BGH,
Beschl. v. 11.1.2007 - 4 StR 516/06
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 516/06
vom
11.1.2007
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 11.01.2007
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Bochum vom 12. Juni 2006 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die
Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nicht
angeordnet worden ist.
II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
III. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit
Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Die
hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten führt zu der aus
der Beschlussformel ersichtlichen Teilaufhebung des angefochtenen
Urteils; im Übrigen erweist sich das Rechtsmittel als
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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1. Die Verfahrensrüge ist nur allgemein erhoben und damit
gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO
unzulässig.
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2. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der erhobenen
Sachrüge hat zum Schuld- und Strafsausspruch keinen den
Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben. Das Urteil hat jedoch
keinen Bestand, soweit das Landgericht davon abgesehen hat, die
Unterbringung des Beschwerdeführers in einer
Entziehungsanstalt anzuordnen.
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a) Nach den Urteilsfeststellungen begann der heute 34jährige
Angeklagte bereits im Alter von 12 bis 13 Jahren Alkohol in Form von
Bier und Schnaps zu konsumieren. Seit seinem 17. Lebensjahr ist er
wiederholt wegen unter Al-koholeinfluss begangener Straftaten in
Erscheinung getreten. Er wurde zuletzt durch Urteil des Amtsgerichts
Essen vom 25. November 2003 wegen vorsätzlichen Vollrausches
(Tatzeit-BAK: 2,53 ‰) zu einer Bewährungsstrafe
verurteilt. Gegen ihn ist ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen im
September 2005 unter Drogen- und Alkoholeinfluss begangener
Körperverletzungshandlungen zum Nachteil seiner damaligen
Freundin anhängig, wobei die ihm entnommenen Blutproben
jeweils Werte von 1,70 ‰ und 2,27 ‰ ergeben
hatten. Auch der Einfluss einer früheren Lebenspartnerin, mit
der der Angeklagte elf Jahre zusammen lebte, führte bei ihm zu
keiner wesentlichen Änderung in Bezug auf den Umgang mit
Alkohol. Einen von ihm unternommenen Versuch eines Alkoholentzugs von
drei Tagen Dauer vermochte er nicht durchzustehen. Zuletzt sah sein
Tagesablauf so aus, dass er - sofern er nicht Aushilfsarbeiten nachging
- bereits am Vormittag nach dem Aufstehen mit dem Konsum von Bier
begann und sodann den Alkoholgenuss über den ganzen Tag
hindurch, teilweise in einem Park mit Bekannten, fortsetzte. Auch am
Tattag, an welchem er bei einem Wohnungsumzug für eine
Möbelfirma tätig war, begann er bereits ab
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10.00 Uhr morgens Bier zu trinken. Zur Tatzeit gegen 03.00 Uhr wies er
schließlich eine Blutalkoholkonzentration von 3,6
‰ auf.
b) Das Landgericht hat eine Unterbringung des Angeklagten in einer
Entziehungsanstalt nach § 64 StGB abgelehnt und zur
Begründung ausgeführt, nach Einschätzung der
gehörten Sachverständigen wiesen die
Alkoholkonsumgewohnheiten des Angeklagten keinen Krankheitswert im
Sinne eines Hanges auf, da er sich nach seinem Lebensstil noch in der
Variationsbreite der Norm halte. Er sei - nach Einschätzung
der Sachverständigen - jederzeit in der Lage, mit dem Trinken
aufzuhören, und zeige auch keine Anzeichen einer
körperlichen Abhängigkeit. Schließlich
fehle es auch an der erforderlichen Erfolgsaussicht, da - wiederum nach
Einschätzung der Sachverständigen - der
Alkoholmissbrauch nicht auf einer körperlichen
Abhängigkeit (Sucht) beruhe, sondern lediglich auf seinem
Lebensstil und der Ausprägung seiner Persönlichkeit.
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c) Diese Begründung hält - wie die Revision im
Ergebnis zu Recht rügt - rechtlicher Nachprüfung
nicht stand. Schließt der Richter sich der Bewertung durch
den Sachverständigen an, muss er im Urteil erkennen lassen,
dass dies aus eigener Überzeugung geschieht; er darf diese
nicht - wie hier - kritiklos („nach der Einschätzung
der Sachverständigen“) übernehmen (vgl. nur
KK- Schoreit 4. Aufl. § 261 Rdn. 32 m.N.). Zudem lassen die
Ausführungen des Landgerichts besorgen, dass es bei der
Beurteilung des „Hanges“ im Sinne des § 64
StGB einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab angelegt hat.
Der nach § 64 Abs. 1 StGB erforderliche Hang, alkoholische
Getränke oder andere Mittel im Übermaß zu
sich zu nehmen, setzt nämlich nicht eine körperliche
(physische) Abhängigkeit voraus (st. Rspr., vgl. die Nachweise
bei Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl. § 64 Rdn. 7),
sondern es genügt eine eingewurzelte, aufgrund psychischer
Disposition bestehende oder durch Übung erworbene intensive
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Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu
sich zu nehmen (vgl. BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 1 und 5).
Weiterhin findet die Aussage, der Angeklagte sei jederzeit in der Lage,
mit dem Trinken aufzuhören, in den Feststellungen, denen
zufolge der Angeklagte in der Vergangenheit nicht einmal in der Lage
war, eine Abstinenz von nur drei Tagen durchzustehen, keine
Stütze. Schließlich erscheint auch die im Rahmen der
Schuldfähigkeitsbeurteilung vorgenommene Charakterisierung des
Angeklagten als „Alkoholiker vom Alpha-Typ“ (vgl.
zu dieser Einteilung Nedopil, Forensische Psychiatrie, 2. Aufl. S. 99),
d.h. eines Konflikttrinkers, der Alkohol zu sich nimmt, um seelische
Belastungen leichter zu ertragen, angesichts des durch
ständigen Alkoholkonsum geprägten Lebenswegs des
Angeklagten nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Soweit in diesem
Zusammenhang auch auf das Fehlen einer
Persönlichkeitsdepravation und von Entzugssymptomen abgestellt
worden ist, weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass diese
Gesichtspunkte zwar für das Vorliegen eines
„Hanges“ indiziell sein können, ihr Fehlen
aber nicht zu dessen Verneinung führen muss.
3. Die Frage einer Unterbringung nach § 64 StGB bedarf daher
der erneuten Verhandlung und Entscheidung. Dass nur der Angeklagte
Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der
Unterbringungsanordnung nicht (BGHSt 37, 5). Anhaltspunkte
dafür, dass keine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den
Angeklagten von seinem Hang zu heilen oder doch über eine
gewisse Zeitspanne vor dem Rückfall in die akute Sucht zu
bewahren (vgl. BVerfGE 91, 1 ff = NStZ 1994, 578 ff) zeigen die
Urteilsfeststellungen nicht auf. Der Senat
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schließt aus, dass der Tatrichter bei Anordnung der
Unterbringung auf eine niedrigere Strafe erkannt hätte. Der
Strafausspruch kann daher bestehen bleiben.
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible |