BGH,
Beschl. v. 11.7.2000 - 4 StR 232/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 232/00
vom
11. Juli 2000
in der Strafsache gegen
wegen Raubes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des
Generalbundesanwalts und nach Anhörung des
Beschwerdeführers am 11. Juli 2000 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Bielefeld vom 4. Februar 2000
a) im Schuldspruch hinsichtlich der Verurteilung wegen unerlaubten
Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in vier Fällen
dahin geändert, daß die Worte "in nicht geringer
Menge" entfallen,
b) mit den Feststellungen aufgehoben,
aa) soweit der Angeklagte wegen versuchter räuberischer
Erpressung und wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit
Raub verurteilt worden ist,
bb) in den Aussprüchen über die in den
Fällen II 1 a bis d verhängten Einzelstrafen, die
Gesamtfreiheitsstrafe und die Maßregel.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier
Fällen, räuberischer Erpressung in zwei
Fällen, davon einmal in Tateinheit mit Raub, sowie versuchter
räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
zwei Jahren und neun Monaten verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis
entzogen, seinen Führerschein eingezogen und die
Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von zwei Jahren
keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Mit seiner Revision gegen dieses
Urteil rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und
materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat auf die Sachrüge
teilweise Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im
Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier
Fällen hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
Nach den Feststellungen hat der Angeklagte in den Fällen II 1
a bis d der Urteilsgründe jeweils etwa 4 Gramm Heroin
für jeweils 200. DM in "Bereicherungsabsicht" auf Kredit
veräußert. Das Landgericht hat unerlaubtes
Handeltreiben mit Betäubungsmitteln "in nicht geringer Menge"
deswegen angenommen, weil die Verkaufs-"Gewichtsmenge" jeweils mehr als
1 Gramm betragen habe (UA 7). Das ist rechtsfehlerhaft; denn Grundlage
für die Bestimmung einer "nicht geringen Menge" beim
unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (§ 29
a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) ist nicht die Gewichtsmenge des
Betäubungsmittels, sondern seine Wirkstoffmenge (vgl. Weber
BtMG [1999] § 29 a Rdn. 62 ff.). Für Heroin
beträgt der Grenzwert 1,5 g Heroinhydrochlorid (BGHSt 32,
162). Da das Landgericht dem unerlaubten Handeltreiben jeweils eine nur
"durchschnittlich gute" Qualität des
Betäubungsmittels zugrundegelegt hat, ist zu Gunsten des
Angeklagten davon auszugehen, daß dieser Grenzwert nicht
erreicht wurde (vgl. dazu Weber aaO vor §§ 29 ff.
Rdn. 517; Anhang E [S. 1007]). Die Worte "in nicht geringer Menge"
müssen daher im Schuldspruch entfallen.
2. Soweit der Angeklagte wegen (gemeinschaftlicher) versuchter
räuberischer Erpressung (Fall II 2 der Urteilsgründe)
verurteilt wurde, hat das Urteil keinen Bestand, weil ein
Erpressungsvorsatz des Angeklagten nicht rechtsfehlerfrei festgestellt
ist und das Landgericht nicht geprüft hat, ob der Angeklagte
vom (etwaigen) Erpressungsversuch mit strafbefreiender Wirkung
zurückgetreten ist.
Nach den Feststellungen zu diesem Fall hat der Angeklagte gemeinsam mit
zwei anderen "die Forderung" aus dem Verkauf des Heroins dadurch
einzutreiben versucht, daß der "Schuldnerin" gedroht wurde,
sie werde vom Balkon ihrer Wohnung im dritten Stock heruntergeworfen,
wenn sie das Geld nicht bis zu einem bestimmten - einige Tage
später liegenden - Zeitpunkt besorge. Da von ihr "jedenfalls
an diesem Tag kein Geld zu erlangen war", beschlossen der Angeklagte
und seine Mittäter, sich "auf anderem Wege Geld zu beschaffen"
(UA 5).
Danach ist weder ausgeschlossen, daß sich der Angeklagte
für die von ihm erstrebte Bereicherung eine Anspruchsgrundlage
vorgestellt hat, die in Wirklichkeit nicht bestand (vgl. BGHSt 31, 145,
147; 33, 233: Nichtigkeit des Kaufvertrages), und er deshalb in einem
Tatbestandsirrtum (§ 16 Abs. 1 Satz 1 StGB) handelte (s. BGH
NStZ-RR 1999, 6; BGH, Beschluß vom 17. Juni 1999
- 4 StR 12/99), noch, daß er mit strafbefreiender Wirkung vom
etwaigen Erpressungsversuch zurückgetreten ist (§ 24
Abs. 1 Satz 1 StGB). Für das erstere spricht - wie der
Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift an den Senat im einzelnen
zutreffend ausgeführt hat -, daß das Landgericht in
seiner rechtlichen Würdigung selbst darlegt, die Androhung von
Gewalt habe der Durchsetzung eines "vermeintlichen Anspruchs" dienen
sollen, für das letztere, daß die "Kundin"
unbehelligt blieb. Allerdings genügte es für den
Erpressungsvorsatz, daß der Angeklagte für
möglich hielt und billigend in Kauf nahm, daß die
Forderung nicht bestand oder von der Rechtsordnung nicht
geschützt ist (vgl. BGH aaO). Entsprechende Feststellungen
fehlen jedoch.
3. Im Falle II 3 der Urteilsgründe ([gemeinschaftlicher] Raub
in Tateinheit mit [gemeinschaftlicher] räuberischer
Erpressung) muß das Urteil aufgehoben werden, weil die
Urteilsbegründung widersprüchlich ist.
Nach den Feststellungen wollten der Angeklagte und seine zwei
Mittäter hier dem "Zeugen Sch. " gewaltsam Geld wegnehmen. In
Ausführung dieses Vorhabens schlug einer der Mittäter
Sch. mit der Faust auf den Mund, riß ihm zwei goldene Ketten
vom Hals und nahm ihm weitere Wertgegenstände ab.
Darüber hinaus "entwendeten die Täter" weitere Sachen
aus seiner Kleidung. Sodann "schubsten" sie Sch. in den Pkw des
Angeklagten, um mit ihm zur Sparkasse zu fahren, wo mit der dem
Geschädigten abgenommenen EC-Karte Geld abgehoben werden
sollte. Im Pkw "überlegte man es sich dann aber anders und gab
dem Zeugen alle ihm abgenommenen Sachen mit Ausnahme der Telefonkarte
und des Bargeldes zurück" (UA 5). Sch. wurde "mit den Worten
(entlassen), daß er bis Sonntag ... 300,00 DM zu zahlen
habe", was dieser auch versprach. Er zahlte dann am Sonntag - aufgrund
weiterer Drohung - 150 DM.
Danach erfolgten die Gewalt gegen Sch. und die Wegnahme seiner Sachen
außerhalb des Pkw´s des Angeklagten. In der
rechtlichen Würdigung wird dagegen die
(mit-)täterschaftliche Tatbeteiligung des Angeklagten
entscheidend daraus hergeleitet, daß Sch. die
Wertgegenstände unter Gewaltanwendung und der fortwirkenden
Drohung, ihn erneut zu schlagen, im Pkw des Angeklagten weggenommen
worden seien und der Angeklagte "durch die
Zurverfügungstellung seines Pkw ... die Gewaltanwendung und
die Drohung gegenüber dem Zeugen mitgetragen (habe)" (UA 8).
Dieser Widerspruch in den Urteilsgründen ist - wie die
Revision zu Recht beanstandet - unauflöslich. Er muß
zur Aufhebung des Urteils im Fall II 3 führen.
4. Als Folge der Urteilsaufhebung in den Fällen II 2 und 3 der
Urteilsgründe entfallen die insoweit festgesetzten
Einzelstrafen von einem Jahr (nicht: 12 Monaten; § 39 StGB)
und einem Jahr und sechs Monaten (nicht: 18 Monaten) sowie die
Gesamtstrafe und der Maßregelausspruch, für den die
Art der Tatausführung in den Fällen II 2 und 3 der
Urteilsgründe von maßgeblicher Bedeutung war (s. UA
12). Auch die Einzelstrafen in den Fällen II 1 a bis d
müssen aufgehoben werden: Das Landgericht hat zwar die Strafen
in den genannten Fällen (jeweils zwei Monate Freiheitsstrafe)
zutreffend dem Strafrahmen des § 29 Abs. 1 BtMG entnommen (UA
10); die Strafen haben dennoch keinen Bestand, weil die Strafkammer es
entgegen § 47 Abs. 1 StGB, § 267 Abs. 3 Satz 2 StPO
unterlassen hat zu begründen, warum bei dem
geständigen, nicht einschlägig vorbestraften
Angeklagten hier die Verhängung von Freiheitsstrafen unter
sechs Monaten unerläßlich war (vgl. BGHR StGB
§ 47 Abs. 1 Umstände 2, 4). Die Strafe im Fall II 4
(ein Jahr Freiheitsstrafe) kann bestehen bleiben; sie wird von den
Rechtsfehlern nicht berührt.
Meyer-Goßner Richter am BGH Maatz Kuckein
ist wegen Urlaubs an der Unterzeichnung verhindert
Meyer-Goßner Athing Solin-Stojanovic |