Schwurgericht die Feststellungen zu den individuellen Gegebenheiten in
der Person des Angeklagten in diesem Zusammenhang nicht hinreichend
ausgewertet: Zur Tatzeit am 19./20. September 2001 war der
HIV-infizierte Angeklagte nach seiner erst Anfang August 2001 erfolgten
letzten Entlassung aus Strafhaft, die er zum wiederholten Male wegen
Beschaffungskriminalität hatte verbüßen
müssen, in einer Notunterkunft für obdachlose
Drogenabhängige untergebracht. Er betrieb neben seiner
regelmäßigen, relativ hoch dosierten
Polamidon-Substitution ständig "Beigebrauch" von Heroin und
sonstigen Rauschmitteln, teilweise auch von Kokain. Dies finanzierte
der unregelmäßig, zuletzt am 8. September 2001
arbeitende Angeklagte zunehmend durch die Begehung von
Diebstählen in der Bremer Innenstadt. Über
Einbrüche hinaus erwog er gegenüber einem Mitbewohner
auch einen Überfall als mögliche Beschaffungstat. Der
Angeklagte war bei seiner Verhaftung eine Woche nach Tatbegehung
abgemagert und litt unter Entzugssymptomen.
Vor diesem Hintergrund durfte das Schwurgericht bei der sonst gegebenen
Sachlage zwar einen Ausschluß der Schuldfähigkeit
des Angeklagten noch ohne weiteres ausschließen. Das gilt
aber nicht für die Frage nach den Voraussetzungen des
§ 21 StGB. Insoweit hat sich das Schwurgericht eine sichere
Überzeugung von uneingeschränkter
Schuldfähigkeit des Angeklagten auf einer nicht hinreichend
zuverlässigen Beweisgrundlage verschafft. Es hätte
sich hierfür nicht allein auf die Fachkunde eines behandelnden
Arztes als sachverständigen Zeugen verlassen dürfen;
dieser hat zwar sachgerecht auf die Indizien des Fehlens starker
Verwahrlosung und häufiger
Bewußtseinstrübung des Angeklagten hingewiesen,
hatte den Angeklagten indes zuletzt etwa vier Wochen vor Tatbegehung
behandelt. Danach war es für das Tatgericht
unerläßlich, sich - ungeachtet fehlender Einlassung
des Angeklagten - sachverständiger Hilfe zur hinreichend
sachgerechten Beurteilung der Frage zu bedienen, ob bei Begehung der
Tat ein Drogenrausch, eine gravierende Drogenbeschaffungsmotivation
oder gar eine abhängigkeitsbedingte schwere
Persönlichkeitsstörung zu einer erheblichen
Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten
geführt haben kann.
Dies gilt zumal im Blick auf Begleitumstände der Tat: Zwar
wurde ein Raubmord im Blick auf die Tatausführung und auf das
Nachtatverhalten des Angeklagten zutreffend als eher unwahrscheinlich
erachtet. Auch jenseits davon liegt aber eine
Drogenbeschaffungsmotivation als Anlaß einer wahrscheinlichen
Spontantat nicht fern: Anstelle der vom Schwurgericht erwogenen
Variante des Motivs des Ekels über sexuelle
Annäherungen des Opfers - oder auch neben diesem Motiv -
erscheint als Tatanlaß auch eine Verärgerung des
Angeklagten über die Ablehnung einer bei Besuch des sonst oft
großzügigen Opfers möglicherweise erhofften
schenk- oder darlehensweisen Geldhingabe nicht eben unwahrscheinlich.
Zudem deutet das Nachtatverhalten auf eine gewisse Kopflosigkeit des
Angeklagten hin, der zwar ihm nützliche
Wertgegenstände des Opfers entwendete, dieses Ziel aber nur
sehr eingeschränkt verfolgte, der ferner nicht an eine
Beseitigung verräterischer Tatspuren gedacht hat.
3. Der neue Tatrichter wird sich zur Prüfung der
Voraussetzungen des § 21 StGB der Hilfe durch einen
psychiatrischen Sachverständigen zu bedienen haben, der
gegebenenfalls auch zu §§ 63 oder 64 StGB (vgl.
§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO) Stellung nehmen muß. 18
Die Möglichkeit einer etwas milderen Bestrafung
läßt sich bei etwaiger Strafrahmenverschiebung
für den Fall der Zubilligung erheblich verminderter
Schuldfähigkeit nicht ausschließen. Der Senat weist
indes ausdrücklich darauf hin, daß die Annahme eines
minder schweren Falles des Totschlags
- selbst bei erheblich verminderter Schuldfähigkeit - sehr
fernliegend erscheint. Die Voraussetzungen der ersten Alternative des
§ 213 StGB sind
- auch bei Unterstellung homosexueller Zudringlichkeit des Opfers,
dessen Neigungen dem Angeklagten vertraut waren - ersichtlich
rechtsfehlerfrei verneint worden.
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